Kategorie: Europa |
|||
Militarisierung der spanischen Flugsicherung - ein gefährlicher Präzedenzfall |
|||
|
|||
Bei vielen Medienberichten über die Verhängung des Alarmzustands, mit dem die sozialdemokratische Regierung des Ministerpräsidenten Jusé Luis Rodriguez Zapatero am Wochenende den spanischen Fluglotsenstreik gebrochen hat, vermissen aufmerksame Leser Hinweise auf die Hintergründe des seit Monaten schwelenden Konflikts. | |||
|
|||
Dass erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur Mitte der 1970er Jahren ausgerechnet eine sozialdemokratische Regierung mit der Androhung militärischer Mittel gegen einen spontanen Arbeitskampf vorgeht und die Fluglotsen dem Militär unterstellt, könnte sich als gefährlicher Präzedenzfall erweisen. Ungeachtet möglicher taktischer Fehler und ungeachtet der Tatsache, dass die spanischen Fluglotsen im Vergleich zu den meisten Lohnabhängigen eine besonders gut situierte Schicht von Angestellten sind, könnte der Militäreinsatz gegen einen Streik nun auch anderswo Schule machen. Zur Zuspitzung beigetragen hatte die Regierung mit einem einseitigen Dekret, das die Höchstarbeitszeit der Fluglotsen auf 1670 Stunden im Jahr anhob. Viele haben diese Schwelle längst erreicht. Nun goss die Regierung weiter Öl ins Feuer, als sie anordnete, dass bei der Berechnung der Jahresarbeitszeit unter anderem Freistellungen von der Arbeitszeit für Fortbildungen, Betriebsratsarbeit, Krankheitstage oder dringende Familienangelegenheiten ausgeklammert würden. Solche Freistellungen gehören eigentlich zu den Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert. Vergessen wir nicht, dass etwa die deutsche Arbeiterbewegung lange für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gekämpft hat und 1996 spontane Streiks in deutschen Betrieben ausbrachen, als die damalige Regierung Kohl diese Lohnfortzahlung gesetzlich streichen ließ. Der Coup der Regierung Zapatero ist insofern ein Schlag gegen Arbeitnehmerrechte und die Tarifautonomie schlechthin. In vielen Berichten ausgeklammert blieb aber auch die Tatsache, dass die Regierung Zapatero in den letzten Tagen nach einer Zusammenkunft mit Vertretern der wirtschaftlichen Eliten des Landes im Rahmen ihres „Sparpakets“ Pläne zur Teilprivatisierung der großen und profitablen Verkehrsflughäfen – insbesondere Madrid-Barajas und Barcelona-El Prat – bekannt gab. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise soll damit dem internationalen Kapital signalisiert werden, dass die Regierung weiter alles dafür tut, dass Spanien für Investoren „attraktiv“ bleibt. Warum provozierte die Regierung mit ihrem Arbeitszeitdekret ausgerechnet in der letzten Woche die Eskalation des Konflikts? Das Timing war kein Zufall. Spanien hatte aufgrund von Feiertagen ein langes Wochenende mit erhöhtem Reiseaufkommen. Die Fluglotsen sind seit Jahren ein relativ privilegierte Schicht. Viele ihrer Forderungen wurden in den letzten Jahren auch von den verschiedenen Regierungen erfüllt. Ihre Berufsgewerkschaft steht abseits der großen Gewerkschaftsverbände UGT und CCOO und hat sich noch nie groß für die Belange „normaler“ Angestellter und Arbeiter interessiert. So spricht manches dafür, dass die Regierung den Konflikt bewusst herbeiführte und sich gegenüber der Masse der Bevölkerung und den vielen gestrandeten Passagieren mit der Militarisierung der Flugaufsicht als „Retter“ profilieren wollte. Mit dem gleichen Argument könnte der Staat schon morgen gegen andere streikende Belegschaften und Berufsgruppen im Verkehrsbereich oder öffentlichen Einrichtungen vorgehen und mit Hilfe bürgerlicher Mainstream-Medien auch bei ihnen irgendwelche „Privilegien“ und „Egoismen“ entdecken, die angeblich dem „Gemeinwohl“ und der „Ausübung von Grundrechten“ entgegen stünden. Lägen dann nicht auch Militäreinsätze gegen Streiks im Nahverkehr oder gegen Lehrerstreiks nahe, um das „Grundrecht der Freizügigkeit“ oder ein „Recht auf Bildung“ durchzusetzen. Tatsächlich streicht die Regierung Zapatero in ihrem neuen Kahlschlagsprogramm 1,6 Millionen Langzeitarbeitslosen ab Februar 2011 jegliche Arbeitslosenhilfe. Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise wurden bereits 300.000 in Not geratene Familien Opfer einer Zwangsräumung und mussten ihre Wohnung verlassen. Besonders gefährlich an dem brutalen Vorgehen der Regierung Zapatero gegen die Fluglotsen ist, dass damit ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen wurde. Weil Zapatero mit seiner Politik einen Sieg der rechtskonservativen PP bei den nächsten Parlamentswahlen fast unausweichlich macht, könnte eine künftige PP-Regierung nach diesem Vorbild ermuntert werden, Militär noch viel konsequenter gegen Streiks einzusetzen. Wehret den Anfängen! |