Die Branche hat bundesweit 3,9 Millionen Beschäftigte und ist damit eine Schlüsselbranche der deutschen Industrie. Dass Metaller bei befristeten Warnstreiks zwei oder drei Stunden lang vor das Werkstor gehen und mit Trillerpfeifen und roten Mützen mehr Lohn fordern, ist nicht neu. Was diese Tarifrunde von früheren Warnstreikwellen unterscheidet, sind vor allem zwei Dinge. Zum einen ist keine reine Lohnrunde um fünf oder sechs Prozent, bei der normalerweise am Ende nach mehreren Verhandlungsrunden stets irgendein mäßiger Kompromiss herauskam. Denn Hauptknackpunkt und Sollbruchstelle in dieser Tarifrunde ist die Forderung der IG Metall nach einem individuellen tarifvertraglichen Anspruch auf eine befristete „kurze Vollzeit“ von 28 Wochenstunden. Diese Forderung ist Ergebnis einer breiten Umfrage in zahlreichen Betrieben. Dabei sprachen sich viele Beschäftigte dafür aus, mal eine Zeitlang kürzer zu treten, um Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen. Auch viele Beschäftigte, die regelmäßig Schichtarbeit leisten oder in besonders anstrengen Arbeitszeitmodellen stecken, haben den Wunsch geäußert, etwas weniger Stress zu haben. Nach zwei Jahren Reduzierung auf eine 28 Stunden-Woche soll aber wieder Anspruch auf eine Rückkehr in die tarifvertragliche Vollzeit von 35 Stunden bestehen. Bislang stecken viele Beschäftigte, vor allem Frauen, in der „Teilzeitfalle“ und können keinen Anspruch auf Rückkehr in eine Vollzeitbeschäftigung anmelden. Die IG Metall fordert einen Teillohnausgleich für alle, die befristete „kurze Vollzeit“ von 28 Wochenstunden beanspruchen.
Wellnessbereich?
Genau das lehnt der Industriellenverband Gesamtmetall strikt ab. Die Kapitalisten behaupten, die Metall- und Elektroindustrie sei „ein Wellnessbereich“ und der von der IG Metall geforderte Teillohnausgleich sei doch dann Geld fürs „Nichtstun“. Solchen zynischen Sprüchen entgegnen wir, dass es in der Metall-und Elektroindustrie durchaus Wellnessbereiche gibt, doch diese liegen in den Vorstandsetagen und bei den Aktionären, wo nichts produktiv gearbeitet wird, während in den Fabriken harte Arbeit geleistet wird. So wurde das Thema Arbeitszeitverkürzung von den Unternehmern in den seit November laufenden Tarifverhandlungen mit langem Schweigen quittiert.
Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist seit dem 19. Jahrhundert ist ein uraltes Anliegen der Arbeiterbewegung. Im Frühjahr 1984 kämpften Metaller und Drucker über sechs Wochen lang in einer erbitterten Streikbewegung für den Einstieg in die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Seit Mitte der 1990er Jahre steht für sie die „35“ im Tarifvertrag für Westdeutschland. Dass jetzt wieder ein offensiver Kampf für Arbeitszeitverkürzung geführt wird, ist absolut richtig und überfällig. Beschäftigte im Osten arbeiten immer noch länger und verdienen weniger als im Westen, und das oftmals in ein und demselben Konzern. Auch diese schreiende Ungerechtigkeit will die IG Metall in dieser Tarifrunde angehen,
Neu ist auch, dass die IG Metall jetzt erstmals 24-Stunden-Warnstreiks organisiert. Viele Mitglieder wollen mal wieder richtig streiken, nachdem jahrelang die Regie für Tarifrunden kurze, operettenhafte Warnstreiks vorgesehen hatte, die angesichts von knappen Lieferfristen und Just-in-Time-Produktion auch für Firmen mit vollen Auftragsbüchern verkraftbar waren. Streiks sollen dem Kapital wehtun und den abhängig Beschäftigten zeigen, dass sie eine kollektive Macht haben.
IG Metall-Chef Jörg Hofmann wollte am Wochenende in letzter Sekunde die Kuh vom Eis holen und als bedächtiger Profi im Tarifpoker mit diplomatischen Geschick und großzügigem Entgegenkommen die Arbeitgeberseite zur „Vernunft“ bringen. Darum verschob der Vorstand die Entscheidung über eine Ausweitung der Streikstrategie um 24 Stunden vom vergangenen Freitagmittag auf Samstagmittag. Dazwischen lag ein 16-stündiger Verhandlungsmarathon in Stuttgart. Baden-Württemberg ist eine Hochburg der Auto- und Maschinenbauindustrie mit kampfstarken und gut organisierten Belegschaften und war oft ein „Pilotbezirk“, dessen Verhandlungsergebnisse dann meistens bundesweit übernommen wurden. Doch auch in der nächtlichen Stuttgarter Sitzung ließen sich die Unterhändler des Arbeitgeberverbands Südwestmetall von Hofmann und seinen Kollegen nicht davon überzeugen, dass eine Deeskalation der Tarifrunde eigentlich in ihrem Klasseninteresse läge. Offenbar ging ihnen auch Hofmanns Angebot, in einem Prozess des „Gebens und Nehmens“ für die Option auf 28 Stunden an anderer Stelle einer Verlängerung der Arbeitszeit zuzustimmen, nicht weit genug. Doch solche Kompensationsgeschäfte wären gefährlich und wäre wie eine kalte Dusche.
Der Zeitpunkt für einen größeren Streik passt. Die Industrie in Deutschland boomt und verzeichnet hohe Exportüberschüsse. Noch sind wir nicht so stark wie andere Länder von der Krise des Kapitalismus betroffen. Die Auftragsbücher der meisten Betriebe sind voll. Dies gilt vor allem auch für die Metall- und Elektroindustrie mit rund 3,8 Millionen Beschäftigten. Konzerne wie Siemens verbuchen Rekordprofite. So ist die IG Metall in einer guten Ausgangsposition und hat mächtige Druckmittel in der Hand. Die Streikkasse ist nach jahrelanger Streikabstinenz gut gefüllt. Kein Mensch weiß, wie lange der Aufschwung noch anhält. Sicher ist jedoch, dass mittelfristig viele Jobs durch Digitalisierung und „Industrie 4.0“ wegfallen werden. Daher müssen jetzt die Weichen für eine weitere massive Arbeitszeitverkürzung gestellt werden. Das trägt zum Kampf gegen Arbeitslosigkeit bei, wenn die vorhandene Arbeit auf mehr Menschen aufgeteilt wird. Dass die IG Metall endlich wieder für Arbeitszeitverkürzung kämpft, sollte ein starkes Echo finden, eine breite Solidarität auslösen und anderswo Nachahmung finden.
Seit Jahren staut sich bei abhängig Beschäftigten hierzulande quer durch alle Branchen viel Unmut an. Ein machtvoller Arbeitskampf der großen IG Metall in der größten Branche der Republik kann das Ventil für eine klassenkämpferische Antwort und Gegenbewegung sein, Zeichen setzen und das gesellschaftliche Klima prägen. Ein gemeinsamer Kampf von Arbeitenden unterschiedlichster Herkunft ist die beste Antwort auf die Spaltungsversuche und den Rassismus der Bürgerlichen, Rechten und Ultrarechten. Deshalb tut breitestmögliche Solidarität not! Unterstützen wir die Streikenden durch direkte Besuche und Solidaritätsaktionen.
Daher: Vollstreik jetzt! Finger weg von Kompensationsgeschäften! Mit voller Kraft für die sechs Prozent, die Option auf 28 Stunden und die Angleichung im Osten. Wann, wenn nicht jetzt?
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