Kategorie: Kapital und Arbeit |
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90 Jahre Betriebsräte: Mitbestimmung verteidigen – Selbstbestimmung erkämpfen |
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In der Wirtschaftskrise sind CDU/CSU/FDP und Unternehmerverbände vorsichtiger geworden. Mit Äußerungen über einen Abbau der Mitbestimmung halten sie sich derzeit diplomatisch zurück. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der FDP-Vorsitzende und heutige Vizekanzler Guido Westerwelle noch 2005 den Kündigungsschutz aufweichen und mit einer Änderung des Tarifvertragsgesetzes erreichen wollte, dass künftig in einem Betrieb auch ganz legal ein geringerer Lohn oder eine längere Arbeitszeit als im Tarifvertrag festgehalten, durchgesetzt werden können. | |||
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Westerwelles erklärtes Ziel war es, die Gewerkschaften durch die Aufwertung betrieblicher Vereinbarungen gegenüber tariflichen Regelungen zu „entmachten“ und die Belegschafts- und Gewerkschaftsvertreter in Aufsichtsräten großer Kapitalgesellschaften zu schwächen. Unvergessen ist auch die Aussage des früheren BDI-Präsidenten Michael Rogowski: „Man müsste Lagerfeuer machen und erst mal die ganzen Flächentarifverträge verbrennen“. Zwei Wege – ein Ziel Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte sich das Ziel gesteckt, Tarifverträge aufzuweichen und damit unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. In seiner Bundestagsrede zur „Agenda 2010“ am 14. März 2003 forderte Schröder, dass in den Tarifverträgen ein „flexibler Rahmen“ geschaffen werden müsse. „Ich erwarte, dass sich die Tarifparteien auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber handeln.“ Dies war eine unverhüllte Drohung des sozialdemokratischen Kanzlers an die Adresse der Gewerkschaften nach dem Motto: Macht aktiv mit, zerstört eure Errungenschaften lieber freiwillig, sonst kommen wir mit Gewalt! Während die Hardliner im Unternehmerlager die Gewerkschaften als Institution am liebsten durch Gesetzesänderungen schwächen wollen, setzen andere darauf, die Gewerkschaftsspitzen für ein Co-Management beim Sozialabbau zu gewinnen. Beide Wege schwächen die Gewerkschaften und schaden unseren Interessen. Seien wir auf der Hut! Es ist eine Wahl zwischen zwei Übeln! Tarifverträge unter Beschuss Tarifverträge sind Mindestnormen, die unsere Arbeitsbedingungen und Einkommen regeln. Der Druck zur Aushebelung dieser Bestimmungen nimmt von Tag zu Tag zu. Zwar enthalten bereits viele Tarifverträge „Öffnungsklauseln“ und werden in der Wirklichkeit (vor allem im Osten) tarifliche Standards extrem unterschritten und teilweise heute schon Hungerlöhne bezahlt. Doch die Herrschenden und ihre Politiker lassen nicht locker. Während CDU/CSU und FDP bei der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes 2001 gegen die angebliche Macht der Betriebsräte wetterten, entdeckten sie hinterher ihr „Herz“ für die Betriebsräte, die sie gerne gegen die „starren Funktionäre“ der Gewerkschaften ausspielen würden. So ließ sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Anfang November 2009 von Rüsselsheimer Opel-Arbeitern als verlässlicher Verbündeter der Belegschaft feiern. Der Betriebsratsvorsitzende Klaus Franz bezeichnete Kochs Auftritt auf einer Gewerkschaftsveranstaltung als „nicht gerade alltäglichen“ Beitrag zur „Überwindung traditioneller Schubladen“. „Klaus Franz hat Komplimente verdient“, erwiderte Koch. Er lobte die „Besonnenheit“ und Operbereitschaft der Opel-Beschäftigten im Zusammenhang mit dem geplatzten Magna-Deal und rief die Opelaner dazu auf, weiterhin loyal und geschlossen ihrem Betriebsratschef zu folgen. Reaktionäre, gewerkschaftsfeindliche Politiker wie Koch wissen, dass die Gewerkschaftsspitzen die kapitalistischen „Sachzwänge“ und neoliberalen Argumente geschluckt haben. Sie wissen, dass unter Krisenbedingungen und bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit viele Betriebsräte erpressbar sind und dazu genötigt werden können, an „ihre Firma“ Zugeständnisse zu machen. Seit fünf Jahren wirken die Hartz-Gesetze und die massive Ausweitung des Niedriglohnsektors als starke Mittel zur Einschüchterung der Belegschaften. Der Willkür Grenzen setzen - Betriebsräte stärken! Auch wenn es noch sehr viel zu verbessern gilt, so sollten wir jedes bestehende Recht entschlossen verteidigen. Betriebsräte können der unternehmerischen Willkür bestimmte Grenzen setzen und fungieren als Anlaufstelle, bei der die Beschäftigten ihre Interessen einbringen und Rat suchen können. Der Betriebsrat hat über die Einhaltung von Gesetzen, Schutzvorschriften, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zu wachen. Hat ein Betrieb mindestens 100 Beschäftigte, so kann der Betriebsrat einen Wirtschaftsausschuss einrichten, dem die Unternehmensleitung Einblick in ihre Geschäftsplanung gewähren muss. Schon solche Informationen können in Krisen- und Konfliktsituationen sehr hilfreich sein. Ohne Betriebsrat schauen Beschäftigte oft in die Röhre. So gehen die Opfer von Personalabbau oder Konkurs in vielen Fällen mit weniger oder ganz ohne Abfindung nach Hause, wenn es keinen Betriebsrat gibt, der über einen Teilinteressensausgleich oder Sozialplan verhandeln könnte. Gehört der Betrieb zu einem Konzern, so kann ein Betriebsrat manchmal auch bei der Vermittlung eines Arbeitsplatzes an einem anderen Standort behilflich sein. Jeder politisch bewusste Mensch sollte an seinem Arbeitsplatz die Rechte eines Betriebsrats verteidigen, seine Arbeit unterstützen und bei den anstehenden Betriebsratswahlen im Frühjahr 2010 selbst dafür kandidieren. Vor allem kommt es aber darauf an, wie informiert, engagiert und konsequent die Betriebsräte sind und inwieweit es der Gewerkschaft gelingt, Betriebsräte zu schulen, damit sie nicht nur an den „eigenen“ Laden denken und sich in Konkurrenz zu Belegschaft und Betriebsrat anderer Unternehmen sehen. Am Betriebstor endet die Demokratie Auch wenn wachsame Betriebsräte unternehmerische Willkür bremsen können, so sitzen Kapitalbesitzer in dieser Gesellschaft letztlich am längeren Hebel. Sie möchten sich nicht von Lohnabhängigen, Politikern oder Gewerkschaften „dreinreden“ lassen, wenn es um Profitaussichten geht. Sie möchten über ihr Eigentum ohne Einschränkung schalten und walten. Wer Eigentum hat, hat letzten Endes die Verfügungsgewalt und ist „Herr im Haus“. Demokratie hat ihre Grenzen, wo das Privateigentum an Produktionsmitteln berührt wird. Es ist immer noch so: Der demokratische Sektor endet am Betriebstor. Jedes Stück Mitsprache oder Kontrolle und auch demokratische Rechte wie Streikrecht und Demonstrationsrecht mussten erkämpft und müssen jetzt umso zäher verteidigt werden. Auch die viel gepriesene deutsche Spielart der „Sozialpartnerschaft“ und die „Mitbestimmung“ sind kein großzügiges Geschenk der Unternehmer, Kapitalisten und Bankiers, sondern Folge von erzwungenen Zugeständnissen nach dem Zusammenbruch des alten Systems in den Jahren 1918 und 1945. Zu Reformen waren die Herrschenden immer bereit, wenn sie Angst vor der Revolution hatten. Bevor Kapitalisten ihren Besitz abgeben, lassen sie Arbeiter/Gewerkschaften lieber kontrolliert „mitreden“ – in der Hoffnung, sie mit „ins Boot zu ziehen“ und von dem abzulenken, was ihnen eigentlich zusteht. „Sozialpartnerschaft“ – oder: Sitzen wir wirklich alle in einem Boot? Dass eine herrschende Klasse Vertreter der unterdrückten Klasse mit „ins Boot“ holt, um ihre Herrschaft abzusichern, und ihnen dafür manchmal auch gewisse Privilegien sichert, ist nichts Neues. So haben viele Unternehmer auch bisher keine Probleme mit „ihrem“ Betriebsrat – sie wissen Betriebsräte in ihrem Interesse zu nutzen und zu formen und notfalls auch kritische, klassenkämpferische Betriebsräte kaltzustellen, zu erpressen oder zu „kaufen“. Sie erkennen – bislang jedenfalls – das aus ihrer Sicht Positive an der „Mitbestimmung“: Mitwirkungsrechte schaffen Identifizierung mit dem Betrieb und die Illusion von einem großen Boot und gemeinsamen Interessen. Manche Chefs lassen „ihre“ Beschäftigten gerne da mitreden, wo es um eine Steigerung der Effizienz und somit ihrer Profite geht. In anderen Unternehmen jedoch herrschen frühkapitalistische Kommandoverhältnisse vor und drehen die Chefs durch, wenn ein Untergebener überhaupt Reizwörter wie „Betriebsrat“ und „Gewerkschaft“ in den Mund nimmt oder wenn bestehende Betriebsräte sich nicht einlullen lassen, sondern konsequent die Interessen der Belegschaft vertreten. Dies gilt für Firmen wie McDonald’s, Birkenstock, Schlecker, Lidl, Aldi und viele unbekannte Klein- und Mittelbetriebe. Viele Unternehmer scheuen keine Mittel, um aufmüpfige Betriebsräte loszuwerden oder gleich im Keime zu ersticken und betriebsratsfreie Zonen zu schaffen. In solchen Betrieben müssen „geheime“ Gewerkschaftsmitglieder höchst konspirativ vorgehen, um überhaupt einen Betriebsrat zu gründen. Große Angriffe stehen bevor Über Jahrzehnte haben die Kapitalisten mit dem deutschen „Mitbestimmungsmodell“ gut gelebt und verdient und Gewerkschaften und Betriebsräte zur Abmilderung von Konflikten eingesetzt. Auch wenn letztlich immer die Unternehmensleitung und nicht der Betriebsrat oder die Arbeitnehmervertreter am längeren Hebel sitzen, so sind ihnen zunehmend selbst die bestehenden Rechte zu viel. Was bringt die „Mitbestimmung“ im Aufsichtsrat? Nach dem SPD-Wahlsieg von 1972 wurde ein „Mitbestimmungsmodell“ nach dem Grundsatz der „Gleichberechtigung“ und „Gleichwertigkeit“ von Arbeit und Kapital angekündigt. Das 1976 verabschiedete Mitbestimmungsgesetz gilt für Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, GmbHs, bergrechtliche Gesellschaften oder Genossenschaften mit mehr als 2000 in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern und bestimmt, dass im Aufsichtsrat dieser Unternehmen gleich viele Vertreter auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sitzen. Diese (Schein-)Parität wird jedoch mehrfach unterhöhlt: So wird durch Gruppenrechte für leitende Angestellte im Aufsichtsrat die Arbeitnehmerseite geschwächt – denn in der Regel stehen leitende Angestellte der Kapitalseite näher als der Arbeitnehmerschaft. Bei Stimmengleichheit hat der Aufsichtsratsvorsitzende – in der Regel ein Mann des Kapitals – doppeltes Stimmrecht. Trotz dieser Absicherungen möchten die Bürgerlichen offensichtlich diese (Schein-)Parität abschaffen. Denn in einer zugespitzten Krisensituation könnte es vorkommen, dass konsequente Arbeitnehmervertreter eine Zufallsmehrheit in der Sitzung haben und diese auch voll ausnutzen und Entscheidungen der Kapitaleigner zumindest verzögern. Eine Falle Andererseits ist die Mitwirkung von Belegschafts- und Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat ein zweischneidiges Schwert und kann wie eine gefährliche Falle für die Arbeiterbewegung wirken. Aufsichtsratsmitglieder auf der Arbeitnehmerbank erfahren in den Sitzungen hinter verschlossener Tür wichtige Informationen, unterliegen aber einer Geheimhaltungspflicht und sind dem Wohle des Unternehmens verpflichtet. Wenn es darum geht, diese Informationen in eine wirksame Gegenstrategie zur Verteidigung der Beschäftigteninteressen umzusetzen, überkommt viele Aufsichtsräte mit gewerkschaftlichem Hintergrund ein Gefühl der Ohnmacht. Im Alltag fühlen sich viele Aufsichtsratsmitglieder durch ihre Zugehörigkeit zum erlauchten „Club“ geschmeichelt; sie kassieren satte Tantiemen und genießen sonstige Annehmlichkeiten. Oder sie werden oftmals über den Tisch gezogen oder einem starken Anpassungsdruck ausgesetzt, so dass sie die Argumente und Sachzwänge der Kapitalseite verinnerlichen und vieles abnicken oder widerstandslos dulden. So brachte es der Düsseldorfer Mannesmann-Prozess an den Tag, dass der frühere IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender nicht einmal gegen die 60-Millionen-Entschädigung für den früheren Konzernchef Esser gestimmt hatte. Bei der Deutschen Bahn stimmten 2008 auch die Arbeitnehmervertreter im Personalausschuss des Aufsichtsrats für üppige Bonuszahlungen an die Vorstandsmitglieder nach einem Börsengang. Über die Schiene der Mitbestimmung machten ehemals kleine Gewerkschafter wie der zu einiger Berühmtheit gelangte VW-Personalchef Peter Hartz und der frühere Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen traumhafte Karrieren und vergaßen dabei die Interessen, die sie früher einmal vertreten sollten. Darum sind wir gut beraten, wenn wir den Aufsichtsratsmitgliedern genau auf die Finger schauen, ein Ende der Geheimniskrämerei einfordern und von ihnen die nachweisliche volle Abführung aller Aufsichtsratstantiemen an die Gewerkschaft oder andere Solidaritätsprojekte der Arbeiterbewegung fordern. Wenn die Bürgerlichen uns die Krisenlasten voll aufbürden und ihre Interessen noch gnadenloser durchsetzen wollen, dann sollten wir uns darauf einstellen und nicht den „guten alten Zeiten“ in den 1970er Jahren nachtrauern. Harte Zeiten - harte Antworten Der Gegensatz liegt klar auf der Hand: Die Unternehmer wollen in jeder Hinsicht das Rad der Geschichte zurückdrehen, und wir wollen das Rad in eine ganz andere – entgegengesetzte – Richtung drehen. Darum müssen wir uns mehr vornehmen als nur ein Einfrieren des Ist-Zustandes. Wenn wir Wirtschaft und Gesellschaft im Interesse der arbeitenden Menschen umbauen wollen, dann brauchen wir viel mehr als nur eine lupenreine paritätische Mitbestimmung von 50:50. Die arbeitende Bevölkerung muss das Sagen haben. Es muss Schluss damit sein, dass „Nieten in Nadelstreifen“ auch nach erwiesenen Fehlentscheidungen gut abgesichert werden, während die kleinen Arbeiter und Angestellten die Konsequenzen von Fehlentscheidungen am eigenen Leib ausbaden müssen. Kontrolle und Verfügungsgewalt erfordern aber eine Änderung der Eigentumsverhältnisse. Erst wenn die Schalthebel der wirtschaftlichen Macht – Großkonzerne, Banken, Versicherungen – in Gemeineigentum überführt und der demokratischen Kontrolle durch Belegschaft, Gewerkschaft und Allgemeinheit unterworfen werden, können wir unser Schicksal in die eigene Hand nehmen und eine wirklich soziale und demokratische Gesellschaft aufbauen. Daher: Mitbestimmung verteidigen – Selbstbestimmung erkämpfen! Es geht auch ohne Chefs
Wiederaufbau bei Heraeus in Hanau im Mai 1945 Am 12. Dezember 1944 ist der Betrieb nahezu völlig durch einen Luftangriff zerstört worden. Es lief praktisch keine Produktion mehr. (...) Erst nach der Befreiung begannen die Aufräumarbeiten. Zugänge wurden freigemacht, Steine aufgesetzt und saubergemacht. Die ersten gewerkschaftlichen Lebensäußerungen bestanden in der Gründung von Betriebsausschüssen. Da kamen die Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel nach der Mittagspause zusammen und besprachen die wichtigsten Dinge. Wir haben langsam die Produktion beim Aluminiumgeschirr angekurbelt und Elektrokocher produziert. Der einstige Konzernchef hatte in dieser ersten Phase praktisch gar nichts zu sagen. Ihm wurde sogar der Zutritt verwehrt. Es herrschte damals eine Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen, dass nun manche Forderung durchgesetzt werden konnte, dass es mit Hilfe der sich entwickelnden Einheitsgewerkschaft auch möglich wurde, die soziale Absicherung der Beschäftigten voranzutreiben und damit Lehren aus der Weimarer Republik zu ziehen. Aus: Erinnerung des Betriebsausschussmitgliedes bei Heraeus, Wilhelm Habermann, Mai 1945 (Das Rote Hanau, Arbeit und Kapital, Hrsg. IG Metall Hanau) |