Kategorie: Kultur |
|||
Neuer Papst, alte Probleme |
|||
|
|||
In Krisenzeiten suchen viele Menschen Halt in der Religion. Aber was, wenn selbst der Papst nicht mehr so viel Überzeugung an den Tag legen kann, dass er sein Amt bis zum Tod erfüllen möchte? |
|||
|
|||
Josef Ratzinger vulgo Papst Benedikt XVI. ist vorzeitig in den Ruhestand getreten und hat unter den gläubigen KatholikInnen damit für spirituelle Verwirrung gesorgt. Immerhin kam so ein Rücktritt eines Papstes das letzte Mal 1415 vor. Gab man anfangs vor, gesundheitliche Gründe würden Herrn Ratzinger zur Aufgabe zwingen, so wird nun immer deutlicher, dass dieser Schritt auf eine tiefreichende Spaltung in der katholischen Kirche und speziell in der Römischen Kurie, d.h. der Regierung der Kirche und dem Verwaltungsapparat dieser Miniaturtheokratie, zurückzuführen ist.
Materielle Basis
Die katholische Kirche ist vergleichbar mit einer Mischung aus einer alten Feudalmonarchie und einer modernen politischen Partei. Im Rahmen der kapitalistischen Herrschaftsordnung nimmt sie die Rolle eines kollektiven Ideologen im Dienste der bürgerlichen Klasse ein. Mit ihrer Lehre beeinflusst sie 1,2 Milliarden Menschen auf allen Kontinenten. Zu diesem Zweck stützt sie sich auf einen beachtlichen Apparat von mehr als 400.000 Priestern, 750.000 Nonnen usw. Allein in den USA arbeiten über eine Million Menschen direkt oder indirekt für die römisch-katholische Kirche.
Diese gewaltige Propagandamaschinerie wird im Großen und Ganzen über drei Kanäle finanziert: Spenden und unentgeltliche Freiwilligenarbeit (einschließlich der Arbeit von Mönchen und Nonnen); Einnahmen aus dem riesigen Immobilien- und Firmenbesitz; und nicht zuletzt durch staatliche Zuwendungen. Eine Reihe von Entwicklungen zeigen jedoch, dass die Finanzierung des machtvollen Apparats immer schwieriger wird.
In Europa sind immer weniger Männer bereit die Priesterweihe zu empfangen. Die Zahl der KatholikInnen an der Weltbevölkerung stagniert bei 17%, die tatsächliche Teilnahme an den liturgischen Feiern nimmt jedoch dramatisch ab. Dadurch sinken auch die Einnahmen aus Spenden. Die Vermittlung des katholischen Glaubens an die nachkommenden Generationen erweist sich als immer schwieriger. Die Zahl der Kinder, die in Europa gefirmt werden, sank in den vergangenen zwanzig Jahren um 18%, auch wenn dies durch steigende Zahlen in der „Dritten Welt“ kompensiert werden konnte. Bei den Erstkommunionen ist der Rückgang in den entwickelten kapitalistischen Ländern jedoch so stark, dass die Kirche weltweit ein Minus von 5% bei dieser Feier verzeichnen musste.
Gerade die Kirche im Westen ist in der Krise. Dabei sind vor allem die europäischen Länder aus wirtschaftlicher Sicht von entscheidender Bedeutung für den Vatikan. Gerade hier ist der Vertrauensverlust in die Kirche aber besonders stark ausgeprägt. In Italien erklärten 44% der gläubigen KatholikInnen in einer Umfrage, dass die Kirche aus ihrer Sicht keine passenden Antworten auf die Probleme des heutigen Familienlebens anzubieten hat. In Norditalien gibt es mittlerweile mehr standesamtliche als kirchliche Ehen. Selbst in den katholischen Hochburgen Spanien und Irland weist die Entwicklung in dieselbe Richtung. In vielen Ländern sehen wir außerdem eine zunehmend feindliche Haltung von großen Teilen der Öffentlichkeit gegenüber ökonomischen Privilegien der Kirche.
Angesichts all dieser Phänomene und der Konkurrenz durch modernere Religionsgemeinschaften wird klar, warum der Vatikan mit Sorge die Entwicklung seiner Finanzen sieht. Dies erklärt auch die wachsende Abhängigkeit des Vatikans von dubiosen Finanzgeschäften. Dabei nutzt der Heilige Stuhl seine Stellung als Steuerparadies und zur Geldwäsche. Zu diesem Zweck verfügt er auch über eine eigene Privatbank, das Istituto per le Opere di Religione (IOR), die unter der direkten Kontrolle des Papstes steht. Diese Bank wurde 1929 gegründet, um die Geldflüsse seitens des faschistischen Italien im Zuge der Lateran-Verträge zu verwalten.
2006 wählte Ratzinger Kardinal Tarcisio Bertone als seinen neuen Staatssekretär, sprich Ministerpräsidenten, aus. Die beiden arbeiteten bereits zuvor in der Inquisition zusammen und stellten eine zentrale Machtachse im Vatikan dar. Bertone repräsentiert eine Fraktion in der Kurie, die im Konflikt steht mit den Kardinälen, die ein enges Naheverhältnis zu den Anhängern von Karol Wojtila vulgo Johannes Paul II. pflegten (Sodano, Ruini u.a.). Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist auch der Vatileaks-Skandal zu sehen, durch den eine Reihe von Informationen über die schmutzigen Geldgeschäfte der IOR bekannt wurde. Viele Banken wickeln über den Vatikan ihre Schwarzgeldtransaktionen ab.
Kardinal Bertone kam 2008 an die Spitze der IOR und weigert sich seither standhaft gegen Vorgaben der EU und der italienischen Zentralbank die Finanzgebarung der IOR transparenter zu machen. 2009 ernannten Ratzinger und Bertone den Opus Dei-Mann Ettore Gotti Tedeschi, einen ultraliberalen Banker und Anhänger des “katholischen Kapitalismus”, zum Präsidenten der IOR. Dieser vertrat die These, die gegenwärtige Krise sei eine Strafe Gottes. Gotti Tedeschi versuchte aber die Bank transparenter zu machen und wurde dafür im vergangenen Jahr „gegangen“. Er war nicht das einzige Opfer von Bertone und dessen Günstling Marco Simeon. Auch Erzbischof Viganò, der das Budgetdefizit des Heiligen Stuhls in den Griff bekommen sollte und bei seiner Arbeit korrupte Würdenträger zur Verantwortung ziehen wollte, wurde letztlich abserviert. Vatileaks war wahrscheinlich ein gezielter Vergeltungsschlag gegen Bertone. Hinter den Kulissen dürfte also ein heftiger Machtkampf im Vatikan toben, der zur Abdankung von Ratzinger geführt hat.
Die Probleme bleiben
Joseph Ratzinger stand für eine Abkehr von der Linie, die sein Vorgänger Johannes Paul II. vertreten hatte. Dieser wollte die Kirche gegenüber der Jugend öffnen und die Ökumene beleben. Es muss hier nicht weiter ausgeführt werden, dass Wojtila eine um nichts weniger reaktionäre Politik vertrat. Auch der polnische Papst hatte trotz aller Öffnung an den Dogmen der Kirche eisern festgehalten. Die Wahl des deutschen Theologen hatte hingegen darauf abgezielt, die katholische Kirche auf den harten Kern der wirklich Gläubigen auszurichten. Diese Entscheidung entsprach sehr stark den Interessen des italienischen Klerus und der römischen Kurie. Doch diese Strömung scheint nun eine Niederlage eingefahren zu haben. Ratzingers Ära war gekennzeichnet von nicht enden wollenden Skandalen. Außerdem positionierte der deutsche Papst die Kirche gegen alle ihre ideologischen Feinde (allen voran den Marxismus!) und versuchte sie gegen die “Diktatur des Relativismus” zu immunisieren. Er stellte offen die Ergebnisse des 2. Vatikanischen Konzils in Frage und ernannte mehrere ultrakonservative Traditionalisten zu Bischöfen, darunter einen Holocaust-Leugner. Er bestätigte die engstirnige Ablehnung von Verhütungsmitteln, AIDS-Prävention, des Rechts auf Abtreibung und der Homosexualität. Auf Versuche die Kirchenstruktur zu reformieren, reagierte er mit dogmatischer Ablehnung. In Bezug auf die Skandale rund um Kindesmissbrauch durch Geistliche hüllte er die Glocke des Schweigens über diese Fälle. Ratzinger hat außerdem so viele Kardinäle wie noch kein Papst vor ihm ernannt und dadurch vor allem die mächtige italienische Lobby im Kardinalskollegium weiter gestärkt.
System in der Krise
Die Krise des Kapitalismus ist auch eine Krise seiner ideologischen Stützpfeiler. Welchen Weg der neue Papst auch einschlagen wird, er wird keinen Ausweg aus der Sackgasse finden, in der sich die Kirche befindet. Die Widersprüche in der Kirche werden in der kommenden Periode immer offener zu Tage treten, weil sie auf der einen Seite Gerechtigkeit predigt und auf der anderen Seite die Sprache der politischen Macht und der Finanzmärkte beherrscht. Das kann sehr rasch dazu führen, dass sie ihren noch immer sehr beachtlichen Einfluss in der Gesellschaft verliert. Spaltungen wären die Folge. Gleichzeitig kann es leicht passieren, dass Massenproteste ein Aus der staatlichen Subventionen für die Kirche, die Enteignung des Kirchenvermögens und den Rauswurf der Kirche aus dem öffentlichen Bildungssystem fordern. |