Kategorie: Kapital und Arbeit |
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Oberselters Mineralbrunnen Vertriebs-GmbH - Keine tariffreie Zone |
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Daß auch die Belegschaften kleinerer Betriebe mit gewerkschaftlichen Mitteln für ihre Rechte und Interessen eintreten können, zeigt der jüngste Tarifabschluß zwischen der Gewerkschaft NGG und der Oberselters Mineralbrunnen Vertriebs-GmbH. | |||
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Der Einigung vorausgegangen war am 18. Juli ein mehrstündiger Warnstreik in dem 43 Beschäftigte zählenden Betrieb, mit dem die Belegschaft ihre Kampfbereitschaft bekundete und die Forderung nach einem Anerkennungstarifvertrag unterstrich. Auch kaufmännische Angestellte, Außendienstmitarbeiter und Leiharbeiter hatten sich dem Warnstreik angeschlossen. Der Demonstrationszug durch den kleinen Ort fand in der Öffentlichkeit starke Beachtung und Zuspruch. Wie Jürgen Hinzer, Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft Nahrungs-Genuss-Gaststätten (NGG), Verwaltungsstelle Rhein-Main, mitteilte, zeigte der Arbeitskampf Wirkung. So sei der Geschäftsleitung klargeworden, daß es die Belegschaft ernst meinte und die vom Arbeitgeber geschürte Angststrategie nicht wirkte.
Hintergrund des Konflikts: Die Mineralbrunnen in Oberselters, einem Ortsteil des Städtchens Bad Camberg im Taunus, waren bis vor drei Jahren im Besitz der Stadt Bad Camberg und wurden dann mehrheitlich von den Franken-Brunnen im Neustadt/Aisch übernommen. Um die Arbeitskosten systematisch zu drücken, wurde die Belegschaft in eine neue Vertriebs-GmbH überführt. Mit diesem Wechsel sollte im Betrieb für immer ein tarifloser Zustand einkehren. Nach endlosen Verhandlungen zwischen Geschäftsleitung und NGG endeten die Gespräche über die gewerkschaftliche Forderung nach Anerkennungstarifvertrag im Juni 2005 ergebnislos.
Die Oberselters Mineralbrunnen Vertriebs-GmbH setzte zunehmend Fremdfirmen im Betrieb ein. Dies verschärfte den Druck auf die „alten“ Beschäftigten, die nicht ohne Grund fürchten mußten, von Leiharbeitern verdrängt werden, die nur halb so viel verdienen. Doch durch systematische gewerkschaftliche Überzeugungsarbeit verstanden die Beschäftigten, daß Angst ein schlechter Ratgeber ist und ihnen bis zu 9000 Euro im Jahr entgehen würden, wenn der Tarifvertrag nicht mehr gilt.
Der „Horrorkatalog“ der Arbeitgeber sah u.a. eine Kürzung aller Entgelte um 10 Prozent, eine Verringerung der Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit auf die Hälfte des jeweiligen Satzes, eine Halbierung von Weihnachts- und Urlaubsgeld, eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich, Wiedereinführung der Samstagsarbeit und Kürzung des Jahresurlaubs um 5 Tage vor. Zudem wollten die Chefs noch eine mehrjährige Nullrunde bei den Einkommen durchdrücken.
Nachdem die Unternehmensleitung allerdings sah, daß es die Belegschaft mit ihrer Kampfbereitschaft ernst meinte und als nächste Stufe die Urabstimmung über einen unbefristeten Arbeitskampf sowie eine Protestfahrt zur Zentrale der Franken-Brunnen plante, gab sie nach und erklärte sich in den Verhandlungen mit den Gewerkschaftsvertretern bereit, die Branchentarifverträge anzuerkennen. Allerdings muß die Belegschaft vor dem Hintergrund der nach Gewerkschaftsangaben „wirtschaftlich angeschlagenen“ Situation des Betriebs 2006 auf das gesamte und 2007 auf einen Teil des Urlaubsgeldes verzichten und kommt erst mit mehrmonatiger Verzögerung in den Genuß von Einkommenserhöhungen. Dafür wurden betriebsbedingte Kündigungen in Oberselters bis zum 30. Juni 2007 ausgeschlossen.
Angesichts des ursprünglichen „Horrorkatalogs“ der Geschäftsleitung bezeichnete NGG-Sekretär Jürgen Hinzer die Tatsache, daß die Tarifbindung wieder hergestellt wurde und für zwei Jahren keine betriebsbedingten Kündigungen stattfinden werden, als großen Erfolg, der ohne kontinuierliche gewerkschaftliche Betreuung und Eingehen auf die Ängste und Nöte der Beschäftigten unvorstellbar gewesen sei. Hans-Gerd Öfinger |