Kategorie: Kapital und Arbeit

Je früher man die Weichen stellt, desto besser kommt man zum Ziel

Interview mit Alfred Lange, Betriebsratsvorsitzender der Niederlassung Frankfurt (Main) der DB-Güterverkehrssparte DB Schenker Rail. Er ist Delegierter des TRANSNET-Gewerkschaftstags am Dienstag, 30. November 2010, bei dem die Fusion mit der Verkehrsgewerkschaft GDBA zur neuen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) beschlossen werden soll.



Die Fusion der DGB-Bahngewerkschaft TRANSNET mit der Verkehrsgewerkschaft GDBA zur neuen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im DGB ist historisch. Denn erstmals schließt sich eine Organisation aus dem Deutschen Beamtenbund (DBB) dem DGB an. Wie bewerten Sie das?

Prinzipiell positiv. Die Fusion ist sinnvoll und richtig. Statt drei Bahngewerkschaften gibt es nur noch zwei. Noch lieber wäre mir gewesen, wenn sich auch die GDL als die dritte Gewerkschaft der Fusion angeschlossen hätte.

Unter dem früheren TRANSNET-Vorsitzenden Norbert Hansen gab es Tendenzen zur Trennung vom DGB. Ist das ein für alle mal erübrigt?

Davon gehe ich aus. Ich sehe nirgendwo Signale, den DGB zu verlassen.

Aber was bedeutet die Zugehörigkeit zum DGB in der Praxis?

Ein Bekenntnis zur Einheitsgewerkschaft, auch wenn es für den einen oder anderen ein altmodisches Wort ist. Das wird heute wieder wichtiger denn je. Wenn es immer mehr berufsständische Organisationen gibt, freut sich darüber vielleicht die FDP. Damit kann ich mich nicht anfreunden, denn es wäre ein Rückfall in die Weimarer Republik.

Nun hält sich aber die GDL demonstrativ von der Vereinigung und vom DGB fern.

Das reißt für mich keine neuen Zäune um, weil die GDL in letzten drei oder vier Jahren extrem als Standesorganisation aufgetreten ist. Ich sehe in naher Zukunft keine Chancen dafür, dass wir nur noch eine Bahngewerkschaft haben, obwohl es für mich nach wie vor ein Fernziel bleibt.

In linken Kreisen gilt die GDL als kämpferische Organisation, die aller Welt zeigt, wo der Hammer hängt.

Nicht alles, wo links drauf steht, ist auch wirklich links. Wer sich mit der Geschichte befasst, wird sehen, dass die GDL mit linke Positionen und Traditionen nichts am Hut hat und ein Teil ihrer Führung in den 1930er Jahren eine besondere Nähe zu den Nazis und zum Naziregime hatte. Auch ihre Tarifabschlüsse sind nicht links. Selbst der „Lokführerstreik“ 2007 hat den GDL-Mitgliedern durch die Bank Nachteile gebracht. Man hat sich das Jahreseinkommen auf das Monatsentgelt schön gerechnet und jetzt unterm Strich weniger in der Tasche. Zwischenzeitlich hat die GDL neue Kompromisse vereinbart. Rückschritte hat kürzlich auch der Flexi-Tarifvertrag (Flexi-LfTV) der GDL gebracht.

Was beinhaltet dieser Vertrag genau?

Es ist ein zunächst begrenztes Pilotprojekt für den Einsatz von Lokführern im Güterverkehr. Das bringt längere Schichten, Rufbereitschaftsdienste, mehr Nachtdienste in Folge, mehrere Einsatzorte innerhalb eines Radius von 50 km, unbezahlte Pausen auch auf der Lok und die Verpflichtung zur ständigen telefonischen Erreichbarkeit. Der Arbeitgeber soll künftig eine Schicht ohne Zustimmung des Betriebsrats um bis zu zwei Stunden verlängern, verkürzen oder verschieben können. Für die Betroffenen kann dies deutlich längere Arbeitswege bedeuten. Damit wird die für Schichtarbeiter ohnehin schwierige Freizeitgestaltung mit Familie und Freundeskreis noch chaotischer. Und alles nur für ein paar Silberlinge. So viel Flexibilität wird die DB Schenker gerne aufgreifen und ausweiten.
Die GDL konzentriert sich immer mehr auf ihre Rolle als reine Standesorganisation. Sie hat jetzt auch zum zweiten Mal die zunächst umworbenen Zugbegleiter im Regen stehen lassen, weil damit die reine Berufsgruppenorganisation verwässert worden wäre.

Zurück zur aktuellen Fusion. Ein Jahr lang, so hieß es, konnten die Mitglieder demokratisch diskutieren.

Man konnte sich schon einbringen, wenn man ein Funktionsträger, etwa Bezirksvorstandsmitglied oder örtlicher Bevollmächtigter. Dieser Kreis war immer eingeladen. Dass daraus Änderungen an den Entwürfen einer Satzung und der gewerkschaftspolitischen Zielsetzungen entstanden wären, kann ich aus der praktischen Erfahrung heraus nicht bestätigen. Änderungsvorschläge wurden abgetan und haben keinen Eingang in den Satzungsentwurf gefunden.

Welches Beispiel gibt es hierfür?

Laut Satzung bin ich in einer Betriebsgruppe einer Region aktiv und aufgrund der Postleitzahl meines Wohnorts in einer anderen Region gemeldet. Ich habe somit am Betriebsstandort keine Möglichkeit mehr, betriebsübergreifend mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben zusammen zu kommen. Dass sieht die Satzung so nicht vor. Ebenfalls nicht vorgesehen sind Betriebskonferenzen auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene. Das ist ein fataler Fehler, wenn der Schwerpunkt auf der betrieblichen Ebene liegen soll. Ein anderer Punkt ist die banale Frage der Gleichbehandlung in der Beitragshöhe zwischen den zwei fusionierten Gewerkschaften. Die alten Beitragsregelungen sollen frühestens nach dem zweiten Gewerkschaftstag angepasst werden. Wer aus der GDBA kommt, zahlt niedrigere Beiträge. Weitere fortschrittliche Ansätze wurden nicht aufgegriffen.

Was für sonstige fortschrittliche Ideen fehlen in der Satzung?

Das fängt an beim Thema politischer Streik, der da wieder ausgeklammert wurde. Das erinnert mich an das Lenin-Zitat, wonach die Deutschen bei einer Revolution zuerst die Bahnsteigkarte kaufen. Man hat immer noch nicht verinnerlicht, dass es auch gesamtgesellschaftlich eine Frage der Macht ist.

Der Mitgliederschwund macht beiden Gewerkschaften zu schaffen. Zwei Kranke machen mit einer Fusion noch keine gesunde Gewerkschaft.

Dies ist ein Fakt, wobei dieser Mitgliederschwund weniger durch Austritte bedingt ist, sondern durch die Altersstruktur. Jedes Jahr gibt es Verluste vor allem durch den Tod von Mitgliedern. Weil die Beschäftigung zurückgeht, können Neuaufnahmen diesen Verlust nicht voll ausgleichen.

TRANSNET hatte das Trauma mit Norbert Hansen zu verarbeiten, der 2008 DB-Personalvorstand wurde. Die GDBA hatte ihr Trauma mit dem DBB, der sie nicht entlassen wollte und organisatorisch zu zerstören versuchte. Jetzt besteht die Chance, aus Fehlern zu lernen und den Neuanfang zu wagen. Wird dies auch gemacht?

Äußerst bedingt. Ich glaube nicht daran, dass das Trauma Hansen endgültig überwunden ist. Das mag bei dem einen oder anderen Funktionär so sein, ist aber bei anderen noch lange nicht so. Etliche sind noch Hansen oder seinen Eigenschaften verhaftet. Eine solche geschichtliche Epoche wie unter Hansen ad acta zu legen, das wird noch ein schwieriger Prozess werden.

Hansen stand wie kein anderer für Co-Management und Schmusekurs mit DB-Chef Mehdorn und Kanzler Schröder. Wirkt das also noch nach?

Selbstverständlich. Diejenigen, die immer für Hansen waren, sind nach seinem Weggang noch lange nicht mit ihm verschwunden. Ihre persönlichen Einstellungen und politischen Vorstellungen haben sie nicht geändert.

Muss sich die Schlagkraft der neuen Organisation nicht auch an ihrem Ansatz etwa zu den Problemen im Güterverkehr oder zum Börsengang beweisen, der nach wie vor nicht zu den Akten gelegt ist?

Wenn zwei sich zusammen tun, müsste man davon ausgehen, dass sie stärker sind. Ob durch eine andere Politik zustande kommt, ist nicht automatisch sicher. In den Köpfen muss die Fusion und Änderung stattfinden, etwa durch eine andere politische Haltung zur Privatisierung und zum Börsengang oder zu anderen konkreten Fragen wie Stuttgart 21.

Sie vermissen also auch eine klare Positionierung gegen Stuttgart 21?

Ich vermisse nicht nur eine Positionierung. Davor wäre noch eine offene Diskussion innerhalb der Gewerkschaft zu diesem Thema nötig gewesen. Die hat es bisher nicht gegeben. Vielleicht mag es die im Raum Stuttgart gegeben haben. Aber bei der Bedeutung und den Summen, um die es da geht, ist das nicht nur ein Thema für die TRANSNET-Ortsverwaltung in Stuttgart.

Manchmal drängt sich der Eindruck auf, einige aus der Gewerkschaft haben im Aufsichtsrat der Bahn schon vor Jahren für Stuttgart 21 gestimmt und möchten nicht daran erinnert werden.

Das kann ich nicht ausschließen. Aber ich denke, es hat noch nie eine so gute Gelegenheit gegeben, zeitlich und inhaltlich Überholtes über Bord zu werfen. Was wäre denn dabei zu sagen, ich habe mich mit meiner damaligen Einschätzung vertan und die Einschätzung von damals trifft heute nicht mehr zu? Das wäre doch ein Zeichen von Stärke, neue Position zu finden und falsche Position zu korrigieren.

Auf einem früheren Gewerkschaftstag haben Sie einmal bemängelt, die gewerkschaftliche Position zur Privatisierung sei „weder Fisch noch Fleisch“.

Im Moment sagt man uns, das stehe nicht auf der Tagesordnung und daher sei keine Diskussion nötig. Aber alle wirtschaftlichen Entscheidungen im Unternehmen sind nach wie vor an einem Börsengang ausgerichtet. Selbst wenn der Börsengang in der Öffentlichkeit derzeit nicht mehr das Thema Nr. 1 ist.

Ist das auch als Aufforderung zu werten, in den Gremien am Thema dran zu bleiben?

Ja. Die Situation wird irgendwann wieder akut. Sollen wir dann wieder resigniert sagen, eigentlich kommen wir jetzt zu spät und können nichts mehr machen und müssen das Beste daraus machen? Je früher man die Weichen stellt, desto besser kommt man zum Ziel.

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