„Wir erkennen an, dass Menschen ein Recht zu streiken haben“, erklärte Peter Bellew, Leiter des operativen Geschäfts, dieser Tage bei einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main. Woher kommt dieser Sinneswandel?
Der internationale 24-stündige Pilotenstreik, der am vergangenen Freitag europaweit 400 von rund 2400 geplanten Flügen ausfallen ließ und rund 55.000 Passagiere betraf, war ein historischer Wendepunkt in der über 30-jährigen Geschichte des Unternehmens. Allein in Deutschland wurden als Folge des Streiks der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) 250 Starts abgesagt. In Deutschland hatten 96 Prozent der in VC organisierten Ryanair-Piloten bei einer Urabstimmung für den Arbeitskampf gestimmt. Streikende aus dem gesamten Bundesgebiet trafen sich in Frankfurt zu einer Kundgebung am Main Airport Center. „Ryanair must change“ („Ryanair muss sich ändern“), „Unitebefore Flight“ (Einig vor dem Abflug“) und „Keine Landeerlaubnis für irisches Sozialdumping“ lauteten einige Parolen auf Schildern und Transparenten. Zudem finden nun am Mittwoch, 15. August, in Dublin erstmals Tarifverhandlungen zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dem Ryanair-Management statt.
Ryanair hatte sich seit rund drei Jahrzehnten im Wettbewerb mit den großen, ehemals staatlichen Airlines nach oben geboxt und erzielte in den vergangenen Jahren Profite in Milliardenhöhe. Wenn das Unternehmen gleichzeitig mit sagenhaften Schnäppchenpreisen Kunden anlockt und das Flugticket oftmals billiger ist als die Anfahrt zum Flughafen mit Bus und Bahn, dann muss irgendjemand dafür die Zeche zahlen. Tatsächlich waren Gewerkschaftsbashing, Lohndrückerei, miserable Arbeitsbedingungen in der Luft und am Boden eine systematische Spaltung der Belegschaft und Kostensenkung um jeden Preis stets zentrale Bestandteile des Ryanair-Geschäftsmodells. Um den einst stolzen Pilotenberuf zu erlernen und auszuüben, haben viele junge Männer und Frauen allerhand finanzielle Abhängigkeit, hohe Schulden und prekäre Beschäftigungsbedingungen in Kauf genommen. Zahlreiche europäische Ryanair-Piloten sind Leiharbeiter und Scheinselbstständige, die vom Einkommen ihrer Berufskollegen bei anderen Fluglinien nur träumen können. "Normale" Beschäftigungsbedingungen wie Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung, Urlaubsgeld und Schutz vor willkürlicher Verlagerung der Heimatbasis in ein anderes Land werden ihnen vorenthalten. Vergessen wir indes auch nicht, dass die Masse der Steuerzahler für die öffentliche Subventionierung und Zugeständnisse unterwürfiger Flughafenbetreiber und Politiker aufkommen muss.
Über viele Jahre setzten die Manager in der Dubliner Zentrale darauf, dass sie mit ausgeklügelten Herrschaftsmethoden die bunt und ständig neu zusammengewürfelten internationalen Crews auseinanderdividieren und von klassischen Organisations- und Kampfformen der Arbeiterbewegung abhalten könnten. Nun zeigt sich, dass der anhaltenden Ausbeutung Grenzen gesetzt sind. Immer mehr Beschäftigte in der Luft und am Boden haben die Nase gestrichen voll.
Während sich viele Flugbegleiter in Europa über Einkommen nahe der Armutsschwelle beschweren und manche ihr Gehalt durch das Einsammeln von Pfandflaschen in den Fliegern etwas aufbessern, klagen auch die Piloten darüber, dass sie beim irischen Billigflieger nur etwa halb so viel verdienen wie bei der Lufthansa. Gleichzeitig finden sie hier deutlich schlechtere Rahmenbedingungen im Arbeitsalltag vor. Solche Umstände nähren Unzufriedenheit, Frust und Wut. Mit europaweit über 600 Eigenkündigungen von Piloten, die im vergangenen Jahr nach wenigen Beschäftigungsjahren Ryanair den Rücken kehrten und bei einer anderen Fluggesellschaft angeheuert haben, ist das Unternehmen mit seinen insgesamt rund 4200 Piloten europäischer Spitzenreiter. Bei den Lufthansapiloten tendiert diese Fluktuation gegen Null. Auch viele der von der abgestürzten Fluggesellschaft Air Berlin zu Ryanair übergewechselten Piloten seien schon nach wenigen Monaten wieder ausgestiegen, so ein Insider. Für die bei Ryanair verbliebenen Piloten bedeutet dieser hohe Durchlauf mehr Arbeitshetze und Flexibilität, Druck zum Urlaubsverzicht und massive Unzufriedenheit über mangelnde Menschenwürde und Respekt des Managements im Betriebsalltag.
Historisch am „Schwarzen Freitag“ für O’Leary war sicherlich auch die Tatsache, dass gleichzeitig auch in Belgien, den Niederlanden, Irland und Schweden Piloten in den Streik traten. Dies hatten die Pilotengewerkschaften so abgestimmt. Sie haben die Gunst der Stunde erkannt und wissen, dass die sommerliche Hauptreisezeit der optimale Augenblick ist, um wirksam Druck auszuüben. Streiks sollen keine Operette sein, sondern richtig wehtun.
Damit schwindet die Hoffnung des Ryanair-Managements, einen Arbeitskampf in einem Land durch eingeflogene Streikbrecher aus anderen Ländern zu unterlaufen. Auch in Italien, Spanien und Portugal hatten in den vergangenen Wochen Arbeitskämpfe den Unmut der Piloten und anderer Ryanair-Beschäftigter ausgedrückt. Aus Sicht von Peter Scherrer, Vizegeneralsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB), ist der länderübergreifende Streik ein ermutigendes Zeichen für alle transnationalen Unternehmen, in denen Beschäftigte bisher „gegeneinander ausgespielt werden“. Unterstützung für den VC-Streik signalisierte auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Die Flugbegleitergewerkschaft UFO solidarisierte sich mit dem „mutigen Schritt der Pilotinnen und Piloten“ und kündigte für ihre Sparte „eine harte, aber konstruktive Tarifauseinandersetzung“ an. „Ryanair muss endlich akzeptieren, dass die Zeit der Schreckensherrschaft und Willkür endet. Wir haben uns europaweit organisiert und werden nicht eher nachgeben, bis Ryanair sich endlich an geltendes Recht und Gesetz hält”, erklärte UFO-Tarifexperte Steffen Frey. Der Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser (LINKE) bezeichnete den VC-Streik als Chance, um eine zerstörerische Negativspirale und eine um sich greifende Dumpingstrategie in der Luftfahrt zu stoppen. Er forderte die Bundesregierung auf, Start- und Landerechte für Airlines an die Einhaltung sozialer und arbeitsrechtlicher Mindeststandards und gewerkschaftlicher Rechte zu knüpfen.
Ryanair hatte sich vor rund zwei Jahrzehnten erstmals von den Britischen Inseln auf das europäische Festland ausgebreitet und dabei zunächst Flughäfen mit vergleichsweise niedrigen Gebühren und hohen öffentlichen Subventionen ausgesucht. So wurde der ehemalige Militärflughafen Hahn (Hunsrück) zum ersten deutschen Stützpunkt und Drehkreuz im internationalen Flugplan. Bald kamen neben traditionellen Airports wie Bremen oder Berlin-Schönefeld auch andere ehemalige Militärflächen wie Weeze (Niederrhein) oder Memmingen (Bayern) hinzu. Dass Ryanair nach wenigen Jahren Flughäfen wie Altenburg (Ostthüringen) wieder aufgab, nährte Kritik am „Heuschreckengebaren“ der irischen Konzernmanager.
Inzwischen ist der zentral gelegene Frankfurter Rhein-Main-Flughafen, den der irische Billigflieger erst seit März 2017 anfliegt, mit zehn stationierten Maschinen der wichtigste deutsche Ryanair-Stützpunkt, gefolgt von Berlin-Schönefeld, Weeze, Köln-Bonn und Hahn. Gerade am Frankfurter Flughafen hätten der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport und die hessische Landesregierung „Billig-Airlines wie Ryanair durch Rabatte und schnellere Abfertigungszeiten den roten Teppich ausgelegt“, so der Frankfurter Stadtverordnete Michael Müller (LINKE) in einer Solidaritätserklärung an VC. Die verstärkte Präsenz von Ryanair auf Rhein-Main geht offensichtlich zu Lasten des rund 100 km westlich gelegenen Flughafens Hahn, der einst von der rheinland-pfälzischen Landesregierung als Erfolgsstory gelungener Konversion von Militärflächen gefeiert wurde, inzwischen aber seine Glanzzeiten hinter sich gelassen hat und sinkende Passagierzahlen verzeichnet.
Dumpingdruck, Prekarisierung, Liberalisierung und Privatisierung machen allen Beschäftigten der Luftfahrt zu schaffen – von den Piloten bis zu den Niedriglöhnern in den Bodendiensten und bei der Reinigung. So haben in den vergangenen Jahren bereits viele Streiks einzelner Berufsgruppen große Flughäfen wie den Frankfurter Rhein-Main-Flughafen vorübergehend lahmgelegt – ein sichtbares Zeichen dafür, dass der Klassenkampf aktueller denn je ist und die arbeitende Klasse tatsächlich den Verkehr lahmlegen und Druck ausüben kann. Jetzt kommt es darauf an, dass alle Beschäftigten und Gewerkschaften an einem Strang ziehen und sich gemeinsam wehren.
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