Viele Frankfurter kennen die Simón-Bolívar-Anlage im Westend unweit des Grüneburgparks als Bushaltestelle oder kleinen, durch die hohen Bäume im Sommer angenehm schattigen Verweilplatz in gehobener Wohn- und Geschäftslage. Doch die wenigsten von ihnen beachten die dort aufgestellte Büste des von vielen Lateinamerikanern in höchsten Ehren gehaltenen Freiheitskämpfers Simón-Bolívar, der wie kein anderer im historischen Gedächtnis des Kontinents das Ziel einer revolutionären Vereinigung Mittel- und Südamerikas verkörperte.
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Mitte Juli waren hier die Ideen Bolivars allgegenwärtig. Venezuelas Generalkonsul Jimmy Chediak hatte nämlich zu einer feierlichen Kranzniederlegung geladen, um den 200. Jahrestag der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung Venezuelas von Spanien zu begehen. Dieser 5. Juli ist längst venezolanischer Nationalfeiertag geworden. Der Einladung Chediaks folgten lateinamerikanische Diplomaten ebenso wie in Deutschland lebenden Venezolaner und Aktivisten regionaler Lateinamerika-Solidaritätsgruppen.
An den langen Freiheitskampf im frühen 19. Jahrhundert und die Rolle Simón Bolívars erinnerte der venezolanische Verbindungsbeamte beim Bundeskriminalamt, Raul González, in einer Ansprache. Auch beim anschließenden Stehempfang wehte ein Hauch von lateinamerikanischer Revolution. So erinnerte sich der geschäftsführende Konsul der Dominikanischen Republik an sein Engagement im Widerstand gegen den von US-Truppen unterstützten Militärputsch, mit dem in den 1960er Jahren die linke Regierung unter Juan Bosch gestürzt wurde.
“Venezuela hat mein Leben verändert”, bekannte der Lehrer Heribert Recktenwald aus dem Taunus. Er hatte vor 30 Jahren beim Studium seine venezolanische Ehefrau kennengelernt und bei Besuchen in deren Heimat einen damals in Westeuropa weitgehend unbekannten “Raubtierkapitalismus” entdeckt, der “den Menschen nichts außer Elend anbietet”. Dadurch sei er “noch vor Chávez ein Chavist” geworden, so der Pädagoge in Anspielung an den heutigen venezolanischen Staatspräsidenten, der nach seinem Wahlsieg Ende der 1990er Jahre den Prozess der bolivarischen Revolution eingeleitet hatte.
“Für mich verkörpert Simòn Bolìvar Freiheit, Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit”, erklärte der chilenischstämmige Frankfurter Esteban Neira, der hier seit vielen Jahren lebt und erst vor kurzem von der Existenz des Denkmals erfahren hat. Er ist in einer Lateinamerika-Solidaritätsgruppe engagiert und kritisiert die gezielte Einflussnahme konservativer deutscher Parteienstiftungen in Lateinamerika. So habe die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung 2009 in Honduras den Putschisten Roberto Micheletti bei der gewaltsamen Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya unterstützt. Neiras ebenfalls aus Chile stammende Mitstreiterin Glenda Rojas sorgt sich um die Umweltzerstörung und das Schicksal der aus kolumbianischen Steinkohle-Tagebau-Gebieten vertriebenen Dorfbevölkerung. In dem jahrelangen Konflikt um den Bau eines neuen Kohlekraftwerks im nahen Mainz war bekannt geworden, dass dort die billigere kolumbianische Importkohle verfeuert werden sollte. Die Simón-Bolívar-Anlage bekam nach Angaben der Frankfurter Stadtverwaltung wenige Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs ihren heutigen Namen. Damals stiftete die venezolanische Regierung dem Vernehmen nach den Frankfurtern als Symbol des Friedens einen Kinderspielplatz. 1990 vereinbarten Konsulat und Stadtverwaltung die Anbringung der Bolivar-Büste. Inzwischen hat die venezolanische Regierung Mittel für die Anhebung des Sockels und Verschönerung des Denkmals im kommenden Jahr freigegeben.
Um mehr Verständnis für Kultur, Geschichte und die aktuelle Lage in Venezuela zu wecken, organisiert das Generalkonsulat in Frankfurt seit Jahren Veranstaltungen mit interessierten Organisationen vor Ort. Dazu gehören auch die alljährlichen Aufführungen neuer venezolanischer Filme im Höchster Filmforum.
Zum Charakter der venezolanischen Revolution siehe folgendes Interview mit Alan Woods.
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