Die UFO-Mitglieder vernahmen diese Botschaft mit Freude und Erleichterung. Nun will die UFO-Spitze Schlichtungsverhandlungen mit dem Lufthansa-Management führen und auf absehbare Zeit nicht mehr streiken. Das Signal, das von diesem Arbeitskampf ausgeht: Handfester Druck kann das Vordringen von Leiharbeit stoppen. Wenige tausend streikende FlugbegleiterInnen haben mit ihrem entschlossenen Streik den Flugverkehr weitgehend lahmgelegt und somit vor allem das Thema Leiharbeit in das Blickfeld gerückt – obwohl diese Frage eigentlich gar nicht auf der offiziellen Tagesordnung des Tarifkonflikts stand. Lufthansa-FlugbegleiterInnen sind bei Einkommen, Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen noch sehr deutlich besser gestellt als etwa ihre KollegInnen bei Billigfliegern wie Ryanair. Sie haben also auch noch viel zu verlieren. Sie waren und sind stolz darauf, Lufthanseaten und damit hochqualifizierte Beschäftigte der größten europäischen Fluggesellschaft, einer Premium-Airline mit sehr gutem Ruf zu sein.
Dass sich die sonst wenig streikfreudigen FlugbegleiterInnen so entschlossen auf das traditionelle Mittel des Arbeitskampfes besonnen haben, lässt ahnen, wie viel Unmut sich angestaut hat. Firmenkultur und Umgang mit den Mitarbeitern hätten sich deutlich verschlechtert, beklagt ein Altgedienter, der nach eigenen Angaben die Lufthansa „ins Herz eingraviert“ hat und bekennt: „Die Lufthansa ist mein Leben“. Einen so großen Zusammenhalt einer traditionell sehr loyalen, und ansonsten über den gesamten Kontinent und Erdball verstreuten Kabinen-Belegschaft habe er über Jahrzehnte nicht erlebt. Offenbar haben der von den Aktionären der privatisierten Lufhansa ausgehende Kostendruck und ein zunehmend rüder Umgangston im mittleren Management mit den Beschäftigten tiefe Wunden geschlagen.
Wer die Streikenden in den letzten Tagen direkt aufsuchte, konnte feststellen, dass diese Berufsgruppe mit viel Herzblut dabei ist und sich mit ihrer Geduld am Ende sieht. „Was lange gärt, wird endlich Wut“, lautete eine dieser treffenden Parolen, mit denen sich die allermeisten Streikenden identifizierten. „Wir haben jahrelang Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen und Zugeständnisse bei Einkommen und Urlaub ertragen“, bringt es eine Flugbegleiterin auf den Punkt. Sie und viele andere ängstigte die Vorstellung, dass die seit wenigen Wochen von Berlin ausgehende Leiharbeit in der Lufthansa-Kabine bald auch anderswo um sich greifen könnte. Über allem schwebt die Furcht, von heute auf morgen auf der Straße zu stehen oder in eine andere Firma übergeleitet zu werden, die weniger Geld und schlechtere Arbeitsbedingungen anbietet. Solche Szenarien haben Belegschaften anderer Airlines in Europa und in aller Welt bereits hinter sich.
Dass sich viele UFO-Mitglieder seit Tagen innerlich auf den Arbeitskampf vorbereitet hatten, bezeugten fantasievolle Parolen auf vielen selbst angefertigten Pappschildern und Transparenten. Unübersehbar im Mittelpunkt stand die Angst vor Lohndumping durch Leiharbeit, mit der die Lufthansa-Manager die Arbeitskosten in der Kabine drastisch senken wollen. „Wir sind keine Lowhansa und keine Leihhansa“, lautete eine Parole. „Während der Vorstand golfen ist, gehen wir zum Nebenjob“, heißt es auf einem anderen Schild. „Wann kriegen wir unseren Leihvorstand?“, hatte eine Angestellte aufgemalt.
Dass sich die sonst wenig streikfreudigen FlugbegleiterInnen so entschlossen auf das traditionelle Mittel des Arbeitskampfes besonnen haben, lässt ahnen, wie viel Unmut sich angestaut hat. Firmenkultur und Umgang mit den Mitarbeitern hätten sich deutlich verschlechtert, beklagt ein Altgedienter, der nach eigenen Angaben die Lufthansa „ins Herz eingraviert“ hat und bekennt: „Die Lufthansa ist mein Leben“. Einen so großen Zusammenhalt einer traditionell sehr loyalen, und ansonsten über den gesamten Kontinent und Erdball verstreuten Kabinen-Belegschaft habe er über Jahrzehnte nicht erlebt.
Neben dem nostalgisch anmutenden Wunsch, dass die legendäre große „Lufthansa-Familie“ doch nicht ganz auseinander fliegen möge, denken viele auch weiter. „Vielleicht geht von diesem Streik auch ein gesellschaftliches Signal aus gegen den Missbrauch der Leiharbeit“, sagte mir ein Flugbegleiter, der 25 Dienstjahre hinter sich hat. Am Vortag habe er erfahren, dass auch Karstadt 1200 Mitarbeiter in eine Billiglohnfirma überführen wolle. „Wo kommen wir denn da hin, wenn das so weiter geht?“, fragt er besorgt und stellt fest: „Ich stehe auch für die jungen Kollegen da, denn die haben keine Perspektiven, wenn das weiter um sich greift“, so der Streikende.
Auch ein in der Pilotenvereinigung Cockpit organisierter Lufthansa-Kapitän zeigte volles Verständnis für die Abneigung der FlugbegleiterInnen gegen die Leiharbeitspläne des Konzernvorstands. „Ich will mit gut ausgebildeten Kollegen aus dem Konzern fliegen. Auf die ist Verlass. Bei denen weiß ich, dass sie die Notkommandos beherrschen und mit uns gemeinsam die Evakuierungsübungen gemacht haben.“ Eine in brenzligen Situationen erforderliche Qualifikation, die bei unmotivierten und schlecht geschulten Leiharbeitern nicht zu erwarten sei. Ob Leiharbeit und Hungerlöhne im Cockpit auch bei der Lufthansa vorstellbar wären? Immerhin hat der US-amerikanische Filmemacher Michael Moore solche Tendenzen im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ enthüllt. „Theoretisch möglich ist das schon“, antwortet der Kapitän: „Aber nicht, so lange wir einen Organisationsgrad von 85 Prozent haben.“
Solidarität und Verständnis kam auch von der Konkurrenzorganisation ver.di. Er könne die Wut des fliegenden Personals gut nachvollziehen, sagt der zuständige ver.di-Sekretär Arne von Spreckelsen: „Wenn ein Management so mit den Leuten umgeht und sie auf dem eigenen Fluggerät mit Leiharbeit bedroht, zerstört es die Solidarität der Beschäftigten und die Loyalität zum Konzern.“
Wie weiter? Druck auf die Einkommen hält an
Ihre Streik war stärker und wirkungsvoller, als es viele vorher erhofft und erwartet hatten. Ihr große Bewährungsprobe hat UFO noch vor sich. Denn mit dem Rückzieher des Konzernvorstands bei der Leiharbeit ist der Kostendruck aus der Konzernzentrale nicht vom Tisch. Der Lufthansa-Passagierflugbereich solle die Kosten um 600 Millionen Euro jährlich senken, fordern Management und Aktionäre. Leiharbeit ist nur ein Mittel der Kostensenkung. Fällt dieses Instrument aus, so geht es eben an anderer Stelle zur Sache.
Dass offensichtlich auch die UFO-Führung den vermeintlichen „Sachzwang“ zur Lohnkürzung geschluckt hat und mit dem Management über Lohnkürzungen reden will, machte der UFO-Vorsitzende Nicoley Baiblies am vergangenen Freitag im ZDF-Morgenmagazin deutlich. „Wir sind kompromissbereit“, sagte Baublies und erinnerte daran, dass seine Organisation schon vor dem aktuellen Arbeitskampf in den Verhandlungen mit den Lufthansa-Konzernvertretern Zugeständnisse bei Produktivitätszuwächsen und einen Gehaltsverzicht in einer Größenordnung von fünf bis acht Prozent angeboten habe. Er sei „zuversichtlich“, dass sich das Lufthansa-Management „diese Einsparungen, die wir angeboten haben, etwas präziser anschaut und dann versucht, mit uns diesen Weg zu gehen“, erklärte Baublies. Setzt er sich damit durch, dann könnte es lange Gesichter bei der UFO-Mitgliedschaft geben.
Baublies ist erst seit wenigen Monaten UFO-Chef. Unmittelbar nach seiner Wahl an die Spitze der Organisation hatte er im vergangenen Frühjahr den Austritt aus der 2011 mit ver.di vereinbarten Tarifgemeinschaft erklärt. Zuvor war in der Lufthansa-Einkommensrunde eine Tariferhöhung von 3,5 Prozent vereinbart worden war. Baublies habe den Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft „ohne Angabe von Gründen“ vollzogen, sagt von Spreckelsen. Der ver.di-Mann bemängelt, dass Baublies und UFO-Vorstandsmitglied Birgit Weinreich seither mit dem Lufthansa-Management ein Papier ausgehandelt hätten, das für rund 60% des Kabinenpersonals eine „verdeckte Kappung der Vergütungsstufen“ und somit „Scheiterquoten“, also ein Ende von Aufstieg und Beförderungen bei Vergütungsgruppe 8 (von 17), festschreibt. Dieses nach dem Verhandlungsort, einem Bad Nauheimer Hotel, benannte „Dolce-Papier“ habe die „damals noch bestehende UFO-Tarifkommission“ abgelehnt. Baublies und seine Stellvertreterin im UFO-Vorsitz hätten die Verhandlungen auf Basis dieses Papiers jedoch weiter geführt, so von Spreckelsen. Diese „Scheiterquoten“ seien für ver.di ein „No GO“.
Was bleibt?
Leiharbeit hat in den letzten zehn Jahren Extraprofite genährt und Millionen Menschen arm und unglücklich gemacht. Sie sollte nicht reformiert, sondern abgeschafft werden. Alle Gewerkschaften müssen sich dabei zusammenraufen. Und vielleicht bleibt auch die alte Erkenntnis, dass Lohnopfer auf Dauer keinen Arbeitsplatz retten, vom Kapital aber gerne angenommen werden. Wir stehen vor stürmischen Zeiten und beispiellosen Angriffen auf die in Jahrzehnten erreichten und erkämpften Errungenschaften. Es trifft abhängig Beschäftigte aller Einkommens- und Qualifikationsstufen. Schließen wir die Reihen im Widerstand! Schluss mit dem Teile und Herrsche!
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