Wie gebannt schauen sie, ihre Familien und eine interessierte Öffentlichkeit in diesen Tagen auf die außerordentliche virtuelle Hauptversammlung am Donnerstag, 25.Juni 2020. Dort sollen die Aktionäre über ein Rettungspaket abstimmten, das Lufthansa-Konzernvorstand und Bundesregierung vor wenigen Wochen vereinbart hatten. Demnach beteiligt sich der Bund mit Aktienkäufen und stille Beteiligungen im Umfang von sechs Milliarden Euro an der Lufthansa und fädelt einen Kredit unter Führung der staatlichen KfW-Bank von bis zu drei Milliarden Euro ein. Dass sich die Bundesregierung mit zunächst 20 Prozent der Aktien begnügt, keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausüben will und auch keine Forderungen zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Tarifverträgern aufstellt, hat zurecht starke Kritik ausgelöst. Mit dem zugesagten Geld hätte der Bund die gesamte Lufthansa aufkaufen und somit vollständig verstaatlichen können. So fühlte sich das Management um LH-Konzernchef Carsten Spohr bestärkt und proklamierte die Streichung von 22.000 Vollzeitstellen, die rund 26.000 Arbeitsverhältnissen entsprechen.
Was führt Thiele im Schilde?
Umso härter und klarer ist hingegen in den letzten Tagen ein anderer LH-Großaktionär in Erscheinung getreten: der Münchner Milliardär und Industrielle Heinz Hermann Thiele, einer der reichsten Männer der Republik und jahrelang Mehrheitseigner und Chef des Konzerns Knorr-Bremse. Thiele hat sein Milliardenvermögen nicht durch ein genügsames Leben, sondern durch Ausbeutung der Belegschaft von Knorr-Bremse und Tarifflucht angehäuft. Seine Spezialität: Betriebe aufkaufen, Tarifverträge aufkündigen, rationalisieren und die Produktions ins Ausland verlagern. Für betroffene Belegschaften bedeutet dies unter anderem: Pistole an der Schläfe und Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 42 Stunden. All dies ohne Lohnausgleich. Also sieben Stunden Fronarbeit.
Thiele ist nicht nur ein ausgemachter Gewerkschaftsfeind, sondern auch ein klassischer Krisengewinnler. Solche Gestalten hat es auch in den Krisenjahren der 1920er und 1930er Jahre gegeben. Er hat angesichts des niedrigen Aktienwerts der Lufthansa kurzfristig seinen Anteil von fünf auf 15,52 Prozent aufgestockt. Nicht um den Lufthanseaten zu helfen, sondern um Profit zu machen. Mit 15,52 Prozent könnte er angesichts der relativ geringen Beteiligung der Aktionäre an der außerordentlichen Hauptversammlung rein rechnerisch die Zustimmung zum Rettungspaket blockieren. In einem FAZ-Interview kritisierte er, dass der Staat überhaupt mit 20 Prozent bei der LH einsteigt. „Ich bin der festen Überzeugung, dass der Staat nicht der beste Unternehmer ist“, so Thiele wörtlich.
Dieses von neoliberalen Thinktanks in die Welt gesetzte Credo hält einer ernsthaften Überprüfung nicht stand. Denn die Lufthansa befand sich jahrzehntelang in Staatshand und funktionierte reibungslos. Die schrittweise Privatisierung war erst 1997 abgeschlossen. In Staatshand befand sich übrigens auch der Volkswagen-Konzern, der erst ab 1960 schrittweise privatisiert wurde. Doch das wollen Kapitalisten wie Thiele nicht wahrhaben. Inzwischen wissen auch Millionen Menschen, dass die Privatierungswellen öffentlicher Betriebe und Einrichtungen in den letzten Jahrzehnten für Beschäftigte, die Masse der Kunden und Allgemeinheit große Nachteile gebracht haben. Gewinne wurden privatisiert und Verluste sozialisiert – auch im Luftverkehr. Nicht nur die Lufthansa wurde privatisiert, sondern auch Flughafenbetreiber und Unternehmen in der Branche bis hin zu den Sicherheitskontrollen, die einst voll bei der Bundespolizei angesiedelt waren. Verlierer sind durchweg die Beschäftigten.
Ein Krisengewinnler könnte jetzt übrigens auch der irische Billigflieger Ryanair werden, der mit extrem rüden Methoden, Heuern und Feuern, Gewerkschaftsbashing und Rückendeckung durch politische Entscheidungsträger eine starke Marktposition erobert hat. Ryanair betreibt einen Frontalangriff gegen seine Angestellten und scheint genügend Mittel in der Kriegskasse für die Schlacht um die Neuaufteilung der Märkte in Europa zu haben.
Hauptversammlung
Nun blicken viele Lufthanseaten wie das Kaninchen auf die Schlange und verfolgen bang die Hauptversammlung am Donnerstag. Ängste vor einer Insolvenz in Eigenverantwortung und einem Schutzschirmverfahren machen die Runde, sollte Thiele tatsächlich das Rettungspaket stoppen. Damit wäre eine beschleunigte Zerschlagung und Filetierung des LH-Konzerns unvermeidlich. Ob der Milliardär dies tatsächlich tun wird oder vorab nur hoch pokert, um seinen Einfluss zu stärken und eine noch härtere Linie gegen die Beschäftigten durchzusetzen, wird sich bald zeigen. Die Flugbegleitergewerkschaft UFO und die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) riefen LH-Kleinaktionäre in ihren Reihen dazu auf, sich für die Hauptversammlung anzumelden und für das Rettungspaket zu stimmen. UFO bot an, das Stimmrecht von Aktionären per Übertragung wahrzunehmen. Dies kommt faktisch einem Schulterschluss mit dem Spohr-Management gleich, der die Belegschaft gegen das Treiben des „bösen“ Thiele verteidigen soll. Vielleicht haben aber Spohr und Thiele schon längst hinter den Kulissen einen Deal vereinbart?
Dabei war Spohr bei vielen Arbeitskämpfen einzelner Gewerkschaften in den vergangenen Jahren stets eine Zielscheibe der Kritik von Streikenden. Dieser Vorstandsvorsitzende mit 379.000 Euro Monatsgehalt betreibt schon längst eine Filetierung des Konzerns. So werden jetzt die LH-Töchter Germanwings und SunExpress Deutschland separat abgewickelt und geschlossen. Opfer der Filetierung durch das Spohr-Management sind auch die Beschäftigten der bisher für Bordverpflegung zuständigen Lufthansa-Tochter LSG Sky Chefs (LSG). Ende 2019 hatte das Spohr-Management den Verkauf der für die Bordverpflegung zuständigen LSG angekündigt. Im Bieterverfahren hat sich die Gategroup Holding durchgesetzt, die ihren Firmensitz in der Schweiz hat und einem Investmentfonds aus Singapur gehört. Gategroup wollte die Bordverpflegung von philippinischen Hungerlöhnern in Tschechien produzieren lassen und dann zum Frankfurter Flughafen karren. Der Verkauf ist in einer entscheidenden Phase angelangt, aber noch nicht endgültig vollzogen. Die LSG-Beschäftigten befürchten eine massive Verschlechterung der Einkommen und Arbeitsbedingungen für alle, sobald ihr Übergang zur Gategroup vollzogen ist. Dies geht aus dem von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ausgehandelten Tarifvertrag mit der Gategroup hervor, der viel schlechtere Bedingungen vorsieht als der bisherige LH-Tarifvertrag. Absolut unklar ist, wer dann bei der veräußerten LSG überhaupt noch an Bord wäre.
Gewerkschaften – defensiv und uneins
Die in der Luftfahrt verankerten Gewerkschaften sind in dieser Krise von einer einheitlichen, kämpferischen Gegenwehr und einem Schulterschluss meilenweit entfernt. Anstatt für die Verteidigung aller Arbeitsplätze, eine massive Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem Lohnausgleich und eine Verstaatlichung der gesamten Luftfahrindustrie zu kämpfen, nehmen sie schmerzhafte Opfer und Lohnverzicht hin. In diesen Tagen rufen verschiedene Gewerkschaften zu verschiedenen Demos an verschiedenen Terminen auf – was für eine Verzettelung der Kräfte! Anstatt sich auf die neuen stürmischen Zeiten einzustellen, die um ihre Zukunft bangenden Mitglieder aufzuklären und für die unvermeidlichen Kämpfe zu mobilisieren, setzen sie unüberhörbar auf die „Sozialpartnerschaft“ der Manager und Kapitalisten. Doch mit moralischen Appellen an Manager und Aktionäre kommen wir keinen Millimeter weiter. Auch mit Belegschaftsaktien werden wir keinen wirklichen Einfluss auf die Geschäftspolitik ausüben können. Nur Kolleginnen und Kollegen der LSG hatten für die Frankfurter ver.di-Demonstration am 19. Juni Plakate mit der Forderung nach Stopp der Konzern-Zerschlagung und Verstaatlichung des gesamten Lufthansa-Konzerns angefertigt. Mit unserer Parole „Thiele enteignen! Lufthansa und Co. verstaatlichen! Belegschaftskontrolle!“ stärkten wir ihnen den Rücken.
Dass ein Milliardär wie Thiele bei der Lufthansa überhaupt so viel Einfluss ausüben kann, ist real existierender Kapitalismus und Folge von Privatisierung und Börsengang. Beschäftigte der Deutschen Bahn (DB) können nebenbei gesagt und bei aller notwendigen und scharfen Kritik an der Unternehmenspolitik und dem aktuellen bürgerlichen Management in dieser Hinsicht froh sein, dass ihr Unternehmen noch zu 100 Prozent in Staatshänden ruht und der für Oktober 2008 geplante Börsengang kurzfristig abgesagt wurde.
Es ist höchste Zeit für eine Bündelung aller Kräfte und Gegenwehr gegen Spohr, Thiele und Co. Es ist höchste Eisenbahn für eine komplette Wiederverstaatlichung der Lufthansa und der gesamten Luftfahrtindustrie, für einheitliche Arbeitsbedingungen und existenzsichernde Einkommen. Entschädigung der bisherigen Aktionäre nur bei erwiesener Bedürftigkeit! Thiele und alle Krisengewinnler gehören enteignet, damit die Zockerei an der Börse auf dem Rücken der Beschäftigten aufhört.
Verstaatlichung alleine ist noch nicht ausreichend. Die Betriebe gehören unter die demokratische Kontrolle der Belegschaften, die am besten wissen, wie es in der Praxis optimal läuft. Die von der Lufthansa aufgekauften Auslandstöchter AUA (Österreich), Swiss (Schweiz) und Brussels (Belgien) sollten von den jeweiligen Staaten übernommen und der demokratischen Kontrolle durch die Belegschaft unterstellt werden.
Bisher konkurrieren in Europa Flieger, Eisenbahn, Fernbusse, Autos und Lkw-Flotten in einem gnadenlosen Unterbietungs- und Dumpingwettbewerb gegeneinander. Eine Verstaatlichung des gesamten Luftfahrtbereichs und aller anderen Verkehrsträger wäre die Grundlage für eine harmonische, integrierte, demokratische und ressourcensparende Planung des Personen- und Güterverkehrs im Interesse von Mensch und Natur. Wir brauchen einen sozial und ökologisch verträglichen Neuanfang des Luftverkehrs und des gesamten Verkehrswesens frei vom Profitdruck privater Aktionäre.
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