Ja, die Sparkassen sind tatsächlich keine renditehungrigen Haie, sondern politisch kontrollierte, öffentlich-rechtliche Unternehmen im Interesse der Allgemeinheit. So soll es auch bleiben. Umso erschreckender ist es, dass sich auch bei Sparkassen in den letzten Jahren hier und da neoliberale Tendenzen breit gemacht haben. Zum Beispiel das so genannte „Planspiel Börse“. Anfang Oktober ist es wieder deutschlandweit angelaufen.
Jugendliche in ganz Deutschland – von der schulischen Mittelstufe bis zu den Studierenden – spielen mit. Sie bilden Investitions-„Teams“ von bis zu sechs Personen und spielen kleine Börsen-Makler über virtuelle Aktiendepots auf Sparkassen-Websites. Die „Didaktik“ (sic!) und „Methodik“ (sic!) der ganzen Sache beschreiben die Sparkassen in ihren Spielunterlagen für die Jugendlichen so: „Das Planspiel Börse ist ein Wertpapiertraining nach dem Prinzip des Learning by Doing. Es besteht grundsätzlich aus einer Mischung von Fiktion und Realität, bei der das Börsengeschehen in teilweise vereinfachter Weise abgebildet wird. In Form eines Wettbewerbs versuchen die Teilnehmer, den fiktiven Wert ihres Depots durch geschickte Käufe und Verkäufe von Wertpapieren (die im zentralen Börsenspiel-Computer in Höhe der realen Börsenkurse abgerechnet werden) bis zum Spielende möglichst zu erhöhen.“ Alle Zocker-Teams erhalten 50.000 Euro fiktives Startkapital und sollen die Eigenkapitalrendite möglichst in den Himmel treiben, sprich diesen Ausgangswert möglichst vervielfachen. Auswertungs-Veranstaltungen oder andere, begleitende Bildungsveranstaltungen zum Thema „Ökonomie“ sind nicht vorgesehen. Es wird vielmehr von den Lehrern erwartet, dieses alles auch noch zu leisten … und viele Jugendliche der „Generation Aufsteiger, nicht Aussteiger“ (Shell-Jugendstudie) werden ziemlich böse, wenn eine Lehrkraft sie „nicht optimal beraten“ hat und sie folglich nicht die besten Zocker werden konnten … widerlich … Angesichts dieser Nicht-Umstände der Durchführung ist es blanker Unsinn, überhaupt von einem Planspiel in einem ernsthaften Sinn des Wortes zu sprechen. Es handelt sich um antididaktischen Müll, der mit ökonomischer Bildung nun wirklich rein gar nichts zu tun hat. Eine „Erziehung zum Zocken“ verdrängt hier geradezu planmäßig die „Erziehung zur Mündigkeit“ (Adorno). Aber vielleicht bezeichnet man den ganzen Unfug ja gerade deshalb als „Planspiel“. Hier wird die Seriosität eines öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsunternehmens systematisch ausgebeutet, um unseriösen Bildungszielen einerseits und (s.u.) unseriösen Geschäftszielen andererseits den Weg zu ebnen.
Es ist ein Skandal, dass die Sparkassen als dem öffentlichen Wohl verpflichtete Banken schon bei Kindern die reine Zockermentalität schüren! Gerade weil die Sparkassen – insgesamt durchaus zu Recht – einen seriösen und soliden Ruf haben, ist das ein doppelter Skandal. Jeder, der dieser Tage die Nachrichten genau studiert, weiß inzwischen, dass auch Sparkassen eben nicht mehr nur Girokonten relativ kostengünstig bereitstellen, verwalten und besser für Spareinlagen verbürgen können als viele Privatbanken. Auch sie haben in den letzten Jahren Abteilungen für „Investment-Banking“ aufgebaut und mit entsprechenden Schrott-Papieren gehandelt. Traurige, teilweise zornige Sparkassen-Kunden kann man dieser Tage im TV sehen, die ihr Geld nur deshalb im globalen Kasino „angelegt“ hatten, weil ihnen der nette Herr XY von der Sparkasse YX das noch im August 2008 so empfohlen hatte: Lehman Brothers? Bomben-Renditen für ihre 15.000 Euronen, Frau Müller! Teilweise kann man den sich nun geprellt fühlenden Kunden aber auch echt nicht mehr helfen: Eine Kölner Studentin hat alles verzockt und jammert daher, dass niemand ihr auf der Sparkasse gesagt hat, dass man beim Zocken auch (womöglich sogar alles) verlieren kann. Verklagt gehören die! „Emittenten-Risiko“? Nie gehört. Und dabei hatte sie sich doch von den sagenhaften, kurzfristig zu erzielenden Renditen einen Gebrauchtwagen kaufen wollen. Wenn das „Planspiel Böse“ sich in ein Real-Spiel verwandelt und man statt fiktivem Kapital richtig eigene Kohle verliert, dann hört der Spaß für den Otto-Kleinsparer auf.
Keinesfalls unwichtige Zwischenbemerkung: Immer wenn ich breit bin, ziehe ich einen Kontoauszug; gerade eben habe ich’s mal wieder getan. „Ich bin klasse!“ (wer’s nicht gemerkt hat: Zitat aus dem großartigen Film „American Beauty“): Wieder einmal habe ich 2.50 Euro gewonnen! Denn auch ich bin „PS-Los-Sparer“ bei einer Sparkasse und damit Beteiligter am weltweiten Kasino-Kapitalismus; sozusagen ein Kapitalist. Das ist wirklich renditeträchtig: Ich zahle im Monat 60 Euronen, kriege am Ende des Jahres insgesamt rund 500 davon wieder, gewinne zwischendurch einmal 50 Euro – ein „konservativer Anleger“ bin ich - und frage mich immer wieder, was die Sparkasse als Gewinnspiel-Veranstalter von der ganzen Kiste hat. Kurzfristige Kapitalerhöhung, ok. Natürlich hoffe ich auf „die 50.000“ Euro; den sozusagen „großen Preis“ des kleinen Mannes. Kommt natürlich nie; egal, die Hoffnung stirbt zuletzt. Denn da ja die jährliche Gesamt-Auszahlungs-Summe bei hunderttausenden verschiedener TeilnehmerInnen zu verschiedenen Zeiten fällig wird, geben unter dem Strich wir alle unserer jeweils heimischen, quasi-heiligen Sparkasse jedeR einen klitzekleinen Kredit: Das in diesen Tagen zu Berühmtheit gelangte „fiktive Kapital“ also, mit dem die Bank dann lukrativ irgendetwas im US-Häuser-Markt etc. machen kann.
Gegenargument: Aber der Personalaufwand? Letztlich – so groß kann der von uns „PS-Los-Sparern“ gewährte Kredit doch gar nicht sein, um diese „kurzfristige Liquidität“ langfristig gewinnbringend im globalen Kasino investieren zu können – bleibt für die Sparkassen doch wenigstens ein sogenannter „Personalaufwand“ in den Bilanzen haften. Irgendwoher muss die Kohle also letztlich her kommen, um scheinbar unnütze Sachen wie „Planspiel Börse“ und mein, rein anleger-technisch betrachtet, mega-konservatives „PS-Los-Sparen“ überhaupt finanzieren zu können. Woher also kommt die Kohle? Sie ahnen es, gell? Wenn nicht: Lassen Sie sich von einem böse konservativen Kommunisten wie mir einmal kurz informieren:
Man muss sich schon fragen, warum die Sparkassen dieses Börsen-Spiel alljährlich durchführen. Schließlich erzeugt es nur Kosten und Personalaufwand. Ökonomische Bildung – die öffentlich-rechtliche Einrichtungen selbstverständlich fördern sollten – bzw. (neoliberal dahergequatscht) die Produktion von Mehrwert im Sinne der Steigerung des Humankapitals wirft es auch nicht ab. Was also dann? Es reicht in Zeiten des neoliberalen Kasino-Kapitalismus offensichtlich nicht mehr aus, die Kinder gleich nach der Geburt in den „Knax-Club“ zu lotsen, am „Weltspartag“ ein Gewinnspiel zu veranstalten und den Sparkassen-JungkundInnen zur Konfirmation bzw. Firmung großzügig 15 Euro aufs „junge Konto“ zu buchen. Die Sparkassen haben sich in den letzten Jahren eben auch, neben der wichtigen Aufgabe öffentlich kontrollierter Kleinsparer-Konten-Verwaltung, dem Gegenteil ihrer gesetzlichen Aufgaben, d.h. dem „Investment-Banking“ zugewandt. Warum auch immer das getan wurde und wird: Das sogenannte „Planspiel Börse“ darf getrost unter „langfristige Kundenwerbung“ abgebucht werden. Besonders schäbig: Die öffentlich-rechtlichen Sparkassen lassen diese Kiste seit eh und je über das öffentliche Schulsystem laufen (erst seit diesem Jahr werden auch gezielt Studierende angesprochen). Angenommen, die Sparkassen würden durch Kundenwerbung an Schulen das öffentlich-rechtlich kontrollierte Bankwesen stützen wollen, so könnte man ihnen das eventuell sogar durchgehen lassen und würde es vielleicht irgendwie sympathisch finden können. Aber so nicht!
Nun sollte man meinen, dass die Heranwachsenden unter G8-Schulbedingungen einerseits und verkürzten Studienzeiten andererseits für so etwas „Zusätzliches“ keine Zeit mehr haben. Doch das Spiel erfreut sich wachsender Beliebtheit. Und versuchen Sie bloß nicht, die Schose in Zeiten von PublicPrivatPartnership in Frage zu stellen! Dann können Sie was erleben. Als Lehrer bin ich an meiner Schule unter anderem auch für die Koordination des Wirtschafts-Unterrichts zuständig. Vor zwei Jahren hatte ich aus verschiedenen Gründen die Schnauze voll von diesem Börsenspiel. Ich riet meinen Schülerinnen und Schülern davon ab, dabei mitzumachen und empfahl ihnen bessere und ernsthaftere Wirtschafts-Planspiele. Die gibt es nämlich durchaus. Z.B. MONOPOLY! Damit konnte man nämlich schon immer lernen, dass man von Häusern alleine nicht leben kann. Besonders mit drei fetten Hotels in der Schlossalle ist man extrem konkursgefährdet für den Fall, dass man all sein Geld da reingesteckt hat, sonst kaum etwas besitzt und niemand vorbeikommt, der dort einziehen will. Einmal habe ich bei diesem - verglichen mit dem Sparkassen-Mist wirklich exellenten Planspiel als kleiner Ackermann auch einmal, aufgrund von übermäßiger Kreditvergabe bei ausbleibenden Einzahlungen, die Bank gecrasht. Damit war das Spiel dann zuende. Es hatte keiner mehr Lust darauf sozusagen nur noch virtuell weiterzuspielen. Unter anderem fand ich es pädagogisch unverantwortlich, den Jugendlichen zu empfehlen, ihre kostbare Zeit (unter G-8-Bedingungen!) dermaßen sinnlos zu „investieren“. Auf einer Fachlehrer-Konferenz mit Elternbeteiligung legten wir Lehrer dann fest, dass wir das Spiel unter der Hand auslaufen lassen und uns um die Etablierung sinnvoller Planspiele im Bereich „ökonomische Bildung“ kümmern wollen. Ein paar Tage später erhielt ich E-Post von der Schulleitung. Diese wiederum hatte eine Email aus der Vorstandsetage eines bedeutenden, ortsansässigen Global-Players erhalten. Hart wurde unsere Schule und namentlich die Lehrerschaft darin angegangen: Wie kommen die bloß auf den Gedanken, sich anzumaßen, dieses wertvolle Spiel abzusetzen?! So funktioniert sie halt, die „Marktwirtschaft“: Einige schicke Jugendliche und ihre Eltern hatten sich – man kennt sich! - beim Vorstand jenes Global-Players über unseren demokratischen Beschluss echauffiert. Manche Eltern und Kinder wollen das haben (Nachfrage), also haben wir als Schule (Angebot) das gefälligst auch zu machen. Zumal die örtliche Sparkasse unserer Schule, auch das stand in der Email, gelegentlich Geld zukommen lässt. Basta. Die weitergeleitete Email enthielt eine Handlungsanweisung seitens unseres Schulmanagers (so nennen sich inzwischen manche Schulleiter): „Ich erwarte, dass das Planspiel Börse auch in Zukunft durchgeführt wird.“
Hatten wir BildungsarbeiterInnen nicht einen demokratischen Beschluss getroffen, es anders und sogar sinnvoller zu handhaben? Egal. Basta. Demokratie sieht heute anders aus: Im September 2008 gab es eine Fortbildungsveranstaltung für Hessens „Schulmanager“ mit dem Titel „Partizipation als Mittel der Schulentwicklung“. Wer wissen will wie sich solche „Partizipation“ (dt.: Bürgerbeteiligung) konkret gestaltet, wenn darunter nicht mehr die Geltung von demokratischen Beschlüssen der Lehrerschaft verstanden wird, der lese es einfach hier oben noch einmal nach. Vor ca. drei Jahren habe ich einmal einen Vortrag einer Nachwuchs-Politologin mit dem gleichen Titel zu hören bekommen. Es handelte sich dabei um einen Exposé-Vortrag im Rahmen der Produktion einer Magisterarbeit. Die Dame erklärte, warum „Partizipation“ an Schulen wichtig sei. „Empirische Befunde“ hätten gezeigt, „dass die Leute partizipieren (sich beteiligen) wollen“. Sie selbst hatte schon eine kleine Umfrage an Schulen zu mehr PublicPrivatPartnership, also zur Ausweitung von „Demokratie“ (sic!) an Schulen gestartet. Eines fand sie dabei „seltsam“: Schulleitungen zeigten sich in der Regel offen dafür, die Lehrerkollegien zeigten sich deutlich reservierter. Der Grund für diese durchaus sehr richtige „empirische Beobachtung“ blieb der Dame schleierhaft. Ob das damit zu tun haben könnte, dass die Lehrerschaft in der Regel mehr von der Demokratie und von ihrem Schutz versteht als „Schulmanager“, interessierte bürgerliche Elternhäuser, mit diesen „vernetzte“ lokale Unternehmen und der Mainstream der selbstgefällig-herrschenden Politikwissenschaft?
Der neoliberale Kapitalismus untergräbt selbst die Standards der bürgerlichen Demokratie. Demokratische Rechte sind als historischer Fortschritt gegenüber anderen Formen bürgerlicher Politik durchaus zu verteidigen! Genauso verteidigenswert sind die Sparkassen als öffentlich-rechtliche Einrichtungen! Wer glaubt, wir MarxistInnen würden antreten, um „das System“ in blinder Hau-den-Lukas-Manier zu zerstören, der irrt sich gewaltig. Wir verteidigen die Reste öffentlichen Eigentums, staatlicher Kontrolle und ernsthafter Demokratie innerhalb der bestehenden Gesellschaft gegen jene, die diese Errungenschaften – womöglich auch noch unter dem Tarnmantel ihrer Förderung und Ausweitung – zunehmend beseitigen! Daraus folgt:
- Kommunal-PolitikerInnen von Linkspartei, SPD, linken Listen und örtliche Gewerkschafter! Prüft in diesen Tagen sehr genau, was die örtliche Sparkasse als öffentlich-rechtliches Unternehmen so alles treibt! Nehmt Eure Kontroll-Pflichten ernst! Sparkassen-Posten sind keine Karriere-Sprungbretter im kommunalen Rahmen, sondern die letzten Elemente der Demokratie in der neoliberalen Bankenwelt!
- Drängt darauf, die Investment-Spielereien örtlicher Sparkassen zu beenden!
- Gelegentlich haben Sparkassen in den letzten Jahren versucht, sich zusammenzuschließen und „kapitalmarktfähig“ zu werden! Schluss jetzt damit! Haltet die Zocker-Diebe gerade auch im kommunalen Rahmen auf!
- Keine Förderung von Zocker-Mentalität und eines verkürzten Verständnisses von ökonomischen Zusammenhängen bei Kindern und Jugendlichen durch die öffentlich-rechtliche Sparkassen-Organisation!
- Entweder die Sparkassen unterbreiten didaktische wertvolle Planspiele zum Thema „Finanzwelt“ an Schulen und Universitäten – oder sie haben es sein zu lassen! Keine Trash-Spiele zwecks Gewinnung von Zockern für zukünftige Trash-Investments!
- Kein verantwortlich handelnder Politiker und keine verantwortlich handelnde Politikerin darf in diesen kritischen Tagen noch weiterhin zulassen, dass ausgerechnet öffentlich-rechtliche Unternehmen privatwirtschaftliche Zocker-Mentalität auf dubiosen Vermittlungswegen unter Kinder und Jugendliche bringen!
- Linkspartei, verbliebene fortschrittliche Kräfte in SPD! Macht in den Kommunen, Ländern und auf Bundesebene Dampf für die Abschaffung des „(Pseudo-) Planspiels Börse“ zum nächsten Schuljahr! Dieses ist, wenn Ihr es richtig bedenkt, unter anderem auch ein Gebot des Jugendschutzes!
|