Ich arbeite als Software-Entwickler in einer Internetfirma und bin dort Betriebsrat. Als ich von den Protesten gegen SOPA-PIPA erfuhr, habe ich eine E-Mail an das Management meines Betriebes gesendet und vorgeschlagen, dass sie eine Pressemitteilung schreiben sollten, die sich gegen den Gesetzesentwurf ausspricht, da er eine Bedrohung gegenüber dem Kerngeschäft des Betriebes und der Arbeit meiner KollegInnen darstellt. Leider hat das Unternehmen keine offizielle Stellungnahme abgegeben.
Einige Tage später bekam ich einen Anruf von der italienischen Polizei. Offenbar hat ein faschistischer Milliardär, der der Generalsekretär einer rechtsextremen Partei ist, 2007 eine Klage gegen mich eingereicht, weil er sich von einer Reihe von Artikeln auf der Website der lokalen Kommunistischen Jugend in meiner Heimatstadt Pavia „diffamiert“ gefühlt hat. Diese Person wurde 1980 aufgrund seiner Beteiligung an rechtsextremen Straftaten unter Arrest gestellt, floh aber nach Großbritannien und wurde dort sehr reich. 1999 kam er zurück nach Italien und 2008 wurde er Abgeordneter zum Europäischen Parlament. Gegen mich laufen derzeit Ermittlungen, weil vermutet wird, dass ich der Eigentümer oder der Administrator der Website sei. Ich muss laufend polizeiliche Untersuchungen über mich ergehen lassen und muss viel Geld für Anwälte ausgeben. Offensichtlich wird hier mit zweierlei Maß gemessen.
Was sind SOPA und PIPA?
Der Stop Only Piracy Act (SOPA) und der Preventing Real Online Threats to Economic Creativity and Theft of Intellectual Property Act (PROTECT IP Act, kurz: PIPA) sind zwei Gesetzesvorlagen, die dem US-Repräsentantenhaus und dem US-Senat 2011 vorgeschlagen wurden. Die Originalversionen beinhalteten Bestimmungen, welche Eigentümern an urheberrechtlich geschützten Inhalten, Handelsmarken und Pharmapatenten eine erweiterte Handhabe in ihrem langjährigen Kampf gegen „Piraten“ geben soll. Dies sollte erreicht werden, indem die Definition von Hauptstraftätern verbreitert wird. Darüber hinaus werden Akteure, die lediglich als Vermittler für Urheberrechtsverletzungen betrachtet werden können (wie Suchmaschinen, Websites, die von Benutzern bearbeitet werden, Sozialen Netzwerken, Netzwerke für Onlinewerbung, Hersteller von Circumvention Software und sogar Internetprovider) in diese Definition inkludiert.
Jede Website, bei der „Fakten oder Umstände vermuten lassen, dass diese in erster Linie als Mittel verwendet wird“ um eine Verletzung von geistigem Eigentum „zu vollziehen, ermöglichen oder erleichtern“, wird als Schurkenseite eingestuft. Damit könnten ganze Websites stillgelegt werden, nur weil sie eine Seite mit rechtswidrigem Inhalt beinhalten, oder weil sie den Zugriff auf Material, das jemand als sein Eigentum behandelt, erleichtern. Wenn eine solche Website im Ausland betrieben wird, müssen alle anderen US-Websites mit dem Inhaber des Urheberrechts bei der Durchsetzung einer unmittelbaren digitalen Blockade gegen diese zusammenarbeiten. Das bedeutet zum Beispiel, dass Links zu dieser Website von Google, Facebook oder Twitter entfernt werden müssen, andernfalls können diese ebenfalls verklagt werden. Bürgerrechtsvereinigungen haben dieses System mit der „Großen Firewall“, welche die chinesische Regierung zur Kontrolle und Einschränkung des Internets aufgebaut hat, verglichen. Anstatt die staatliche Kontrolle mit administrativen Mitteln auszuüben, wird hierbei die Kontrolle erreicht, indem private Unternehmen zur Zusammenarbeit gezwungen werden.
Unter den Unterstützern dieser Maßnahmen finden wir bedeutende Marken und große Namen der Unterhaltungsindustrie wie Disney, Sony, Warner; multinationale Pharma- und Kosmetikkonzerne wie Pfizer, L’Oreal, Estée Lauder; Produzenten von Waren, die stark auf ihren Markennamen basieren, wie Nike; Baseball- oder Football-Ligen, die Geld mit Merchandising verdienen; Verlage wie Penguin und McGraw-Hill; zahlreiche Berufs- und Wirtschaftsverbände wie die „Motion Picture Association of America“, die „Directors Guild of America“, die „Fraternal Order of Police“ oder die „American Bankers Association“.
Unglücklicherweise haben auch der Gewerkschaftsdachsverband AFL-CIO, die Teamsters-Gewerkschaft, die „International Brotherhood of Electrical Workers“ und andere Organisationen der Arbeiterbewegung ihre Unterstützung für diese Gesetzesvorlagen kundgetan. Sie stellen sich dabei in eine der schlechtesten Traditionen der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung: die Illusion in die Möglichkeit „amerikanische Jobs“ zu verteidigen indem man hinter den Interessen der Bosse seiner eigenen Branche steht. Selbst Apple und Microsoft, die anfänglich mehr oder weniger offen den Gesetzestext unterstützten, wechselten auf die andere Seite, als sich Opposition dagegen aufbaute – und sie zeigten dabei mehr Verständnis für die Stimmung in der Bevölkerung als so mancher Gewerkschaftsführer.
In einem Versuch, die Opposition im Keim zu ersticken, fingen die SOPA-Befürworter seit Dezember 2011 an den Umfang des Gesetzes einzuschränken, indem sie die umstrittensten Teile herausnahmen: z.B. wurden US-amerikanische „Piraten“ (diese werden ohnedies bereits von anderen Gesetzen abgedeckt) und Internetprovider ausgenommen. US-basierte Websites, die Links, Dienstleistungen für den Internethandel etc. für ausländische „Piraten“ bereitstellen, sind hingegen noch immer im Visier. Dieses Manöver hat aber lediglich die Schwäche und Unfähigkeit der Pro-SOPA-Front zur Schau gestellt.
Web-Streik
Am 18. Januar 2012 fand eine weltweite Protestaktion statt, um die Verabschiedung von SOPA im Unterhaus des Kongresses zu stoppen. Bereits vor dem Aktionstag wurde der öffentliche Druck gegen SOPA so groß, dass die Diskussion verschoben wurde, bis ein neuer Konsens erreicht wird. Am 16. Januar warf Barack Obama sein politisches Gewicht in die Waagschale, indem er erklärte, dass er gegen jede Gesetzgebung, welche sich negativ auf die freie Meinungsäußerung auswirkt, ein Veto einlegen würde. Viele glauben, dass SOPA und PIPA nun gestorben sind.
Die gewählten Protestformen waren im Wesentlichen ein symbolischer Online Blackout (Web-Streik), die Verbreitung von Informationsmaterialien im Internet, um Aufmerksamkeit bezüglich der Angelegenheit zu erlangen, und ein Appell an die WählerInnen in den USA sich an ihre Abgeordneten in Washington zu wenden. Aber es gab auch wirkliche Demonstrationen, wie z.B. in New York, San Francisco und Seattle.
Der Protesttag fand mit einer sehr großen Beteiligung von individuellen Blogs und Websites von gemeinnützigen Organisationen und Aktivismusnetzwerken (z.B. Mozilla Foundation und die Free Software Foundation) statt. Berichten zufolge haben 115.000 Websites zumindest ihre Startseite blockiert, zumeist mit Links zu detaillierten Erklärungen der Maßnahmen gegen die protestiert wird und einem Aufruf zum Handeln.
Wie die Wikipedianer kämpfen lernten
Der bedeutendste Blackout war jener der englischen Ausgabe von Wikipedia. Die berühmte frei zugängliche Online-Enzyklopädie wird gemeinsam von den NutzerInnen selbst bearbeitet und hat Ausgaben in 283 Sprachen. Die größte Ausgabe wird von der englischsprachigen Wikipedia-Gemeinde geschrieben und verwaltet. Jede dieser Online-Gemeinschaften hat demokratische Regeln entwickelt um die Mitglieder in die Entscheidungen miteinzubeziehen. Es war aufgrund einer langen und offenen internen Debatte, dass das englischsprachige Wikipedia die Entscheidung traf auf diese Weise deutlich in Aktion zu treten. Hier kann jeder die Debatte und die Argumente von verschiedenen NutzerInnen für oder gegen diese Aktionsform nachlesen. Für 24 Stunden wurden alle Seiten der Website durch ein schwarzes Bild mit einer Erklärung für den Protest ersetzt. Diese Erklärung wurde 17,5 Millionen Mal während des Tages aufgerufen. Durch die Bedeutung, welche Wikipedia im Alltag von Millionen von Menschen hat, wurde diese schwarze Seite zu einem mächtigen Statement gegen SOPA-PIPA.
Indem sie freiwillig, in einer kontrollierten und organisierten Weise die potentiellen Konsequenzen von SOPA-PIPA aufzeigten, haben die Wikipedianer eine typische Form des Protests aufgegriffen. Dies war vergleichbar mit dem Konzept eines Streiks von ArbeiterInnen: der Wert der (unbezahlten) Arbeit der RedakteurInnen wurde, indem sie für eine gewisse Zeit nichts bereitstellten, hervorgehoben. Es gab jedoch einen gravierenden Unterschied zu den meisten Streiks: die Profite von keinem privaten, kommerziellen Unternehmen wurden dadurch beeinträchtigt. Aber nicht alle Streiks treffen die Gewinne von privaten Firmen. Nehmen wir einen Streik von LehrerInnen. Oder einen Streik in einem Betrieb, der in einer tiefen Krise steckt und vor der Schließung steht. Das Gegenüber könnte in der Tat wirtschaftlich von einem solchen Streik sogar profitieren. Politisch wäre ein solcher Streik trotzdem ein starkes Zeichen und kann daher sehr wohl einen Effekt haben. Wir MarxistInnen unterstützen und nehmen an etlichen Arbeitskämpfen teil, deren einziger Zweck es ist die normale Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaft in indirekter Weise zu beeinträchtigen, und die Aufmerksamkeit von anderen ArbeiterInnen zu gewinnen, mit dem Ziel den eigenen Kampf oder die gesamte Bewegung zu stärken.
Die Feigheit von Silicon Valley
Großes Aufsehen erregte ein Offener Brief von AOL, eBay, Facebook, Google, LinkedIn, Mozilla, Twitter, Yahoo! und Zynga gegen SOPA. Diese Initiative dürfte großen Einfluss auf die Politik gehabt haben. Als am 18. Januar jedoch handfeste Taten gefragt waren, hielten sich die meisten dieser Unternehmen in ihrem Protestverhalten nobel zurück. Google platzierte lediglich in seinem Logo einen Link zu einer Unterschriftenpetition. Der CEO von Twitter gab in der Öffentlichkeit lediglich eine Sympathieerklärung für den Blackout von Wikipedia ab, Facebook machte nichts, außer dass Mark Zuckerberg auf Twitter gegen SOPA postete.
Lobbying gehört für diese profitgetriebenen Unternehmen zum täglichen Geschäft, aber zu einem politischen Kampf aufzurufen, ist ihnen viel zu heiß – überhaupt beim derzeitigen politischen Klima in den USA. Am Ende des Tages kooperiert Google mit der chinesischen Zensurbehörde, Twitter hat ebenfalls angekündigt, die Zensurvorschriften in allen Ländern akzeptieren zu wollen usw. Im Kampf für ein freies Internet können diese Unternehmen keine Bündnispartner sein, auf die wir uns verlassen können.
Ihr nennt es Piraterie, wir nennen es Demokratie
In der Tat kann die Verfolgung von „WikiLeaks“ als Testballon für eine Praxis gesehen werden, die durch SOPA und PIPA möglich gemacht werden würden. Das Bankkonto bei PayPal wurde eingefroren, Amazon stellte über Nacht das Hosting Service ein, der Domainname wurde aufgekündigt usw. Julian Assange nannte dieses Vorgehen „die Privatisierung der Zensur“. Dasselbe Konzept steckt hinter SOPA-PIPA.
Die Sache als einen Konflikt zwischen “Silicon Valley versus Hollywood” darzustellen, geht völlig an der Essenz der Frage vorbei. Auf dem Spiel steht nicht nur die Möglichkeit Kinofilme herunterzuladen, sondern es geht um weit ernsthaftere Fragen, nämlich die Einschränkung des Rechts auf eine freie Meinungsäußerung und andere demokratische Rechte. Die Macht zur Zensur hat in den Händen privater Unternehmen nichts verloren. Sobald der Prozess, im Internet entlang von nationalen Grenzen Schranken aufzubauen, einmal in Gang ist, kann dies fatale Folgen haben. Die Existenz eines weltweiten Computernetzwerks ist keine Errungenschaft der Menschheit, die nicht auch wieder rückgängig gemacht werden könnte. Das Internet muss als Schlachtfeld verstanden.
Die Jugend und die InternetaktivistInnen zeigen sich bereit für diesen Kampf zur Verteidigung eines freien Internets, und die MarxistInnen werden Teil dieses Kampfes sein. Die Erfolge von Piratenparteien in mehreren europäischen Staaten ist ein Symptom dafür, welche politische Relevanz diese Frage bereits erlangt hat. In den USA hat sich die Occupy-Bewegung eindeutig gegen SOPA-PIPA ausgesprochen. Die offizielle Stellungnahme der New York City General Assembly, die hier nachgelesen werden kann, ist jedoch ein Stück weit zu naiv, wenn sie die gesamte Internetinfrastruktur und -industrie an sich als fortschrittlich beschreibt.
Auf derselben Website findet man einen interessanten Kommentar von einem User, der sich marc ribot nennt. Er sagt, er ist Musiker und Komponist und beklagt die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sowohl großen Musiklabels wie auch unabhängigen KünstlerInnen „durch illegale Downloads“ erwachsen. Wie bereits dargelegt unterstützen viele US-Gewerkschaften auf Grundlage desselben Arguments SOPA-PIPA, weil sie darin eine Möglichkeit zum Schutz „amerikanischer Jobs“ sehen. Diese Herangehensweise ist aber völlig verkehrt, weil der Protektionismus noch nie ein erfolgreiches Mittel zur Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen war. Vielmehr werden dadurch inländische gegen ausländische Arbeitskräfte bzw. Beschäftigte in verschiedenen Industriezweigen gegeneinander ausgespielt (und dabei ist zu sagen, dass viel mehr US-AmerikanerInnen in der Software- und Computerindustrie beschäftigt sind als in der Unterhaltungsindustrie). Und noch viel entscheidender ist, dass diese Position sehr kurzsichtig ist, weil das Konzept einer Trickle-down-Ökonomie in der Realität nicht funktioniert.
marc ribot hat Recht, wenn er sich bezüglich der Unterstützung der Occupy-Bewegung für die Großunternehmen im Silicon Valley skeptisch zeigt: „Und seit wann agiert OWS [Occupy Wall Street] solidarisch mit den ‚führenden Technologieunternehmen’”???? Ich dachte, die gehören zu den 1%, gegen die wir sind […] es gibt keine 99% ohne die Lohnabhängigen”. Wir stimmen dem zu. Und dann zeigt er, spaßhalber oder nicht, noch einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma zwischen der fehlenden Vergütung intellektueller Arbeit und dem Verbot des freien Teilens von Informationen: „Ich bin auch offen für radikalere Lösungen: Wenn OWS Musik, Film und Literatur als ‚öffentliche Dienstleistungen’ neu aufstellen will, und uns Kunstschaffenden einen Lohn für die von uns verrichtete Arbeit zahlt, wie das in Kuba der Fall ist, gut, dann sage ich: ‚Estoy presente, compañeros!’“
Das ist genau der Punkt. In einer kapitalistischen Ökonomie kann „free stuff“ nicht die Lösung sein, wie dies die Piratenparteien und die naiven Teile der copyleft-Bewegung suggerieren. Aber wir werden sicherlich auch keine Orwellschen Versuche unterstützen um prinzipiell extrem billige Tätigkeiten, wie das Kopieren einer Datei oder das Brennen einer DVD, teuer zu machen oder gar zu verbieten, nur damit der kapitalistischen Profitlogik genüge getan wird. Die Lösung liegt in der Anerkennung des gesellschaftlichen Charakters der menschlichen Arbeit und folglich der Notwendigkeit gesellschaftlichen Eigentums und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit für alle intellektuellen und materiellen Werke, die von ihr hervorgebracht werden. Wenn dies mittels Kontrolle von unten passiert, wo demokratisch beschlossen wird, wie die gesellschaftlichen Ressourcen eingesetzt werden, wie viel die Gesellschaft für Musik, Kino, Bücher, Medikamente, Design usw. ausgegeben wird, gut, dann: Presente, compañeros!
Der Kapitalismus versucht alles zu Waren zu machen, um es dann auf dem sogenannten freien Markt verkaufen zu können. Dies geht nur, wenn die Eigentumsfrage eindeutig geklärt ist, und die Güter nur von jenen konsumiert werden, die dafür bezahlen. Ein Problem tritt dort auf, wo Dinge sehr günstig oder kostenlos kopiert werden können. Beispiele dafür wären Markenprodukte, patentierte Medikamente oder per Copyright geschützte digitale Inhalte. Wenn ich von einem Freund eine MP3-Datei bekomme, ist das kein Produkt, sondern eine „Reproduktion“, und ich konsumiere die Datei nicht, indem ich mir sie anhöre. Aus kapitalistischer Logik geht es um die Umkehrung dieses Prozesses und um die Verwandlung der NutzerInnen in KonsumentInnen. Und dieser Prozess kann leicht in einem 1984-ähnlichen Alptraum enden.
Die Alternative kann nur in der Beseitigung der Profitlogik liegen, was das gesellschaftliche Eigentum über die Produktionsmittel voraussetzt, damit deren Einsatz im Interesse der überwältigenden Mehrheit demokratisch geplant werden kann. Ein solches System würde das gewaltige produktive Potential der Menschheit freisetzen, was wiederum die Ressourcen zur ausreichenden Finanzierung der kreativen Tätigkeiten der Menschen zur Verfügung stellen würde. Dieses Potential kann sich heute nicht entfalten, weil das Privateigentum wie eine Zwangsjacke das Handeln der Menschen einschränkt.
ACTA: ein deutlicher Angriff
Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) ist ein internationales Abkommen, das eine neue übernationale Institution (das ACTA Komitee) zum Ergebnis haben soll, die sich dem Schutz der intellektuellen Eigentumsrechte widmen soll. Die Länder die ACTA unterzeichnen, müssen ihre gesetzlichen Regelungen entsprechend den Bestimmungen des Abkommens angleichen.
Ironischerweise wüssten wir ohne „Schurkenseiten“ wie WikiLeaks nicht sehr viel über ACTA. Die ersten Details wurden erst 2008 geleaked, also zwei Jahre nachdem die Verhandlungen über dieses Abkommen begonnen hatten. Eine Gruppe von 12 Staaten plus der EU haben diesen Prozess begonnen. 2009 wurden in den USA private Konzerne bezüglich des Projekts konsultiert: Pharmakonzerne, Vertreter der Unterhaltungs- und Softwareindustrie, Computerhersteller wie Dell und Intel, der Telekomriese Verizon, Google, eBay. Die breite Öffentlichkeit wurde jedoch nicht informiert, was einmal mehr zeigt, wer diese Welt wirklich regiert.
2011 unterschrieben die ersten Staaten das Abkommen: Australien, Kanada, Japan, Marokko, Neuseeland, Singapur, Südkorea und die USA. Mexiko machte einen Rückzieher, die Schweiz wird unterzeichnen. Die EU unterschrieb das Abkommen am 26. Januar dieses Jahres, doch mehrere EU-Mitgliedsstaaten müssen noch ratifizieren.
Im Zuge der Verhandlungen wurde bereits einiges entschärft, ACTA ähnelt in vielen Punkten aber SOPA, nur dass offensichtlich das Ziel verfolgt wird, dass es weltweit gelten soll.
ACTA gibt eine sehr vage und allumfassende Definition von möglichen Verstößen gegen die intellektuellen Eigentumsrechte und verlangt, dass solche Verstöße, die eine kommerzielle Dimension haben, strafrechtlich verfolgt werden und nicht Teil des Zivilrechts sind. Das bedeutet, dass nicht die Inhaber von Urheberrechten Anklage erheben müssen, wenn sie eine Abgeltung erwirken wollen, sondern dass die Polizei von sich aus Untersuchungen starten kann, um derartige Verstöße ausfindig zu machen. Die Kriterien für ein passendes Ausmaß der vorgesehenen Geldstrafen sind im Vertrag angeführt und scheinen darauf abzuzielen, dass das Strafmaß möglichst hoch ausfällt.
Das Abkommen „ermutigt“ durch strenge Haftungsregelungen private Unternehmen wie Internetprovider, Suchmaschinen und Internethandel-Netzwerke dazu NutzerInnen, die gegen dieses neue Regelwerk verstoßen, zu blockieren bzw. Datenmaterial über deren Identität an die Behörden und an die Inhaber der Urheberrechte weiterzugeben. Diese Zwangskooperation kann auch das Unterbinden des Zugangs zum Internet oder bestimmten Onlinediensten beinhalten.
Ausnahmen zum Zweck der Ermöglichung von kritischer Meinungsbildung, Bildung oder Information werden im Abkommen nicht erwähnt. Im Gegenteil, jede Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material kann als Verbreitung einer illegalen Kopie geahndet werden. Die Verwendung von Software für den persönlichen Gebrauch unter Umgehung des Urheberrechtsschutzes ist ebenfalls nicht vorgesehen.
Der Vertrag umfasst Bestimmungen, welche die Grenzkontrollen den Bedürfnissen der Inhaber von Urheberrechten und Marken unterwerfen, was im Grunde genommen die Souveränität der Staaten bei der Abwicklung von gesetzlichen Kontrollen von Import-Export einschränkt und zu einer Privatisierung der Grenzen führt. Privatunternehmen sollen das Recht haben, die Grenzpolizei zu instruieren, was diese zu blockieren hat, und sie sollen Zugang zu Informationen über Warenverkehr erhalten, der möglicherweise ihren Interessen schadet, wiederum mit dem Ziel diesen präventiv stoppen zu lassen. Der Teufel steckt wie so oft im Detail: Die Grenzkontrollen „müssen kommerzielle Güter, die in kleinen Lieferungen versendet werden,” überprüfen, aber sie „können“ auch das Reisegepäck von Privatpersonen unter die Lupe nehmen.
Generika werden wie Fälschungen behandelt, wenn die Patente auch nur in einem der Länder, die das Abkommen unterzeichnet haben, noch gültig sind. Das ist wortwörtlich ein tödlicher Hieb gegen jene Entwicklungsländer, die auf leistbare Generika von lebensnotwendigen Medikamenten (z.B. gegen HIV) angewiesen sind. Der Fall von Generika ist ganz besonders skandalös, weil in der Realität die großen Pharmakonzerne damit ihre Extraprofite aus Patentrechten beschützen, wobei sie in den meisten Fällen diese Patente gar nicht selbst entwickelt haben, sondern die Patente das Ergebnis von öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen sind. Der Großteil der Forschungstätigkeit dieser Konzerne geht nämlich in die Entwicklung von Life-syle-Medikamenten und veterinärmedizinischen Präparaten. Dies ist profitabler als die die Herstellung billiger Medikamente zur Heilung tropischer Krankheiten. Gleichzeitig setzen sie ihre ökonomische und politische Macht ein, um zu verhindern, dass ärmere Ländern selber Generika entwickeln. Dies ist ein klarer Fall, wo das Recht auf Privateigentum in direktem Widerspruch zu grundlegenden Menschenrechten, einschließlich dem Recht auf Leben, steht!
Einmal mehr soll eine übernationale Institution auf die Durchsetzung der Interessen der Großkonzerne hinwirken.
ACTA stoppen!
Der Widerstand gegen ACTA hat in den letzten Wochen eine große Dynamik bekommen. Am Tag der Unterzeichnung des Abkommens durch die EU trat der zuständige Berichterstatter für das EU-Parlament, der französische Sozialist Kader Arif zurück, um so gegen den undemokratischen Charakter bei dem Zustandekommen des Abkommens zu protestieren. In Polen und Slowenien kam es Ende Januar zu großen Demonstrationen mit bis zu 15.000 TeilnehmerInnen. Polen, Tschechien und die Slowakei sahen sich mittlerweile gezwungen die Ratifizierung von ACTA zu suspendieren.
Die Vorstellung, dass der Staat und private Konzerne ihre Kontrolle über einen weiteren Aspekt unseres Lebens ausbauen, wollen viele vor allem junge Menschen nicht widerstandslos hinnehmen. Dazu kommt, dass soziale Netzwerke im Internet eine zunehmende Bedeutung in der politischen Arbeit erlangen (auch wenn wir diesen Faktor im Vergleich zum wirklichen Klassenkampf nicht überschätzen sollten). Die Versuche der Staaten und Konzerne die Struktur und den Inhalt im World Wide Web zu kontrollieren, sollten wir vor dem Hintergrund der tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise mit der gebührenden Vorsicht sehen.
Das Internet und soziale Netzwerke gehören in vielen Ländern längst zur Alltagskultur der Jugendlichen, die in steigender Zahl über PCs oder Smartphones verfügen. Soziale Interaktion über das Internet ist mittlerweile ein Massenphänomen. Und es wird nicht einfach dieser Generation eine undemokratische Gesetzgebung, wie es SOPA, PIPA und ACTA darstellen, aufzuzwingen.
Diesen Samstag, 11. Februar, findet ein europaweiter Aktionstag gegen die Ratifizierung von ACTA mit Demos und Kundgebungen in mehr als 20 Ländern und 200 Städten statt. Eine Übersicht über die Proteste in Deutschland findest du hier.
Machen wir diese Proteste zu einem Teil einer breiteren Bewegung gegen die Macht der Konzerne und ein System, das den privaten Profit über die Bedürfnisse und Interessen der Mehrheit der Bevölkerung stellt.
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