„Fast alle, die wir aufgerufen haben, waren heute auf der Straße vor ihren Betriebshöfen. Die Busse standen weitgehend still, die Stimmung unter den Fahrern ist entschlossen“, erklärte Streikleiter und ver.di-Sekretär Jochen Koppel am Dienstagmittag.
Erst in der vergangenen Woche hatten sich bei einer Urabstimmung der Gewerkschaftsmitglieder rund 99 Prozent der Befragten für den Arbeitskampf ausgesprochen. 75 Prozent hätten hierfür laut Satzung genügt. Bestreikt werden Busunternehmen, die im Landesverband der Hessischen Omnibusunternehmen (LHO) organisiert sind. In monatelangen Gesprächen hatte ver.di für die Fahrer in Hessen Einstiegslöhne gefordert, die bereits etwa in Baden-Württemberg und Sachsen für Linienbusfahrer gelten. Verlangt wird eine Erhöhung des Grundgehalts von derzeit 13,50 Euro auf 16,60 Euro pro Stunde rückwirkend ab 1. April 2019 sowie 30 Tage tariflicher Jahresurlaub. Zudem fordert ver.di die vollständige Bezahlung von fahrplanbedingten Pausen und Wendezeiten für die Fahrer.
Demgegenüber will der LHO den Stundenlohn in kleinen Stufen erst ab Juli 2022 auf 15,60 Euro anheben. Die ver.di-Tarifkommission lehnte dieses Angebot ab. Der von ver.di gemeldete starke Mitgliederzulauf in den Busunternehmen und das eindeutige Votum in der Urabstimmung sprechen eine klare Sprache. Bei den Fahrern, die in Schichtarbeit einen kräftezehrenden, aufreibenden und verantwortungsvollen Job am Lenkrad ausführen, hat sich viel Unmut und Frust angestaut. Sie wollen gegenüber Baden-Württemberg und Sachsen nicht zweite Klasse sein. Über die im Manteltarifvertrag festgeschriebenen Arbeitsbedingungen, also etwa Urlaubsanspruch, wolle der LHO gar nicht reden, beklagt Jochen Koppel.
Der LHO war traditionell ein Verband privater Reisebusbetriebe. Seine Aufwertung als maßgeblicher Arbeitgeberverband für den Linienbusverkehr in Hessen mit derzeit 229 Mitgliedsunternehmen ist eine Folge von Privatisierungen und Lohndumping. Längst vergangen sind die Zeiten, da die Beschäftigten öffentlicher, kommunaler Verkehrsbetriebe auch nach den Tarifverträgen für den Öffentlichen Dienst entlohnt wurden. Seit der Jahrtausendwende führte die damalige hessische Landesregierung des CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch den Wettbewerb und Zwang zur Ausschreibung von Linien im öffentlichen Nahverkehr und zur Vergabe an den preisgünstigsten Anbieter ein. Damit wurde die Gründung von Billigtöchtern angestammter kommunaler Verkehrsbetriebe ausgelöst. Gleichzeitig drangen große internationale Verkehrskonzerne mit ihren Ablegern vor und kauften einzelne Familienbetriebe auf. So gehören heute Busbetriebe in kommunaler und privater Hand ebenso wie der hessische Ableger des weltumspannenden Transdev-Konzerns und die Deutsche Bahn-Tochter DB Regio Bus Mitte GmbH zu den LHO-Mitgliedern. Im mittelhessischen Gießen haben die Stadtwerke ihre Fahrer nach ver.di-Angaben „beurlaubt“ und dem LHO-Tarif zugeordnet.
Vom Arbeitskampf ausgenommen ist unter anderen ESWE Verkehr, der kommunale Busbetreiber in der Landeshauptstadt Wiesbaden. Hier gilt für die Beschäftigten nicht der LHO-Tarif, sondern das Tarifvertragswerk für den Öffentlichen Dienst. Wiesbaden war gleich nach der Jahrtausendwende ein Vorreiter und Versuchskaninchen für die Ausgründung und Schaffung eines Niedriglohnbetriebes im Sinne Roland Kochs. Doch dies schuf beispielloses Chaos, unendliche Reibungsverluste, Spannungen, viel böses Blut und jahrelange Kämpfe, an deren Ende die Busbetriebe wieder unter einem Dach vereinigt wurden.
Jochen Koppel erwartet auch von der hessischen Landesregierung und deren Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) eine Reaktion auf den Streik. „Der Minister sollte nicht nur E-Busse und Brennstoffzellenbusse propagieren, sondern eingreifen und dafür sorgen, dass den Fahrern endlich Wertschätzung gezeigt wird und der gesellschaftliche Stellenwert zuteil wird, den sie verdienen.“
Streiken ist kein Zuckerschlecken und die Streikenden brauchen jede mögliche Unterstützung und Solidarität, zumal der Streik unbefristet ist und Wirkung zeigt. LHO, Medien, Kapital und Politik werden sich über eine „völlig unnötige Eskalation“ aufregen und Stimmung gegen die Streikenden schüren. Umso wichtiger sind Solidaritätsstreiks, Besuche und Zuspruch aller Art. Der Streik kann auch den Druck erhöhen, um den Ausschreibungs-, Wettbewerbs- und Privatisierungswahnsinn im Personennahverkehr und anderen Bereichen der Daseinsvorsorge zu stoppen und rückgängig zu machen. Er kann anderen schlecht bezahlten Beschäftigten Mut machen und zeigen, dass ohne die arbeitende Klasse in diesem Land nichts läuft und alle Räder stillstehen.
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