Kategorie: Kapital und Arbeit |
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Wenn Dein starker Arm es will |
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Stell Dir vor, es wird gestreikt und alles steht still. So war es am Freitag, 21. Februar 2014, als ein eintägiger Arbeitskampf der privaten Luftsicherheitskräfte am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen binnen weniger Stunden alle Sicherheitsschleusen blockierte. Viele tausend Fluggäste kamen nicht zum Flieger, mussten auf die Bahn umsteigen oder einen Tag länger in Frankfurt bleiben. Die Folgen des Streiks überraschten Streikende, Gewerkschaft, Passagiere, beteiligte Firmen und bürgerliche Medien. Worum ging es? |
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Zum Streik aufgerufen waren rund 5000 Beschäftigte privater Sicherheitsunternehmen in den Bereichen Personenkontrolle, Frachtkontrolle, Flughafensicherheit und Services. Damit sollte in den laufenden Tarifverhandlungen mit dem Arbeitgeberverband BDSW (Bundesverband der Sicherheitswirtschaft) Druck aufgebaut werden. Laut Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di verdienen Beschäftigte der privaten Luftsicherheit in Hessen im Schnitt 11,70 Euro in der Stunde und damit deutlich weniger als anderswo in der Republik. Dieses Lohnniveau sei der anstrengenden Arbeit nicht angemessen. Schließlich seien die Sicherheitskräfte dafür verantwortlich, dass keine Waffen oder Gefahrgut an Bord kämen. ver.di fordert für die Branche einen „angemessenen Stundenlohn“ von 16 Euro.
Die Kontrollen sind im Grunde hoheitliche Aufgaben laut Luftsicherheitsgesetz und verlangen den Beschäftigten fast rund um die Uhr eine hohe Konzentration ab. Bis Anfang der 1990er Jahre wurden diese Tätigkeiten von Beschäftigten der Polizei des Bundes durchgeführt. Doch Politik und EU-Kommission drängten lange auf eine Ausgliederung dieser Dienstleistungen. Die Weichen für die Privatisierung der Luftsicherheit stellte die Bundesregierung unter dem damaligen Kanzler Helmut Kohl (CDU) im Jahre 1992. Seither werden die Aufgaben im Sicherheitsbereich nicht mehr von Polizeikräften des Bundes wahrgenommen, sondern über Ausschreibungen des Beschaffungsamts des Bundesministeriums des Innern an private Firmen ausgelagert. Für die Beschäftigten der privaten Firmen bedeutet Wettbewerb nicht nur Lohndruck und schlechtere Arbeitsbedingungen, sondern auch permanente Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Betreiberwechsel und vor spontanen Qualitätskontrollen durch Beamte in Zivil. Mit der Privatisierung wurde das Sicherheitsgewerbe für die Eigentümer der Firmen zu einer Goldgrube. Die bundesdeutsche „Sicherheitsindustrie“ mit ihren gerade mal 250 Unternehmen machte 2011 Umsätze von 35 Milliarden Euro und gehört zu den „Wachstumsbranchen“ der Republik.
Die Kehrseite: Unter den Beschäftigten haben sich so viel Ärger, Unmut und Frust aufgebaut, dass der ver.di-Aufruf zum ganztägigen Streik für die allermeisten das lange erwartete Signal war, um den angestauten Dampf und Frust abzulassen. Das überraschte auch die verantwortlichen Gewerkschafter, die nicht erwartet hatten, dass ihr Streikaufruf so erfolgreich sein würde. „Bei den Sicherheitskräften gibt es einen hohen Anteil an nichtorganisierten Mitarbeitern, die also gar keiner Gewerkschaft angehören. Von denen sind am Freitag nahezu alle dem Streikaufruf gefolgt. Das hatten wir so noch nie, damit haben auch wir so nicht gerechnet“, sagte ver.di-Streikleiter Mathias Venema (Frankfurter Allgemeine 25. Februar 2014).
Die Wucht des Streik überrasche auch den Flughafenbetreiber Fraport, die Lufthansa und andere Airlines sowie die Manager der bestreikten Firmen. Sie alle waren mit dem angekündigten „Krisenmanagement“ offensichtlich völlig überfordert. Auch sie waren davon ausgegangen, dass Nichtorganisierte und einige ältere Beschäftigte mit Arbeitsverträgen aus der Zeit vor der Privatisierung zumindest einen Teil der Sicherheitsschleusen im Terminal 1 A betreiben könnten. Fluggästen wurde schon frühmorgens über elektronische Medien empfohlen, einige Stunden früher zum Flughafen zu kommen. Doch schon am Vormittag stauten sich Massen gestrandeter Passagiere in den Terminals und wurden zahlreiche Flüge abgesagt. Zwar konnten mit dem Flugzeug angereiste Fluggäste innerhalb des abgeschlossenen und kontrollierten Bereichs auf andere Flieger umsteigen. Doch von den vielen tausend Wartenden kam sehr bald keiner mehr rein.
Immer wieder zogen kleine Gruppen von Streikenden mit ihren Streikwesten durch die überfüllten Terminals. Ihren Gesichtern war die Genugtuung und Freude darüber abzulesen, dass ihr Arbeitskampf derart wirkungsvoll war und damit aller Welt die Bedeutung ihrer Arbeit vor Augen geführt wurde. Anders als in manchen Medien dargestellt nahmen Tausende gestrandeter Fluggäste nach unserem Eindruck die erzwungene Verzögerung ihres Abflugs in aller Regel geduldig hin. „Dann fliegen wir eben erst morgen nach Shanghai zurück“, sagten uns mit stoischer Gelassenheit auf ihren Koffern sitzende junge Chinesen in Terminal A.
Für Diskussionen und Irritationen sorgte eine Presseerklärung der federführenden Dienstleistungsgewerkschaft: „ver.di entschuldigt sich bei allen Passagieren, die heute Unannehmlichkeiten wegen des Streiks hatten“, hieß es darin: „Wir streiken nicht gegen Sie und wollen Sie auch nicht treffen.Wir bedauern es, dass die Tarifverhandlungen derart festgefahren sind, dass wir unsere Forderungen mit einem Warnstreik unterstreichen mussten. Wir hätten uns das anders gewünscht. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist der Tag heute ein Erfolg, weil er gezeigt hat, dass wir handlungsfähig in einer Tarifauseinandersetzung sind. Dadurch, so hoffen wir, kommt wieder mehr Bewegung in die nächsten Verhandlungen.“ Als der Streik unübersehbar Wirkung zeigte, erklärte sich ver.di sogar zu einer Notdienstvereinbarung bereit. „Unsere Leute waren bei der Bundespolizei und wollten den Dienst antreten. Dort wollte man sie aber nicht einsetzen. Jetzt zu behaupten, sie seien nie angekommen, ist schlicht falsch. Wir haben als Zeichen des Entgegenkommens eine Notdienstvereinbarung getroffen und dafür gesorgt, dass die Leute bereit stehen“, so die zuständige Landesfachbereichsleiterin bei ver.di Hessen.
Streikrecht
Nach dem Streik meldeten sich Lufthansa und Flughafenbetreiber Fraport mit der Forderung nach einer gesetzlichen Einschränkung des Streikrechts im betroffenen Bereich zu Wort. Die Politik müsse „Rahmenbedingungen schaffen, damit solche Konflikte künftig nicht auf dem Rücken zigtausender unbeteiligter Passagiere ausgetragen“ würden, so ein Fraport-Sprecher: „Wer an einem der verkehrsreichsten Tage ganztägig streikt, nimmt billigend in Kauf, dass hauptsächlich die Passagiere darunter leiden.“ Es könne nicht sein, dass „eine Zwangs- bzw. Notlage von Kunden für egoistische Interessen ausgenutzt“ werde.
Diese Forderung nach Einschränkung des Streikrechts, das immer zu den Grundrechten gehört, reiht sich ein in ähnliche Vorstöße im Lager von Politik und Unternehmerverbänden auch in anderen wichtigen Infrastrukturbereichen. So will derzeit auch die EU-Kommission etwa für Seehäfen und Eisenbahnen „Notdienste“ vorschreiben und damit das Streikrecht unterlaufen. Die Gewerkschaften dürfen diesem Druck keinen Millimeter nachgeben. Streiks sind die entscheidende Waffe der abhängig Beschäftigten und durchschlagender als nur Presseerklärungen. Wenn sie Wirkung zeigen und nicht nicht nur eine Operette darstellen sollen, dann werden die Folgen auch für viele Menschen spürbar sein. Gewerkschaften müssen sich dafür nicht kleinlaut entschuldigen, sondern offensiv aufklären. Warum nicht den gestrandeten Passagieren in Flugblättern und über elektronische Medien erklären, worum es geht? Privatisierung und Lohndumping rund um die großen Verkehrsflughäfen trifft die allermeisten Beschäftigten nicht nur in der Luftsicherheit, sondern auch bei den Bodendiensten. Von der EU im Interesse großer Konzerne ausgehende Richtlinien zur Liberalisierung haben auch bei Eisenbahnen, Post, Telekom und anderswo großen Flurschaden angerichtet. Es ist an der Zeit, dass die Betroffenen zusammenstehen, für bessere Arbeitsbedingungen und eine Rücknahme der Privatisierungs- und Liberalisierungsorgien kämpfen. |