Die Gespräche wurden begleitet durch eine kämpferische und laute Demonstration von gut 500 NHG-Streikenden aus den Standorten Saarbrücken und Leipzig, die eigens hierzu nach Frankfurt gereist waren. Die weit über 2000 Streikenden sind fest entschlossen, den Arbeitskampf bis zum „bitteren Ende“ weiter zu führen. Denn seitdem der auf extrem hohe Rendite und ein Auspressen bisher gut florierender Betriebe spezialisierte Prevent-Konzern mit Sitz in Bosnien den Betrieb übernommen hat, sehen sich die Beschäftigten mit ihren Arbeitsplätzen und Zukunftschancen „am Abgrund“.
Weil die Geschäftsleitung den Leipziger Betrieb 2019 komplett schließen will und für das Stammwerk in Saarbrücken ein Tod auf Raten droht, wehren sich die in hohem Maße in der IG Metall organisierten Beschäftigten mit einem unbefristeten Streik, solange sie sich noch mächtig fühlen. Mit dem Arbeitskampf, der offenbar bereits Lieferengpässe bei großen Fahrzeugbauern wie Opel und Deutz-Fahr ausgelöst hat, möchte die Gewerkschaft das drohende Aus der beiden NHG-Standorte verhindern. Sie verlangt einen Sozialtarifvertrag zur spürbaren Abfederung der Folgen möglicher Entlassungen und die Einrichtung einer Qualifizierungsgesellschaft und eines Treuhandfonds, der den Beschäftigten etwa Abfindungen oder Zuschüsse für die Vermittlung in eine neue Stelle zahlen soll. Bei einer Urabstimmung hatten sich im Juni in Leipzig über 98 Prozent und in Saarbrücken knapp 94 Prozent der befragten Gewerkschaftsmitglieder pro Erzwingungsstreik ausgesprochen.
NHG ist eine auf Motorenteile wie Kurbelwellen, Zylinderköpfe und Kurbelgehäuse spezialisierte Gießerei und hat im Saarland eine jahrhundertelange Tradition. Das zu DDR-Zeiten errichtete Metallgusswerk im Leipziger Stadtteil Böhlitz-Ehrenberg übernahm Halberg 1993 im Zuge von Privatisierungen durch die damalige Treuhandanstalt. Die Firma meldete 2009 in Folge der Weltwirtschaftskrise Insolvenz an. Es folgten mehrere Eigentümerwechsel und Lohnopfer der Belegschaft. Anfang 2018 wurde NHG von der Prevent-Gruppe übernommen, die der bosnischen Unternehmerfamilie Hastor gehört und seit den 1990er Jahren etliche Autozulieferbetriebe aufgekauft hat.
„Heuschreckengebaren“
Gewerkschafter bescheinigen Prevent ein klassisches „Heuschreckengebaren“. So habe der Konzern seit 2016 mit Lieferboykotts Großkunden wie VW massiv unter Druck gesetzt, um immense Preiserhöhungen durchzudrücken. Die hohen Gewinne würden dann von Prevent abgeschöpft. „Übrig bleiben Betriebe, die nicht mehr lebensfähig sind“, so die IG Metall.
„Wir lassen nicht zu, dass der Laden leergeräumt wird und ihr mit leeren Taschen dasteht“, rief daher IG Metall-Vorstand Jürgen Kerner bei der Kundgebung vor dem Verhandlungslokal aus. Er warf Prevent Raffgier und ein Geschäftsmodell nach dem Motto „Unternehmen aufkaufen, Geld rauspressen und Betriebe auf dem Rücken der Beschäftigten schließen“ vor.
Die NHG-Arbeiter wissen, dass Prevent mit dieser „Geschäftspolitik“ bereits andere Betriebe der Autozuliefererbranche nahezu ruiniert hat. So sind seit 2016 durch einen gezielten NHG-Lieferboykott und den erbitterten Konflikt mit dem VW-Konzern um Lieferkonditionen zwei sächsische Prevent-Töchter ins Trudeln geraten: der Sitzehersteller Car Trim und der Getriebelieferant ES Guss. Hier sind insgesamt 1300 Arbeitsplätze gefährdet, nachdem VW offenbar andere Zulieferer gefunden hat. Solche Szenarien wollen die NHG-Beschäftigten rechtzeitig verhindern. „Wir werden alles daran setzen, um im Machtspiel zwischen zwei großen Playern nicht zerrieben zu werden“, so der Saarbrücker Betriebsratsvorsitzende Bernd Geier.
So erklärt sich, dass die demonstrierenden Gewerkschafter am Donnerstag im Frankfurter Bankenviertel laut, geschlossen, klassenkämpferisch und kapitalismuskritisch auftraten und viel Solidarität spürten. Die Leipziger IG Metall hatte riesige und unübersehbare Transparente mitgebracht, die klare Botschaften vermittelten. „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, lautete eine Parole aus der Feder von Bertolt Brecht. „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche“, so ein anderes Spruchband in Anlehnung an den lateinamerikanischen Revolutionär Che Guevara. „Eigentum verpflichtet“, so eine weitere, dem Grundgesetz-Artikel 14 entnommene Parole, die auf den von der bosnischen Unternehmerfamilie Hastor geführten Prevent-Konzern abzielte. „Hasta la vista, ihr Zocker“, stand auf einem von Leipziger Arbeitern getragenen Transparent. Und: „Hast du Hastor erst im Haus, gehen bald die Lichter aus“.
Brecht die Macht der Banken und Konzerne!
„So etwas gehört verboten und solchen Anteilseignern gehört der Laden weggenommen“, rief Michael Erhardt von der Frankfurter IG Metall unter Beifall aus. „Mit unserer Solidarität werden wir das Diktat des Kapitals durchbrechen.“ Der Metaller erinnerte daran, dass der frühere Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann mit Renditevorgaben von bis zu 25 Prozent Konzerne wie Prevent in ihrer „Profitgier“ ermutigt habe. „Den Auswüchsen des Kapitalismus muss endlich Einhalt geboten werden“, so seine Forderung. Als der Demonstrationszug die Zentrale der Großbank passierte, erklang die Parole „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ und streckten die Demonstranten ihre Fäuste in die Höhe.
„Wir haben für die Rettung unserer Arbeitsplätze alles getan und jetzt will uns einer kaputt machen“, rief der Saarbrücker NHG-Betriebsrat Mario Vangelista seinen Kollegen zu. „Wir streiken bis zum bitteren Ende“. „Wir lassen uns nicht durch Drohungen vom Hof jagen, sondern kämpfen weiter“, pflichtete ihm eine Kollegin bei. „Mit 54 Jahren habe ich eh keine Chance mehr auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz“, begründete ein Leipziger NHG-Arbeiter seine anhaltende Streikbereitschaft. „Geld ist für uns alle da, holt‘s zurück aus Bosnia“, so der Refrain eines Streiklieds in Anspielung an den Ursprung des Prevent-Konzerns.
Aus Solidarität mit den Streikenden hatten sich viele Gewerkschafter und Delegationen anderer Metallbetriebe aus dem Rhein-Main-Gebiet und Rheinland-Pfalz eingereiht, darunter Abordnungen vom Siemens in Offenbach, PFW Aerospace in Speyer und Mahle in Wölfersheim sowie Absolventen der gewerkschaftsnahen Europäischen Akademie der Arbeit in Frankfurt, also der Nachwuchs für die Gewerkschaftsapparate. In einem Grußwort griff Janine Wissler von der hessischen Linksfraktion den Verweis auf die im Grundgesetz geforderte Sozialbindung des Eigentums auf. „Wir müssen Privateigentum wieder in Frage stellen, wenn Unternehmer diesen Verfassungsartikel mit Füßen treten“, rief sie den Anwesenden zu und forderte ein gesetzliches Verbot von Massenentlassungen bei profitablen Firmen. „Die Politik ist hier gefordert, nicht wegzusehen, sondern klar Stellung zu beziehen“, so Wissler.
Enteignung
Schon in der vergangenen Woche hatte Oskar Lafontaine, Chef der Linksfraktion im Saarländischen Landtag, eine Enteignung von NHG gefordert. „Wer die Arbeitsplätze von 1500 Arbeitnehmern mutwillig zerstört, die Beschäftigten also enteignet, der sollte selbst enteignet werden“, so Lafontaine gegenüber der Saarbrücker Zeitung. Die Prevent-Gruppe habe NHG nur gekauft, „um in ihrem Streit mit VW ein weiteres Druckmittel zu haben“, sagte er. Das Grundgesetz sehe für solche Fälle die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit vor. Dazu genüge ein einfaches Landesgesetz. Wenn es möglich sei, für den Bau einer Straße einen verkaufsunwilligen Kleingartenbesitzer zu enteignen, dann sei es „genauso mit dem Grundgesetz vereinbar, einen Unternehmer zu enteignen, wenn er nachweislich und mutwillig 1500 Arbeitsplätze zerstört“, so Lafontaine.
Die Forderung nach Enteignung ist in der Tat die einzige richtige Antwort auf die Geschäftspolitik von NHG und die Bedrohung aller Arbeitsplätze. Es ist an der Zeit, dass die gesamte LINKE und die IG Metall sich diese Forderung zu eigen machen und dafür in einer breiten Kampagne kämpfen. Auch in der Satzung der IG Metall ist als Ziel der Gewerkschaft die „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“ formuliert. Wann wenn nicht jetzt und bei NHG ist diese Zielsetzung aktuell und dringend geboten. NHG gehört enteignet, in öffentliches Eigentum überführt und unter die demokratische Kontrolle von Belegschaft, Gewerkschaft und Staat gestellt. Als Antwort auf die Überproduktionskrise der Auto- und Straßenverkehrsbranche könnte ein alternativer Produktionsplan helfen, die Produktion in den Betrieben auf umweltfreundliche Verkehrsformen und gesellschaftlich nützliche Güter umzustellen. Worauf warten wir noch?
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