Kategorie: Kapital und Arbeit

Der lange Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau

Mit der Schließung der Zechen Prosper-Haniel (Bottrop) und Ibbenbühren (NRW) ging am 21. Dezember 2018 in Deutschland die Ära der Steinkohleförderung und ein starkes Stück Arbeiterbewegung zu Ende. Eine Branche, die einst Grundlage für kapitalistischen Wirtschaftsaufschwung und Kriege war, erlebte in den letzten 50 Jahren ihren Niedergang. Der Ausstieg aus der Steinkohle wurde jahrzehntelang durch Subventionen von der Politik gefördert und mitgetragen. Was lernen wir daraus?


Schon zur Zeit der Römer und im Mittelalter war die Steinkohle ein viel genutztes Heiz- und Wärmemittel. Doch die moderne Montanindustrie nahm ihren Anfang im 18. Jahrhundert in England. Durch die Erfindung der Dampfmaschine kam der Bergbau in Gang, wodurch die damals jenseits des Ärmelkanals stattfindende Industralisierung beschleunigt wurde. Wichtige internationale Steinkohlereviere für den Bergbau in Europa, welcher nun auch neben Großbritannien in Frankreich und Belgien betrieben wurde, waren Lothringen, Nordfrankreich, Belgien, Wales und Nordengland. Die Entwicklung der Montanindustrie war die Grundlage für den Aufstieg Großbritanniens zur führenden Welt- und Wirtschaftsmacht. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde schließlich auch Deutschland von der Industrialisierung erfasst, für die auch hier der Bergbau ausschlaggebend war. Die Jagd der Kapitalisten nach dem „Schwarzen Gold der Ruhr“ schuf binnen weniger Jahre nun auch das Bergarbeiterproletariat in Deutschland, welches sich zu Beginn aus Bauern, Handwerkern und ungelernten Arbeitern rekrutierte. Dies betraf Regionen mit hohem Steinkohlevorkommen wie das Ruhrgebiet, das Saarland, das Rheinland und Westfalen, aber auch Sachsen und Oberschlesien, welche zu riesigen Industriezentren heranwuchsen. Große Zechensiedlungen entstanden und ganze Städte wurden von der rasant wachsenden Kohle- und Stahlindustrie abhängig.

Ende des 19. Jahrhunderts diente Steinkohle als Erzeuger von Strom und Gas, aber auch durch Verbrennung zur Produktion von Stahl. Auch die Erfindung der Eisenbahn hatte den Bergbau und die Industrialisierung stark voran gebracht. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert wurde Großbritannien erstmals von Deutschland in der Stahlproduktion überholt. Dieser Wirtschaftsboom zog auch Arbeitsmigranten aus Polen und Masuren in die Bergbauregionen Deutschlands und Frankreichs. Während die Profite der Kohle- und Stahlmagnate wie Krupp, Haniel etc. stiegen, wuchs auf der anderen Seite das Elend der Bergarbeiter, welche gefährlichen und unsicheren Arbeitsbedingungen ausgesetzt waren. Dies brachte den Arbeiterparteien und den sozialdemokratisch geprägten Freien Gewerkschaften in Deutschland und anderen Ländern starken Zulauf durch Bergarbeiter. 1889 gab es im Ruhrgebiet in Preußen das erste Mal eine größere Streikbewegung der Bergleute. Sie wurden ein wichtiger Teil der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung.

Am 10. März 1906 ereignete sich in Courrières in Nord-Pas-de-Calais (Nordfrankreich) ein international viel beachtetes Grubenunglück, welches durch eine Kohlestaubexplosion ausgelöst wurde und dem 1.099 Menschen zum Opfer fielen. Die Grube, in der viele Bergarbeiter eingesperrt waren, füllte sich mit Gas. Solidaritäts- und Hilfskomitees von Bergleuten aus dem Ruhrgebiet kamen mit moderner Ausrüstung ihren französischen Kollegen zur Hilfe. Und dies in Zeiten, in denen die Kriegsgefahr zwischen Deutschland und Frankreich sehr hoch war. So wurde die Hilfsaktion in Deutschland von der herrschenden Klasse für die kaiserliche Propaganda ausgeschlachtet. Der Regisseur Georg Wilhelm Pabst brachte das Ereignis 1931 in dem deutsch-französischen Spielfilm Kameradschaft auf die Kinoleinwand. In dem Film appellierte er angesichts der Weltwirtschaftskrise und des Aufstiegs des Faschismus an die internationale Solidarität der Arbeiterklasse.

Sozialisierung wurde abgeblockt

Nach dem Ersten Weltkrieg, für welchen Steinkohle die Energiebasis war, und der Novemberrevolution 1918 kam es im Ruhrgebiet 1919 zu einer Streikwelle für die Sozialisierung der Bergbauindustrie, welche die Arbeiter damals von der SPD forderten. Doch die SPD-geführte Reichsregierung verschob die geplante Sozialisierung auf den Sankt Nimmerleinstag. Als Reaktion auf den Kapp-Putsch kam es im März 1920 vor allem auch an der Ruhr zu Erhebungen. Bewaffnete Arbeiter bildeten die „Rote Ruhrarmee“, welche bis zu 50.000 Mann umfasste und innerhalb von zwei Wochen weite Teile des Ruhrgebietes einnahm. Doch nach dem mit der Regierung geschlossenen "Bielefelder Abkommen", kam es zur gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes durch die Reichswehr und faschistischen Freikorps-Einheiten. 1923 erfolgte die französische Ruhrbesetzung und Verwaltung des Saarlandes durch Frankreich. Wie schon das Deutsche Kaiserreich nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 das von Kohle- und Stahlindustrie geprägte Elsass-Lothringen annektiert hatte, so besetzte nun der französische Imperialismus zwei große „Kohlepotte“ in Deutschland. Die Arbeiter an der Ruhr traten in den Generalstreik, welcher die Kohleförderung und Verkehr zum Erliegen brachte. Auch der deutsche Bergbau wurde von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen: Während im Zuge des Nachkriegsbooms in den späten 1920er Jahren noch drei Millionen Kumpel in der Steinkohleindustrie beschäftigt waren, gingen bis 1932 400000 Arbeitsplätze im Ruhrbergbau verloren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, welcher wie das Hitlerregime von Kohle- und Stahlmagnaten aktiv unterstützt und mitgetragen wurde, stand im deutschen Steinkohlebergbau die Eigentumsfrage wieder auf der Tagesordnung. In Frankreich und Großbritannien war es nach dem Krieg zu Verstaatlichungen von Zechen und Gründung nationaler Kohlebehörden gekommen. Jedoch wurde auch in Westdeutschland wieder die Enteignung von Kohle- und Stahlbarone vertagt. Im Nachkriegsaufschwung des westdeutschen Kapitalismus war die Steinkohle von zentraler Bedeutung und Energieträger für Kraftwerke, Schwerindustrie, Eisenbahn und Heizung. Statt der geforderten Sozialisierung kam es 1951 zum Weichenstellung über die „Montanmitbestimmung“ als Einstieg in die Sozialpartnerschaft im westdeutschen Bergbau. 1952 war die „Montanunion“, in der Westdeutschland, Frankreich und Belgien ihre Kohle- und Stahlbranche koordinierten, der Beginn des europäischen Einigungsprozesses auf kapitalistischer Basis. 1956 produzierten an der Ruhr knapp 500.000 Bergleute rund 125 Millionen Tonnen Steinkohle. Das boomende Ruhrgebiet zog Arbeitssuchende aus allen Himmelsrichtungen an. Jedoch nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch im Saarland und im Aachener und Ibbenbürener Revier florierte die Kohle- und Stahlindustrie. Auch Sozialeinrichtungen, Werkswohnungen in Zechensiedlungen und kostenfreie Deputatskohle für die private Heizung hielten die Kumpel bei der Stange.

Waren in den 1950er Jahren rauchende Schlote das Symbol des deutschen „Wirtschaftswunders“
gewesen, so hatte der Kapitalismus ab 1958 mit der Kohlekrise zu kämpfen. Billigere Kohle von anderen Kontinenten und andere Energiequellen wie Gas, Atomkraft oder Erdöl verdrängten die Steinkohle auf dem europäischen Markt. Auch kamen im Ruhrgebiet erste Umweltprobleme zum Vorschein. „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“, forderte der SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt im Bundestagswahlkampf 1961.

Kämpferische Kumpel

Durch die Krise kam es erstmals zur Stilllegung von rund 100 Zechen in den 1960er Jahren. Das Zechensterben wurde von der Politik durch sogenannte „Stilllegungsprämien“ aktiv mitgetragen. Mit dem ersten Wirtschaftsabschwung in der Nachkriegszeit 1966 wurden Pläne für weitere Zechenschließungen aus der Schublade geholt. Dies löste bei den Kohle-Kumpel Wut und Existenzängste aus. Sie waren selbstbewusst und gut organisiert und wollten nicht so mit sich umgehen lassen. Bei einer Urabstimmung der IG Bergbau und Energie (IGBE) im Juni 1966 befürworteten 90 Prozent der befragten Mitglieder einen Streik für Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzung. „Wenn es an der Ruhr brennt, gibt es im Rhein bei Bonn nicht genug Wasser, das Feuer zu löschen, auch wenn man die Donau hinzunimmt“, kommentierte der damalige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rainer Barzel die Situation. Nach Zugeständnissen der Unternehmer wurde der Streik in letzter Sekunde abgeblasen.

Dies fiel zusammen mit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (NRW) im Juni 1966. Kurz darauf wurde die SPD in die Bundes- und Landesregierung gespült. Doch dem anhaltenden Zechensterben konnten auch die neuen SPD-Minister wenig entgegensetzen. Dies trieb die Radikalisierung der Arbeiter voran. Im Mai 1967 protestierten 35.000 Arbeiter in Oberhausen gegen die Schließung der Zeche „Concordia“
. Die Transparente der Demonstranten forderten eine Überführung des Bergbaus in Gemeineigentum. Im Oktober 1967 protestierten in Dortmund 15.000 Arbeiter mit roten Fahnen gegen anhaltende Schließungen. Um eine soziale Explosion im Ruhrgebiet zu verhindern und das Heft in der Hand zu behalten, sah sich die Regierung gezwungen zu handeln. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) stellte sich „wendig an die Spitze der verbitterten Grubenarbeiter“, wie der Spiegel damals schrieb, und ging mit dem Management der Gelsenkirchener Bergbau AG ins Gericht: „Es war politisch-psychologisch ein Riesenfehler, das Streichholz brennend in den Heuhaufen der Ruhr zu werfen.“ Die Spitzen von SPD und IGBE sahen ihre Mission darin, die soziale Explosion zu verhindern und den Niedergang des Steinkohlebergbaus auf sozialpartnerschaftliche Weise zu strecken. Anstatt die Bergbauindustrie zu verstaatlichen und unter Arbeiterkontrolle zu stellen, kam es 1968 zur Gründung der Ruhrkohle AG (RAG), welche 80 Prozent des Bergbaus beherrschte und in die alte Bergwerkseigentümer ihr Vermögen einfließen ließen und so ihre Schulden loswurden. Von Beginn an wurde der neue Steinkohlekonzern durch die Zahlung von Milliardensubventionen für den Bergbau gestützt. Entlassene Bergarbeiter fanden zunächst in der Regel anderswo wie in der Auto-, Metall- und Stahlindustrie Arbeit. Ältere wurden mit einer Regelung für einen früheren Renteneintritt im Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit dem Titel „Rente für Bergleute“ aufgefangen. Mit dem Kohlepfennig wurde 1975 ein Zuschlag auf den Stromtarif eingeführt. Durch diesen wurde bis 1995 die Steinkohle von den Verbrauchern subventioniert.

Jedoch war die Kohleindustrie in den nächsten Jahrzehnten von einem starken Niedergang und einer Deindustrialisierung der Regionen geprägt. 1984 gab es in Deutschland nur noch 34 Zechen und 170.000 beschäftigte Bergleute. In Großbritannien setzte die konservative Regierung unter Margaret Thatcher damals auf einen harten Bruch mit der kämpferischen Bergbaugewerkschaft National Union of Mine Workers (NUM) und ordnete die Schließung staatlicher Zechen an. Gegen diese Provokation trat 1984 die NUM in den Streik. Der Streik, welcher von der deutschen IGBE nicht unterstützt, sollte ein Jahr lang dauern und am Ende verloren gehen. In Deutschland fand ein derart harter Bruch nicht statt: Hier sollte der Niedergang weiterhin durch Sozialpartnerschaft und Einbindung von SPD und Gewerkschaften gestreckt und abgefedert werden.

Zu einem letzten größeren Aufbäumen der Bergarbeiter, welche noch einmal Stärke und Selbstbewusstsein zeigten, kam es im Frühjahr 1997, als die Regierung Kohl voreilig und plötzlich die Kohlesubventionen drastisch kürzen wollte. Tausende Kohle-Kumpel aus dem Ruhrgebiet und Saarland belagerten tagelang das Bonner Regierungsviertel. Vertreter von SPD und Grünen und IGBE riefen zur Mäßigung und zur Heimkehr auf. Im selben Jahr ging die IGBE schließlich in die neugegründete DGB-Gewrkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) auf – ein Hinweis darauf, dass der Steinkohlebergbau über die Jahre an Bedeutung verloren hatte.

2004 wurde in Frankreich die letzte Zeche geschlossen, 2015 die letzte in Großbritannien. 2007 beschloss auch die damals im Bund regierende Große Koalition den Steinkohleausstieg in Deutschland und als Datum für das Ende des Steinkohlebergbaus wurde 2018 festgelegt. Als die EU-Kommission 2010 den Kohleausstieg von 2018 auf 2014 vorziehen wollte, protestierten noch einmal deutsche Bergarbeiter in Brüssel, woraufhin es beim Ausstieg 2018 blieb. Im Saarland war bereits 2012 Schluss.

Mit der Schließung der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop, wo 2018 noch 2600 Kumpel arbeiteten und 1,5 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert wurden, geht in der Tat eine Ära zu Ende. Diese historische Zäsur ist allerdings nicht dem Druck von Umwelt- und Klimaschützern und Kohlekritikern geschuldet. Denn nach wie vor befeuern anstelle des heimischen „schwarzen Goldes“ große Mengen importierter Steinkohle aus Russland, Südafrika, Nordamerika, Kolumbien, Polen oder Australien deutsche Kraftwerke. So bleibt der Niedergang des Steinkohlebergbaus ein wichtiges Lehrstück und bekräftigt unsere Forderung nach einer demokratischen und sozialistischen Planwirtschaft, welche an den Interessen von Mensch und Umwelt orientiert ist und den Beschäftigten Umschulungen, Arbeitsplätze und soziale Absicherung garantiert. Dies gilt auch für den uns bevorstehenden Braunkohleaustieg.

Während viele ehemalige Bergarbeiter in Steinkohlezechen etwa durch frühzeitigen Renteneintritt vor dem Absturz in Hartz IV verschont blieben, galten die Zugeständnisse nicht für die Zulieferindustrie. So ist speziell das Ruhrgebiet nach wie vor vom Niedergang der Montanindustrie und hoher Arbeitslosigkeit und wachsender Armut gebeutelt. Christian Woltering vom Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW warnt deshalb vor einer wachsenden Armutsgefährdung an der Ruhr und fordert mehr Investitionen. Die Bergbaulöhne seien noch auskömmlich gewesen, während viele neu geschaffene Stellen nicht mehr zum Lebensunterhalt reichten, so Woltering.

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