Kategorie: Kapital und Arbeit

Wem nützt der „Durchbruch“ in der Leiharbeit?

Als Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am 11. Mai 2016 einen Referentenentwurf zur Eindämmung des Missbrauchs von Leiharbeit und Werkverträgen vorlegte, folgte eine Welle der Begeisterung. Doch dabei feierte man eher sich selbst, denn für abhängig Beschäftigte sind die zu erwartenden Regulierungen nachteilig. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände begrüßen die Errungenschaften gleichermaßen - was nachdenklich stimmen sollte.


Nach aktuellen Erhebungen sind mehr als 1.750.000 Menschen von Leiharbeit und Werkverträgen betroffen und damit den riesigen Lohnunterschieden, aber auch fehlender betrieblicher Mitbestimmung ausgesetzt – und das nicht selten über Jahre hinweg bei ein und demselben Entleihbetrieb. Damit können die Betriebe ihr Stammpersonal und betriebliche Mitbestimmung abbauen sowie Lohndrückerei betreiben. Zu allem Überfluss lässt sich der Einsatz von LeiharbeiterInnen sogar von der Steuer absetzen.

Genau diesem Missbrauch wollte Nahles mit ihrem seit Januar vorliegenden Gesetzesentwurf zur Reform der Leiharbeit angeblich entgegentreten. Mit dem Hinweis „über das Ziel hinaus geschossen zu sein“ wurde dieser von der Kanzlerin unter dem Druck der Wirtschaft und CDU/CSU zurückgewiesen. Nach mehreren Verhandlungen verständigten sich die Regierungsparteien nun auf Eckpunkte. Details sollen noch abgestimmt werden. Das Gesetzesentwurf soll noch vor der Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden. Schauen wir mit einem kritischen Blick auf den als „Durchbruch“ propagierten Entwurf.

Gleiche Arbeit, gleiches Geld – nach neun Monaten

Zukünftig soll nach neun Monaten eine Gleichbehandlung in Sachen Entlohnung sichergestellt sein, außer Tarifverträge regeln etwas anderes. Dann aber muss nach spätestens 15 Monaten ein „gleichwertiger Lohn gezahlt werden, der jenem der Stammbeschäftigten nahekommt“.

Doch was ist die aktuelle Gesetzeslage? Ein Blick in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) genügt, um den Grundsatz „Gleiche Arbeit, gleiches Geld“ in §9 (2) zu finden. Darauf folgt der Zusatz „Außer Tarifverträge regeln etwas anderes“. Sprich: Findet ein Tarifvertrag Anwendung, so gelten die darin festgelegten Bestimmungen, liegt kein Tarifvertrag vor, so ist der Gleichbehandlungsgrundsatz von Gesetzes wegen bereits vom ersten Tag an gegeben. Die geplante Gesetzesänderung stellt damit eine Möglichkeit dar diesen Gleichbehandlungsgrundsatz zeitlich aufzuschieben. Da statistisch gesehen mehr als die Hälfte der Arbeitsverhältnisse in Leiharbeit bereits nach drei Monaten wieder gekündigt werden, wird die Mehrheit der Betroffenen niemals in den Genuss gleichwertiger Entlohnung kommen.

Begrenzung der Verleihdauer

Hier liegt aus Sicht der Regierung der größte Durchbruch, um den Missbrauch von Leiharbeit entgegenzutreten. Mit einer Einsatzbegrenzung auf maximal 18 Monate soll verhindert werden, dass LeiharbeiterInnen mehrere Jahre hinweg über die Arbeitnehmerüberlassung in ein und demselben Betrieb eingesetzt werden. Auch hier können Tarifverträge abweichende Regelungen beinhalten. Einsätze, die über die gesetzlich oder tariflich geregelte Verleihdauer hinaus gehen, münden dann automatisch in einem Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeiter/in und dem Entleihbetrieb.

Werfen wir einen Blick in die Praxis und schenken den Erfahrungen jener Beachtung, die bereits Ende der 1990er Jahre in der Leiharbeit beschäftigt waren, als der Einsatz auf 12 Monate begrenzt war und ansonsten ebenso ein Anspruch auf Festanstellung entstand, so liegt eine Schlussfolgerung nahe: Kurz vor Erreichen des 18. Beschäftigungsmonats wird die betreffende Person einfach „abgemeldet“ und als Ersatz eine neue Person von der Zeitarbeitsfirma angefordert. Hat die Zeitarbeitsfirma für abgemeldete LeiharbeiterInnen keine weiteren Einsatzmöglichkeiten, so endet das Arbeitsverhältnis in der Regel in einer Kündigung. Dem Kapital wird also weiterhin ermöglicht, über Jahre hinweg LeiharbeiterInnen einzusetzen. Denn längst dient Leiharbeit nicht mehr nur zur „Überbrückung von Auftragsspitzen“, sondern wird langfristig eingesetzt.

Streikrecht

Nach dem Willen der Regierung sollen LeiharbeiterInnen nicht als StreikbrecherInnen missbraucht werden. Auch hier gilt eine Ausnahme: Dies gilt nur, wenn die Tätigkeit vorher nicht von Nicht-Streikenden ausgeübt wurden. Wenn also die Tätigkeit vor dem Streik von Nicht-Streikenden ausgeübt wird (was vor einem Streik für gewöhnlich der Fall ist), dann darf Leiharbeit genutzt werden, um LeiharbeiterInnen zum Streikbruch zu missbrauchen. Das untergräbt nicht nur die existierende Bestimmung in §11(5) AÜG, sondern ermöglicht den Betrieben im großen Stile den Einsatz von LeiharbeiterInnen, um einen Arbeitskampf der Stammbelegschaft zu untergraben. Zwar haben sich die Arbeitgeberverbände IGZ und BAP im Manteltarifvertrag mit dem DGB darauf verständigt, dass Leihbeschäftigte nicht als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen. Auf die Anwendung dieser Regelung werden die Unternehmer in den kommenden Tarifkonflikten sicherlich keinen großen Wert legen, wenn schon von Gesetzes wegen hierzu kein Anlass besteht.

Mehr Transparenz bei Werkverträgen?

Im Gegenteil! Strikte Regelungen gegen den missbräuchlichen Einsatz von Werkverträgen fehlen. Zunächst hatte Ministerin Nahles zur Eindämmung geplant, den Begriff Arbeitnehmer als orts-, zeit- und weisungsgebunden zu definieren. Die CDU/CSU hatte dies scharf kritisiert und gestoppt. Nun soll es lediglich einen Fragebogen geben, um dessen Auswertung sich der Zoll zu kümmern hat. Die Erfahrungen aus dem Mindestlohngesetz werden auch hier zu spüren sein. Eine effektive Kontrolle wird praktisch nicht gegeben sein. Dem Missbrauch wird weiterhin Tür und Tor geöffnet.

Legalisierter Missbrauch sowie eine spürbare Verschlechterung der Bedingungen von LeiharbeiterInnen sowie Werksvertragsbeschäftigten lassen nur eine Schlussfolgerung zu: Einmal mehr beweist die Bundesregierung ihren Unwillen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für annähernd zwei Millionen ArbeiterInnen. Wir müssen aber der legitimierten Super-Ausbeutung ein Ende bereiten. LINKE und DGB-Gewerkschaften müssen sich klar positionieren. Schluss mit Leiharbeit und massenhaftem Missbrauch von Werkverträgen!


Nicht regulieren, sondern abschaffen!

Es galt einst der Grundsatz „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ (verankert im Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz) und in der Tat war vor 2001 Leiharbeit finanziell gesehen gar nicht mal so schlecht. Man war einfach nur ArbeiterIn zweiter Klasse – hat aber in der Regel genug verdient, um sich bzw. die Familie zu ernähren. Doch mit der Agenda 2010 erfolgte eine zweifelhafte Abänderung des entsprechenden Paragraphen in „Gleiches Geld für gleiche Arbeit, außer Tarifverträge regeln etwas anderes“.

Bis zu diesem Zeitpunkt galten die Tarife der Entleihbetriebe, um zu gewährleisten, dass man tatsächlich denselben Lohn in Anspruch nehmen konnte. Wolfgang Clement allerdings, von 2002 bis 2005 Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, veranlasste diese Gesetzesänderung und ermöglichte es damit, durch Tarifverträge den Gleichbehandlungsgrundsatz zu unterwandern. Als Lohn für diese Politik wurde er nach seiner Zeit als Minister Aufsichtsratsmitglied von Adecco, einer der größten Zeitarbeitsfirmen der Republik.Leiharbeit und Werkverträge vertiefen die Spaltung der Belegschaften. Sie lassen sich nicht regulieren oder humanisieren, sondern gehören abgeschafft. Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer beträgt hier gerade mal drei Monate. Die reale Übernahmequote in Festanstellung liegt bei etwa sieben Prozent. Es bestehen Lohnunterschiede von bis zu 45 Prozent gegenüber den Stammbelegschaften. Von einer „Brücke“ in den ersten Arbeitsmarkt oder einem „Klebeeffekt“ im Einsatzbetrieb kann also keine Rede sein.
Ferner werden in nicht wenigen Betrieben diese Unterschiede genutzt, um die Stammbelegschaften zu disziplinieren. „Schau da, diese LeiharbeiterInnen – verzichte bei der nächsten Tarifrunde besser auf Forderungen oder aber Du wirst auch einer von denen!“ sollte als exemplarischer Dialog ausreichen um darzustellen, welche Instrumente die KapitalistInnen hierbei in den Händen halten.

Jobcenter und Arbeitsagenturen

Mit der Agenda 2010 wurde das Vermittlungsmonopol der Arbeitsagenturen aufgehoben. So sprossen Zeitarbeitsfirmen und private Arbeitsvermittler wie Pilze aus dem Boden und bekamen Fördermittel aus Steuergeldern. 75 Prozent der Stellenangebote laufen über Leiharbeit und Werkverträge. Die eigentlichen ArbeitsvermittlerInnen, die Fallmanager, können diese Aufgabe von sich schieben, was aufgrund ihrer Überlastung auch allzu oft der Fall ist. Die Vermittlung in Leiharbeit und Werkvertragsarbeit ist damit zum Kernbereich der Jobcenter und Arbeitsämter geworden. Wer sich gegen eine Arbeitsaufnahme in prekäre Arbeitsverhältnisse wehrt, dem werden Sanktionen angedroht.
Die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Leiharbeit wird mit der Übernahme von bis zu 75 Prozent der Lohnkosten für sechs Monate gefördert. Allerdings endet meistens mit dem Ende der Förderung auch der Arbeitsvertrag. Das schafft Platz für „Frischfleisch“ aus dem Pool der Langzeitarbeitslosen, der industriellen Reservearmee, und die Förderung beginnt von neuem. Davon profitieren Zeitarbeitsfirmen, die sich den Arbeitseinsatz vom Entleihbetrieb vergüten lassen und den Lohn weitgehend durch Steuergelder begleichen lassen.

Leiharbeit und Flüchtlinge

Die Bundesregierung hat die Leiharbeit auch für Flüchtlinge geöffnet. Argumentiert wird damit, den NeubürgerInnen eine erste Perspektive auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. In der Realität wird nun vermehrt qualifiziertes Personal an Helferstellen landen. Auch ist fraglich, ob die Tarifverträge der Leiharbeit auf Geflüchtete Anwendung finden sollen und unter Umständen der Mindestlohn umgangen werden kann. Dies wird aus klassenkämpferischer Sicht eine weitere Spaltung der ArbeiterInnenklasse fördern und in einem Fiasko enden. Somit werden den NationalistInnen gerade neue Argumente in die Hand gedrückt, um weiter gegen die Zuwanderung zu protestieren und Teile der Bevölkerung aufzuwiegeln.

Zahlreiche Reformen, die den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen durch die KapitalistInnen nicht zu unterbinden vermochten, beweisen die Unreformierbarkeit dieses Ausbeutungssystems. Ein geschlossener Kampf für die Abschaffung von Werkverträgen und Leiharbeit muss stattfinden.

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