Kategorie: Kapital und Arbeit

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Die „paritätische Mitbestimmung“ hat Geburtstag: Die wirtschaftliche Mitbestimmung der abhängig Beschäftigten und Gewerkschaften in Betrieben und Konzernen hat in Deutschland eine besondere Tradition.


In Firmen mit mindestens fünf Beschäftigten können Betriebsräte als Vertretung der Belegschaft gewählt werden können. In größeren Unternehmen und Konzernen greift eine weitere Form der Mitbestimmung. Vor 40 Jahren beschloss der Bundestag das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz), das in den Aufsichtsräten großer Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten eine „Parität“ (Stimmengleichheit) zwischen den VertreterInnen von Arbeit und Kapital herstellen sollte.

Bei der Bundestagsabstimmung am 18. März 1976 über das Gesetz gab es nur 22 Gegenstimmen und eine Enthaltung. Am 1. Juli 1976 trat es in Kraft. In knapp 750 Unternehmen wird es heute angewandt. Sie haben paritätisch besetze Aufsichtsräte. Damit wurden die Mitbestimmungsrechte und Repräsentanz der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften in diesen Kapitalgesellschaften deutlich gestärkt. Denn bis dahin war nach einem Gesetz von 1952 für die Vertreter der abhängig Beschäftigten und Gewerkschaften nur ein Drittel der Aufsichtsratssitze vorgesehen. Einzige Ausnahme bildete die Montanindustrie (Bergbau und Stahl), wo seit 1951 in Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten der Aufsichtsrat aus fünf Vertretern der Anteilseigner und fünf Repräsentanten der Arbeitnehmer bestand.

Ein Aufsichtsrat ist ein Überwachungsorgan und kann im Sinn des Aktiengesetzes (§ 111) die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände einsehen und prüfen. Ein Aufsichtsrat kann sich eine Satzung geben. Es kann festgelegt werden, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Verweigert der Aufsichtsrat in solchen Fällen seine Zustimmung, so kann der Unternehmensvorstand die Entscheidung mit einer Drei-Viertel-Mehrheit der Hauptversammlung umgehen.

Scheinparität

Bei näherer Betrachtung erweist sich die auf dem Papier bestehende Parität im Aufsichtsrat als mehrfache Augenwischerei. Denn auf der Arbeitnehmerseite muss laut Gesetz ein Vertreter der leitenden Angestellten sitzen. Und diese Gruppe tendiert bei Konflikten eher zur Kapitalseite als zu den abhängig Beschäftigten. Falls es dennoch bei Abstimmungen ausnahmsweise zu Pattsituationen kommen sollte, zählt die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden immer doppelt. Und dieser wird natürlich von der Kapitalseite benannt. So ist sichergestellt, dass es in aller Regel keinen Aufsichtsratsbeschluss gegen die Kapitalinteressen geben kann.

Selbst als verwertbare Informationsquelle für Gewerkschafts- und Belegschaftsvertreter sind Aufsichtsräte weitgehend untauglich. Denn mit der Verschwiegenheitspflicht gehen vielfach eine Geheimniskrämerei und die Angst vor der Veröffentlichung von Unternehmensinterna einher. Wenn es darum geht, solche Informationen in eine wirksame Gegenstrategie zur Verteidigung der Beschäftigteninteressen umzusetzen, überkommt viele Aufsichtsräte mit gewerkschaftlichem Hintergrund ein Gefühl der Ohnmacht.

Eine echte wirtschaftliche Mitbestimmung kann nach dem Aktiengesetz in einen Aufsichtsrat gar nicht stattfinden. Alle unternehmerischen Entscheidungen liegen auch weiterhin bei den Vorständen. Das Gesetz dient einer gewollten Verschleierung der Klassengegensätze. Tatsächlich berichten Aufsichtsratsmitglieder immer wieder, dass die Beschlüsse im Gremium vielfach vorab in einem System von Geben und Nehmen arrangiert und einstimmig gefasst werden. So werden unternehmerische Willkürentscheidungen letzten Endes meistens abgenickt.

„Sozialpartnerschaft“ und „Co-Management“ als Falle

Während linke Gewerkschafter in der Vergangenheit vielfach die Mitbestimmung als ersten Schritt zum Aufbau einer starken Gegenmacht gegen Kapitalinteressen und Vorstufe zur wirtschaftlichen und politischen Selbstbestimmung ansahen, hat sich über Jahrzehnte immer mehr eine auch von der Sozialdemokratie geförderte Sozialpartnerschaft eingeschlichen. Demnach sollen Aufsichtsratsmitglieder und Betriebsrat als Co-Manager und Moderatoren zwischen Kapital und Arbeit wirken. So konnte das Co-Management des einstigen Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden und stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Franz die Schließung des Werkes Bochum 2015 nicht retten. Dafür hat er aber in der Öffentlichkeit die Investitions- und Personalabbaupolitik von Opel vertreten. Eine Forderung nach Erhaltung aller Arbeitsplätze durch Umstellung der Produktion auf alternative Erzeugnisse kam viel zu kurz.

Wo Co-Management hinführen kann, zeigte auch die Hartz-Korruptionsaffäre bei VW. Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Klaus Volkert verlor wohl auch aufgrund seines VW-üblichen Managergehaltes für Spitzenbetriebsräte seine eigene Arbeiterabstammung und Bodenhaftung aus den Augen. Vor Gericht verteidigte er sich mit den Worten: „Ich und die anderen, wir waren bei VW viel mehr als Arbeitnehmervertreter. Wir haben die Aufgaben von Managern übernommen und dazu hat uns der Vorstand des Konzerns auch ermutigt. Wir brachten unsere Erfahrung als Arbeitnehmervertreter zu allen Fragen ein, die für die Zukunft von VW wichtig waren.“ Selbst die hochgelobte befristete Einführung der Vier-Tage-Woche 1993, an der er maßgebend beteiligt war, sicherte nicht nur 30.000 Arbeitsplätze. Durch einen Lohnverzicht von 15 Prozent vermittelte der mit dem Niedersächsischen Verdienstorden und Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Metaller Volkert den VW-Aktionären einen schönen Profit.

So kann die Mitwirkung von Belegschafts- und Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat wie eine gefährliche Falle für die Arbeiterbewegung wirken.Vor Jahren brachte der Düsseldorfer Mannesmann-Prozess an den Tag, dass Ex-IG Metall-Chef Klaus Zwickel als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender nicht einmal gegen die 60-Millionen-Entschädigung für Ex-Konzernchef Esser gestimmt hatte. Bei der Deutschen Bahn stimmten 2008 auch die Arbeitnehmervertreter im Personalausschuss des Aufsichtsrats für üppige Bonuszahlungen an die Vorstandsmitglieder nach einem geplanten Börsengang. Über die Schiene der Mitbestimmung machten ehemals kleine Gewerkschafter traumhafte Karrieren und vergaßen dabei die Interessen, die sie früher einmal vertreten sollten. Darum sind wir gut beraten, wenn wir den Aufsichtsratsmitgliedern genau auf die Finger schauen, ein Ende der Geheimniskrämerei und Sonderprivilegien einfordern und von ihnen die nachweisliche volle Abführung aller Aufsichtsratstantiemen an die Gewerkschaft oder andere Solidaritätsprojekte der Arbeiterbewegung fordern.

Bei einem Festakt zum 125-jährigen Jubiläum der IG BCE im September 2015 forderte der Gewerkschaftsvorsitzende Michael Vassiliadis Politik und Arbeitgeber auf, das deutsche Modell der „Sozialpartnerschaft“ zu festigen und auszubauen. „Sie sind Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft, die die Vorteile einer Wettbewerbswirtschaft mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs verknüpft. Sie sind Voraussetzungen einer entwickelten Kultur, in der sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber im gegenseitigen Respekt und im Wissen um das Gemeinsame begegnen, ohne unterschiedliche Interessen und Aufgaben zu negieren oder gar grundsätzlich infrage zu stellen“, so Vassiliadis.

Tatsächlich ist die so genannte „Soziale Marktwirtschaft“ eine alte reformistische Mär von Kapitalisten und Sozialdemokratie. Der Grundwiderspruch des Kapitalismus bleibt. Ein auf maximalen Gewinn optimiertes Unternehmen kann überhaupt keinen Gefallen am sozialen Ausgleich finden. Solange es eine herrschende Klasse von Großkapital, Banken und Milliardären gibt, kann nur ein Fantast von einem gegenseitigen Respekt von Arbeitnehmern und Arbeitgebern träumen. Die Realität sieht ganz anders aus. Die „freie Wettbewerbswirtschaft“ führt zu zyklischen Überproduktionskrisen, deren Folgen die Klassengegensätze verschärfen.

Dabei will sich die Kapitalistenklasse insgesamt auch nicht einmal mit dem zahmen deutschen Mitbestimmungsmodell abfinden. In vielen großen Aktiengesellschaften fiel die paritätische Mitbestimmung der zur Profitsteigerung durchgeführten Outsourcings- und Ausgliederungswelle zum Opfer. Denn in kleineren Unternehmen mit weniger als 2000 Beschäftigten gilt nur das Drittelbeteiligungsgesetz von 1952. Ein Beispiel für diesen negativen Prozess war die Zerschlagung des Chemiekonzerns Hoechst AG unter der Regie des früheren Vorstandsvorsitzenden Jürgen Dormann. Er arbeitete so gründlich, dass ab 1998 die Konzernmuttergesellschaft Hoechst AG nur noch aus dem Corporate Center, einem Führungsstab mit etwa 200 Mitarbeitern bestand. Aus den vier wichtigsten deutschen Standorten Gendorf, Höchst, Knapsack und Wiesbaden entstanden Industrieparks mit neugegründeten Betreibergesellschaften: InfraServ Gendorf, Infraserv Höchst, InfraServ Knapsack und InfraServ Wiesbaden. Die Gesellschaften erhielten aus steuerlichen Gründen die Rechtsform einer GmbH&Co. KG, bei der die Kommanditanteile jeweils auf die großen Standortnutzer aufgeteilt wurden. Persönlich haftender Gesellschafter aller Standortgesellschaften wurde die InfraServ Verwaltungs-GmbH, eine Tochtergesellschaft der Hoechst AG.

Mitbestimmung verteidigen! Selbstbestimmung statt Co-Management!

Die Kapitalisten wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Wir wollen das Rad in eine ganz andere – entgegengesetzte – Richtung drehen. Darum brauchen wir keine nostalgische Verklärung der „Sozialpartnerschaft“. Wenn wir Wirtschaft und Gesellschaft im Interesse der arbeitenden Menschen umbauen wollen, dann brauchen wir viel mehr als nur eine lupenreine paritätische Mitbestimmung von 50:50.

Karl Marx hat einmal festgestellt: „Als Wert sind alle Waren nur bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit.“ Den Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, steht auch die Verfügungsmacht über den Tauschwert ihrer produzierten Waren zu. Die Mitbestimmung muss revolutioniert werden und von einer wirtschaftlichen Selbstbestimmung durch die Menschen abgelöst werden, die alle Werte und Dienstleistungen schaffen.

Die arbeitende Bevölkerung muss das Sagen in Wirtschaft und Gesellschaft haben. Es muss Schluss damit sein, dass „Nieten in Nadelstreifen“ auch nach erwiesenen Fehlentscheidungen gut abgesichert werden, während die kleinen Arbeiter und Angestellten die Konsequenzen von Fehlentscheidungen am eigenen Leib ausbaden müssen. Kontrolle und Verfügungsgewalt erfordern aber eine Änderung der Eigentumsverhältnisse. Erst wenn die Kommandozentralen der wirtschaftlichen Macht – Großkonzerne, Banken, Versicherungen – in Gemeineigentum überführt und der demokratischen Kontrolle durch Belegschaft, Gewerkschaften und Allgemeinheit unterworfen werden, können wir unser Schicksal in die eigene Hand nehmen und eine wirklich soziale und demokratische Gesellschaft aufbauen.

In einer sozialistischen Demokratie könnte die arbeitende Bevölkerung die politische und wirtschaftliche Führung übernehmen und nach dem Bedarf der Menschen demokratisch Investitionen, Produktion, Preise und Löhne festsetzen. Die regelmäßig wiederkehrenden kapitalistischen Überproduktionskrisen könnten beendet werden. In den Aufsichtsräten sollten die Vertreter von Belegschaft und Gewerkschaften den Ton angeben.

 

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