Kategorie: Kapital und Arbeit

Corona und Wirtschaftskrise zeigen: Eisenbahnen gehören in staatliche Hand und unter demokratische Kontrolle

Wenige Tage Corona-Pandemie und der Beginn einer Weltwirtschaftskrise zeigen aller Welt, dass die Bahnprivatisierung in Großbritannien nach gut 25 Jahren krachend gescheitert ist.


Anfang vergangener Woche berichteten manche Medien fälschlicherweise von einer "Wiederverstaatlichung" des privat organisierten und voll von der Krise erfassten Eisenbahnbereichs in Großbritannien, dem Mutterland der Bahnprivatisierung. Tatsächlich musste der britische Premier Boris Johnson auf seine Weise eingestehen, dass die jahrzehntelange Politik der Bahnprivatisierung gescheitert ist. So zwingt die Corona-Krise die konservative Regierung in Großbritannien zu weitgehenden staatlichen Eingriffen.

Nach 25 Jahren Bahnprivatisierung steht die Regierung in London nun vor einem Scherbenhaufen. In Großbritannien wurde in den 1990er Jahren die alte Staatsbahn British Rail von der konservativen Regierung unter John Major filitiert und in Einzelteilen privatisiert. Es war der Auftakt für eine europaweite Welle der Privatisierungen und der Liberalisierung, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich weit reichte. Gemäß der neoliberalen Auffassung, der Markt soll es richten, wurden Infrastruktur und Bahnbetrieb durch öffentliche Ausschreibungsverfahren in die Hände von privaten Betreibern gelegt. Dies hatte katastrophale Folgen für Beschäftigte, Kunden, Service, Infrastruktur und Umwelt. Eine Wiedervertstaatlichung und Zusammenfügung des fragmentierten Eisenbahnwesens, wie es Gewerkschaften und Labour Party verlangen, wird heutzutage von rund zwei Dritteln der britischen Bevölkerung befürwortet.

Doch wer sich nun etwas voreilig über eine perfekte Wiederverstaatlichung der Eisenbahnen freut, sollte genauer hinsehen. Bei näherer Betrachtung wurden die britischen Privatbahnen nämlich nicht aufgekauft oder gar enteignet, sondern in einem durch die Krise erzwungenen Akt und faktisch in ihrem eigenen Interesse an die Leine gelegt. Tatsächlich hat das Verkehrsministerium die bisherigen Franchise-Vereinbarungen mit privaten Bahnen über ihre Verkehrsleistungen suspendiert. Gleichzeitig wurde mit diesen Firmen eine “Notfallvereinbarung” abgeschlossen. Demnach sollen sie für zunächst sechs Monate den Personenverkehr weiterbetreiben und können in dieser Zeit alle Einnahmen und Kosten dem Staat überschreiben. Dafür erhalten sie vom Staat öffentliche Subventionen, eine sogenannte Managementgebühr.

"Die gleichen Zusagen, die die Regierung den privaten Betreibern gegeben hat, müssen auch für die Beschäftigten gelten. Ihre Gesundheit, ihre Sicherheit und ihr Lebensunterhalt müssen erste Priorität haben", fordert Generalsekretär Mick Cash von der Transportgewerkschaft RMT. Arbeitsplätze, Löhne und Renten müssten für alle gesichert werden, so der Gewerkschafter. "Der reduzierte Bahnbetrieb muss auf eine Rückkehr zur Normalität vorbereitet sein. Dazu werden die Kenntnisse aller Beschäftigten gebraucht", betont Cash.

Hintergrund dieser drastischen Maßnahme ist der Fahrgastrückgang infolge der Corona- und Wirtschaftskrise. Da viele Menschen zu Hause blieben und Touristenströme schlagartig versiegten, rutschten Umsätze und Aktienkurse über Nacht in den Keller. Nun steht der Staat für unternehmerische Risiken und Defizite und die Aufrechterhaltung des Personenverkehrs gerade. Schließlich gibt es nach wie vor Pendler, die auch in Coronazeiten in essenziellen Branchen arbeiten und ihren Job nicht vom Homeoffice aus erledigen können. Nachdem die Privaten mit Staatsknete jahrelang üppige Gewinne einfuhren, werden ihre Verluste jetzt sozialisiert. "Dies ist keine Verstaatlichung, sondern eine massive staatliche Subventionierung privater Konzerne. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert", betont Rob Sewell von unserer britischen Schwesterzeitung Socialist Appeal.

Wenn Konservative wie Johnson und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Krisenzeiten notfalls auch Verstaatlichungen für denkbar halten, dann haben sie keinesfalls ihr Herz für staatliche Daseinsvorsorge entdeckt. Es geht es ihnen immer um die Sanierung angeschlagener privater Unternehmen und spätere Privatisierung. Und weil er nicht zulassen konnte, dass insolvente Bahnen den Betrieb ganz einstellen und so die Infrastruktur teilweise kollabiert, sah sich Premier Johnson zum Eingreifen gezwungen. So verstaatlichte die konservative britische Regierung unter Edward Heath 1971 den angeschlagenen Motorenhersteller Rolls Royce. Die konservative Premierministerin Margaret Thatcher privatisierte die Firma 1987. Ein von CDU/CSU und SPD vorangetriebener Börsengang der Deutschen Bahn AG (DB) wurde aufgrund der letzten Wirtschaftskrise im Oktober 2008 in letzter Minute gestoppt.

Ähnliche Szenarien wie in Großbritannien könnten sich in den kommenden Wochen und Monaten auch in anderen Ländern abspielen, in denen Privatbahnen operieren. Die aktuellen Entwicklungen im britischen Eisenbahnsektor können auch für Deutschland sehr lehrreich sein. Denn hierzulande haben inzwischen im Regional- und im Güterverkehr private Bahnen der DB – einer Aktiengesellschaft, die sich zu hundert Prozent im Bundesbesitz befindet – rund 40 Prozent Marktanteil entrissen.

Flixtrain pausiert und schickt die Kunden zur DB

Einen Vorgeschmack darauf, dass auch deutsche Privatbahnen ins Wanken geraten könnten, lieferte jüngst eine Meldung von Flixtrain und DB. Die Privatbahn Flixtrain und die Konzernschwester Flixbus (beide unter dem Dach von Flixmobility) haben demnach den Betrieb bis Ende April komplett eingestellt. Wer bereits ein Flixtrain-Ticket gebucht hat, kann damit nun DB-Fernzüge benutzen, die ebenso wie DB-Regionalzüge und DB-Busse weiterhin unterwegs sind, um ein Mindestangebot an Verkehrsinfrastruktur aufrecht zu erhalten. Somit springt nun wieder die bundeseigene DB für den Ausfall der privaten Konkurrenz ein. Dabei dürfte bei den Flixtrain-Managern weniger die Sorge um die Gesundheit der Beschäftigten in den Subunternehmen, sondern vielmehr die Sorge um schrumpfende Einnahmen und Profite durch Fahrgastausfall ausschlaggebend sein – ein Hinweis darauf, dass das Eisenbahngeschäft langfristig angelegt ist und kurzfristige Renditeerwartungen kontraproduktiv wirken.

Privatisierungsgegner können allerdings aus all diesen Entwicklungen Honig saugen, weil ihre jahrelangen Warnungen berechtigt waren und Privatisierungen sich in der aktuellen Krise als Fiasko erweisen. Die Privatisierung war ein gigantischer und teurer Fehlschlag. Die Forderung nach einer echten Wiederverstaatlichung aller privatisierten Bereiche des Verkehrswesens und demokratischen Kontrolle durch die Beschäftigten und Allgemeinheit gehört jetzt global auf die Tagesordnung.

 

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