Die Geschäftsleitung hingegen beobachtete die Aktion hinter dem Eingang des Betriebsgeländes und stand dabei eng zusammen ohne Mundschutz und ohne auf die im Rahmen der Corona-Pandemie vorgegebenen Abstandsregelungen Rücksicht zu nehmen. Darauf wies der Streikleiter Carlos Gil von der IG Metall Allgäu per Megaphon sehr laut und ironisch hin.
Die Stimmung unter den Streikenden ist gut. Die Kampfbereitschaft ist ungebrochen. Die Betriebsratsvorsitzende Birgit Dolde stellte klar: „Die Beschäftigen sind nicht bereit einfach aufzugeben, weil ein milliardenschweres Unternehmen aus Profitgründen den Betrieb schließen will. Die Solidarität der Bevölkerung in Sonthofen und darüber hinaus ist unwahrscheinlich groß.“
Der Betrieb mit seiner selbstbewussten Belegschaft hat eine lange Tradition, die vor 500 Jahren mit der Verhüttung von Eisenerz begann. Darum nennt der Volksmund den Betrieb die „Hütte“. Die streikenden „Hüttler“ erfahren aus der Bevölkerung große Solidarität. Rentner und Rentnerinnen kommen vorbei und bringen Lebensmittel mit, andere überreichen kleinere Geldspenden.
In dem Werk wurden bisher vor allem große Spezialgetriebe etwa für Ölplattformen, Turbinen und Kraftwerke in aller Welt hergestellt. Der Betrieb gehörte über lange Jahre zur Bayerischen Berg-, Hütten- und Salzwerke AG (BHS), also zu einem Konzern, der sich ursprünglich zu 100 Prozent im Besitz des Freistaats Bayern befand und erst in den 1990er Jahren privatisiert wurde. 2007 wurde der Sonthofener Betrieb an den Voith-Konzern verkauft.
Die Arbeiter und Arbeiterinnen sind hoch qualifiziert, gewerkschaftlich sehr stark organisiert und kampfbereit. Von den Streikposten an den Toren erfährt man die interessantesten Dinge in Sachen Klassenkampf. Vor einigen Tagen schickte das Management der Firma Taxiunternehmen aus. Per Taxizustellung wurden 200 Leute mit Extraprämien zum Streikbruch aufgefordert. Ihnen bot man dafür eine spezielle Prämie an. Ein Arbeiter meinte grinsend: „Offensichtlich trauen sie nicht einmal mehr den normalen Postzustellern im Rahmen ihrer miesen Machenschaften. Kein Arbeiter und keine Arbeiterin hat sich zum Streikbruch mittels der Taxiaktion verleiten lassen.“
Wie weiter?
Die Streikposten erzählen viel und es wird viel gelacht. Mit mir wurde auch über den Funken diskutiert. Viele schrieben sich gleich die Webadresse des Funken auf, um unsere Artikel speziell zu ihrem Streik zu lesen. Eine nachlassende Kampfbereitschaft oder gar Resignation ist nicht zu spüren. Allerdings fehlt dem Kampf eine klare Perspektive durch die IG-Metall-Spitze. Der Streik wird offiziell mit dem Ziel geführt, einen Sozialtarifvertrag auszuhandeln, der die Folgen des drohenden Arbeitsplatzverlustes abfedern soll. Von Seiten der IG Metall wird als Kompromiss angestrebt, den Betrieb mit reduzierter Belegschaft fortzuführen. Ein Teil der Belegschaft – vor allem Ältere – sollen eine Abfindung erhalten, andere will man in Qualifizierungsmaßnahmen schicken. Zudem soll eine Auffanggesellschaft entstehen, in der die Beschäftigten eine Zeitlang formal weiter angestellt sind.
Das Problem ist nur, dass das Konzernmanagement und der Alleineigentümer, die Milliardärsfamilie Voith, nicht verhandlungsbereit sind. Auf keinen einzigen Vorschlag der IG-Metall, die gerne einen sozialen Kompromiss erzielen würde, hat die Geschäftsleitung bis dato reagiert. Die „Hütte“ in Sonthofen soll einfach dichtmachen und Voith will nur minimale Abfindungen bezahlen. In Gesprächen mit den Streikposten wies ich auf Paragraf 2 der IG-Metall Satzung hin, wonach ein Ziel der Gewerkschaft ist, wichtige Betriebe und Schlüsselindustrien in Gemeineigentum zu überführen. Dies fand ein starkes Interesse. Auch mein Hinweis auf die bayerische Landesverfassung, laut der ebenfalls Enteignungen möglich sind, wurde mit Kommentaren wie „sehr interessant“ oder „sehr wichtig“ von den Kollegen und Kolleginnen kommentiert.
Ermutigung
Streikbrecher haben bei Voith in Sonthofen keine Chance. Auch die abgebauten Teile und Produkte, welche meist bei Nacht aus der Firma heraus befördert werden – ein Verbot von Blockaden wurde per Gerichtsbeschluss durchgesetzt – werden meist von Subunternehmern nach Crailsheim und Heidenheim (dort liegen andere Voith-Betriebe) befördert. Dort liegen die Teile jedoch nur herum. Produziert werden kann damit noch nicht. Es gibt auch Solidaritätsbekundungen der Belegschaften aus diesen Betrieben.
Das Sonthofener Werk hat derzeit noch Aufträge. Der Streik hat dazu geführt, dass der Betrieb bereits mit 40 größeren Bestellungen im Rückstand ist und Gefahr läuft, größere Verluste einzufahren. Die Firma Voith hat vor kurzen die Firma Elin Motoren GmbH mit Hauptsitz bei Graz (Österreich) mit über 1000 Beschäftigten übernommen. Offensichtlich will der Konzern dichter an den südosteuropäischen Markt heran. Das Problem für die Manager ist jedoch: Die qualifizierten Beschäftigten in Sonthofen erwirtschafteten mit etwas mehr als 500 Beschäftigten einen Jahresumsatz von 100-110 Millionen Euro, das Grazer Werk mit 1000 Beschäftigten hingegen „nur“ 120 Millionen Euro. Eine Weiterführung des Streiks in Sonthofen macht also durchaus Sinn, um handfesten wirtschaftlichen Druck auszuüben.
Die Voith-Chefs haben mit dieser starken Solidarität und Kampfbereitschaft der Belegschaft offensichtlich nicht gerechnet. Vor allen Dingen die jüngeren Arbeiterinnen und Arbeiter in Sonthofen wollen auf jeden Fall weitermachen. Aber auch Ältere, für die eine Art von Frührente mit größerer Abfindung vielleicht individuell verträglich wäre, bekunden ihre Solidarität vor allen Dingen mit den Auszubildenden das Werkes. Das sei „sehr wichtig für hoch qualifizierte Berufsabschlüsse unserer Jugend“, so ein älterer Kollege.
Sozialer Kompromiss ist längst aufgekündigt
Nachdem dem Ende der Kundgebung lud die IG Metall zur Pressekonferenz. Sehr kämpferisch waren die Aussagen des Streikleiters Carlos Gil von der IG Metall Allgäu und der oben bereits genannten Betriebsratsvorsitzenden. Der bayerische IG-Metall Bezirksleiter Johann Horn ließ durchblicken, dass er in einem Dilemma steckt. Wörtlich führte er aus: „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ein Familienunternehmen so handelt. Eine Familie hat auch eine Verantwortung. Wir setzen weiter auf Verhandlungen mit der Geschäftsleitung und bitten die Familie, darauf positiven Einfluss zu nehmen.“ Tatsache ist allerdings, dass die steinreiche Familie Voith mit ihrem Milliardenvermögen seit langem im operativen Geschäft des Konzerns keine Rolle spielt und dem Konzernvorstand freie Hand lässt. Sie wird sich in ihrem Profitstreben auch nicht durch solche Appelle erbarmen lassen. Das Schicksal der Arbeiter und einer ganzen Region, die von der „Hütte“ abhängig ist, ist für sie kein Thema.
Am kommenden Montag sollen neuerliche Gespräche mit der Geschäftsleitung stattfinden. Die IG Metall-Bezirksleitung will unbedingt einen Kompromiss mit der Geschäftsleitung erzielen. Ihr Dilemma besteht darin, dass die Firmenleitung nicht kompromissbereit ist. Aus dieser Tatsache sollten die Arbeiter und Arbeiterinnen die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen. Das Management und die couponabschneidende Milliardärsfamilie Voith haben den sozialen Kompromiss längst aufgekündigt. Und wenn wir dieser Tatsache in die Augen blicken, dann bleibt den Arbeitern und Arbeiterinnen nichts anderes übrig, als den Kampf weiterzuführen. Dazu gehört eine klare Perspektive mit dem Ziel, alle Arbeitsplätze komplett zu erhalten. Die Firma gehört unter Arbeiterkontrolle gestellt, die Firma gehört in Arbeiterhand. Die „Hüttler“ wissen am besten, wie in der „Hütte“ sinnvolle Produkte hergestellt werden. Die Familie Voith gehört enteignet und das Management abgesetzt.
Siehe auch:
Solidarität mit dem Streik bei Voith! Die Hütte gehört in Arbeiterhand!
Streik gegen die Schließung von Voith in Sonthofen
Interview (Audio) mit Birgit Dolde, Betriebsratsvorsitzende bei Voith in Sonthofen
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