Kategorie: Jugend

Wozu Studiengebühren? Ein soziales Apartheidsregime

Ab Wintersemester 2007/2008 führt Hessen Studiengebühren ein. Die Universitäten und Fachhochschulen können dann von Regel-Studierenden 500 Euro je Semester, von ausländischen Studenten sogar bis zu 1.500 Euro kassieren.


Offizielle Begründung: Weil Hessen bald von Bundesländern „ umzingelt“ sei (O-Ton der Landesregierung), die Studiengebühren erheben, müsse man das halt auch machen. Der Text der Hessischen Landesverfassung, der klar und deutlich gegen solche Gebühren steht („In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich“), interessiert auf einmal nicht mehr. Wozu diese Gebühren, für die sogar ein offener Verfassungsbruch begangen wird?

Ökonomischer Unsinn

Internationale Studien, gerade auch einschließlich PISA, zeigen immer wieder, dass die Bundesrepublik Deutschland – gemessen am Ausbildungsbedarf eines exportorientierten Hochtechnologielandes – nicht zu viele, sondern erheblich zu wenige hochqualifizierte Fachkräfte hervorbringt. Gerade aus bürgerlich-ökonomischer Sicht „ brauchen wir“ also entschieden mehr, nicht weniger Studierende. Harte ökonomische Sachverhalte sprechen also deutlich gegen die Einführung von Studiengebühren. Denn diese schrecken viele Abiturientinnen und Abiturienten aus einkommensschwachen Haushalten vom Studium an einer Hochschule ab.

… und klassenpolitischer Sinn

Doch Schule und Hochschule dienen in einer Klassengesellschaft eben nicht primär der Vermittlung von substantieller bzw. nachhaltiger Bildung – auch nicht für irgendeine ominöse „ Elite“. Sie dienen der unmittelbaren (!) Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft. Auf Studiengebühren bezogen bedeutet das: Auch auf den Feldern Schule/Universität geht die herrschende Klasse – und zwar höchst persönlich!, höchst unmittelbar! – in die Offensive. Die letzten Reste scheinbarer (!) Chancengleichheit, Ergebnisse der – in der Tat! – fortschrittlichen sozialdemokratischen Reformen der 1970er Jahre, die sich an der Kanzlerschaft Willy Brandts festmachen, sollen abgewickelt werden. So genannte „höhere Bildung“ soll möglichst vollständig wieder rein exklusiv dem Nachwuchs der, in der Regel auf Grund von Geburts-Glück, gehobenen Bevölkerungsschichten zu Gute kommen. Übrigens haben an der sozialen Auslese des deutschen Bildungswesens auch die fortschrittlichen Reformen der „Willy-Jahre“ nur sehr wenig geändert: „Geschlossene Gesellschaft! Für Spitzenkarrieren in Deutschland ist noch immer die soziale Herkunft ausschlaggebend, nicht die individuelle Leistung!“, so das zentrale Ergebnis der ersten repräsentativen BRD-Elitestudie aus dem Jahre 2002 (Michael Hartmann: Der Mythos von den Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft).

Soziale Ausgrenzung

Arbeiterkinder- und Migranten-Nachwuchs sollen endlich wieder weitgehend draußen bleiben. Wie zu Kaiser Wilhelms/Hitlers/Adenauers Zeiten verstehen die Eliten unter „Elitebildung“ die Wiedererrichtung eines möglichst vollständigen sozialen Apartheid-Regimes im Bildungswesen. Mit hohen Zäunen, Kameras und Pittbulls sichern sie sich ihr Eigentum – d.h. die einzigen Werte, die in diesem Land tatsächlich etwas zählen. Mit verstärkter Auslese, z.B. durch die Zahlung von Studiengebühren, wollen sich die Eliten nun auch wieder in den höheren Bildungsinstitutionen „die Masse“ des gemeinen Volkes vom Leib halten. Ökonomische und finanzielle Argumente werden in der derzeitigen bildungspolitischen Debatte nur vorgeschoben, um – wie auf anderen Politikfeldern auch – unter Vorspiegelung scheinbarer objektiver Gründe für die Durchführung irgendwelcher Konterreformen (Stichwort: „Sachzwang-Logik“ ) zu verschleiern, dass es in Wirklichkeit um sehr direkten, hemmungslosen Klassenkampf der übelsten Sorte geht.

Studierende, die nicht demonstrieren

Wenn viele Studierende trotz dieser Missstände immer noch nicht demonstrieren, mag dies im Einzelfall begründet sein. Steigender Prüfungsstress, stumpfes Gepauke und der Zwang zum Jobben neben dem Studium gehören auch zu den Mechanismen der sich verstärkenden Ausgrenzung proletarischer Bevölkerungsschichten aus den höheren Bildungsanstalten. Aber die weit überwiegende Mehrheit der Studierenden an deutschen Hochschulen kommt doch längst aus „besseren“ Elternhäusern! Sie können sich die Gebühren nicht nur leisten – viele werden die „Peanuts“ sogar gerne abdrücken. Gerade die Zahlungsfähigkeit für ein vormals öffentliches Gut grenzt den Besitzbürger unübersehbar von der besitzlosen „Masse“ ab. Solche Investitionen machen sie noch! Neben edlen Klamotten, den „richtigen Freunden“, kultiviertem Prassen in Nobelläden, edlen Taten im Lions-Club und Spenden von Essenresten für kirchliche Obdachlosentafeln kann man sich demnächst eben auch noch einen Studienplatz leisten. Toll! Schließlich ist man doch wer – und will es auch zeigen! Das muss doch mal wieder erlaubt sein dürfen in dieser Nach-68er-Republik!

Wer sind unsere Verbündeten?

Wer sich über das unsolidarische Verhalten solcher Kommilitoninnen und Kommilitonen aufregt, zeigt nur, dass er oder sie noch nicht verstanden hat, dass es beim Thema Studiengebühren um echten, handfesten und fast schon körperlich-unmittelbaren Klassenkampf geht. Versucht nicht, diese Leute von Eurer Sache zu überzeugen (einige begrüßenswerte Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel)! Das ist meistens sinnlos, absorbiert Kraft und frustet nur. Schaut, aus welchen Elterhäusern Protestverweigerer und Gebühren-Befürworter kommen. Manche mögen einfach nur Christiansen/RTL/FAZ-verblödet sein – die meisten aber sind Überzeugungstäter aus niederen Beweggründen ihrer privilegierten Lebenssituation heraus! They fight you?! Fight them, too! Schluss mit dem „Diskurs“! Geht zu Gesamtschulen, Haupt-, Real- und Oberstufenschulen hin, zu Azubi-Vertretungen in Betrieben und Verwaltungen, Betriebsräten, Gewerkschaftsjugend, Stadtschülerräten, zu `solid, den Jusos und Ortsvereinen der drei sozialdemokratischen Parteien SPD, WASG und Linkspartei – und ihr findet die Menschen, die ihr von eurer Sache überzeugen müsst!

Eliten ...

Folgendes ist in der politischen Debatte über „Elitebildung“ auffällig: Die subjektiven Interessen des Großbürgertums (Sicherung des Bildungsprivilegs der sozialen „Eliten“) widersprechen seinen objektiv-ökonomischen Interessen, denn Deutschland als Hochtechnologie-Produzent braucht eigentlich erheblich mehr hoch qualifizierte Fachkräfte. Die Eliten zeigen damit nur einmal mehr, dass sie unfähig sind, unsere moderne Gesellschaft und die Menschen in ihr vernünftig zu behandeln.

Das private Sonderinteresse der Besitzbürger wendet sich permanent nicht nur gegen die Interessen der Allgemeinheit, sondern insbesondere auch gegen ihre eigenen ökonomischen Kapital-Verwertungs-Interessen (Entfaltung von Produktivität und Wachstum zwecks Erwirtschaftung unternehmerischer Gewinne). Wollen sie womöglich „ihr“ Kapital gar nicht mehr verwerten? Haben sie das nicht mehr nötig? Reicht ihnen inzwischen das Prassen und Raffen - das Leben von Zinsen, Mieten und Steuergeschenken?!

... sind ein Hemmschuh für den gesellschaftlichen Fortschritt

Die herrschende Klasse – und das zeigen die Diskussionen um Elitebildung und Studiengebühren sehr deutlich – ist ein Hemmschuh geworden sowohl für die Entfaltung ökonomischer Vernunft, als auch für die Entfaltung einer Gesellschaft, in der es jeder und jedem möglich ist, im Leben etwas Vernünftiges und nachhaltig-wirklich Gebildetes aus sich zu machen. Alle anderen Behauptungen sind klassenpolitische Lügenmärchen. Nehmt ihnen die Welt aus der Hand!

Karl Friedrichsen

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