Kategorie: Europa |
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Der republikanische Monarch und das französische Volk – steht die nächste Pariser Kommune bevor? |
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Die konservative Sammlungspartei UMP des Präsidenten Sarkozy hat die Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag nun doch nicht so deutlich gewonnen wie es in den Medien vorhergesagt worden war. Nach dem erfolgreichen 1. Wahlgang war man davon ausgegangen, dass die UMP durch das Mehrheitswahlrech eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erringen könne, denn 45% der Stimmen werden so leicht zu 75% der Sitze im Parlament. Doch der 2. Wahlgang vom 17. Juni hat der UMP „nur“ eine absolute Mehrheit beschert: mit 314 Sitzen in der Nationalversammlung stützt sich Sarkozy auf weniger Parlamentarier als sein Vorgänger Chirac (2002: 359 Sitze). Die Linke errang immerhin 227 Sitze. | |||
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Dennoch verlor die Linke angesichts ihrer inhaltlichen Schwäche. Die Sozialistische Partei (PS), die bis in die 1980er Jahre revolutionäre Rhetorik bemühte, ist seit dem Parteikongress von Rennes 1990 offen reformistisch, die kommunistische KPF seit ihrer erneuten Regierungsbeteiligung unter dem Sozialisten Jospin in den 1990er Jahren ebenfalls. Marie-Georges Buffet, Kandidatin der KPK, erreichte im 1. Wahlgang der Präsidentschaftswahlen nur 1,93%. Die dynamischsten Kräfte der Gesellschaft stehen links, doch wegen ihres mehr oder weniger sozialdemokratischen Programms wurde die KPF geschwächt. Opportunisten neigen zu Sarkozy Wie sehr die PS von Opportunisten durchsetzt ist, zeigt das Überlaufen einzelner Politiker in das bürgerliche Lager. Prominentester Fall ist der neue Außenminister Bernard Kouchner, der für den Irak-Krieg eintritt und zum rechten Flügel der SP gehört, Staatssekretär im Außenministerium wurde der Elsässer und SP-Politiker Jean-Marie Bockel. Eric Besson fiel als Royals Wirtschaftsexperte der Präsidentschaftskandidatin mitten im Wahlkampf in den Rücken. Dass Sarkozy François Fillon zum Regierungschef kürte, bezeichnete Fillon selbst als Rache an Chirac, da dieser ihn aus der Regierung de Villepin entlassen hatte. Sarkozy bündelte seit langem die Medienmacht, was Royal mit Recht anprangerte. Er wird von Privatsendern, Zeitungen des Medienmoguls Dassault (nebenbei Rüstungsindustrieller) und besonders des Barons de Seillière (ebenfalls Medienmogul) moralisch unterstützt. Die massenmediale konservative Propaganda in Sarkozys letzter Wahlkampfphase fruchteten – so bezeichnete er sich unablässig als Präsident aller Franzosen und übernahm damit die klassenharmonische Demagogie der bürgerlichen Liberalen um Bayrou. Sarkozys Politik, u.a. die angekündigte Beschränkung des Streikrechts nach Vorbild Thatchers, wird dennoch einzig der Grande Bourgeoisie nutzen. Seit 2002: Präsidentialdemokratie Die exekutivlastige Verfassung für die V. Republik, die Charles de Gaulle 1958 ausarbeitete, wurde vom früheren Sozialistenführer Mitterrand Anfang der 1960er als republikanische Monarchie bezeichnet, da sie Exekutive über die Legislative hebt und den Präsidenten über die Exekutive (außer bei cohabitions, d.h. bei divergierender Parlamentsmehrheit, wobei Präsident und Regierungschef aus entgegengesetzten politischen Lagern kommen). Sarkozy wird, wie sein Vorgänger Chirac seit 2002, nicht nur die verfassungsrechtlich für den Präsidenten vorgesehenen Bereiche bestimmen, sondern auch die dem Premierminister Fillon vorbehaltenen Bereiche dominieren. Der Präsident wird auch gleichzeitig als Chef der UMP über die ihm untergebene UMP-Mehrheit im Parlament gebieten. Zudem deckt sich jetzt die Mandatsdauer des Präsidenten mit der Legislaturperiode, was eine Identifikation von Präsident und Regierung ergibt (die ursprünglich verfassungsrechtlich strikt getrennt waren). Das französische System wird dem russischen Präsidialsystem immer ähnlicher, zumal sich Sarkozy durch besondere Aktions- und Kontrollwut auszeichnet und sich in alle Details des früher von ihm geführten Innenministeriums wie auch der anderen Ministerien einmischen wird. Der eigentliche Regierungschef Fillon wird zum Dompteur der linken Parlamentsopposition degradiert, denn französische Präsidenten begeben sich nie in das Parlament herab; die Verfassung sieht stattdessen höchstens das Verlesen von Nachrichten des Präsidenten durch den Premierminister vor. Die 1958 restaurierte republikanische Monarchie wird von vielen Sozialisten und Kommunisten als autoritär abgelehnt. Mit Ausnahme des Vichy-Regimes 1940-44 ist die heutige Machtfülle des Präsidenten nur mit der Napoléon III. vergleichbar (1850-1870). Ein Beispiel für den autoritären Charakter der Verfassung de Gaulles ist der fehlende Grundrechtsteil: Bis in die 1970er Jahre hatten die Politiker noch nicht einmal einen Verweis der Präambel auf den Grundrechteteil der Verfassung der IV. Republik anerkannt. Der damalige rechte, reaktionäre Senatschef Poher hat Anfang der 1970er Jahre angesichts der linken Bewegungen die Versammlungsfreiheit aufzuheben versucht; erst als Reaktion auf Pohers reaktionäres Vorhaben hat der Verfassungsrat die Präambel mit dem Verweis auf die Grundrechte der Verfassung der IV. Republik von 1946 auch für die aktuelle französische Verfassung rechtsverbindlich gemacht. Rechte Demagogen um Nicolas Sarkozy In der derzeitigen UMP tummeln sich viele Rechtsextreme, was das Aufgehen vieler FN-Wähler in die UMP begründet. Der für homophobe Verunglimpfungen verurteilte Christian Vanneste wurde von der UMP ebenso als UMP-Kandidat aufgestellt wie der wegen rassistischer Beleidigung verurteilte Georges Fenech. Der UMP-Abgeordnete Bernard Carayon ist wie der Rechtsextreme FN-Führer Le Pen für die Wiedereinführung der 1981 abgeschafften Todesstrafe. UMP-Mann Jean-Pierre Soisson ging sogar im Regionalrat (etwa: Landtag) der Region Bourgogne (Burgund) eine Allianz mit dem FN ein. Dies erklärt, warum der FN das schlechteste Wahlergebnis seit 26 Jahren errang: die UMP macht ihm auf seinen traditionellen Wahlthemen das Terrain streitig. Die reaktionären Kräfte arrangieren sich seit Beginn der V. Republik (1958) sehr gut mit dieser Verfassung, während die Linken das Mehrheitswahlrecht, die institutionelle Degradierung des Parlaments und die bonapartistische Hervorhebung des Referenden lancierenden Präsidenten seit 1959 kritisieren (schon Kaiser Napoléon III. führte aus Demagogie Referenden ein). Gegenüber dem nicht absetzbaren Präsidenten Nicolas Sarkozy, der seine Machtfülle über die Exekutive und Legislative ausschöpfen wird, werden alle gleich ohnmächtig, also alle gleich sein. Wie der Philosoph Rousseau feststellte, führt der französische Zentralismus und Unitarismus dazu, dass vor dem Monarchen alle gleich sind. Da das Parlament gegenüber den „exzessiven Vorrechten der Regierung“ (so der Staatsrechtler Guy Carcassonne) an Repräsentativität des Volks verliert, wird in den nächsten Jahren zwischen dem Präsidenten und dem Volk nichts als die Straße zur Artikulation des Gemeinwillens bleiben. Es steht somit eine neue Französische Revolution bevor. Napoléon Bonaparte führte den monarchischen Zentralismus, der bis heute existiert, wieder ein, nur dass das Zentrum seitdem durch Präfekten vertreten wird. Dieser zentralistische Einheitsstaat, in dem keine lokale Mitbestimmung besteht, befördert die Rousseausche Gleichheitsthese, nach der das ohnmächtige Volk gegenüber dem übermächtigen Monarchen durch eine Revolution stürzt. Die Voraussetzungen hierfür sind heute günstiger denn je: seit 1944 (Libération, Befreiung von den Nazi-Besatzern, gefolgt von einem umfassenden Linksruck: Verstaatlichungen usw.) gab es in Frankreich kein so personalisiertes Regime mehr wie heute. Frankreich erlebte 1848 die erste proletarische Revolution der Welt, 1871 mit der Pariser Kommune den ersten Versuch einer sozialistischen Rätedemokratie und ist seit 1958 im Allgemeinen und 2002 im Besonderen wieder auf dem Weg in ein autoritäres Regime, das sich in einer institutionellen Sackgasse befindet. So wird es erneut möglich, dass das französische Volk in den kommenden Jahren wieder massenhaft Straßen und Betriebe besetzt und die Tür zum Sozialismus aufstößt |