Um das zu ändern, kaufte Meyer die finanziell angeschlagene STX-Werft im finnischen Turku. Hier, direkt an der Ostsee, können Kreuzfahrtriesen problemlos gebaut werden. Als bekannt wurde, dass Meyer, sich an STX beteiligen wollte, kam es in der Belegschaft zu Befürchtungen, der Standort Papenburg, an dem 3100 MitarbeiterInnen beschäftigt sind, könnte langfristig an Bedeutung verlieren. Dem widersprach die Werftleitung: „Wir stärken alle Standorte gleichermaßen. Ein Personalabbau in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern oder in Finnland sind kein Thema“, erklärte Juniorchef Jan Meyer. Anfang 2015 einigten sich die Geschäftsführung, der Betriebsrat, die Niedersächsische Landesregierung und die IG Metall Küste auf einen Standortsicherungsvertrag, der die Arbeitsplätze langfristig festschreibt.
Die Beschäftigten konnten erst einmal durchatmen und Betriebsrat und IGM sahen sich in ihrer sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Wertbossen bestätigt. Kurze Zeit später wurde bekannt, dass Meyer neue Strukturen brauche und deshalb in Luxemburg eine Gesellschaft gegründet habe. Ein Grund dafür sind – trotz aller Dementis – die niedrigeren Steuern, aber auch die Tatsache, dass die Firma in der Steueroase keinen Aufsichtsrat bilden muss, der zur Hälfte mit ArbeitnehmervertreterInnen besetzt ist und wesentlich mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten hat als ein Betriebsrat.
Weder die IGM noch die Niedersächsische Landesregierung, die von Meyers Plänen überrascht wurden, konnten sich mit der Forderung des Standorterhalts in der BRD und der Schaffung eines Aufsichtsrates durchsetzen. „Da ist einfach nichts mehr möglich. Das Unternehmen sitzt nicht mehr in Deutschland und damit ist rechtlich für uns nichts mehr zu machen“, sagte Hartmut Geiken, Chef des IG-Metall-Bezirks Küste. (NOZ, 07.08.2015). Der niedersächsische Wirtschaftsminister kritisierte Meyers Entscheidung, besonders auch, weil die öffentliche Hand seit mehr als zwanzig Jahren Infrastrukturmaßnahmen in dreistelliger Millionenhöhe für die Werft finanziert hat, so wurde u.a. das Emssperrwerk bei Gandersum gebaut und wird die Ems das ganze Jahr über ausgebaggert, damit Meyer seine Kreuzfahrtschiffe in die Nordsee bekommt.
So steht Meyer auf dem Weg zu einem Global Player im Kreuzfahrtschiffbau nichts mehr im Wege. Am 18.09.15 verließ die Norwegian Escape den Papenburger Standort, am gleichen Tag gab die Werftleitung dann den Rauswurf des Betriebsratsvorsitzenden Ibrahim Ergin bekannt. Ihm wird vorgeworfen werden, dass er in den Jahren 2011 und 2012 junge Werftmitarbeiter genötigt haben soll, in die IGM einzutreten. Warum die Werftbosse jetzt auf Vorgänge zurückgreifen, die drei bzw. vier Jahre zurückliegen, ist nicht bekannt. Man darf aber vermuten, dass die Familie Meyer einen engagierten Betriebsratsvorsitzenden loswerden will, der sich sehr stark - aber leider verspätet - für einen Aufsichtsrat eingesetzt hat. Nach NDR-Informationen „engagierte (er) sich auch im Konflikt bei der Papenburger Leiharbeitsfirma EDL Ems Dienstleistungs GmbH, die unter anderem für die Meyer Werft arbeitet. EDL-Mitarbeiter, so Ergin auf einer Belegschaftsversammlung, seien durchaus in der Lage, "den Laden innerhalb von drei bis vier Stunden lahmzulegen". Die EDL war ursprünglich ein sozialer Betrieb, der sich jetzt im Besitz des Personalleiters der Meyer Werft und ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Paul Bloem befindet. Bei dem Konflikt ging es um geplante Umstrukturierungen und eine Aufspaltung des Unternehmens in drei Teile. Dies konnte verhindert werden, wie der IG-Bevollmächtigte Thoma Gelder im General-Anzeiger erklärte: „ ‚An erster Stelle steht für uns der gemeinsame Betrieb.‘ Mit einem gemeinsamen Betrieb wolle man das verhindern und sei nun näher an die Meyer-Werft heranrückt. Die 120 Jobs, die bis dahin auf der Kippe standen, wären damit gesichert.“
Mit dem Rauswurf des Kollegen Ergin will Meyer vermutlich ein Exempel statuieren. Er braucht keinen Betriebsrat, der sein Vorgehen kritisch hinterfragt und sich für das Wohl der KollegInnen in Papenburg einsetzt, sondern einen, der zu jeder Maßnahme Ja und Amen sagt, wie etwa im Jahr 2003. Zu Beginn des Jahres 2003 kam Meyer in die Schlagzeilen als angekündigt wurde, im Laufe des Jahres über 500 Beschäftigte zu entlassen, “um die Werft auf die Marktanforderungen einzustellen”, wie es Geschäftsführer Wilker ausdrückte, den Werftbesitzer Meyer erst kurz zuvor eingestellt hatte und dem der Ruf des “eiskalten Rationalisierers” aus seinen Zeiten bei der Howaldtswerft in Hamburg vorausging. Für viele Meyer-ArbeiterInnen war damit die Illusion vom Familienbetrieb Meyer über Nacht zerstört worden. Sie mussten erkennen, dass es sich bei “ihrer” Werft auch nur um einen Betrieb handelt, der nach kapitalistischen Grundsätzen arbeitet. Die meisten ehemaligen Meyer-Beschäftigten landeten in einer so genannten Transfergesellschaft, in der sie für ein Jahr lang weiter arbeiten konnten. Die Rolle der IG Metall und ihres Bevollmächtigten, dem späteren SPD-MdB Clemens Bollen, war typisch sozialpartnerschaftlich. Anstatt gegen die beschlossenen Maßnahmen mit Arbeitsniederlegungen vorzugehen, wurden die KollegInnen aufgefordert sich ruhig zu verhalten und auf die Transfergesellschaft vertröstet. Noch schlimmer verhielt sich der damalige Betriebsratsvorsitzende Helmut Plöger (SPD), der die Entlassungen als unumgänglich bezeichnete und es als richtig empfand, dass die Entlassenen nach Erhalt ihrer Kündigungen sofort die Werft verlassen mussten, ohne noch einmal an ihren ehemaligen Arbeitsplatz zurückkehren und zumindest ihren Spind leeren zu können.
Der aktuelle Betriebsrat steht, nach Aussage des stellvertretenden Vorsitzenden Günter Geerdes, geschlossen hinter Ibrahim Ergin. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende und jetzige IGM-Bevollmächtigte Thomas Gelder erklärte der Ostfriesen Zeitung er sei „fassungslos über diese unvorstellbare Vorgehensweise der Werft.“ „Noch auf einer Betriebsversammlung am Montag habe Meyer das Bemühen um gutes Miteinander der Sozialpartner wiederholt. „ (OZ, 19.09.2015) Deutlicher wird der lokale SPD Bundestagsabgeordnete Markus Paschke, der vorher DGB-Gewerkschaftssekretär war. Er vermutet, Meyer verfolge mit dem Rauswurf eine klare Strategie, vor allem weil auch der als „Betriebsrätefresser“ bekannte Rechtsanwalt Helmut Naujoks in dem Fall involviert zu sein scheint. Die Werft wird offiziell von der Oldenburger Kanzlei Hühne Klotz & Partner vertreten, bestätigte aber, das Naujoks „zu Informationsgesprächen“ vor Ort war.
Exkurs: Wer ist Helmut Naujoks?
Auf der Website arbeitsunrecht.de kann man über Naujoks Vorgehen bei Burger King folgendes erfahren:
„Der Arbeitsrechtshardliner, über den auch bei uns schon viel geschrieben wurde hatte zuletzt ein Mandat für die Burger King-Franchise-Nehmer Yi-Ko Holding. Hier trat er, ohne bisher nennenswerte Erfolge zu erzielen, eine beispiellose Abmahnungs- und Kündigungswelle gegen Betriebsräte los. Laut Hamburger Abendblatt kamen seit Übernahme der Geschäftsführung durch Yildiz im Mai 2013 mehr als 320 arbeitsrechtliche Verfahren, sowie 20 Kündigungsverfahren gegen Betriebsratsmitglieder, zum Teil mit Schadenersatzklagen zusammen. Dabei ist Naujoks jedes Mittel recht, seine Opfer zu diskreditieren. Sogar Diebstahl wurde (erfolglos) unterstellt. Kaum eines der angezettelten Verfahren hielt vor Arbeits-Gerichten stand. Die Anklage wegen des angeblichen Diebstahls, der einem Betriebsrat unterstellt wurde, endete mit einem Freispruch. Helmut Naujoks freilich kann das egal sein. Er stellt seine Rechnungen schließlich auch im Fall von Niederlagen und findet offensichtlich trotz der gehäuften Misserfolge neue Auftraggeber.“
Im Fall des Kollegen Ibrahim Ergin muss der Betriebsrat nach §103 des Betriebsverfassungsgesetzes der Kündigung zustimmen, geschieht das nicht, muss Meyer diese über ein entsprechendes Urteil eines Arbeitsgerichtes einklagen. Nach den Aussagen des Kollegen Geerdes wird Meyer die erwünschte Zustimmung nicht erhalten und dann vor Gericht ziehen. Wichtig ist, dass die Kolleginnen auf der Meyer Werft sich für ihren Betriebsratsvorsitzenden einsetzen, denn Meyers Schlag gegen Ibrahim Ergin ist auch ein Schlag gegen die WerftmitarbeiterInnen. Auch die IGM ist jetzt in höchstem Maße gefordert und muss eine Solidaritätsaktion initiieren, an der sich möglichst große Teile der Bevölkerung beteiligen.
Das Vorgehen der Meyer-Bosse hat wieder einmal gezeigt, dass ein sozialpartnerschaftliches Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite reine Illusion ist. Unternehmer benutzen die Vertreter der ArbeitnehmerInnen, wenn sie ihre ureigenen Interessen durchsetzen können und die Profitmaximierung gewährleistet ist, sobald aber die Gegenseite mit Forderungen kommt, die diesen im Wege stehen, reagieren sie mit repressiven Maßnahmen gegenüber „ihren Sozialpartnern“.
|