Anlass dafür war der 25. Jahrestag des Beginns des Hungerstreiks der Belegschaft des Kalibergwerks in Bischofferode (Eichsfeld/Thüringen) gegen die Schließung ihres Werkes im Jahr 1993 durch die Treuhandanstalt.
1990 wurde die Treuhandanstalt gegründet. Nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik und dem Wahlsieg der CDU/CSU bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl wurde sie eingesetzt, um die bisher staatlichen Betriebe im Osten abzuwickeln. Viele Betriebe wurden geschlossen und es wurden Grundstücke an Käufer aus dem Westen für wenig Geld verscherbelt. Vor 1990 befand sich die DDR hinter der Sowjetunion und Kanada und vor der BRD auf dem weltweiten Kalimarkt an dritter Stelle. Gebiete an der deutsch-deutschen Grenze in Thüringen und Sachsen-Anhalt konnten ein großes Kalivorkommen aufweisen. Im Bereich der industriellen Produktion von Dünger ist Kali ein sehr wertvoller Stoff. Gerade das Kalibergwerk "Thomas Müntzer" in Bischofferode nahe der thüringisch-niedersächsischen Grenze belieferte ganz Europa und darüber hinaus mit Kali und war wichtiger Devisenbringer. Hier befanden sich unter Tage noch riesige Lagerstätten für Jahrzehnte.
Doch nach der "Wende" existierte ein geheimer Kalivertrag, welcher festlegte, dass der Osten keine Chance auf Wettbewerb hatte und die Ost-Bergwerke geschlossen werden sollen. Dahinter steckte der westdeutsche Konzern Kali und Salz (K+S) mit Sitz in Kassel, eine Tochter des BASF-Konzerns. Dieser Vertrag war damals streng geheim und es wurde nicht nur dem Thüringer Bundestagsabgeordneten Wieland Sorge (SPD) der Einblick in diesen Vertrag verwehrt. Erst in den letzten Jahren wurden Inhalte dieses Vertrages an die Öffentlichkeit gebracht.
Den Bergleuten in Bischofferode hatte man seit 1990 versprochen, dass sie durch Modernisierung gute Chancen in der Marktwirtschaft hätten. Doch 1993 fanden sie ihr Bergwerk plötzlich auf der Streichungsliste. Mit Johannes Peine aus Westfalen hatte sich sogar ein Kleinkapitalist gefunden, der bereit war, das Werk zu übernehmen und Geld zu investieren. Dies wurde ihm jedoch verwehrt, da die K+S bestimmt hatte, dass es keine Produktion im Osten geben solle und sie sich auf den Westen konzentrieren würde. Es hieß, Peine würde diesen Deal verderben. Dies zeigt, wie auch Kleinkapitalisten von den großen Monopolen fertig gemacht werden können. Thüringens damaliger Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) beantragte damals bei Kanzler Helmut Kohl, als Entwicklungshilfe mit staatlicher Förderung Kali nach Indien zu schicken, was jedoch gestoppt wurde. Man wollte Bischofferode kaputtgehen lassen und dem Bergwerk keine Chance geben.
Im Frühjahr 1993 begannen sich die Arbeiter zu wehren. Bei einer Demonstration vor der Treuhand-Zentrale in Berlin mischten sich verkleidete Polizisten unter die Arbeiter und es kam zu Handgemengen, damit man behaupten konnte, die Arbeiter seien gewalttätig. Doch wo die Arbeiter auch hingingen, ob bei der Treuhand und beim Bundeskanzleramt, sie stießen gegen eine Mauer. Damals hofften viele noch, dass die CDU, welche die Arbeiter im Osten 1990 noch mehrheitlich gewählt hatten, helfen würde. Diese Illusionen verschwanden schnell. Dies brachte eine Wende im Bewusstsein der Arbeiter. Viele traten am 1. Juli in Bischofferode spontan in den Hungerstreik. Mit Hungerstreiks geht man in der Regel das Risiko ein, dass es Tote gibt, jedoch waren die Arbeiter aufgrund ihrer großen Verzweiflung fast zu allem bereit. Ihre Frauen besetzten das Bergwerk und übernachteten unter Tage. Hilfe leistete damals auch die PDS, welche bis dahin aufgrund als „SED-Nachfolgepartei“ bei vielen Arbeitern in Ostdeutschland verhasst war. Gregor Gysi trat oft in Bischofferode auf und fand ein Echo. Dieses Engagement mit praktischer Hilfe in Bischofferode führte in den 1990er zur Stärkung der PDS im Osten. Im Stich gelassen wurden die Kali-Kumpel von der Gewerkschaft IG Bergbau und Energie, welche sich damals nicht mit dem K+S-Management anlegen wollte und hauptsächlich auf K+S in Hessen und Niedersachsen konzentrierte, wo sie mehr Mitglieder hatte. Der heutige Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (DIE LINKE), organisierte damals als Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft HBV (Handel, Banken und Versicherungen), einem der Vorläufer der ver.di-Gewerkschaft, Solidaritätskomitees. Dies wird ihm in Thüringen noch heute zu Gute gehalten.
Nach 81 Tagen wurde der Hungerstreik beendet. Die Schließung des Werkes und der damit verbundene Arbeitskampf sorgten damals national sowie international für Aufsehen. Die Parole "Bischofferode ist überall" machte damals die Runde. Trotz des starken Einsatzes der Arbeiter und einer internationalen Solidaritätswelle wurde das Kalibergwerk Ende 1993 geschlossen. Der letzte Strohhalm, an den sich die Bergarbeiter klammerten, war der damalige EG-Wettbewerbskommissar Karel van Miert von der belgischen Sozialdemokratie. Man hoffte, dass er die Megafusion der Kalikonzerne Ost und West verhindern und die Sonderprivatisierung an den Investor Peine genehmigen würde. Doch van Miert machte unter massivem Druck des Kapitals einen Rückzieher.
Auch 25 Jahre später bleibt Bischofferode das markanteste Beispiel für viele defensive Klassenkämpfe im Osten in den 1990er Jahren und ein Beispiel für die Deindustrialisierung der ehemaligen DDR durch westliche Konzerne. Bischofferode zeigt, dass der Kapitalismus keine Alternative und der Kampf für Arbeiterkontrolle und sozialistische Demokratie notwendig ist.
Die Doku auf der MDR-Mediathek:
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