Derzeit gibt es weltweit 423 Hochsee-Kreuzfahrtschiffe, von denen 235 überwiegend für den nordamerikanischen Markt, 143 für den europäischen und 45 für den asiatischen und australischen unterwegs sind. (Cruise Industry News). Jetzt müssen sie sich allerdings zwangsweise einer Auszeit unterziehen.
Niemand kann heute sagen, wann die ersten von ihnen ihren Dienst wieder aufnehmen werden. Optimisten rechnen damit, dass in zwei bis drei Jahren die meisten von ihnen ihrem Geschäft wieder nachgehen werden. Diese Schätzung erscheint zum jetzigen Zeitpunkt eher unrealistisch, da wir momentan vor der größten Krise stehen, die der Kapitalismus in seiner Geschichte erlebt hat und kein seriöser Ökonom heute sagen kann, ob und wie sich das kapitalistische System von der Rezession erholen wird.
40% weniger Arbeit angekündigt
Die Krise der Kreuzfahrtindustrie trifft auch die Werften, die sich auf den Bau von Kreuzfahrtschiffen spezialisiert haben. In Deutschland ist dies vor die Meyer Werft in Papenburg, mit weiteren Standorten in Rostock und Turku. Meyer hat in den letzten Jahren zwei bis drei Schiffe pro Jahr gebaut und hat noch Aufträge bis 2023. Für die Zeit danach wird es schwer sein, neue Aufträge zu akquirieren. Am finnischen Standort in Turku wurden bereits 450 Beschäftigte entlassen, weitere 900 müssen mit vorübergehenden Kündigungen oder der Anpassung der Arbeitszeit rechnen.
In Papenburg, wo die Produktion trotz der Corona-Pandemie weitergeht, gibt es seit dem 1. Mai Kurzarbeit. Die Arbeitszeit der Kolleginnen und Kollegen wird auf 30 Stunden pro Woche reduziert, die Nachschicht und die Wochenendarbeit fallen ganz weg. Den Beschäftigten fehlen somit der volle Lohn von fünf Wochenstunden sowie die Schicht-, Wochenend- bzw. Feiertagszulagen.
Werft-Boss Bernard Meyer wandte sich jetzt mit einer Videobotschaft an die Belegschaft, Er sprach von der größten Krise in der Geschichte der Werft und erklärte, dass die Meyer Werft sich erst im Jahr 2030 davon vollständig erholt haben werde. Er kündigte an, Aufträge zu strecken und nur noch zwei Schiffe pro Jahr zu bauen. Somit wird Meyer in dieser Zeit 40% weniger Arbeit haben. Diese Maßnahmen werden zu Einschnitten für die Belegschaft führen. „Wir werden in allen Bereichen über Kurzarbeit, aber auch über den Abbau von Arbeitsplätzen nachdenken. Es werden einfach nicht mehr so viele Kreuzfahrtschiffe gebraucht.“ (laut ndr.de)
Diese Videobotschaft hat die Belegschaft hart getroffen, 40% weniger Arbeit könnten auch 40% weniger Arbeitsplätze bedeuten. Bei einer derzeitigen Stammbelegschaft von 3600 hieße das schlimmstenfalls den Verlust von ca. 1400 Arbeitsplätzen. Die Angst geht um in Papenburg und Umgebung, da Meyer hier der größte Arbeitgeber ist. Viele ältere Kollegen haben bereits die Entlassungswelle im Jahre 2003 erlebt, als Meyer es den Unternehmen in der Autoindustrie gleich tun wollte und sich einen „Rationalisierungsspezialisten“ an Bord holte (der allerdings schon zuvor bei der Hamburger Howaldtswerft gescheitert und gefeuert worden war), um die Lohnkosten zu reduzieren und Arbeit auszulagern. Über 500 Kollegen mussten damals gehen, auch weil der damalige Betriebsratsvorsitzende überfordert war und sich als Marionette der Werftbosse entpuppte. Die Auslagerung der Arbeit erwies sich als Flop und viele entlassene Kollegen, die damals mit Hilfe der IGM gegen ihre Entlassung klagten, mussten wiedereingestellt werden.
Gerd J.* erinnert sich: „Ich war damals noch Auszubildender und habe die Entlassungswelle 2003 hautnah erlebt. Bis dahin glaubten die Werftarbeiter, sie würden in einem Familienbetrieb arbeiten und ihre Arbeitsplätze seien sicher. Das war aber nicht der Fall. Die Angst ging um, keiner wollte der Nächste sein. Ich habe Familienväter gesehen, die zwanzig Jahre für Meyer geschuftet haben und für die plötzlich eine Welt zusammengebrochen ist. Seitdem haben viele von uns erkannt, dass Meyer auch nur ein kapitalistischer Betrieb ist, der vorrangig auf Profit orientiert ist. Wir Arbeiter sind nur gut, wenn Aufträge da sind und die Kreuzfahrt boomt. Doch sobald es kriselt, sind unsere Arbeitsplätze in Gefahr. Das ist jetzt wieder der Fall. Wieder geht die Angst um. Viele meiner Kollegen haben ein Haus gebaut und müssen monatlich ihre Kredite abbezahlen. Wenn sie arbeitslos werden, ist damit Schicht im Schacht. Ich bin der Meinung, dass die Familie Meyer, die 2016 über ein Vermögen von 0,8 Mrd. Euro verfügte, uns in der Krise etwas zurückgeben kann und die 3600 Arbeitsplätze sichert. Dazu kommt noch, dass Meyer 2015 seinen Firmensitz nach Luxemburg verlegt hat, um Steuern zu sparen. Das war damals schon ein Schlag ins Gesicht der lokalen Politik. Die gesamte Infrastruktur (Emsvertiefungen, Emssperrwerk) wurde durch Steuergelder finanziert – und dann machen die einen Abflug nach Luxemburg, um noch mehr Geld zu scheffeln. Aber wie gesagt, wir leben im Kapitalismus und den Meyers ist es wahrscheinlich egal, wie der einzelne Kollege mit der Situation klar kommt.“
Nico Bloem, der Vorsitzende des Betriebsrats, versprach in einer Videobotschaft an die Kollegen, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. Er sagte, die Stammbelegschaft müsse dabei Priorität haben. Arbeiten, die von den Meyer-Beschäftigten erledigt werden könne, dürfen nicht länger an Leiharbeits- und Werkvertragsfirmen vergeben werden.
Doch auf die externen Firmen werden die Bosse nicht verzichten, da die Arbeit der überwiegend osteuropäischen Werkvertragsarbeiter für die Bosse wesentlich billiger ist als die der Stammbeschäftigten. Der Kommunikationsbeauftragte der Werft hat in einer Pressemitteilung bereits mitgeteilt, dass Meyer auch in Zukunft auf die externen Arbeiter setzen werde.
Zwischenzeitlich ist die IG Metall aus ihrem Corona-Schlaf aufgewacht und hat zusammen mit dem Betriebsrat ein Papier zur Sicherung des Meyer-Standortes in Papenburg vorgestellt. Darin wird u. a. die Forderung erhoben, keine Mitarbeiter der Stammbelegschaft zu entlassen, Leiharbeit zu verringern und die Azubis zu übernehmen. Zusätzlich sollen die Arbeitsabläufe neu organisiert und die Entwicklung neuer Fertigungsfelder und Produktionsfelder (klimafreundliche Produktion, Dekarbonisierung) verstärkt werden. Auch wird ein neues Personalmanagement gefordert, das weniger hierarchisch sein und auf sozialen Ausgleich setzen soll. (Ostfriesen Zeitung, 08.05.2020)
Ein neues Produktionsfeld könnte die Entwicklung alternativer Schiffsantriebe sein. Bereits die AIDA Nova wurde mit LNG-Antrieb ausgestattet, außerdem forscht Meyer seit Jahren im Verbund mit anderen Konzernen an der Entwicklung von Brennstoffzellen. Die Werft hat das Know-how und verfügt über eine sehr gut qualifizierte Belegschaft, die in der Lage sein wird mit ausreichendem Vorlauf neue Felder zu erschließen.
Am 8. Mai fand ein „Runder Tisch“ beim niedersächsischen Wirtschaftsminister mit Vertretern aus der Politik, der Werftführung, der IG Metall und dem Betriebsrat statt. Auf diesem ersten Treffen wurde klar, dass die Politik grundsätzlich daran interessiert ist, den Standort Papenburg am Leben zu erhalten. Während Meyer bisher stets von den Landespolitikern hofiert wurde, kam dieses Mal auch deutliche Kritik an der Verlagerung des Firmensitzes nach Luxemburg auf. So wurde von den Grünen eine Rückverlagerung nach Papenburg sowie die Schaffung eines Aufsichtsrates zur Kontrolle des Geschäfts- und Personalaktivitäten der Werft gefordert.
Die Krise der Kreuzfahrtindustrie hat Meyer hart getroffen. Eine ganze Region hängt von der Werft ab und eine (Teil-)Schließung würde die Region Papenburg-Leer in ein Armenhaus verwandeln, da nicht nur die 3600 Arbeitsplätze bei Meyer selbst, sondern mehrere tausend Arbeitsplätze bei regionalen Zulieferfirmen betroffen wären.
Was nun?
IG Metall und Betriebsrat stehen jetzt in der Verantwortung, ihre Ideen umzusetzen. Dazu wird aber ein knallharter Kampf um jeden Arbeitsplatz nötig sein. Meyer hat jahrzehntelang von der guten Arbeit der Beschäftigten profitiert und ein Vermögen in Höhe von 800 Millionen Euro angehäuft. Das steht jetzt den Beschäftigten zu. Keine Entlassungen! Aufteilung der vorhandenen Arbeit auf alle und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich! Für einen alternativen Produktionsplan unter der Kontrolle der Beschäftigten! Lasst die Belegschaft ran, sie kann es besser! Die Meyer-Bosse sollten jetzt die Geschäftsbücher öffnen und dem Betriebsrat und der IG Metall darlegen, wie es momentan und zukünftig um die Werft bestellt ist. Der Firmensitz muss zurück in das Emsland verlagert werden. Es ist nicht einzusehen, dass öffentliche Gelder aus Steuermitteln an eine steuerflüchtige Firma ausbezahlt werden sollen.
Ohne eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse und Verfügungsgewalt und eine Demokratisierung der Wirtschaft werden aber alle Bemühungen der Gewerkschaften und der Belegschaft langfristig nicht von Erfolg gekrönt sein. In §2 der IG Metall-Satzung ist als Ziel der Gewerkschaft festgehalten: „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“. Die Werftindustrie und insbesondere ein Konzern wie Meyer gehört sicher dazu. „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art. und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“, heißt es im Grundgesetz-Artikel 15. Daher: Meyer Werft vergesellschaften und unter Arbeiterkontrolle stellen!
(*) Name geändert
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