Wie tief die Grünen im bürgerlichen Lager verwurzelt sind, zeigt ein Papier der Grünen-Bundestagsfraktion zur Zukunft der Deutschen Bahn AG (DB). Daraus geht hervor, dass die Partei, die den Ruf genießt, Verfechter von öffentlichem Verkehr und einer grundlegenden ökologischen Verkehrswende zu sein, eine Bahnprivatisierung nach britischem Vorbild befürwortet.
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Wörtlich lehnt das Papier die Privatisierung der Deutschen Bahn ab, welche sich noch zu 100 Prozent im Besitz des Bundes befindet. Doch wer tiefer in die Materie eintaucht und sich mit dem Grünen-Papier auseinandersetzt, stößt schnell auf die Strategie der schleichenden Privatisierung durch die Hintertür.
Die bundeseigene DB soll vollständig aufgelöst und aufgespalten werden. Schienennetz und Infrastruktur sollen in eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) überführt werden, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Die für den Personen- und Güterverkehr zuständigen DB-Tochtergesellschaften sollen dagegen in einer GmbH organisiert werden. Dies würde eine materielle Privatisierung erleichtern. Der Staat würde den Transport von Gütern und Personen vollständig aus der Hand geben und damit keine Verantwortung mehr dafür tragen, ob und wie diese erfüllt werden.
Aussehen würde das wie folgt: Unterstützt von öffentlichen Fuhrparks sollen sich private Kapitalgruppen zunehmend über Ausschreibungen am Personenfernverkehr beteiligen. Damit würden private Unternehmen die profitable Beförderung übernehmen, während der Staat aus den Taschen der Steuerzahler die Infrastruktur finanziert. So werden Profite privatisiert, Verluste aber sozialisiert.
Hier befinden sich die Grünen ganz auf einer Linie mit der FDP und den Wirtschaftsverbänden. Aber auch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die kürzlich als kämpferische Interessenvertretung der Beschäftigten auftrat, steht für so eine Ausschlachtung der Deutschen Bahn. Sie stellt sich damit auf die Seite der Kapitalisten und gegen die Interessen der Beschäftigten bei der DB und der Mehrheit der Bevölkerung.
2018 machte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter mit der Forderung nach einer Aufteilung der DB AG in eine Transport- und eine Infrastrukturgesellschaft und dem Verkauf von DB-Auslandstöchtern auf sich aufmerksam. Diese Linie der Privatisierung ist eine Art Gegenmodell zu dem des ehemaligen DB-Chefs Hartmut Mehdorn. Dieser wollte den DB-Konzern zum Großteil an der Börse verscherbeln. Der geplante Verkauf von DB-Aktien durch einen Börsengang wurde in letzter Sekunde durch die Weltwirtschaftskrise 2008 gestoppt.
Doch Grüne und andere Befürworter der Trennung von Netz und Bahnbetrieb verschweigen, dass die von ihnen geforderte Zerschlagung der Bahn auf Zustände wie in Großbritannien hinauslaufen wird. Die Bahnprivatisierung in Großbritannien hat erhebliche Nachteile für Beschäftigte, Kunden, Infrastruktur und die Umwelt mit sich gebracht. Dort liegt das defizitäre Netz in öffentlicher Trägerschaft, während die gewinnbringenden Filetstücke im Transport und Servicebereich von privaten Konzernen kontrolliert werden. Eine Wiederverstaatlichung und Zusammenführung des fragmentierten Eisenbahnwesens finden jenseits des Kanals eine große Mehrheit in der Bevölkerung.
Da Grüne und FDP mit großer Wahrscheinlichkeit Teil der nächsten Bundesregierung sein werden, rückt ein derartiger ernsthafter Vorstoß Richtung Filetierung, Fragmentierung und Privatisierung näher.
Privatisierung und Liberalisierung schaden dem Schienenverkehr. Anstatt sich auf den Wettbewerb mit dem Straßen- und Luftverkehr zu konzentrieren, tobt auf den deutschen Schienen ein harter Verdrängungswettbewerb privater und privatisierter Bahngesellschaften. Im Güter- und Regionalverkehr hat sich der Marktanteil der DB in zwei Jahrzehnten zugunsten privater Konzerne fast halbiert. Dies schadet dem Gesamtsystem Eisenbahn, das nur in öffentlicher Hand optimal funktioniert. Statt Privatisierung, Zerschlagung und Konkurrenzkampf brauchen wir eine einheitliche, öffentliche Eisenbahn unter demokratischer Kontrolle, die nicht dem privaten Profit, sondern uns allen dient. Auch im 21. Jahrhundert bleibt der Schienenverkehr das Rückgrat eines sozialen und klimafreundlichen Verkehrswesens.
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