Gemäß Augenzeugen hatten die Manager einen Lastwagenfahrer dazu angestachelt, in den Streikposten zu rasen. Dies geschah vor dem Hintergrund des laufenden Arbeitskampfes der Angestellten im Logistik-Sektor (Paketversand) von Italien. Wie in anderen Ländern, hat die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen auch in Italien in letzter Zeit stark zugenommen. Die Rechte der ArbeiterInnen wurden beschnitten und viele müssen als Scheinselbstständige oder sogar illegal in der Schattenwirtschaft arbeiten.
Die italienischen Logistik-ArbeiterInnen lassen sich das aber nicht länger gefallen und haben begonnen, sich zu wehren und zu organisieren. Dabei mussten sie nicht nur gegen die Bosse, sondern teilweise sogar gegen die offiziellen Gewerkschaften (CGIL, CISL und UIL) kämpfen. Die Führungen dieser Gewerkschaften haben die verschlechterte Situation der ArbeiterInnen bereitwillig zugelassen. Daraufhin haben kleinere Basis-Gewerkschafts-Abspaltungen wir Sicobas und USB begonnen, die Kämpfe zu organisieren um die Offensive der Arbeitgeber aufzuhalten.
Die offiziellen Gewerkschaften haben 2014 mit den Unternehmen des Transport-Sektors einen Vertrag ausgehandelt, welcher die Arbeitsverhältnisse weiter flexibilisiert. Die ArbeiterInnen in diesem Sektor sind traditionellerweise nicht direkt bei ihrer Firma angestellt, sondern bei externen Kooperativen und kleineren Subunternehmen. Die Basisgewerkschaften stellten sich damals gegen dieses System und forderten, dass alle direkt bei der Firma angestellt werden, für die sie tatsächlich auch arbeiten.
Ende 2014 fanden eine Reihe von Streiks statt, um dieser Forderung Ausdruck zu verleihen. Die Bosse konnten allerdings mit Verzögerungstaktiken vermeiden, dass sie ernsthafte Verhandlungen aufnehmen mussten. Das änderte sich erst mit einem plötzlichen Streik der GLS LagerarbeiterInnen im Dezember. Sie blockierten die GLS Lager in Rom, Bologna, Piacanza, Verna und Padua. Konfrontiert mit der Entschlossenheit der Lageristen, stimmte die GLS einem neuen Vertrag zu, welcher das Abkommen mit den offiziellen Gewerkschaften verbesserte.
Eine der Forderungen, welche die ArbeiterInnen aufgestellt hatten, verlangte, dass ein neuer Subunternehmen der GLS die bisherigen Angestellten weiter beschäftigen muss. Dies sollte den betroffenen ArbeiterInnen Beschäftigungsstabilität gewähren. Die GLS stimmte zu und nach einigen Wochen mussten auch die anderen großen Logistik-Unternehmen den Deal akzeptieren. Dieser wurde dann im Februar 2015 unterzeichnet.
Soweit zur Geschichte. Heute versucht das Management der GLS diesen Vertrag wieder zu brechen! Offensichtlich hatten sie dies bereits geplant, als sie den Vertrag im Februar 2015 unterschreiben mussten. Die Konzessionen wurden nur gewährt, um die ArbeiterInnen zurück an die Arbeit zu schicken. Dabei bereiteten sie sich bereits vor, das zurückzuholen, was sie zugestanden hatten.
Am Donnerstag, dem 14. September, verhandelten Vertreter einer der Basis-Gewerkschaften (USB) erneut mit dem Management in der Nähe des GLS Depots, in einer Bar in der kleinen Stadt Montale, in der Piacenza Provinz. Die Verhandlungen mussten in einer Bar stattfinden, da das Management den Gewerkschaftsvertreter verbietet, das Depot zu betreten. Während den Diskussionen wurde klar, dass die Bosse daran sind, alle Versprechen und Verträge vom letzten Jahr zu brechen.
Konfrontiert mit dieser Sturheit verließen die Gewerkschafter die Bar, um den ArbeiterInnen das Zeichen zu geben, das Depot zu blockieren. Diese hatten sich bereits an den Toren versammelt und stoppten prompt alle Lastwagen, die rein- oder raus wollten. Daraufhin kam es zu den die dramatischen Ereignissen.
Im Moment, als die Manager den Streikposten aus etwa 30 ArbeiterInnen sahen, befahlen sie den Lastwagenfahrern sich trotz der Blockade einen Weg ins Depot zu bahnen. Ein Fahrer beschleunigte, fuhr in die Streikenden, traf zwei, schleifte einen noch mehrere Meter mit und töte ihn so.
Der Fahrer hat sich nicht einmal mit der üblichen Taktik bemüht, langsam auf die Blockade zu zufahren, um zu testen ob sie zu Seite weichen würden. Stattdessen jagte er einfach mit 30-40 km/h in sie hinein. Laut Augenzeugen rief ein Manager dabei “Los! Los! Los!”, um den Fahrer dazu anstacheln, durch die ArbeiterInnen zu pflügen. “Der GLS Depot Manager hat den Lastwagenfahrer dazu aufgestachelt, die ArbeiterInnen zu überfahren, die den Streikposten aufgestellt hatten.” Dies gab der Bruder des Getöteten, Elsayed Eldani, zu Protokoll.
Gemäß des gleichen Augenzeugen hat die Polizei die ganze Zeit nur zugeschaut. Sie haben nichts unternommen und den Fahrer des LKWs erst dann verhaftet, als dieser sich dem Zorn der anderen ArbeiterInnen konfrontiert sah. Der Staatsanwalt behauptet jetzt, es habe zur Zeit des Vorfalls gar keinen Protest und keinen Streikposten gegeben. Der Fahrer wurde aus der Haft entlassen und der ganze Vorfall als “Verkehrsunfall” deklariert. Allerdings zeigen mehrere Videos, dass der Protest schon seit Stunden im Gange war! Ein Video wurde mindestens Anderthalb Stunden vor der Tötung aufgenommen. Seither haben verschieden ArbeiterInnen erzählt, was wirkliche passiert ist. Ihnen zufolge, war es ein kaltblütiger Mord.
Abd Elsalam Ahmed Eldanf war Vater von fünf Kindern. Er hatte einen stabilen Arbeitsvertrag, war also selber gar kein Temporärangestellter. Stattdessen kämpfte er für andere, damit auch sie Beschäftigungsstabilität erreichen. Jetzt ist er tot. Aber der Kampf, von dem er ein Teil war, geht weiter. Während das GLS Depot in Piacenza seither von Streikposten blockiert bleibt, werden in ganz Italien Streiks und Proteste organisiert. Die Kämpfe umfassen viele Arbeitsstätten und ArbeiterInnen aus allen Gewerkschaften, inklusive der offiziellen Gewerkschaften wie CGIL und sogar der CISL. Innerhalb dieser Gewerkschaftsverbände sind die Gewerkschaften der Metallarbeiter am aktivsten.
Der tragische Tod von Abd Elsalam Ahmed Eldanf ist ein Anzeichen der neuen Situation, geprägt von bittersten Klassenkämpfen. Die Bosse versuchen die italienischen ArbeiterInnen zurück zu den Bedingungen von 1950 zu drängen. Doch es gibt eine Grenze, von dem, was die ArbeiterInnen alles ertragen können. Der Widerstand der Logistik-ArbeiterInnen ist ein Anzeichen für einen Stimmungswandel. Abd Elsalam Ahmed Eldanf ist tot, und doch wird er überall präsent sein, wo ArbeiterInnen für ihre Rechte einstehen und sich wehren.
Die Redaktion von der funke reiht sich in die uneingeschränkte Solidaritätsbekundung von “In Defence of Marxism”, der Website der Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT), mit den Angestellten der GLS ein. Wir bekunden der Familie des Ermordeten unser innigstes Beileid. Die SRC (die IMT in Italien) war an der Demonstration in Pacenza präsent und hat einen Aufruf veröffentlicht, der von etlichen Betriebsräten des Logistik-Sektors unterzeichnet wurde.
Bemerkung: GLS, Gneral Logistics Systems B.V. ist eine britsch-niederländisches Joint Venture und eine Tochtergesellschaft der britischen Royal Mail.
Original auf www.marxist.com
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