Kategorie: Kapital und Arbeit |
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"Der Streik geht weiter und er wird ausgeweitet" |
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Ungeachtet der für Hamburg ausgehandelten Einigung mit dem örtlichen kommunalen Arbeitgebern wird die Gewerkschaft ver.di die Streiks im öffentlichen Dienst in mehreren Bundesländern fortführen. Dies kündigte der Gewerkschaftsvorsitzende Frank Bsirske am Aschermittwoch bei einer landesweiten Versammlung der streikenden Belegschaften in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz an.
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"Der Streik geht weiter und er wird ausgeweitet", rief Bsirske vor rund 800 aus allen Teilen des Landes angereisten Streikenden - darunter auch Unorganisierte und Neumitglieder - in einem vollbesetzten Saal am Rheinufer aus. So will ver.di in den nächsten Tagen die Aktionen vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und an Universitätskliniken steigern. Dabei seien auch gemeinsame Streikaktionen mit Metallern in Baden-Württemberg geplant, erklärte Bsirske: "Wir werden die Ströme zusammenfließen lassen". Auch anlässlich der Mitte nächster Woche startenden Computermesse Cebit in Hannover werde alle Welt sehen können, dass "in diesem Land keine Ruhe herrscht". Bsirske, dessen kämpferische Rede immer wieder von Beifall unterbrochen wurde, beschrieb das in Hamburg ausgehandelte Verhandlungsergebnis mit seinen nach Alters- und Einkommensgruppen gestaffelten Wochenarbeitszeiten als "vertretbaren" Kompromiss, der im Volumen auf eine 38,8 Stunden-Woche hinauslaufe und "im Prinzip die 38,5 Stunden-Woche verteidigt" habe. Allerdings sei dies noch kein bundesweiter Durchbruch und daher auch noch nicht übertragbar, da die Arbeitgeber im Bereich der Länder und anderer kommunaler Arbeitgeberverbände "anders aufgestellt" seien. So ergebe sich an diesem 1. März ein widersprüchlicher Frontverlauf, wobei auf Seiten der Arbeitgeber neben Bewegung und Kompromissfähigkeit wie in der Hansestadt eben auch noch eine weit verbreitete "Bunkermentalität" vorherrsche. Die versammelten Streikenden aus Landesbetrieben, Ämtern, Universitätskliniken und Straßenmeistereien nahmen Bsirskes Erläuterung der differenzierten Arbeitszeiten schweigend und ohne Begeisterung zur Kenntnis. Unsere stichprobenartige Befragung unter anwesenden Streikenden ergab, dass einige einen solchen Kompromiss akzeptieren könnten, während viele der angereisten Gewerkschafter die Hamburger Kompromisslinie mit Skepsis betrachten. "Eine niedrigere Arbeitszeit für Ältere erhöht den Druck auf Ältere, die man zum vorzeitigen Ausscheiden drängen will", erklärte ein Arbeiter auf Anfrage. "Was wir einmal als Zugeständnis an die Arbeitgeber hergeben, das kriegen wir kaum jemals wieder zurück", gab ein Friedhofsgärtner zu bedenken. "Die Einigkeit fehlt", kommentiert ein Straßenwart differenzierte Wochenarbeitszeiten nach Hamburger Modell. Starker Beifall brandete immer wieder auf, als Bsirske die Argumente der Arbeitgeberseite aufgriff und sich mit einprägsamen Zahlen und Argumenten gegen Arbeitszeitverlängerung und für einheitliche Tarifverträge aussprach. Wiederholt griff er den Verhandlungsführer der Bundesländer, Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) an, der sich als besonderer "Hardliner" hervorgetan habe, ganz offensichtlich ohne die generelle Rückkehr zur 40 Stunden-Woche keine Ruhe mehr gebe und den öffentlichen Dienst zur tarifvertragsfreien Zone machen wolle. "Möllring wird sich an uns die Zähne ausbeißen", rief der Gewerkschafter in den Saal. Während Politiker wie Möllring über "leere Kassen" klagten, habe Niedersachsen in seinen Finanzämtern gerade 300 Planstellen für Betriebsprüfer gestrichen, obwohl jeder dieser Prüfer dem Fiskus unterm Strich bis zu 1,5 Millionen Euro Mehreinnahmen einbringen könne. In zahlreichen öffentlichen Betrieben gebe es schon längst gespaltene Belegschaften mit den unterschiedlichsten Arbeitszeiten und sonstigen Arbeitsbedingungen, bemängelte Bsirske. Im Gegensatz zur "heuchlerischen Propaganda" von den "sicheren Arbeitsplätzen" würden an Uni-Kliniken und in Hochschulen bei Neueinstellungen weitgehend nur noch befristete Arbeitsverträge abgeschlossen, die teilweise nur wenige Monate Laufzeit hätten. Keine andere Branche habe einen so hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten wie der öffentliche Dienst. Eine Rückkehr zu frühkapitalistischen Bedingungen wie im 19. Jahrhundert, als sich Arbeitssuchende bei der Versteigerung von Arbeitsplätzen gegenseitig unterboten, "werden wir im Leben nicht hinnehmen", rief Bsirske aus. Am späten Nachmittag brachen die Streikenden zum "Besuch" der traditionellen Aschermittwochsveranstaltungen von SPD, CDU und FDP in der Domstadt auf. Dort überbrachten sie eine Resolution an die Landespolitiker, in der eine Rücknahme der Kündigungen der Tarifverträge für Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld, die Erhaltung der 38,5 Stunden-Woche und eine Ende der Ungleichbehandlung von Beschäftigten gefordert wird. Die SPD-FDP-Landesregierung von Rheinland-Pfalz wird aufgefordert, sich in der Tarifgemeinschaft der Länder noch stärker für einen Tarifabschluss einzusetzen.
Hans-Gerd Öfinger |