Kategorie: Europa

Nach dem Regierungswechsel: Italien nach Berlusconi

Mit Bildung der neuen italienischen Regierung unter Romano Prodi steht Italien vor tiefen gesellschaftlichen Spannungen und neuen Klassenauseinandersetzungen. Die Krise des italienischen Kapitalismus wird in der kommenden Phase zu einem wunden Punkt der Europäischen Union werden.

 


Die italienischen Parlamentswahlen vom April, deren Ausgang wir an anderer Stelle analysiert haben, brachten Italien mit der Unione-Koalition unter Romano Prodi eine neue Regierung. Angesichts der Tatsache, dass die Unione, die die Unterstützung der italienischen Unternehmerverbände genießt und die ein Bündnis der Klassenkollaboration zwischen Arbeiterparteien (Demokratische Linke/DS, Rifondazione Comunista/PRC) und bürgerlichen Parteien wie der Margherita darstellt, nicht klar Stellung für die italienische Arbeiterklasse beziehen konnte und ein offen prokapitalistisches Programm vertrat, schrumpfte ihr Stimmenvorsprung, der ihr in den Wahlprognosen vorhergesagt war, am Wahlabend stark zusammen. Berlusconi und die Rechte, die die Führung der Gewerkschaften und viele Linke bereits abgeschrieben hatten, konnten noch einmal enorm zulegen, indem sie ihre Basis in den Mittelschichten durch Populismus und einen bürgerlichen Klassenstandpunkt mobilisierten. In der gesellschaftlichen Polarisierung während des Wahlkampfes bemühte sich die Unione, der italienischen Bevölkerung ihr geplantes Sparprogramm als „notwendigen Sachzwang“ zu verkaufen und den Unternehmern zu beweisen, dass Privatisierungen und Lohnkürzungen mit ihr fortgesetzt würden. Während den Wahlniederlagen der Rechten auf lokaler und regionaler Ebene zuvor stets größere Arbeitskämpfe vorausgingen, in denen die Linke und die Gewerkschaften ein kämpferisches Profil an den Tag legten, sorgten das Stillhalten und die fehlenden Mobilisierungen der Gewerkschaften vor den Parlamentswahlen für Desillusionierung unter der italienischen Arbeiterschaft. Mit Prodi kommt keine Alternative zum kapitalistischen Programm Berlusconis, sondern eine Fortsetzung der „Problemlösung“ auf dem Rücken der Lohnabhängigen. Bereits als EU-Kommissionspräsident und italienischer Ministerpräsident von 1996-98 hat er seine Fähigkeiten zum Privatisieren und zum Abbau sozialer Errungenschaften unter Beweis gestellt. Widersprüchliche Aussagen einzelner Regierungsvertreter, die das „soziale Gesicht“ der Regierung wahren wollen, in Bezug auf die politische Stoßrichtung der Regierung sind aber bereits ein Vorzeichen für zukünftige Spannungen in der Koalition.

Die Krise des italienischen Kapitalismus

Die wirtschaftliche Schwäche Italiens ist nicht kompatibel mit dem Euro und den Anforderungen der Europäischen Union. Der italienische Kapitalismus bietet heute einen anderen Rahmen als zu Zeiten der ersten Prodi-Regierung 1995. Schwindende Absatzmärkte besonders angesichts billigerer chinesischer Textil- und Fertigwaren verschärfen die wirtschaftliche Krise Italiens. Vor dem Hintergrund geschwundener Illusionen innerhalb der Arbeiterklasse bleibt der Unione kaum ein Spielraum. Italiens Neuverschuldung liegt bei 108% des Bruttoinlandsprodukts. Dies zwingt die Regierung bereits jetzt zu einem Nachtragshaushalt und einer Korrektur ihrer finanzpolitischen Pläne: Prodi muss zusätzliche 7 Milliarden Euro finden, die er durch Steuererhöhungen oder Kürzungen bei den Arbeitern einstreichen kann. Seine Pläne richten sich allerdings nicht gegen Italiens Großkonzerne und Superreiche.

Die Gewerkschaften und die DS

Die Führungsspitzen der Gewerkschaften und der DS gehen aus dem Wahlergebnis alles andere als gestärkt hervor. Die Regierungsübernahme kommt für die DS zu einem Zeitpunkt verschärfter Probleme des Reformismus auf europäischer Ebene: Sozialdemokratische Regierungen, z.B. in Großbritannien, stecken nach gut 10 Jahren Schröder-Blair-Kurs in der Krise oder wurden bereits abgewählt. Die Gewerkschaftsbasis Italiens hat sich in den letzten Jahren rund um Arbeitskämpfe wie die Streiks der Metallarbeiter Anfang 2006 zunehmend radikalisiert. Wo sich die DS im Vorfeld der Wahlen gegen die Gewerkschaften gestellt hat, hat sie an Unterstützung eingebüßt. Die DS ist die schwächste Sozialdemokratie Europas. Während die SPD trotz herber Verluste in der Bundestagswahl noch 34,2% auf sich verbuchen konnte und in der Vergangenheit des öfteren über 40% erzielte, erreichte die DS niemals mehr als 22%. In den letzten Jahren versuchte die Parteiführung im Rahmen des Ulivo-Bündnisses zusammen mit der bürgerlichen Margherita den Grundstein zur Schaffung einer „Demokratischen Partei“ nach dem Vorbild der USA zu legen. In diesem Bündnis sollte die Sozialdemokratie mit ihrer Arbeiterbasis Politik für die Kapitalisten machen, die in Italien selbst nie eine wirkliche eigene Partei besessen haben. Gegenüber diesem bürokratischen Prozess verhielt sich die parlamentarische Linke der DS still. Anstatt die konkreten Klassenauseinandersetzungen für breite Mobilisierungen der Gewerkschaftsbasis und kämpferische Forderungen im Interesse der Lohnabhängigen zu nutzen, setzt auch die Gewerkschaftsführung auf eine Neuauflage der Sozialpartnerschaft, die unter Berlusconi zunehmend zurückgedrängt wurde und in der letztlich Arbeiterführer ihre Unterschriften unter Beschlüsse der Unternehmer setzen.

Die Rifondazione Comunista

Nach dem Wahlsieg der Unione hat Fausto Bertinotti seinen Posten als Generalsekretär der Rifondazione Comunista zugunsten des Amts als Parlamentspräsident aufgegeben. An seine Stelle in der PRC tritt Franco Giordano, ein getreuer Verfechter seines politischen Kurses. Dieser Kurs besteht zurzeit darin, voll im Unione-Bündnis aufzugehen und dem Druck der bürgerlichen Koalitionspartner nachzugeben. Als „Beweis der Verlässlichkeit“ hatte die Rifondazione unter Bertinotti in den letzten Jahren stückweise sozialistische Ansätze ihres Parteiprogramms und ein eigenständiges, programmatisches Auftreten in sozialen Auseinandersetzungen aufgegeben. Dies führte auch im Zuge der Wahlen zu Mitgliederverlusten, die aber von der Parteiführung bewusst in Kauf genommen wurden. Erste Spaltungstendenzen wie die Abspaltung der Fraktion um Marco Ferrando und die Gründung ihrer Splittergruppe „Partito Comunista dei Lavoratori“ (Kommunistische Partei der Arbeiter) sind erste Anzeichen einer politischen Krise der PRC. Die Stimmenzugewinne der Partei spiegeln im Gegenzug die wachsende Radikalisierung der italienischen Arbeiterklasse wider: Während die Massen nach links rücken, driftet die Parteispitze der PRC nach rechts. Die Beteiligung an einer Regierung mit bürgerlichen Parteien und bürgerlichen Politikern ist das Ergebnis einer von der Parteiführung forcierten Bürokratisierung der Rifondazione und eines ideologischen Verfalls der Partei. In der aktuellen Krise des Kapitalismus, die weltweit Instabilitäten und Turbulenzen aufwirft, ist es unerlässlich, dass die Rifondazione die Ideen des Marxismus wieder gewinnt, um zu einer sozialistischen Massenpartei zu werden und in den Klassenauseinandersetzungen revolutionäre Positionen zu verankern. Hierzu leisten unsere italienischen Genossen von FalceMartello den Beitrag zum Aufbau eines starken marxistischen Flügels in PRC und Arbeiterbewegung.

 

Geremia Carrara und Thomas Gamstätter

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