Die Generationen der späten 1990er und besonders der beginnenden 2000er Jahre sind in einer völlig neuen ökonomischen und politischen Situation sozialisiert. Sie wurden in einer Phase der einsetzenden organischen Krise des Kapitalismus politisch bewusst. Diese spitzt sich seit der Corona-Pandemie weiter zu. Die Jugend kennt nur den Zustand zunehmenden Niedergangs, der Zerrüttung und Chaotisierung der ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnisse.
In den letzten Jahren übersetzt sich diese Erfahrung international und auch in Deutschland in eine stark wachsende Politisierung und Radikalisierung der Jugend. Dieser Molekularprozess der Revolution trat spätestens 2019 mit Beginn der globalen Klimaproteste sichtbar an die Oberfläche. Jeder gesellschaftliche Schock rüttelt das Bewusstsein weiter auf, wie etwa der Krieg in der Ukraine und die derzeitige Inflation. Diese scheinbar zufälligen Ereignisse drücken eine tiefere Notwendigkeit aus. Die kapitalistische Produktionsweise kann die Produktivkräfte nicht mehr entwickeln. Privateigentum und Nationalstaat sind Fesseln für den Fortschritt. Sie müssen gesprengt werden und die Jugend beginnt das zu erkennen.
Die Richtung geht nach links
Zwischen 60 bis 80 Prozent der Jugendlichen in verschiedenen Ländern auf allen Kontinenten geben an, das Gefühl zu haben, dass die Dinge im eigenen Land außer Kontrolle geraten sind. In Großbritannien erkennen 70 Prozent der Jugendlichen, dass der Kapitalismus verantwortlich für Klimawandel und Rassismus ist. Laut der OECD hat das Vertrauen junger Menschen in die Regierungen der Industrieländer seit 2016 abgenommen. Das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, in politische Parteien und den Einfluss politischer Vertreter ist gesunken. Deutlich zeigt sich das auch an dem enormen Misstrauen, das die Jugend den Schaltzentralen des Kapitalismus – den Banken – entgegenbringt.
Selbst in den USA ist das so. Laut einer YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2020 haben hochgerechnet 70 Millionen Jugendliche erkannt, dass das derzeitige Wirtschaftssystem gegen sie arbeitet. 39 Millionen Jugendliche haben eine positive Einstellung zum Marxismus. 35 Millionen junge Menschen haben eine positive Einstellung zum Kommunismus. 26 Millionen befürworten die Abschaffung jeglichen Privateigentums zugunsten von öffentlichem Eigentum. Mit anderen Worten: Dutzende Millionen junger amerikanischer Arbeiter sind offen für sozialistische Ideen.
Diese Skepsis am herrschenden System wächst auch in Deutschland. Eine Umfrage des Spiegel-Magazins aus diesem Jahr zeigt, dass die Mehrheit der 16- bis 29-Jährigen der Meinung ist, dass die „Soziale Marktwirtschaft“ ihre Versprechen nicht erfüllt. Unter den Frauen sagen das 67 Prozent und weitere 14 Prozent sind unentschlossen. Unter Männern sind 49 Prozent dieser Meinung und 13 Prozent unentschieden. Auf die Frage, ob der Kapitalismus das beste Wirtschaftssystem sei, antworteten 45 Prozent der Frauen mit „Nein“ und 16 Prozent waren unentschlossen. Bei den Männern verneinten 36 Prozent diese Frage und 12 Prozent waren unentschlossen. Bereits 40 Prozent dieser Alterspanne sehen den Kapitalismus nicht als das beste Wirtschaftssystem an.
Das ist die Konsequenz der tiefen kapitalistischen Krise. Die Corona-Pandemie hat die Jugend hart getroffen. Durch die Schließung der Schulen und Universitäten waren breite Teile der Jugend auf sich allein gestellt. Das ständige Hin und Her hat sehr an ihren Kräften gezerrt. Schüler hingen lange in der Luft und sorgten sich um ihre Noten. Einige hatten kaum Digitalunterricht. Sie bekamen montags Aufgaben zugeschickt, die sie oft nicht verstanden haben, und mussten sie bis Freitag bearbeiten. Eine Schülerin sagte in einem Spiegelinterview: „Es war, als ob man ständig versagen würde. Und gleichzeitig sollte diese elfte Klasse der nächste Schritt in Richtung Abitur sein.“ Dieselbe Schülerin sprach zudem von vielen Klassenkameraden, die die Schule schmeißen möchten oder suizidale Gedanken haben. Tatsächlich gehen bürgerliche Wissenschaftler davon aus, dass die Corona-Generation weniger lernen, weniger Kompetenzen entwickeln und damit schlechtere Chancen haben wird, einen Arbeitsplatz zu finden. Auch rechnen die Jugendämter mit einer stark steigenden Zahl von Schulabbrechern. Sie gehen davon aus, dass sich ihre Zahl verdoppeln wird.
Auch die digitalen Universitätssemester haben die sozialen Ungleichheiten im Bildungssystem verstärkt. Zudem verloren viele Studenten ihre Nebenjobs und mussten trotz finanzieller Einbußen die viel zu hohen Mieten zahlen. Es gab kaum finanzielle Hilfen vom Staat oder sie reichten nicht aus. Wie die Corona-Ausbildungsstudie 2021 zeigt, machten Auszubildende erste Erfahrungen im Klassenkampf von oben. Jeder vierte Azubi musste krisenbedingte Kürzungen in Kauf nehmen; Urlaubstage wurden gestrichen und Überstunden waren an der Tagesordnung.
Die Ursache für die sinkende Hoffnung junger Menschen in die bürgerliche Demokratie geht tiefer. Die Jugend ist zunehmend desillusioniert, was die Fähigkeit des kapitalistischen Systems betrifft, ihnen ein sicheres und stabiles Leben zu bieten. Schon vor der Pandemie war für viele klar, dass ihr Lebensstandard nicht den der vorherigen Generation erreichen wird, egal wie hart sie arbeiten. Währenddessen nimmt der Leistungsdruck an den Schulen, Universitäten, in der Ausbildung und im Beruf ständig zu.
Die Shell Jugendstudie analysierte schon 2019, dass junge Menschen vor allem Angst vor den Auswirkungen des Klimawandels, vor Krieg in Europa, vor einer verschlechterten wirtschaftlichen Lage und vor Armut haben. Dazu kommt die Angst vor Arbeitsplatzverlust oder davor, keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu bekommen – Ängste, die den Lebensrealitäten junger Menschen entsprechen. So leben ein Fünftel der unter 18-Jährigen und 25,8 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Armut.
Die EU hat zwar die qualifizierteste Jugend aller Zeiten, doch was die Jugend nach ihren Abschlüssen erwartet, sind unsichere Arbeitsplätze mit Befristungen, Leiharbeit, Zeitarbeit, sinkende Reallöhne und hohe Mieten. Befristete Verträge sind bei jungen Arbeitern in der Eurozone besonders verbreitet: Fast die Hälfte der arbeitenden 15- bis 24-Jährigen hatte am Vorabend der Pandemie einen befristeten Arbeitsvertrag, und der Arbeitsplatzverlust traf diese Gruppe besonders hart. Das führt dazu, dass junge, qualifizierte Arbeiter oft von einem unsicheren Arbeitsplatz zum nächsten, von Stadt zu Stadt und sogar Land zu Land ziehen müssen. Das ist Normalzustand in EU-Ländern wie Spanien, Frankreich oder Italien.
Radikalisierung von Frauen
Weltweit sind Frauenbewegungen im Aufschwung. Sie kämpfen gegen reaktionäre Gesetze und Regierungen, gegen die auf ihre Schultern abgewälzten Krisenlasten, gegen Sexismus, Diskriminierung und Unterdrückung. Der Kapitalismus verstärkt die geschlechterspezifische Arbeitsteilung systematisch und verhindert, dass Frauen tatsächliche Kontrolle über ihr eigenes Leben haben. Die Kontrolle über den eigenen Körper und die eigene Sexualität wird im Kapitalismus im Gesetz, der Medizin und der Bildung untergraben und dem Profit untergeordnet. Die Krise trifft Frauen also besonders hart und politisiert sie dementsprechend stark.
Junge Frauen sind vom hohen Leistungsdruck in den Bildungseinrichtungen besonders betroffen. Dazu sind sie in allen Lebensbereichen Sexismus ausgesetzt: Schule, Uni, Arbeit, Werbung, Familie, Freundeskreis etc. In Krisenzeiten nehmen alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt zu, insbesondere die häusliche Gewalt. Das Vermeiden sozialer Kontakte außerhalb der eigenen Familie oder Wohngemeinschaft isoliert Betroffene zusätzlich und lässt sie schutzlos zurück. Ausgangssperren und finanzielle Not verschärfen nicht nur die Häufigkeit von Gewalt, sondern erhöhen auch das Risiko, ein solches Gewaltpotential erst hervorzubringen.
In Zeiten wirtschaftlicher Not steigt aber auch die Gefahr, dass Mädchen und Frauen sich prostituieren oder anderweitig missbrauchen und ausbeuten lassen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen und Miete oder Studienbeiträge zu zahlen.
Pendelschläge des Bewusstseins
Dieses System erzeugt einen giftigen individualistischen Druck. Unerreichbare Wünsche, Versprechungen und Erwartungen darüber, wie man auszusehen hat; sich zu kleiden hat; was gerade angesagt ist; erfolgreich, schön und berühmt zu werden usw. Das ist Ausdruck der allgegenwärtigen Konkurrenz, die dem kapitalistischen System innewohnt und sich in sozialen Netzwerken, in der Familie, in der Partnerschaft und im Freundeskreis durchsetzt. Folgen davon sind eine Zunahme von Burnouts, Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Krankheiten und Belastungen.
Manche flüchten sich in die Esoterik. Eine Schicht junger Frauen unter 30 Jahren und vor allem der Generation Z richtet ihre Fragen an das Universum und sucht Antworten und Orientierung bei Astrologie-Influencern auf TikTok oder Instagram. Auch der astrologische Büchermarkt boomt. Diese reaktionären Ideen individualisieren Probleme und lenken vom Klassencharakter der Krisenlösung ab. Doch sie sind in erster Linie Staub auf den Köpfen dieser Schicht, der weggeblasen wird, sobald klassenkämpferische Ideen in Massenbewegungen einen Ausweg aufzeigen.
Viele jüngere Frauen haben bereits verstanden, dass Irrationalität keine Antworten gibt und das System grundsätzlich geändert werden muss. Vermehrt stellen sich junge Frauen an die Spitze politischer Bewegungen wie Fridays for Future, Black Lives Matter, Deutsche Wohnen und Co. Enteignen, oder der Krankenhausbewegung in Berlin. Die Jugend beginnt zu verstehen, dass ihre persönlichen Probleme der Ausdruck der gesellschaftlichen Krise sind und nur im kollektiven Kampf gegen das System überwunden werden können.
Krisenlösung: Klassenkampf & Revolution
Der Kapitalismus ist das Problem. Es brodelt unter der Oberfläche. Die Polarisierung der Gesellschaft nimmt ständig zu. Doch wo bleibt die Revolution? Dass es noch nicht zu Massenprotesten und -streiks gekommen ist, ist vor allem dem Versagen der Führungen der reformistischen DGB-Gewerkschaften und der LINKEN zuzuschreiben. Der Reformismus ist in der Krise. In den letzten Jahrzehnten haben diese Massenorganisationen entweder keine Reformen oder sogar Konterreformen durchgesetzt. Sie waren entweder aktiv an Einschnitten beteiligt oder haben mit ihrem reformistischen Programm nie eine echte Alternative für die Massen darstellen können. Ob Corona-Pandemie, Wirtschaftskrise, Inflation oder der Ukraine-Krieg: Der DGB und die LINKE haben sich in eine Art Burgfrieden mit den Herrschenden begeben. Sie ordnen sich dem Druck der Kapitalisten, der NATO und EU unter und zeigen keine klassenkämpferische Lösung für die Probleme der Gesellschaft auf. Das bremst die Radikalisierung der Arbeiterklasse.
Deswegen drückt sich die Radikalisierung der Jugend größtenteils außerhalb der Massenorganisationen aus. Vor der Pandemie war Fridays for Future die größte Anlaufstelle für politisierte und radikalisierte junge Menschen. Doch auch hier haben die radikalsten Schichten erkannt, dass es nicht ausreicht, Bitten an die Bundesregierung zu stellen. Sie suchen nach echten Lösungen gegen die Pandemie, den Klimawandel, Ausbeutung, Sexismus, Rassismus und andere Unterdrückungen. Das bietet jedoch nur eine weltweite sozialistische Planwirtschaft und Arbeiterdemokratie.
Deswegen bauen wir eine starke marxistische Strömung auf, damit der Reformismus und die Klassenzusammenarbeit in den Gewerkschaften und Massenbewegungen der Arbeiterklasse und Jugend überwunden werden können. Nur der Marxismus bietet die Theorie, um die kapitalistische Krise zu verstehen und sie ist zugleich eine Anleitung zum Handeln. Schließ dich uns an und kämpfe mit der International Marxist Tendency gegen das verrottete kapitalistische System und für die sozialistische Revolution!
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