Viele Beschäftigte in sozialen Einrichtungen beklagen die hohen Anforderungen, mit denen sie täglich konfrontiert sind. Nur jede zweite Fachkraft hat laut Dienstplan Zeit für nicht direkt pädagogische Arbeiten wie Nachbereitungen, Teamsitzungen, Sprechstunden mit Eltern, etc. eingeplant. Deshalb müssen diese Arbeiten oft in der Freizeit erledigt, also Überstunden aufgebaut, oder Abstriche bei der Qualität der pädagogischen Arbeit gemacht werden.
Eine Befragung von ver.di und der Hochschule Fulda hat katastrophale Arbeitsbedingungen bei den 19.000 Befragten aus Krippen, Kindergärten und Horten offengelegt. Fast 40 Prozent denken über einen Stellenwechsel nach und 25 Prozent überlegen, den Beruf hinzuschmeißen.
Das Hauptproblem in deutschen Kitas: es fehlen 173.000 Fachkräfte! Dreiviertel der Erzieher im Bereich der unter dreijährigen Kinder gaben an, für mindestens fünf bis zwölf Kinder zur gleichen Zeit verantwortlich zu sein. Bei den über dreijährigen Kindern sind es meist 13 bis 24 Kinder gleichzeitig. Unbezahlte Überstunden und mangelhafte Interaktion mit den Kindern sind die Folge.
Die Pandemie ausbaden
Während der Corona-Pandemie wurden die Beschäftigten in den sozialen Berufen mit der Organisation des Infektionsschutzes, der Arbeitssicherheit und der Tagesabläufe von Seiten der Behörden und der Regierungen alleingelassen oder haben absurde, widersprüchliche und nicht umsetzbare Regelungen vorgelegt bekommen. In den Einrichtungen konnten teilweise Abstände nicht eingehalten werden und Schutzausrüstungen, wie Masken und Desinfektionsmittel, wurden nicht zur Verfügung gestellt.
Seit Beginn der Pandemie ist die Nachfrage nach Beratung, Betreuung und anderen Diensten der sozialen Arbeit angestiegen. Viele Menschen wurden durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Kinderbetreuung usw. in prekäre Lebenslagen gestürzt – insbesondere Frauen. Die Kinderarmut ist gestiegen und mit ihr psychische Belastungen oder Gewalt in der Familie, sodass Sorgerechtsfälle, Inobhutnahmen und Heimunterbringungen zugenommen haben. Gleichzeitig wurden wegen des Lockdowns Einrichtungen geschlossen. Durch die erhöhte Nachfrage sowie Mangel an Personal und Einrichtungen, hat die Anzahl der Betreuten pro Beschäftigten um 35 Prozent zugenommen. Das Maß an Verantwortung und Arbeitsdruck, das Sozialarbeiter/-pädagogen auferlegt bekommen, ist dementsprechend übervoll.
Wer will so arbeiten?
Ein gewaltiges Problem besteht darin, dass die Einrichtungen für Hilfen zur Erziehung (z.B. Erziehungsberatung, Heimerziehung, Gruppenarbeit) meist durch freie Träger organisiert sind. Deshalb werden Fachleistungsstunden pro Fall abgerechnet, mit der Konsequenz, dass nur wenige Beratungs- und Begleitungsverläufe kontinuierlich erfolgen. Das steht den Hilfeprozessen im Wege und verhindert die Planungssicherheit der Träger, die das wiederum durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse – Teilzeitverträge und Befristungen – auf die Pädagogen abwälzen.
Grundsätzlich ist schon lange klar, dass es in allen sozialen Berufen mehr Personal und Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung braucht. Anstatt aber dem Fachkräftemangel damit zu begegnen, die Qualität der Ausbildungsinhalte und -bedingungen zu erhöhen, werden teilweise Anforderungen an das Fachpersonal gelockert, z.B. durch Anlernkurse, die den fachlichen Ansprüchen nicht gerecht werden.
Speziell die Ausbildung für Erzieher ist, anders als die dualorganisierten Ausbildungen, durch die Bundesländer organisiert und bringt einige Unterschiede zum Nachteil der Fachschüler mit. Vor allem muss die Ausbildung aus der eigenen Tasche bezahlt werden und Azubis erhalten während der drei bis fünf Jahre Ausbildungszeit kein Gehalt.
So ist es selbstverständlich, dass für die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste bei der anstehenden Tarifrunde SuE Verbesserungen der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, und allem voran Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, ein verbindlicher Personalschlüssel, Gesundheitsschutz und die gesellschaftliche Wahrnehmung ihres Berufes im Mittelpunkt stehen.
2015 – Eine verpasste Chance
Schon 2015 ging es vor allem um die gesellschaftliche Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen, also um weitaus mehr als nur Lohnerhöhungen. Die Beschäftigten forderten Aufwertungen der Eingruppierungsmerkmale und kürzere Stufenlaufzeiten, Lohnerhöhungen von 10 Prozent, Anerkennung der Berufserfahrung, die Berücksichtigung der Änderungen in der Behindertenhilfe, Verbesserung der Bewertung der Leitungstätigkeit und einem generellen Rechtsanspruch auf Weiterqualifizierung.
Entgegen den Erwartungen der Gewerkschaft ver.di folgten 2015 sehr viele Beschäftigte dem Streikaufruf. Von 240.000 kommunalen Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst traten rund 50.000 in den Streik. Die Beteiligungsbereitschaft war sehr hoch. ver.di verzeichnete einen Nettozuwachs von 25.000 Mitgliedern. Teilweise wurden Kitas fast vier Wochen lang bestreikt. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) erzwangen ein Schlichtungsverfahren, das die Beschäftigten mit lächerlichen Lohnerhöhungen von 1 bis 3,4 Prozent abspeisen sollte.
Die bundesweite Streikdelegiertenkonferenz lehnte dieses Ergebnis zurecht ab. Der ver.di-Vorstand stellte die Schlichtungsergebnisse per Mitgliederbefragung zur Abstimmung, bei der sich 70 Prozent der Mitglieder dagegen aussprachen. Der Kampf ging weiter, wurde schließlich nichtsdestotrotz verloren, weil die Führung unter dem Druck des Staatsapparates und des Kapitals auf eine Einigung setzte, obwohl viele der Beschäftigten wegen der bescheidenen Verhandlungsergebnisse auf eine Fortsetzung der Streiks im Frühjahr 2016 plädierten. Dennoch stimmte die Mehrheit der Tarifkommission für eine Annahme der Ergebnisse der Verhandlungen vom September. Bei der Urabstimmung im Oktober stimmten 57 Prozent der ver.di-Mitglieder und 72 Prozent GEW-Mitglieder zu.
Dieser Tarifabschluss von 2015 hatte eine Laufzeit von fünf Jahren und galt für zusätzliche zwei Jahre, weil die ver.di-Führung während der Corona-Pandemie die Auseinandersetzung mit der VKA scheute und die Tarifverhandlungen auf 2022 verschoben hatte. Das hat die Forderungen der Beschäftigten im SuE für einen sehr langen Zeitraum stillgelegt. Die kommende Tarifrunde ist somit besonders wichtig und braucht eine gründliche Vorbereitung.
Geldflut und Kürzungspolitik
Schon während der Tarifrunde im öffentlichen Dienst im letzten Jahr war klar, dass die VKA kein Interesse hat, auf die Forderungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst einzugehen. Im letzten Jahr ließ sich die ver.di-Führung mit einem beschämenden Ergebnis abspeisen. Die Arbeitskämpfe aller Bereiche des öffentlichen Dienstes hätten nicht nur mit den Tarifverhandlungen des Nahverkehrs verbunden werden müssen, sondern auch mit den Verhandlungen des Tarifvertrags der Länder und mit der Privatwirtschaft. So hätte man mit voller Kraft gegen die seit Jahren betriebene Sparpolitik ankämpfen können.
Die VKA pocht auf leere Kassen, doch für die großen Konzerne konnte schrankenlos Geld mobilisiert werden. Geld ist genügend vorhanden, mit dem nötige Investitionen im Sozial- und Erziehungsdienst getätigt werden müssen. Jährlich gehen durch Profite 20 Prozent und mehr des BIP, also der Wertschöpfung durch die Arbeiterklasse, zur freien Verfügung in die Taschen der Kapitalistenklasse. Mit diesen hunderten Milliarden Euro kann eine winzige Minderheit an Milliardären und Millionären jährlich machen, was sie will, und der Staat tastet das Geld nicht an. Im Gegenteil machen die Zentralbanken und Staaten seit Jahrzehnten sogar Geldgeschenke in ebenso gewaltigem Ausmaß an dieselben Kapitalisten. Allein seit der Corona-Pandemie wurden durch die Zentralbanken und staatliche Hilfsmaßnahmen Gelder im Umfang von etwa 40 Prozent des deutschen BIP in Aussicht gestellt, die zum größten Teil an die großen Unternehmen und ihre Aktionäre fließen, die sich damit an einer gewaltigen Spekulation am Aktienmarkt bereichern.
2015 nicht wiederholen? Mehr als 2015!
Geld ist also genügend da, man muss es sich nur holen. Dafür muss man aber einen auf Durchsetzung eingestimmten Kampf führen. Bei der Anfang 2022 anstehenden Tarifrunde darf sich ver.di von der VKA nicht wieder abspeisen lassen. Angesichts der versäumten Jahre braucht es drastische Lohnerhöhungen. Ohne sichtbare Verbesserung der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, einen verbindlichen Personalschlüssel und effektive Maßnahmen für den Gesundheitsschutz, darf der Kampf nicht stoppen. Für Erzieher braucht es eine kostenfreie und entlohnte Ausbildung. Auch darf eine lange Laufzeit für den Tarifvertrag nicht hingenommen werden.
Derzeit klemmt sich die ver.di-Führung kaum dahinter, diesen Kampf zu organisieren. Die Organisation der Kampagne in den Betrieben hat zwar schon begonnen, aber auch die Öffentlichkeitsarbeit hätte längst starten müssen. Die Forderungsdiskussion findet nicht flächendeckend statt und viele Beschäftigte in den Betrieben wissen noch nichts von den Tarifverhandlungen und zentralen Streiktagen, die am Equal-Pay-Day (7. März) und am Internationalen Frauenkampftag (8. März) stattfinden sollen. Eine Strategie, die auf einen Erzwingungsstreik setzt, existiert nicht, wird sogar abgelehnt. Die Parole in der ver.di-Führung ist, ein 2015 verhindern, d.h. keinen langwierigen Kampf führen. Dabei ist grundsätzlich große Streikbereitschaft bei den SuE-Beschäftigten vorhanden, obwohl der Organisationsgrad derzeit noch ausbaufähig ist.
Zudem geht die ver.di-Führung davon aus, dass die VKA um den Personalmangel und die betrieblichen Probleme weiß, und deshalb auf die Tarifforderungen der Gewerkschaft und der Beschäftigten eingehen würde. Das widerspricht der gesamten Erfahrung aller vorhergehenden Kämpfe.
Nach sieben Jahren ohne SuE-Tarifverhandlungen müsste ver.di umso hartnäckiger mobilisieren und hohe Forderungen stellen. Es braucht eine öffentliche Kampagne zum Wert der Erziehungs- und Sozialarbeit. Ein gut ausfinanzierter Erziehungs-, Bildungs- und Sozialarbeitssektor geht die ganze Gesellschaft etwas an. Um wirklichen Druck aufzubauen, muss ver.di zusammen mit den anderen DGB-Gewerkschaften eine großangelegte öffentliche Kampagne starten und Betriebsversammlungen mit den Eltern organisieren. Dabei muss klar herausgestellt werden, warum mehr Personal und Gehalt für Kitas, Jugendverbände etc. und kostenlose, qualitative Einrichtungen Entlastung für die ganze Arbeiterklasse bedeuten.
Damit ein solcher Kampf stattfinden kann, braucht es eine Umorientierung der Gewerkschaften, weg von der Sozialpartnerschaft, die tagtäglich von den Kapitalisten und Regierungen ausgehöhlt wird. Wir stehen für einen klassenkämpferischen Kurs ein. Die Gewerkschaftsbewegung braucht eine revolutionäre marxistische Strömung mit einem sozialistischen Programm. Wenn wir unsere Lebens- und Arbeitsverhältnisse verbessern wollen, müssen wir den Kapitalismus überwinden.
Öffentlicher Dienst: Wer ist Arbeitgeber, TdL und VKA?
„Arbeitgeber“ im öffentlichen Dienst ist der Staat. Im öffentlichen Dienst der Länder sind es die Bundesländer. Hinter diesem Begriff verbergen sich also keine Kapitalisten (Unternehmer, Aktionäre und Manager), sondern die Regierungen. In den Auseinandersetzungen um den Tarifvertrag der Länder (TV-L) lassen sich diese Regierungen „am Verhandlungstisch durch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) vertreten – somit organisieren auch sie sich in einem Verband, um gemeinsam stärker auftreten zu können“, schreibt ver.di auf ihrer Homepage. In diesem „Arbeitgeberverband“ TdL werden die Interessen des Staates in erster Linie durch die Finanzminister der Bundesländer vertreten. Aktueller TdL-Vorsitzender ist der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers.
In anderen Tarifverhandlungen, z.B. TVöD, TVV und SuE lassen sich die „Arbeitgeber“ durch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vertreten. Hier versammeln sich 16 kommunale „Arbeitgeberverbände“ (aus jedem Bundesland) innerhalb des Dachverbandes VKA. Der VKA-Präsident ist Ulrich Mädge, Oberbürgermeister der Hansestadt Lüneburg. Neben ihm hat vergangenes Jahr noch-Bundesinnenminister Horst Seehofer die Verhandlungen geführt. Es sind dieselben Regierungen, die gerne Krokodilstränen und viel Applaus spenden, wenn sie von den täglichen Leistungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sprechen. Wenn es aber darum geht, die Löhne deutlich zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen generell aufzubessern, dann versperren sie sich selbst den moderaten Forderungen von Beschäftigten und Gewerkschaften.
Damit Gewerkschaften durchsetzungsstark sind, brauchen sie eine breit aufgestellte klassenbewusste Mitgliedschaft, eine kämpferische Führung und ein sozialistisches Programm. Für die Interessen der Arbeiterklasse kämpfen, heißt gegen den Kapitalismus kämpfen.
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