Kategorie: Kapital und Arbeit |
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Solidarität mit den Streikenden am Universitätsklinikum Gießen und Marburg! |
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Auch in Marburg zeigen sich die Auswirkungen des Privatisierungswahns und der kapitalistischen Krise. Ein Bericht über die Privatisierung und damit verbundenen Missstände des Uniklinikums. |
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PrivatisierungDas „Uniklinikum Gießen Marburg“ (UKGM) ist die einzige Universitätsklinik in Deutschland, die sich in privater Hand befindet. Die Privatisierung erfolgte im Jahr 2006. Dem voran ging der Wunsch des Landes Hessen, kein Geld mehr für die Klinik aufwenden zu müssen und damit den Landeshaushalt zu entlasten. Ziel war es, durch die Privatisierung den Investitionsstau zu beheben – dies brachte die „Rhön Klinikum AG“ auf den Plan, die sich zu Investitionen von 367 Millionen € verpflichtete, die bis 2012 abgeleistet werden sollten. Diesem Konzern gehören deutschlandweit 54 Kliniken. Bereits am 1. Juli 2005 wurden die Kliniken in Marburg und Gießen fusioniert – ein weiterer Ausdruck der Monopolisierungstendenz des Kapitalismus – und am 2. Januar 2006 in eine GmbH überführt. Anschließend wurden 95 % der Geschäftsanteile verkauft – lediglich 5 % blieben in der Hand des Landes Hessen. Bei einem Bietverfahren ging schließlich die besagte „Rhön Klinikum AG“ als Käufer hervor, sie kaufte das Uniklinikum zu einem Preis von 112 Millionen €. In der Frankfurter Rundschau wird diese Summe als „Spottpreis“ betitelt, denn die Vermögenswerte hatten damals einen vielfach höheren Wert. Der Verkauf wurde im hessischen Landtag mit den Stimmen von FDP und CDU entschieden. Mittlerweile besteht eine Kooperation mit dem Konzern Asklepios. MissständeSeit der Privatisierung häufen sich die Missstände. Eine Auswirkung war sofort spürbar: die angestellten Pflegekräfte mussten einen neuen Vertrag unterzeichnen, der deutlich schlechtere Konditionen enthielt – unter anderem wurden unbefristete Verträge auf einmal befristet. Außerdem ist eine Umsetzung auf eine andere Station oder sogar die Umsetzung der Angestellten zum jeweils anderen Standort möglich, ohne dass ein Mitspracherecht für die Betroffenen eingeräumt wird. Da der Standort Gießen vor der Privatisierung rote Zahlen schrieb und von beiden Standorten der wirtschaftlich schwächere war, wurden dort aus Angst vor einer möglichen Schließung noch mehr Zugeständnisse an die neuen Eigentümer gemacht, z.B. der Zwang für die Angestellten, Weiterbildungsmaßnahmen an Urlaubstagen machen zu müssen. Die Versorgungssituation ist schlecht: es fehlen nicht nur etliche Geräte, auch der Personalmangel ist ein riesiges Problem am UKGM. Personal fehlt vor allem in der Pflege, was hohe Wartezeiten und eine schlechtere Versorgung für die Patienten zur Folge hat. Dies führt auch zu Ärger bei den Patienten, die diesen wiederum beim Personal ablassen – eine Abwärtsspirale stellt sich ein. Die Beschäftigten spürt außerdem den deutlichen Spardruck. Entlassenes Personal wird nicht neu eingestellt, sondern die Mehrarbeit wird einfach auf den Rest verteilt. Außerdem zeigte sich immer wieder, dass Kollegen gekündigt wurden, um sie dann zu schlechteren Bedingungen wiedereinzustellen. Die Überstunden häufen sich und wenn diese abgebaut werden, sind teilweise mehrere Kollegen nicht an der Arbeit, was die starke Unterbesetzung der Stationen verstärkt. Im Jahr 2021 gab es aus diesen Gründen 575 Überlastungsmeldungen am Standort Gießen und 784 am Standort Marburg. Die Missstände sind so verheerend, dass es 2021 zu einer kollektiven Kündigungswelle kam. 15 von 16 Pflegekräften einer Station in der Gefäßchirurgie kündigten auf einen Schlag, wie der Hessische Rundfunk berichtet. Ein Teil des personellen Bedarfs wird durch Teilzeitarbeiter aus dem Ausland aufgefangen – die nur noch schlechter bezahlt werden. Unter den Angestellten wird eine Spaltung durch die Klinikleitung angestrebt, um bewusst die Solidarität unter den Beschäftigten zu brechen. So werden Zuwendungen ungleich verteilt: es gibt zum Beispiel ein Ticket für den regionalen ÖPNV für die Angestellten – aber nicht für das Reinigungspersonal. Auch am UKGM herrscht Fachkräftemangel, aber in besonderem Ausmaß. In der Regel sind die Arbeitsbedingungen in staatlichen Einrichtungen besser, weswegen es besonders wenig neue Bewerber im privatisierten Uniklinikum gibt. Die Angestellten werden nicht mehr nach TVöD bezahlt und verdienen somit brutto mindestens 400 € weniger. Als Universitätsklinik hat das UKGM auch einen Forschungsauftrag, dem aber nur dann nachgegangen wird, wenn diese Forschung profitabel ist. So wurde beispielsweise die zukunftsweisende Partikeltherapie in der Krebsbehandlung eingestellt. In der Pandemie zeigte sich außerdem, dass die Gesundheit der Angestellten bewusst ignoriert wird: statt genug FFP2-Masken zu stellen, um sie so gut es geht zu schützen, wurde versucht, die Masken nach Ende einer Schicht wiederaufzubereiten, um getragene Masken erneut zu tragen. KrankenhausbewegungBereits im Jahr 2009 formte sich ein erstes Bündnis namens „Notruf113“, das sich dafür einsetzte, die Missstände in der Patientenversorgung zu verbessern. Durch die prekären Arbeitsbedingungen im UKGM kam es im Jahr 2012 zu einem weiteren Aktionsbündnis „Gemeinsam für unser Klinikum“. Der konkrete Auslöser dafür war ein drohender Stellenabbau, gegen den 500 Beschäftigte erfolgreich protestierten. Dieses Bündnis forderte die Rücküberführung des UKGMs in öffentliches Eigentum. Sie unterstützen aus diesem Grund ein Rechtsgutachten, das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der hessischen Fraktion der Linkspartei in Auftrag gegeben wurde. In diesem soll die Rücküberführung mit §15 des Grundgesetzes begründbar sein. Bisher gingen die Aktionen des Bündnisses aber nicht über reine Appelle hinaus. So wurde nicht versucht, die Belegschaft zu organisieren und einen Streik durchzuführen, um Forderungen wie nach „besseren Arbeitsbedingungen“ umsetzen zu können. Durch die Verschärfung im Gesundheitswesen während der Corona-Pandemie wurde ein zweites Bündnis ins Leben gerufen. Dieses nennt sich „Krankenhausbewegung Gießen Marburg“ und wurde von ver.di gebildet. Ver.di fordert hierbei einen „Tarifvertrag Entlastung“ nach dem Vorbild anderer großer Kliniken (z. B. Charité). Dafür wurde ein Ultimatum von 100 Tagen gestellt, in dieser Zeit sollte ein solcher Tarifvertrag zwischen ver.di und der Klinikleitung ausgehandelt werden. Für dieses Ultimatum haben 4.163 Beschäftigte unterzeichnet, was mehr als 70 % der Betroffenen sind. Am 24. März waren diese 100 Tage abgelaufen. Ver.di verkündete, dass sie danach „streikbereit“ sein wollen – nicht etwa, dass tatsächlich gestreikt würde. Die Forderungen für den Tarifvertrag blieben dabei zunächst sehr abstrakt, so wurden nur „bessere Ausbildungsbedingungen“ oder eine „gute und verbindliche Personalbesetzung“ gefordert. Spezifischere Forderungen und Zahlen sollten erst innerhalb der 100 Tage gefunden werden. Erst am 9. März übergab ver.di der Klinikleitung konkrete Forderungen, wo unter anderem 300 bis 400 neue Vollzeitstellen gefordert wurden. Ver.di erklärte diese Forderung öffentlich nicht, was der Klinikleitung die Möglichkeit eröffnete die Forderungen für überzogen und unrealistisch zu erklären. Rolle der GewerkschaftDie massive Unterstützung unter den Beschäftigten am UKGM für das 100-Tage-Ultimatum zeigt, dass die Bewegung vor allem durch die Belegschaft getrieben wird. Die abstrakten Forderungen von ver.di sind zwar richtig, aber reichen nicht weit genug. Es gibt eigentlich nur eine Forderung nach mehr Personal und besseren Arbeitsbedingungen. Asklepios und die „Rhön Klinikum AG“ sagten bereits, dass das nicht umsetzbar sei. Damit die Verhandlungen für einen „Tarifvertrag Entlastung“ nicht scheitern, muss eine breite Mobilisierung in der Belegschaft stattfinden. Ver.di muss die Forderungen konkretisieren und alle Spaltungs- und Beschwichtigungsversuche der Klinikleitung entlarven. Gleichzeitig müssen die betrieblichen Forderungen mit politischen Forderungen verbunden werden. Folgendes muss klar gemacht werden: wenn gute Arbeitsbedingungen für die Rhön-AG wirtschaftlich nicht tragbar sind, dann muss das UKGM wieder verstaatlicht werden. Schon vor Ablauf des Ultimatums zeigte die Belegschaft ein hohes Selbstbewusstsein und Klarheit über die notwendigen Veränderungen. Aufgrund des Drucks durch die Basis rief ver.di nun zum unbefristeten Warnstreik auf. Am 27. März fand ein Delegiertenstreik statt, an dem bereits 90 % der Operationen ausfielen. Ab Mittwoch, dem 29. März, sind alle Beschäftigten zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Unsere ForderungenWichtig ist, dass ver.di nicht in den Tarifverhandlungen einknickt, wenn die Klinikleitungen davon sprechen, dass Zugeständnisse nicht möglich sind. Die Klinikdirektorenkonferenz gab am 23. März ein Thesenpapier heraus, in dem moralischer Druck auf die Belegschaft aufgebaut wird, um Streiks zu verhindern oder zumindest einzuschränken. Es sei „unverantwortlich“ und „ethisch nicht vertretbar“, bspw. die Notfallversorgung in den Streik mit einzubeziehen. Weiß die Klinikleitung, was noch unverantwortlich ist? Unterfinanzierung und Stellenabbau! Was es nun braucht, ist die Offenlegung der Geschäftsbücher, damit einsehbar ist, was wirtschaftlich tragbar wäre und was nur die Profite des Konzerns angreifen würde. Wenn höhere Löhne, mehr Personal und bessere Geräte mit den Profitinteressen der Rhön-AG kollidieren, muss gefordert werden, das UKGM zu verstaatlichen und auszufinanzieren. Hierbei muss die Belegschaft selbst demokratische Kontrolle über das Klinikum erhalten, denn nur sie können wirklich entscheiden, was es für die Gewährleistung guter Arbeitsbedingungen braucht. Die Bewegung im UKGM muss außerdem über politische Forderungen mit den Kämpfen im gesamten Gesundheitswesen verbunden werden. Nicht nur im UKGM – nein, im gesamten Gesundheitssystem brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen, zum Beispiel in Form einer gleitenden Lohnskala, bei der der Lohn immer gleitend an die aktuelle Inflationsrate angepasst wird. Ver.di muss dafür die Kampagne offensiv auf das gesamte Bundesgebiet ausweiten, damit nicht der Wettbewerb zwischen verschiedenen Kliniken angetrieben und die Bewegung gespalten wird. Vor allem aber dürfen sich die Kollegen am UKGM nicht durch Spaltungen und faule Kompromisse von ihrem Ziel abbringen lassen. Ein Verhandlungsergebnis für einen Tarifvertrag Entlastung muss in der ganzen Belegschaft diskutiert und demokratisch abgestimmt werden. Wenn das Ergebnis nicht ausreicht, muss ver.di für einen Streik mobilisieren! Wie soll das bezahlt werden?Durch eine konsequente progressive Besteuerung hoher Einkommen sowie die Enteignung von Schlüsselindustrien und der großen Konzerne ermöglichen wir bessere Arbeitsbedingungen für alle. Wenn Asklepios, Rhön-AG und Co. enteignet sind, haben die Profite mit der Gesundheit ein Ende!
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