Die Privatisierung der Unikliniken Gießen und Marburg (UKGM) im Jahre 2006 war ein bisher einzigartiges Leuchtturmprojekt der damaligen CDU-Alleinregierung unter Roland Koch. Was wurde damit in den letzten 12 Jahren angerichtet?
Die Rhön-Klinikum AG hatte andere Häuser verkauft, um enorm in das UKGM zu investieren, der Konzern erwartet nun, dass die Mitarbeiter dieses Geld wieder reinholen. Der Hauptgrund allerdings ist das DRG-System, das für alle Einrichtungen gilt, auch staatliche. Kurz gesagt bekommen durch dieses System die Häuser von den Krankenkassen ihre Beträge, es gibt Festbeträge für Behandlungen, aber diese sind so knapp bemessen, dass bei der Absicht, Profit zu erwirtschaften, die Versorgung zwangsläufig schlechter werden muss. Sowohl Pfleger als auch Ärzte sind massiv überlastet, es muss sich um ein Vielfaches an Patienten mehr gekümmert werden als für eine gute Behandlung erforderlich, es leiden also sowohl Patienten als auch die Pflegekräfte darunter.
In der Zwischenzeit hat sich in der Öffentlichkeit die Stimmung gedreht. Im Sommer 2012 unterzeichneten über 1250 Bürger eine Petition an den Landtag zur Rücknahme der Privatisierung. Was ist daraus geworden?
Sowohl beim Land Hessen als auch dem Konzern gibt es keinerlei Absichten diesbezüglich. Der Konzern möchte seine Investitionen wieder reinholen. Und selbst wenn es ein Angebot seitens des Konzerns gäbe, wäre dies für das Land viel zu teuer.
Für den Pflegebereich ist im DGB die Gewerkschaft ver.di verantwortlich. Was tut ver.di am UKGM gegen diese Bedingungen?
Ver.di ist zwar die Organisation, von der wir die meiste Unterstützung erhalten, aber insgesamt ist der Kurs von ver.di viel zu lasch. Es wird sich viel zu schnell zufriedengegeben bei kleinsten Zugeständnissen des Konzerns. Dies führt dazu, dass immer mehr Beschäftigte am UKGM sich nicht mehr von ver.di vertreten fühlen. Die höheren Ebenen von ver.di bestimmen viel zu oft, was lokal gemacht wird. Ich halte die Bundesebene für viel zu beeinflusst von der Politik und Konzerninteressen. Ein weiteres Problem ist, dass sich in unserer Branche nie eine gewerkschaftliche Tradition entwickelt hat.
Du hast bei den Betriebsratswahlen auf der Liste Ratwechsel kandidiert. Was zeichnet diese aus?
Ratwechsel ist eine gemischte Liste seit Mitte der 2000er, in welcher nicht nur ver.di, sondern auch die Ärztegewerkschaft „Marburger Bund“ vertreten ist. Durch die Mischung erhoffen wir uns eine breitere Unterstützungsbasis und eine ausgeglichene Unternehmenspolitik, die alle Berufsgruppen repräsentiert und nicht nur von einer Gewerkschaft dominiert wird. Ein gutes Beispiel für die intransparente Politik von ver.di waren unsere Streiks im April 2017 im Zuge der Tarifverhandlungen Entgelt. Die hohe Streikbereitschaft wurde nicht genutzt, um einen richtigen Kampf für unsere Interessen zu führen. Dies lag an der Politik der höheren ver.di-Ebenen, die welche der SPD-Politik sehr nahe stehen.
Was waren die Ergebnisse der Betriebsratswahl?
Wir konnten als Ratwechsel viele neue Stimmen gewinnen und haben die traditionelle ver.di-Liste sogar fast überholt. Von 5025 Wahlberechtigten gaben 917 ver.di und 850 Ratwechsel ihre Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 35%. Von den 31 Sitzen im Betriebsrat hat ver.di 16 und Ratwechsel die restlichen 15, ein sehr gutes Ergebnis für uns, was auch die Stimmung in der Belegschaft wiederspiegelt. Bisher besaß ver.di eine deutliche Mehrheit
Was sind deine Prognosen für die Zukunft der Pflege?
Sehr pessimistisch. Die enormen Mittel, die nötig sind, um den Verfall des Gesundheitswesens zu stoppen, werden von den aktuell vorherrschenden Entscheidungsträgern der Politik bestimmt nicht in die Hand genommen. Ich glaube, wir stehen knapp vor einem Kollaps der gesamten Pflege.
Wie denken die Kolleginnen und Kollegen über die Politik und die politischen Parteien? Bald ist Landtagswahl in Hessen.
Es ist für viele leider kein großes Thema, die meisten Pflegekräfte sind nicht allzu politisiert. Jedoch scheint es hier in letzter Zeit einen Wandel im Pflegesektor zu geben. Ich glaube, die Zustände sind einfach nur unhaltbar und machen ein Aufstehen alternativlos.
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