Kategorie: Europa

Italienische Kommunisten: Was hat die Regierungsbeteiligung gebracht?

Seit 2006 ist die Kommunistischen Partei Italien (PRC) in der italienischen Regierung Prodi vertreten. PRC-Chef Bertinotti begründete schon 2004 die Absicht zum Eintritt in die Regierung mit der „historischen Chance“, die rechte Berlusconi-Regierung abzulösen: „Die Leute würden uns hassen uns steinigen, wenn wir nicht in die Regierung gingen“, so Bertinotti damals.
Interview mit Claudio Bellotti, Mitglied im Parteivorstand (Direzione nazionale) der PRC und Redakteur unserer italienischen Schwesterzeitung Falce Martello.



War die Regierungsbeteiligung der PRC wirklich die einzige Option?

Die Niederlage Berlusconis in der Wahl im Frühjahr 2006 ergab sich nicht aus der „historischen Chance“ einer Parlamentswahl, sondern war ein Nebenprodukt der größten Mobilisierung der Arbeiterklasse in Italien seit 1969. In diesen Bewegungen weigerte sich Bertinotti konsequent, die Forderung nach Berlusconis Rücktritt aufzustellen. Damit unterstützte er de facto die reformistischen Gewerkschaftsführer der CGIL, die später die Bewegung ablenken und auf eine Koalitionsregierung mit bürgerlichen Parteien orientieren konnten. Die rechten reformistischen und bürgerlichen Parteien in Prodis Koalitionsregierung (und natürlich auch Prodi selbst) verwässerten ihr Programm immer mehr und hätten mit einem immer verwascheneren Profil dann beinahe auch die Wahlen im Frühjahr 2006 verloren. Bertinottis Fehler lag darin, dass er grundsätzlich und uneingeschränkt zur Mitarbeit in der Regierung bereit war. Das ist etwas anderes als eine sinnvolle Wahltaktik mit dem Ziel, Berlusconi abzuwählen.

Was die drohende „Steinigung“ betrifft: Vor wenigen Wochen gab es in Turin eine Demonstration wütender Stahlarbeiter. Sie streikten, nachdem ein Brand in einem Stahlwerk sechs Arbeiter getötet hatte. Bertinotti wurde dabei ebenso ausgepfiffen wie andere führende Vertreter der Linken und des Gewerkschaftsapparats.

Welche politischen Kräfte sind im derzeitgen Kabinett Prodi vertreten und woran macht sich die linke Kritik an der Innen- und Außenpolitik dieser Regierung fest?

Die Regierung Prodi stützt sich vor allem auf die neue Demokratische Partei, die aus einer Vereinigung der Linksdemokraten (DS) und der Margherita entstanden ist. Margherita war aus Prodis Partei und aus dem alten „linken“ Flügel der früheren Christdemokraten und anderen Kräften entstanden. Die Demokratische Partei ist die tonangebende Kraft und jetzt die wichtigste bürgerliche Partei in Italien. Neben der DP gibt es drei kleinere Parteien: Udeur, Italia dei Valori und die sogenannten Liberaldemokraten. Letztere werden von Lamberto Dini angeführt, einem früheren rechtslastigen Finanzminister im Kabinett Berlusconi 1994.

Danach war er 1995 Regierungschef in einer Koalition von Technokraten, später Minister unter Prodi. Jetzt droht Dini mit dem Austritt seiner Partei aus der Regierung und beschuldigt Prodi, zu „nachgiebig“ gegenüber den „unvernünftigen“ Forderungen der Linken zu sein. Weiter in der Regierung vertreten sind Sozialistische Partei, Radikale, Grüne, PRC und PDCI, eine kleinere Kommunistische Partei und Abspaltung von der PRC im Jahre 1998, sowie weitere kleinere Kräfte. Es ist nicht überraschend, dass die herrschende Klasse jetzt nach „Ordnung“ ruft und ein undemokratisches Wahlrecht verlangt.
Unsere Kritik ist umfangreich. Fangen wir an mit der Außenpolitik: Stärkung der Truppenpräsenz in Afghanistan und Truppeneinsatz im Libanon. Jetzt haben sie die Finger in der Zeitbombe Kosovo mit drin, wobei sie 1999 selbst am Kosovo-Krieg beteiligt waren – damals war der heutige Außenminister und frühere Kommunist Massimo D’Alema selbst Regierungschef. Diese Regierung hat am Parlament vorbei ihre Beteiligung am geplanten US-Raketenabwehrsystem erklärt. In Vicenza soll ein neuer US-Luftwaffenstützpunkt entstehen. Dies hat Proteste ausgelöst.

Und in der Innenpolitik?

Hier brachte die „Rentenreform“ eine Anhebung des Renteneintrittsalters, eine Senkung der gesetzlichen Rentenansprüche und eine Förderung von Privatrenten (natürlich mit Beteiligung des Gewerkschaftsapparats).
In ihrem ersten Haushalt machte die Regierung Prodi den Unternehmern ein Steuergeschenk in Höhe von 5 Milliarden Euro. Schon jetzt verdienen sieben Millionen Erwerbstätige weniger als 1000 Euro brutto im Monat.
Die Regierung Prodi hat an den Gesetzen der Vorgängerregierung Berlusoni zur Präkarisierung der Arbeit gar nichts geändert, obwohl sie das in ihrem Wahlprogramm versprochen hatte – einer der wenigen positiven Punkte im Wahlprogramm.

Auch an den unmenschlichen Einwanderungsgesetzen hat sich nichts verändert. Vielmehr äußern Regierung und DP eine fremdenfeindliche Rhetorik gegen Sinti und Roma und Rumänier und machen sich für Gesetze zur raschen Abschiebung von Immigranten bei angeblicher Bedrohung stark. In anderen Bereichen – Homosexualität, Privatschulen, Steuerbefreiung für kirchliche Einrichtungen – hat sich die Regierung voll dem Vatikan angepasst.

Kam den all dies für die PRC-Führung überraschend?

Frag die doch selber! Einige glaubten offensichtlich ihrer eigenen Propaganda und waren geblendet von den vielen Listenplätzen und Mandaten im Wahlbündnis mit Prodi. Jetzt sind die Träume verflogen und was bleibt ist Asche.

Welche Position zur Koalition hat Falce Martello im letzten Wahlkampf und während der Regierungsbildung vertreten? Bertinotti befürchtet, dass ein Austritt aus der Regierung ein Comeback des Rechtsaußen Berlusconi fördern würde.

Schon 2005 sprachen wir uns für einen Bruch mit Prodi aus und warnten genau vor den Dingen, die jetzt eingetreten sind. Beim PRC-Parteitag 2005 bekam Bertinottis Leitantrag rund 60% der Stimmen. Wir forderten damals eine Art „Ausstiegsstrategie“ aus der Regierung, also einen nachvollziehbaren Bruch mit der Regierung durch Ablehnung wichtiger umstrittener Gesetzesvorhaben. Hätte es die PRC in der Rentenfrage zum Bruch kommen lassen, so hätte dies trotz aller schwierigen Begleitumstände und hausgemachten Probleme ein Ausgangspunkt für eine neue Strategie sein können. Aber die Führung fuhr eine verschwommene Strategie, die später katastrophale Folgen hatte.

Unsere Argumente für den Ausstieg aus der Regierung liegen klar auf der Hand. Dazu kommt noch, dass die ganze Linke und insbesondere die PRC jetzt die Quittung für die Regierungspolitik erhalten: eine Niederlage nach der anderen.
Das größte Problem ist nicht Berlusconi, sondern Prodi und die Demokratische Partei und ihr Chef Walter Veltroni, der früher mal Kommunist war. Um eine wirkliche Linke aufzubauen, ist ein entschiedener Bruch mit der Demokratischen Partei erforderlich. Die PRC muss gegenüber der Rechten wie auch der DP eine Opposition bilden. Wenn das klar ist, können wir durchaus über die eine oder andere taktische Frage im Wahlkampf reden.

Das Argument, dass wir durch einen Bruch mit Prodi Berlusconi die Tür öffnen, ist doppelt falsch. Erstens wird die nächste Regierung wahrscheinlich eine Regierung der DP ohne die Linke, aber dafür mit einigen Abtrünnigen aus dem Berlusoni-Lager sein. Das ist die kurzfristige Perspektive. Und langfristig bildet die aktuelle Politik der Klassenkollaboration den Nährboden für ein Erstarken rechter und rechtsextremer Tendenzen.

Wie drückt sich jetzt die Krise der PRC konkret aus? Ist ein Austritt aus der PRC eine Alternative? Was schlagt Ihr vor?

Im letzten Frühjahr schnitt die Partei in Kommunalwahlen sehr schlecht ab. Das war das erste Alarmsignal. Die Verwirrung hat nicht nur die Führung und Mehrheitsfraktion, sondern auch die Oppositionsströmungen erfasst. Es gab mehrere kleine Abspaltungen, die letzte davon durch die „Kritische Linke“ mit zwei Abgeordneten – einer wurde letzten März aus der Partei ausgeschlossen, nachdem er im Senat in der Frage des Afghanistan-Krieges von der Regierungslinie abgewichen war. Diese Abspaltung ist vor allem Ausdruck der Frustration ihrer führenden Köpfe und einer Schicht von Aktiven und weniger eine echte Bewegung der Basis und der gesamten Arbeiterklasse. Darum haben wir diese Abspaltung auch kritisiert und geben ihnen auch außerhalb der PRC keine große Zukunft. Allerdings könnten noch weitere Abspaltungen folgen – aus der PRC und PDCI. Natürlich gibt es eine große Enttäuschung und Austritte, aber als die Führung der PRC und PDCI am 20. Oktober eine landesweite Demonstration in Rom organisierte, um Stärke zu demonstrieren und Kritik an der Regierungspolitik zum Ausdruck zu bringen, war die Beteiligung weitaus größer als erwartet und kam eine halbe Million Menschen dort hin. Dieser Tag zeigte, dass die Basis immer noch zum Engagement zur Rettung der Partei bereit ist. Beim nächsten Parteitag werden wir versuchen, genau diese Schicht unzufriedener Mitglieder und Anhänger der Partei anzusprechen.

Nach der Vereinigung der Linksdemokraten (DS) mit Margherita wurde über neue linke Abspaltungen von den DS berichtet. Wie steht es damit?

Das ist ein weiterer Ausdruck der Verwirrung und Verzweiflung: Bertinotti und andere in der PRC-Führung wollen die PRC in einer „breiteren linken Bewegung“ (wie sie meinen) auflösen und jeglichen Bezug zum Kommunismus, zu Hammer und Sichel und ähnlichem aufgeben. Manchmal sagen sie, die deutsche LINKE wäre ihr Vorbild. Die Abspaltung von den Linksdemokraten im letzten Frühjähr hätte gute Entwicklungschancen gehabt, aber dann haben sie konsequent und bewusst die Chancen vertan. Diese Abspaltung, die Demokratische Linke, wird von Fabio Mussi angeführt, dem Forschungsminister in der Regierung Prodi. Übrig geblieben sind jetzt ein paar Abgeordnete und Kommunalpolitiker und einige Gewerkschaftssekretäre, die sich jetzt zunehmend fragen, ob sie das Richtige getan haben. In jeder entscheidenden Frage hat sich die Demokratische Linke voll auf die Seite der Regierung und des CGIL-Gewerkschaftsapparats geschlagen. Bemerkenswert war dies in der Rentenfrage. Sie boykottierten die Demonstration vom 20. Oktober als „zu regierungskritisch“ weil sie die Regierung nicht „destabilisieren“ wollten.

Wir sind gegen eine Verschmelzung der PRC mit dieser Organisation, denn dies würde die Basis in der Arbeiterklasse nicht ausbauen und auch keine zusätzliche Kampfbereitschaft bringen, dafür umso mehr Bürokraten und Karrieristen und rechte, opportunistische Tendenzen befördern. Die Demokratische Linke sagt klipp und klar, dass sie eine linke Kraft im Bündnis mit der Demokratischen Partei aufbauen möchte. Wenn sich die PRC darauf einlässt, ist sie zu weiterem Niedergang verurteilt und setzt ihre Existenz aufs Spiel.

Das Projekt der Demokratischen Linken ist sinnlos, sie umwerben die Grünen, die aber nicht so richtig wollen, und am Ende werden sie den Schwanz einziehen. Auch in der PDCI bestehen starke Zweifel.
Wir sind für eine echte Aktionseinheit mit anderen Linken, sofern man sich auf eine Plattform und ein Programm, und sei es auch noch so begrenzt, einigt. Man darf aber die Unterschiede nicht verbergen oder gar die politische Unabhängigkeit preisgeben.

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