Kategorie: Kapital und Arbeit

Fahrrad-Kuriere organisieren sich gegen Ausbeutung

Lieferdienste wie Lieferando oder Gorillas boomen. Doch während die Unternehmen Riesen-Profite einstreichen, kommt davon bei den Kurieren wenig an. Drei Betriebsräte aus der Branche erzählen im Interview, wie sie für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.


Semih, Till und Fabian sind Fahrer bei Lieferando und gewerkschaftlich organisiert. Semih hat 2017 – damals noch bei Foodora – den ersten Betriebsrat für Fahrradlieferanten überhaupt gegründet und angefangen, Kollegen zu rekrutieren. Nach dem Aufkauf von Foodora durch Lieferando 2019 sind alle drei in den neu gegründeten Betriebsrat gewählt worden.

Frage: Der Job als Auslieferungsfahrer wird immer toll angepriesen. Es wird geworben mit Slogans wie: „Werde Fahrer und verdiene durchschnittlich 13,10 € pro Stunde“ oder „Ein Outdoorjob, bei dem du deine Stadt, die frische Luft und Bewegung genießen kannst.“ Wie sieht die Realität aus? 

Semih: Ja, es kommt immer so leicht und angenehm rüber. Die Firmen, ob jetzt Lieferando oder früher Foodora und Deliveroo, benutzen schöne Farben und wirken nicht bedrohlich. Aber da steckt ein harter Verdrängungswettbewerb dahinter. Sie bieten einen Internetmarktplatz an, bringen Restaurants und Kunden zusammen und schaffen so Abhängigkeiten. Bei uns Fahrradkurieren wird überall gespart. Das Gehalt, mit dem geworben wird, richtet sich oft nach Vollzeitfahrern und ihren Fahrtenboni. Dass aber die meisten nur Teilzeit oder als Minijobber arbeiten und weniger verdienen, wird einfach verschwiegen oder es wird ein einzelner Fahrer als Beispiel genommen, der mal viel Trinkgeld gemacht hat. Sie sammeln Daten von uns Fahrern. Wir werden extrem kontrolliert und gleichzeitig kaum informiert.

Wie seid ihr dann zu der Gewerkschaft gekommen? Hattet ihr vorher Berührungspunkte mit Gewerkschaften oder Betriebsräten? 

Semih: Ich habe zu der Gruppe gehört, die zwar Gewerkschaften kannte – auch von den Eltern – aber nicht wirklich wusste, was die eigentlich machen. Meine Chefin und auch der Konzern haben sich immer dumm gestellt und sich rausgeredet, dass das Unternehmen jung sei und sich erst noch entwickeln und lernen müsste. Dann habe ich mit Hilfe der Gewerkschaft NGG, die für uns zuständig ist, einen Betriebsrat gegründet. Ich hatte gehört, höhere Löhne gehen nur mit der Gewerkschaft. Also dachte ich, ok, wir ziehen das jetzt groß auf. 

Till: Bei mir war es ähnlich. Ich bin mit 20 in die Gewerkschaft gegangen, aber dachte, „Was bringt mir das überhaupt? Die greifen nur mein Geld ab.“ Als Semih zur Betriebsversammlung eingeladen hat und die Chefs dann meinten, „Das ist nicht gut, geht da nicht hin!“, wurde ich neugierig. Ich habe gemerkt, dass wir keine Einzelkämpfer sind, sondern eine große Gruppe, die auch Macht hat.

Fabian: Ich habe das erste Mal Gewerkschaften über ihre Flaggen bei Demos wahrgenommen. Als ich dann bei Lieferando in den Betriebsrat gewählt wurde, war ich immer noch skeptisch gegenüber der Gewerkschaft. Ich dachte, „Ach, man kann doch Probleme auch intern regeln.“ Aber die Arbeitgeber hören nicht auf Einzelne. Außerdem ist die deutsche Gesetzgebung voll auf Arbeitgeberseite – wir müssen alles einzeln einklagen. Viele Kollegen haben dafür keinen Nerv. Da war ich dann überzeugt, dass wir mit der Gewerkschaft zusammen was verbessern können – auch für die Kollegen, die noch nicht die Kraft haben, für sich selbst zu kämpfen. 

Es gibt unterschiedliche Arten, wie eine Gewerkschaft arbeitet: mit Kompromissen oder durch Klassenkampf. Was denkt ihr darüber? 

Semih: Das ist eine schwierige Frage. Man sieht bei Gorillas in Berlin, dass Leute einfach gekündigt werden, wenn sie streiken und kämpfen, die dann ihre Miete nicht mehr zahlen können. Ich denke, es ist eine Frage des Organisationsgrades. Wenn wir mit 100 Prozent aller Arbeiter hier einen Streik oder Sturm auf die Bastille machen, können wir alle Forderungen erkämpfen. Bis dahin sind wir aber auch auf Kompromisse angewiesen. Trotzdem können wir gerade schon ordentlich Sand ins Getriebe bringen, so haben wir uns auch die unbefristeten Verträge erkämpft.

Till: Was die Arbeitsbedingungen angeht, sehe ich die größte Stärke im Betriebsrat und nicht in der Gewerkschaft. Wenn wir die Schichtpläne blockieren, haben die Chefs immer versucht, Kompromisse zu machen. Für höhere Entgelte sind wir aber auf die Gewerkschaft angewiesen.

Habt ihr Kontakt zu den Fahrern von Gorillas und Flink? Wie sieht es mit einem gemeinsamen Kampf aus? 

Fabian: Wir haben uns auf Demos immer gegenseitig unterstützt. Aber es sind unterschiedliche Gewerkschaften zuständig. Wir zählen zur Gastronomie, weil wir für Restaurants ausliefern und gehören zur NGG, während für Gorillas und Flink eben die ver.di zuständig ist. Da haben viele auch Angst zu kämpfen. Man kriegt viel von der Geschäftsführung ab und muss dagegenhalten. Am Ende setzt sich die Gewerkschaft mit mehr Mitgliedern durch, das wird die NGG sein. Lieferando will ja auch bald mehr von Supermärkten liefern lassen. Die Monopolbildung geht weiter, wie damals beim Aufkauf von Foodora.

Was wünscht ihr euch? 

Semih: Einen ordentlichen Tarifvertrag und die Wertschätzung des Arbeitgebers. 

Till: Genau, Tarif, Wertschätzung des Arbeitgebers, aber auch von der Gesellschaft. Nur Arbeiter, die Selbstbewusstsein haben, haben den Willen, etwas zu verändern. Jemand, der eh schon kein Selbstbewusstsein mehr hat, weil er sagt „Ach, ich mache jeden schlechten Job“, der will auch, glaube ich, nicht mehr viel verändern. Hier wird gerade ein neues Segment an Arbeit so halb in Stein gemeißelt, aber nur von Arbeitgeberseite. Ich will, dass da auch die Arbeitnehmer was mit zu tun haben. 

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