Kategorie: Kapital und Arbeit

Streikbewegung 2015: Nicht kleckern, sondern klotzen!

Wer sagt denn, dass die Deutschen nicht streiken könnten? Dieses Land erlebt in diesem Jahr die größte Streikwelle seit über 20 Jahren.


 

Ob in der Metall- und Elektroindustrie, bei Post und Bahn, Sozial- und Erziehungsdiensten, im Öffentlichen Dienst, im Einzelhandel, bei Amazon, in Krankenhäusern oder anderen Branchen – Hunderttausende haben in den letzten sechs Monaten befristet und unbefristet die Arbeit niedergelegt und das traditionelle Kampf- und Druckmittel der Arbeiterbewegung eingesetzt: den Streik.

Viele haben zum ersten Mal in ihrem Leben gestreikt und gespürt: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. Viele sind im Laufe dieser Kämpfe erstmals in die Gewerkschaft eingetreten. Das Bild von den „braven Deutschen“, die im Gegensatz zu den Südeuropäern für Sozialpartnerschaft immer emsig arbeiten sich krumm legen und nie aufmucken, hat schwere Kratzer bekommen. Bürgerliche Kreise sprechen entsetzt von der „Streikrepublik Deutschland“ und fordern gebetsmühlenartig ein Ende des Arbeitskampfes.


Es ist vielfach vergessen: Streiks sollen weh tun. Sie sind ein Stück Klassenkampf und zwingen alle, Farbe zu bekennen. Streiken ist Grundrecht und kein Zuckerschlecken. Es verlangt den Akteuren Opfer und Kraft ab. Legenden, wonach „demagogische Reden“ der Gewerkschaftschefs Streiks auslösen, sind absurd. Oft ist das Gegenteil der Fall und der Druck der Basis entscheidend. Bei arbeitenden Menschen hat sich quer durch alle Bereiche viel angestaut. Streiks bieten die Möglichkeit, über wichtige Detailforderungen hinaus Stärke zu demonstrieren und zu zeigen: Jetzt reichts! Wir haben genug geschluckt und geopfert.


Streiken ist ein zentrales Werkzeug, aber Streiken alleine löst unsere Probleme noch nicht. Während viele arbeitende und bewusste Menschen in diesem Lande einen Generalstreik fordern und herbeisehnen, hat die arbeitende Klasse in Griechenland seit 2010 mindestens 25 eintägige Generalstreiks zustande gebracht und ihre Stärke demonstriert. Das Problem ist bisher nur: Die Herrschenden – Kapitalbesitzer, Konzerne, Regierungen – haben es alles „ausgesessen“. Die Hoffnung, die Herrschenden durch „ein bisschen Streiken“ zur „Vernunft“ zu bringen und zu Zugeständnissen zu bewegen, ist nicht aufgegangen.


„Aussitzen“

Auch in bundesdeutschen Streiks ist diese Tendenz der Kapitalbesitzer, der Herrschenden und Arbeitgeber zum „Aussitzen“ deutlich. Das kommt bei dem seit Jahren anhaltenden Arbeitskampf beim Versandhändler Amazon für die Anerkennung des Tarifvertrags für den Einzelhandel deutlich zum Ausdruck. Auch in der vier Wochen lang bis Anfang Juni andauernden Streikbewegung bei den Sozial- und Erziehungsdiensten für die Aufwertung dieser Berufe haben die kommunalen Arbeitgeber darauf gesetzt, dass sich der Kampf „tot läuft“ und die Streikenden „erschöpft“ aufgeben. Die Dynamik der Streikbewegung war aber noch längst nicht erschöpft, als sich die ver.di-Führung Anfang Juni in das Schlichtungsverfahren begab und damit den Streik schlagartig aussetzte. Das in der vergangenen Woche vorgelegte äußerst magere Schlichtungsergebnis stieß an der Basis der beteiligten Gewerkschaften ver.di und GEW auf massive Kritik. „Die Wut ist riesengroß“, beschrieb ein Teilnehmer einer bundesweiten ver.di-Streikdelegiertenkonferenz am Mittwoch in Frankfurt am Main die Stimmung. ver.di-Chef Frank Bsirske, Verhandlungsführer Achim Meerkamp und andere hätten „sichtliche Mühe gehabt, den Anwesenden das Schlichtungsergebnis nahe zu bringen“.


Bei der Konferenz berichteten dem Vernehmen nach Vertreter des Landesbezirks Niedersachsen-Bremen, dass das Ergebnis bei vier dezentralen Versammlungen am Vorabend mit fast 1200 Anwesenden überwiegend abgelehnt worden sei. Ähnliche Stimmungsbilder hätten auch Delegierte aus anderen Bundesländern vermittelt. Bei der sehr lebhaften Aussprache habe sich eine Mehrheit klar gegen das Schlichtungsergebnis ausgesprochen und damit die Gewerkschaftsspitze erheblich unter Druck gesetzt. „Es war eine sehr emotional geführte Debatte und die Nerven lagen teilweise blank“, so ein Augenzeugenbericht. Aussagen wie „Dafür haben wir nicht vier Wochen gestreikt“ und „Lieber gar kein Tarifvertrag als dieser“, seien der Grundtenor vieler Redebeiträge gewesen. Etliche hätten sich für eine sofortige Fortsetzung des Streiks und einen demonstrativen Schulterschluss mit den Streikenden bei der Deutschen Post und der Berliner Charité ausgesprochen. Auf besondere Kritik seien auch die im Schlichterspruch vorgesehene fünfjährige Laufzeit und die Tatsache gestoßen, dass für Sozialarbeiter keine reale Verbesserung vorgesehen sei. Dabei hätten viele jüngere Angehörige dieser Berufsgruppe erstmals engagiert mitgestreikt. „Lasst euch weder unterkriegen noch auf irgendwelche Kompromisse ein, die ‚Bauchschmerzen’ hinterlassen“, empfahl eine ver.di-Sekretärin aus dem Ruhrgebiet den Versammelten über „Facebook“.


Die Frankfurter Konferenz zog sich bis in den späten Mittwochnachmittag und damit deutlich länger als ursprünglich vorgesehen hin. Zweimal musste eine angekündigte Pressekonferenz verschoben werden. Den Vorschlag von ver.di-Chef Frank Bsirske, eine Urabstimmung über das Schlichtungsergebnis anzuberaumen, habe eine Mehrheit kritisch gesehen, weil dabei laut Satzung ein von vielen Gewerkschaftsmitgliedern als undemokratisch kritisiertes Quorum von 25 Prozent für die Annahme des Ergebnisses ausreichend ist. So habe die ver.di-Spitze schließlich in einer Art „Flucht nach vorne“ der Idee einer aufsuchenden Mitgliederbefragung ohne 25-Prozent-Quorum zugestimmt. ver.di-Chef Frank Bsirske steht nach Einschätzung von Insidern unter Erfolgsdruck, zumal er sich bei der kommenden Bundeskonferenz im September erneut um den Vorsitz der zweitgrößten DGB-Gewerkschaft bewirbt. Somit ist dieser Arbeitskampf, anders als von der ver.di-Spitze und dem Kommunalen Arbeitgeberverband VKA gedacht, noch längst nicht beendet. Die „aufsuchende Mitgliederbefragung“ in den Betrieben, die bis zur Aussetzung des Streiks Anfang Juni am Arbeitskampf beteiligt waren, zieht sich jetzt bis Anfang August hin.


An- und ausknipsen?

Der überraschende Abbruch dieser so starken und erstmals auch kleinere Ortschaften erfassenden Streikbewegung wirft ein Problem auf, das schon Rosa Luxemburg 1906 in der Broschüre „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ auf den Punkt brachte: Eine Streikbewegung hat ihre eigene Dynamik und kann nicht nach Belieben wie ein Lichtschalter an- und ausgeknipst werden.


Vor allem ist auch das „Timing“ ein Politikum: Zufall oder nicht – genau an dem 8. Juni, an dem die ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen wegen der Schlichtung ohne Ergebnis wieder zur Arbeit zurückkehrten, begann bei der Deutschen Post ein beinharter unbefristeter Streik, der jetzt in die vierte Woche geht und dessen Ende nicht absehbar ist. Die Chance, beide Arbeitskämpfe zu bündeln und zur Grundlage einer dringend notwendigen breiten bundesweiten Kampagne zur Verteidigung und Wiederherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge, gegen Privatisierung, Lohndumping, Prekarisierung und Abbau von Gewerkschaftsrechten ein, wurde damit fürs Erste vertan.

Poststreik: Es geht um´s Ganze

 Der Streik bei der Deutschen Post ist keine „normale“ Lohnrunde um ein paar Prozentpunkte. Es geht um einen Generalangriff des Postmanagements auf abhängig Beschäftigte, um Arbeitnehmerrechte und die Mitbestimmung der gewählten Betriebsräte, um die Verteidigung von Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, Prekarisierung und Tagelöhnerarbeit, Zerschlagung und Spaltung der Belegschaft, Sonntagsarbeit, die Zukunft der jüngeren Generation, Privatisierung, Daseinsvorsorge und die Rolle des bürgerlichen Staates. Alle diese Grundfragen spiegeln sich in diesem Konflikt wider. Die Post ist einer der größten Arbeitgeber der Republik. Der Streik ist schon deshalb hochpolitisch, weil die ehemalige staatliche Bundespost seit 20 Jahren schrittweise privatisiert und den renditehungrigen Kapitalmärkten und Großaktionären übergeben wurde. Noch hält der Bund über die KfW-Bankengruppe 21 Prozent der Postaktien und ist damit größter Einzelaktionär. Mit diesem Gewicht und zwei Vertretern im Aufsichtsrat könnte die Bundesregierung, insbesondere der federführende Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), den Konfrontationskurs des Postmanagements jederzeit stoppen – wenn sie nur wollte. Doch offensichtlich hat sie unter dem Einfluss der privaten Aktionäre den Postvorstand unter seinem Vorsitzenden Frank Appel mit einem Blankoscheck ausgestattet. Mit der Schaffung von regionalen Niedriglohntöchtern der Delivery GmbH sollen die alten Haustarife der Deutschen Post AG ausgehebelt werden. Viele tausend Zusteller, die bisher nur befristete Arbeitsverträge hatten und ständig um den Job bangen mussten, wurden in unbefristete, aber um 20 bis 30 Prozent schlechter bezahlte Arbeitsverhältnisse gezwungen. Über Jahre kamen auch immer mehr Tagelöhner auf der Basis von Werkverträgen als „Vertragspartner“ zum Zuge, die für magere Beträge oftmals fast rund um die Uhr Arbeit verrichten, Briefkästen leeren und Post transportieren und ständig Angst haben, den Auftrag zu verlieren. Jetzt werden verstärkt Aushilfskräfte und Studierende angeheuert. Sie wirken ebenso und oft unfreiwillig faktisch als „Streikbrecher“ wie die schätzungsweise 38.000 Postbeamten, die vor der Privatisierung zu (unkündbaren) Beamten auf Lebenszeit ernannt wurden und noch in der Deutschen Post AG tätig sind. Man muss sich diesen Zynismus auf der Zunge zergehen lassen: Ein Postvorstand, der bei  jeder Gelegenheit betont, dass er einem von der Politik unabhängigen und börsennotierten Konzern und Global Player vorstehe, beruft sich auf das alte preußische Beamtenrecht mit seinem Streikverbot, um einen Streik zu unterlaufen. Und er bricht mit der Anordnung von Sonntagszustellungen gezielt die gesetzlich verankerte Sonntagsruhe sowie die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte. Und die Bundesregierung schaut im Interesse der Aktionäre seelenruhig zu.

 

Dabei ist die Deutsche Post mit derzeit über drei Milliarden Euro Jahresüberschuss höchst profitabel. Der Konzernvorstand möchte bis 2020 aber über fünf Millionen erreichen. Das geht nur auf dem Rücken der Beschäftigten, durch Hungerlohn und eine gesteigerte Leistungsverichtung und Arbeitshetze. Dabei sind die Bedingungen schon jetzt nahezu unerträglich. Durch den Ausbau der Delivery GmbH werden viele Arbeitsplätze in der Kernbelegschaft verloren gehen.

 Welche Strategie für den Sieg?

Offenbar hat der Postvorstand seit langer Zeit auf den derzeitigen Generalangriff und „Showdown“ hingearbeitet und gibt derzeit zig Millionen Euro für eine PR- und Propagandakampagne, für die Rekrutierung von Streikbrechern über in- und ausländische Leiharbeitsfirmen und besondere Prämien für das mittlere Management aus. So möchte er den Arbeitskampf in der Sommerzeit „aussitzen“ und die Streikenden in die Knie zwingen. Die Streikenden brauchen jede erdenkliche Solidarität und Rückendeckung der gesamten Gewerkschaftsbewegung und Bevölkerungsmehrheit.


・    Bildet Solidaritätskomitees in Stadt und Land!
・    Besucht die Streikposten!
・    Organisiert einen noch aktiveren Streik, bei dem alle Streikenden in Stadt und Land auf die Bevölkerung zugehen und informieren!
・    Sammelt für die Kolleginnen und Kollegen, die durch einen längeren Streik in existenzielle wirtschaftliche Not geraten könnten!
    
Mut zum Beamtenstreik!


Beamtenstreik ist möglich und nötig. Dass Beamte die Arbeit niederlegen können, obwohl für sie formal ein Streikverbot gilt, ist für die hessische Bildungsgewerkschaft GEW mittlerweile Routine. 5500 verbeamtete Lehrer in Hessen haben es am 18. Juni 2015 vorgemacht. Die GEW hat den Ausstand gründlich vorbereitet und sich dabei auf die Erfahrungen in sieben Streikrunden an Schulen in den vergangenen Jahrzehnten gestützt. Die Zielvorgabe von mindestens 3000 Unterschriften unter eine Bereitschaftserklärung wurde in den Tagen vor dem Streik deutlich übertroffen.


Der GEW-Landesvorsitzende Jochen Nagel verweist darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2014 festgestellt habe, dass das Streikverbot für Beamte ohne hoheitliche Aufgaben – dazu zählen Lehrer und Postbeamte – mit den Grundsätzen der europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar sei. Die Richter hätten dem Gesetzgeber aufgetragen, die Vereinbarkeit des deutschen Beamtenrechts mit EU-Recht herzustellen.
Aber drohen streikenden Beamten nicht Sanktionen, solange der Gesetzgeber nichts macht? Der beste Schutz vor Sanktionen ist „eine möglichst große Zahl von Streikenden“, sagt Nagel. Der eintägige Ausstand bedeutet für die Beamten – ebenso wie für streikende Angestellte und Arbeiterinnen anderswo auch – eine anteilige Gehaltskürzung. Dafür gibt es für Gewerkschaftsmitglieder Streikunterstützung. Der Streik könnte einen Vermerk in der Personalakte nach sich ziehen, der nach zwei Jahren jedoch wieder gelöscht werden muss. Eine mögliche schriftliche „Missbilligung“ durch das Kultusministerium, die einem Eintrag ins Klassenbuch für unartige Schüler gleicht, dürften die aufmüpfigen Lehrer eher als „Ehrenurkunde“ auffassen. Ob die hessische Kultusverwaltung jetzt tatsächlich eine harte Linie einschlägt und aufwändige Bußgeldverfahren mit ungewissem Ausgang einleitet, bleibt abzuwarten. „Die bewegen sich auf dünnem Eis, meint Nagel. Der erneute Streik habe seinem Landesverband einen deutlichen Mitgliederzulauf beschert, berichtet er. Aus ver.di wissen wir, dass auch unter organisierten Postbeamten über Streikrecht und Beamtenstreik diskutiert wird. Es ist an der Zeit, diesen Diskussionen Taten folgen zu lassen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.


SPD gibt sich solidarisch – und dann?

Nachdem die Streikenden in den letzten Wochen zahlreiche Büros der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD aufgesucht haben, gibt sich jetzt auch die SPD solidarisch und unterstützt verbal den Streik. Doch damit ist den Streikenden wenig geholfen, solange die von der SPD (angeblich „auf Augenhöhe“) mit getragene Bundesregierung den Konfrontationskurs des Postvorstands mit dem fadenscheinigen und heuchlerischen Verweis auf eine angebliche „Neutralität“ des Staates und „Nichtenmischung in die Tarifautonomie“ nach Leibeskräften unterstützt und die SPD die Hände in Unschuld wäscht. Wenn es die SPD mit ihrer Solidarität in diesem Arbeitskampf ernst meint, dann soll sie im Bundestag gemeinsam mit Linksfraktion und Grünen einen Mehrheitsbeschluss herbeiführen, der das Postmanagement mitsamt seinen Lohndumpingstrategien zurückpfeift. „Aber das können wir nicht, denn dann platzt die Koalition“, sagte uns am Wochenende ein SPD-Funktionär. Darauf können wir nur antworten: Lasst es doch darauf ankommen! Was ist euch wichtiger: zentrale Arbeitnehmerrechte und die Zukunft von Millionen abhängig Beschäftigten oder ein paar Ministerposten?


Griechische Verhältnisse mitten in Europa


Was das Postmanagement hier bei einem der größten Arbeitgeber der Republik derzeit an Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten betreibt, entspricht in weiten Bereichen dem, was die abhängig Beschäftigten in Griechenland seit Jahren erfahren – nur etwas subtiler. Daher muss der Poststreik Teil eines internationalen Kampfes gegen Ausverkauf von öffentlicher Daseinsvorsroge und für die Rücknahme bereits erfolgter Privatisierungen werden. Hoch die internationale Solidarität! Worauf warten wir noch?

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