Er erzählt die Geschichte eines Dieners, der gegen seinen Herrn rebelliert und ihn schlussendlich überlistet.
Bereits der Ursprung des Figaros enthält subversive Elemente. Das Schauspiel des französischen Schriftstellers Beaumarchais, das Mozart als Vorlage für den „Figaro“ diente, und den Adel als degenerierte, wollüstige und verdorbene Klasse darstellt, wurde zu seiner Zeit als revolutionär und deshalb gefährlich angesehen. In einer seiner Reden wagt es die Hauptfigur Figaro sogar festzustellen, dass sie mindestens ebensoviel wert sei wie sein Herr, was in den Jahren vor der Französischen Revolution eine höchst staatsfeindliche Rhetorik darstellte.
Beaumarchais´ Stück galt als so gefährlich, dass Ludwig XVI. dessen öffentliche Aufführung verhindern wollte. Letztendlich wurde es dennoch gezeigt. Die Erstaufführung in Paris führte zu einem Aufstand, bei dem drei Menschen zu Tode getrampelt wurden. Dieser kleine Zwischenfall ist Ausdruck für den Gärungsprozess, der sich zu dieser Zeit bereits der französischen Gesellschaft bemächtigt hatte: gerade einmal fünf Jahre später folgte der Sturm auf die Bastille. Eine große Anzahl jener wohlhabenden Kunstförderer, die bei der Erstaufführung zugegen waren und je nach künstlerischen und politischen Vorlieben entweder buhten oder applaudierten, wurden später Opfer der Guillotine. Das ist das historische Schicksal einer Aufführung, die Napoleon später als „Revolution in Aktion“ beschrieb.
Man darf natürlich nicht den Fehler begehen, allzu viel aus den Arbeiten, die kurz vor der Französischen Revolution oder ähnlichen Ereignissen geschrieben wurden, herauszulesen. Die Verwicklungen sind allerdings zu deutlich, um nur das bloße Produkt eines Zufalls sein zu können. Auch wenn einE großartigeR KünstlerIn wenig von Politik versteht, ist er/sie manchmal durchaus dazu fähig, eine bestimmte Grundstimmung der Gesellschaft aufzunehmen und dieser einen tiefgründigen und echten Ausdruck zu verleihen. Das kann ohne weiteres auch vor jener Zeit sein, in welcher diese Grundstimmung durch bewusste Aktionen von Menschen den geschichtlichen Verlauf gestaltet. In politischer Hinsicht war Mozart kein Revolutionär. Weil er aber ein Kind seiner Zeit, ein Produkt der Aufklärung war, konnte er in seiner Kunst das Klima dieser Zeit perfekt reflektieren. Sein Temperament war erfüllt vom Geiste der Rebellion, was kein Zufall war. Im Gegenteil: Es waren seine eigenen Erlebnisse, die ihn dazu brachten, Ungerechtigkeit zu hassen und mit Sympathie auf den für seine Rechte, Freiheit oder Menschenwürde kämpfenden Unterdrückten zu blicken. Mozart war sich durch sein Leben in Wien am Ende des 18. Jahrhunderts vollkommen über den Charakter des Feudalismus und des herrschenden Adels bewusst. Über die revolutionäre Botschaft von Beaumarchais´ Schauspiel, das von Josef II., dem Cousin Marie Antoinettes verboten worden war, dürfte er kaum im Unklaren gewesen sein. Josef II. war für seine Zeit noch ein relativ fortschrittlicher Monarch (ähnlich wie Friedrich der Große von Preußen und Katharina die Große von Russland). Er beseitigte die Leibeigenschaft, führte das Recht auf (relativ) freie Meinungsäußerung ein und übte sich auch in einem Kräftemessen gegen die Privilegien des Adels. So war es nicht unüblich, dass Aristokraten als Strafe für kleine Verstöße die Straßen Wiens fegen mussten. Auch in die trivialsten Lebensaspekte mischte sich Josef ein. Zum Beispiel führte er ein Gesetz ein, mit dem Frauen das Tragen von Korsetts bei öffentlichen Ereignissen verbat.
Um die Oper zu demokratisieren, wollte Mozart sie in Zukunft auf Deutsch anstatt Italienisch schreiben (Die Entführung aus dem Serail). Der Einfluss des Italienischen erwies sich allerdings als so groß (die italienische Oper war zu dieser Zeit in Mode), dass er seine nächste Oper in italienischer Sprache verfasste (wobei die Sprache des Originals von Beaumarchais natürlich französisch war). „Der Barbier von Sevilla“, das andere Meisterstück Beaumarchais´, wurde bereits zu einer (italienischen) Oper verarbeitet und galt als der letzte Schrei. Diesem Beispiel wollte Mozart folgen. Er schrieb ein Stück, das „Figaro schlägt zurück“ heißen hätte sollen.
Mozarts Wahl des Librettisten war mehr als unüblich: Lorenzo da Ponte war Jude, ein Freigeist und Wüstling, ein guter Freund Casanovas. Auch war er kein erfahrener Librettist. Dennoch schuf er innerhalb von nur sechs Wochen ein bemerkenswertes Libretto. Da Ponte gelang es nicht nur, die politische Stärke des Originals beizubehalten, sondern gestaltete die Charaktere sogar noch eindrucksvoller. Bereits die ersten Töne der Ouvertüre sind vom Geist dieses Werks durchdrungen – ein Werk, das nur so von Leben und Energie überschäumt. Die sprunghaften Wechsel in den Gedanken und Gefühlen der Charaktere werden mit großartiger Exaktheit der Musik untermalt. Anfangs werden wir geradewegs in die Ereignisse der Eröffnungsszene hineingeworfen. Erstmals haben wir es nicht mit Göttern oder Göttinnen, klassischen Helden und Nymphen sondern mit einfachen Männern und Frauen zu tun: Mit Hausdienern. Wir betreten ihre Viertel und sehen wie sie leben, denken und fühlen. Es war dies das erste Mal, dass solche Dinge auf der Bühne gezeigt wurden.
In der ersten Szene führt Figaro Messungen für ein Bett durch. Da es sich dabei um Figaros Ehebett handelt, wird hiermit schon das zentrale Thema vorgestellt. Das Thema ist Sex. Die Bedeutung besteht darin, dass der Graf auf die Ausübung des feudalen „droit de seigneur“ – das Recht der ersten Nacht – besteht. Und Figaro ist fest entschlossen, ihn daran zu hindern. Hier prallt das Recht des Herren direkt auf das Recht des Dieners. Es handelt sich um einen Kampf zweier verschiedener Willen, den schlussendlich der Diener für sich entscheiden kann. In diesem Kampf wird die Willkürherrschaft der feudalen Aristokratie herausgefordert. Bereits im ersten Akt fordert Figaro den Grafen mit der berühmten Arie „Se vuol ballare, Signor Contino“ („Will einst das Gräflein ein Tänzchen wagen“) heraus:
„Will einst das Gräflein ein Tänzchen wagen, Mag er's nur sagen, ich spiel' ihm auf. Soll ich im Springen ihm Unterricht geben, Auf Tod und Leben bin ich sein Mann. Man muss im Stillen nach seinem Willen Menschen zu lenken, die Kunst verstehn. Mit muntern Scherzen leit' ich die Herzen, Schweigen und Plaudern, Handeln und Zaudern, Alles muss so, wie ich's haben will, gehn! Will einst das Gräflein ein Tänzchen wagen, Mag er's nur sagen, ich spiel' ihm auf!“
Die Arie wurde in die Form des höfischen Tanzes des 18. Jahrhunderts gegossen – dem Menuett. Allerdings unterscheidet sich die Musik stark vom eigentlichen Menuett. Sie ist ein von Drohungen und Missachtung erfülltes Statement, eine Kriegserklärung des Dieners an seinen Herrn. Es besteht kein Zweifel darüber, wo Mozarts Sympathien in dieser Auseinandersetzung liegen. Wir haben es hier mit einer Feudalgesellschaft zu tun, in welcher der Adel das Sagen hatte. Vom großen Landadel bis zum kleinen lokalen Landbesitzer – sie alle gehörten zum Feudaladel, der die gesamte Bevölkerung tyrannisierte. Der Adel stand über allen.
Mozart selbst kam aus der gehobenen Mittelschicht. Dennoch war er nur ein weiterer Bittsteller seiner adeligen Financiers: Ein überlegener Diener, aber dennoch ein Diener. Als Mozart dem Erzbischof zu Salzburg diente, wurde von ihm erwartet, gemeinsam mit dem Dienstpersonal unter den Treppen zu essen. Sein Platz war klar definiert: Über den Köchen aber unter den Dienern des Erzbischofs. Als Mozart sich dazu entschloss, aus den Diensten des Erzbischofs auszutreten und nach Wien zu ziehen, demonstrierte Graf Arco, eines der Anhängsel des Bischofs und angeblicher Freund Mozarts, Loyalität zu seinem Herrn indem er dem Komponisten einen Tritt in den Allerwertesten verpasste. Dieser Zwischenfall veranschaulicht deutlich die Beziehung zwischen dem Künstler und den Reichen, die dessen Dienste ebenso kauften wie jemand anderer einen teuren Jagdhund. Immerhin muss man auch einem teuren Hund einen Tritt geben, wenn er die Anweisungen seines Besitzers nicht befolgt. Auf Mozart muss demnach die Idee des Dieners Figaro, der die Oberhand über seinen Herrn gewonnen hatte, besonderen Reiz ausgeübt haben.
In Wien kam Mozart zu großem Ruhm und Ehre. Am Höhepunkt seiner Karriere erhielt er sogar einen gewissen Grad an Komfort und Prestige. Trotzdem schwebte das Damoklesschwert der Verarmung und Verschuldung ständig über ihm. Weil für Mozart „Figaro“ unbedingt ein Erfolg werden musste, war er froh darüber, dass Josef die Aufführung schlussendlich doch noch erlaubte. Wie Peter Schäffers Schauspiel „Amadeus“ verdeutlicht, waren Mozart und da Ponte aus Sicht der höfischen Opern-Clique Außenseiter. Trotz einiger Sabotageversuche einiger unbedeutender Adeliger ging das Stück im Mai 1786 über die Bühne. Man kann davon ausgehen, dass Josef mit der Erlaubnis der Aufführung der Oper u.a. politische Ziele verfolgt hatte. Zu jener Zeit lag er mit dem Adel wegen der Zahlung von Steuern und ähnlichen Angelegenheiten im Clinch. Es war wohl seine Absicht, die Aristokratie in einem schlechten Licht zu präsentieren. Schlussendlich kam die Oper bei der Wiener Bevölkerung derartig gut an, dass der Kaiser ab der dritten Aufführung die Zahl der Zugaben beschränken ließ. Jedoch kam es überhaupt nur zu neun Aufführungen. Die Herrschenden hatten die subversive Bedeutung des Werkes klar erkannt.
Figaro ist eine Komödie, allerdings enthält sie eine ernsthafte Botschaft. Es handelt sich einerseits um ein großes Lustspiel mit tiefsinniger Burleske, andererseits aber auch um Momente von großartiger Schönheit und Pathos wie in der Arie der Gräfin zu Beginn des zweiten Aktes, „Porgi d´amore“, wo sie den Verlust der Liebe ihres Ehemannes beklagt. Obwohl der Graf in diesem Fall seine Tyrannei nicht ausüben kann, wird er als willkürlicher Gewaltherrscher portraitiert. Dabei handelt es sich um eine soziale wie persönliche Tyrannei, die im gewaltsamen Umgang des Grafen mit Frauen zum Ausdruck kommt. Wie die Oper impliziert, liegt der Grund für den Fehlschlag seiner Tyrannei vor allem in ihrer vollkommenen Willkür: Weil sie nicht auf Vernunft basiert. ist es nicht vernünftig, dass sie existiert, wie Hegel sagen würde. Dasselbe Argument könnte auch gegen das gesamte Ancien Régime verwendet werden. Eine soziale Ordnung, die sich selbst überlebt hat, steht im ständigen Konflikt mit sich selbst, hat also keine Existenzberechtigung und muss niedergeworfen werden. Das ist die Argumentation von Philosophen wie Hegel und auch die grundlegende Logik und Rechtfertigung der Französischen Revolution. Auch in der „Hochzeit des Figaro“ ist sie allgegenwärtig.
Wie wir wissen, gibt es zur Bekämpfung von Tyrannen mehrere Wege. Von 1789-93 lag dieser Weg darin, ihnen die Köpfe abzuschlagen. Wo solch drastische Heilmittel allerdings nicht möglich sind, gibt es immer noch die Waffe des Humors, die Beaumarchais und Mozart mit großer Wirkung einsetzten. Schlussendlich dürfen die Diener sogar in den Salon des Grafen, um auf Figaros Hochzeit zu tanzen. Hier dreht sich die Stimmung. Die Massen erscheinen als triumphierende ProtagonistInnen – nicht als graue Figuren, die im Hintergrund schlummern, sondern als lebendige Individuen mit eigenen Gedanken, Charakteren, Gefühlen und Sehnsüchten. Der Anblick dieser triumphierenden und tanzenden Männer und Frauen im Salon des Adels ist voller historischer Bedeutung. Es ist ein musikalisches, darstellerisches Sinnbild und eine Vorwegnahme jener Ereignisse, die nur drei Jahre später zur Realität wurden.
„Die Hochzeit des Figaro“, voller Ohrwürmer, gutem Humor und kontroversiellen Themen war ein großer Erfolg. Nachdem es heutzutage wieder üblich ist, die Oper als Kunst für eine kleine Elite anzusehen, kann man sich schwer vorstellen, wie berühmt dieses Werk damals war. Es war die Popmusik jener Tage. Wer sich keine Eintrittskarte zur Oper leisten konnte, kannte es zumindest von den Drehorgelspielern. Sechs Monate nach der Erstaufführung in Wien wurde das Stück im Dezember 1787 in Prag gespielt. Dort war es ein noch größerer Erfolg. Mozart wurde dazu gedrängt, sich selbst ein Bild von den Reaktionen zu machen und wie sehr diese Musik ankam – nicht nur im Opernhaus, sondern auch als Tanzmusik in den Ballhäusern. Erfreut schrieb er an einen Freund: „Nichts [wird] gespielt, geblasen, gesungen und gepfiffen als Figaro, keine Oper besucht als Figaro und ewig Figaro.“
Mozarts nächstes große Meisterstück „Don Giovanni“, dessen Libretto erneut Da Ponte schrieb, basiert auf der spanischen Geschichte von Don Juan, die seit ihrem ersten Erscheinen im Jahr 1630 in Tirso de Molinas „El Burlador de Sevilla“ in verschiedensten Formen in der Literatur immer wieder zum Thema gemacht wurde. Dieselbe Thematik wie in „Figaro“ wird hier mit weitaus düstereren Farben, größerer Tiefe und Komplexität verarbeitet. Bereits bei den ersten bedrohlichen Klängen der Ouvertüre ergreifen die dunklen Farben des Werkes das Ruder. Don Giovanni ist ebenso wie der Graf aus „Figaro“ ein Wüstling, allerdings ist er noch viel mehr: Er ist ebenso ein Rebell, der alle sozialen und moralischen Normen verweigert. Ein Element der Anarchie zieht sich wie ein roter Raden durch die Oper und gibt eine Ahnung vom Zerbröckeln der existierenden sozialen und moralischen Ordnung. Bezeichnenderweise wird die allererste Arie im ersten Akt von Leporello, Don Giovannis Diener, gesungen. Während er in der Kälte auf seinen Herren wartet, der drinnen Frauen hinterher jagt, verflucht er sein Los. Die Botschaft von Leporellos Arie ist politisch subversiv – ein Ruf nach Umwälzung der sozialen Ordnung.
"Notte e giorno faticar, Per chi nulla sa gradir, Piove e vento sopportar, Mangiar male e mai dormir, Voglio far il gentiluomo E non voglio piu' servir. Oh che caro galantuomo! Voi star dentro colla bella, Ed io far la sentinella!"
[Keine Ruh' bei Tag und Nacht, Nichts, was mir Vergnügen macht, Schmale Kost und wenig Geld, Das ertrage, wem's gefällt! Ich will selbst den Herren machen, Mag nicht länger Diener sein. Gnäd'ger Herr, Ihr habt gut lachen! Tändelt Ihr mit einer Schönen, Dann muss ich als Wache fröhnen. Ich will selbst den Herren machen, Mag nicht länger Diener sein. Doch was gibt's? Ich höre kommen! Fort in's Dunkel schnell hinein.]
Somit wird Leporello, dem urbildlichen lustigen Diener, ein ernsthaftes Motiv gegeben. In der berühmten „catalogue aria“, in der er ironisch die Liebesabenteuer Don Giovannis auflistet, wird seine Kritik des liederlichen Lebensstiles seines Herrn (und folglich des Adels im Gesamten) fortgesetzt. Die Rolle des Leporello ist keine Neben-, sondern im Gegenteil eine zentrale Rolle dieser Oper. Am Ende überlebt Leporello seinen Herrn, der mit Hilfe eines mysteriösen Gastes in die Flammen der Hölle geschickt wird.
Nachdem Don Giovanni die letzte Gerechtigkeit widerfuhr und er für ewig verdammt war, vertreiben Mozart und Da Ponte die Schwefeldämpfe mit einem flinken und witzigen Sextett, in dem die Überlebenden die Moral der Geschichte darlegen und über ihre eigene Zukunft sinnieren. Der unbändige Leporello zieht den Schluss: „Ed io vado all'osteria a trovar padron miglior." (“Und ich werde in die Taverne gehen und einen besseren Herrn finden.”)
Im 19. Jahrhundert mit all seiner viktorianischen scheinheiligen Prüderie wurde der Optimismus dieses heiteren Sextetts als schlechter Geschmack bezeichnet und deshalb kurzerhand oft ausgelassen. Doch die Massen zeichnen sich immer durch einen unzähmbar fröhlichen Geist aus, selbst in den ernsthaftesten Kämpfen. Mozart bewies mit der Vervollständigung dieses Werkes einen treffsicheren Sinn für die menschliche Natur.
Der erste Akt von „Don Giovanni“ beginnt mit der Feststellung des Dieners Leporello, dass die Welt auf dem Kopf stehe. Am Ende dieses Aktes macht Don Giovanni einen Trinkspruch auf die Freiheit. Dieser Spruch steht im Zeichen der Zeit. Der Charakter von Don Giovanni ist komplex und widersprüchlich. Er ist bei weitem interessanter als der Graf in „Figaro“. Ein Abenteurer, ein liederlicher Lebemann, ein Aristokrat, der es gewöhnt ist, Menschen nach Lust und Laune zu manipulieren. Gleichzeitig ist er mutig. Als sich am Ende des ersten Aktes die gesamte Welt gegen ihn richtet, antwortet er aufsässig:
"E' un orribile tempesta Minacciando, o Dio, mi va. Ma non manca in me coraggio, Non mi perdo o mi confondo. Se cadesse ancora il mondo, Nulla mai temer mi fa."
[Mir verwirren sich die Sinne! Kaum vermag ich mich zu fassen. Wild erregte Stürme rasen, Drohn von allen Seiten mir! … Doch soll nie mein Mut erliegen. Mag die Welt in Trümmer gehen!]
Schlussendlich ist er sogar dazu bereit, gegen sein Schicksal und den Tod persönlich zu kämpfen. Unter den Adeligen gab es nicht wenige dieser Art. Einige reaktionäre Abenteurer kämpften für das alte Regime und gingen frohen Mutes auf die Guillotine. Einige, wenn auch bei weitem weniger, brachen mit ihrer Klasse und liefen zur Seite der Revolution über, wo sie mutig kämpften und starben. Hätte Don Giovanni die Französische Revolution durchlebt, er hätte sich wohl für einen der beiden Wege entschieden.
In einer Beziehung nimmt „Die Hochzeit des Figaro“ Abschied vom realen Verlauf der Geschichte und dem wahren Leben – allerdings nur relativ. Im Finale des vierten Aktes versöhnen sich der Graf und die Gräfin wieder, nachdem er für seine Sünden gebüßt hatte. Danach verbrüdern sich alle mit allen und singen zusammen in Harmonie. Das Werk endet glücklich. Allerdings liegt ein glückliches Ende im Wesen der Komödie – ansonsten wäre es keine Komödie. Und es ist sich auch jedeR darüber bewusst, dass solch ein Ende wenig mit dem echten Leben zu tun hat. Was wir noch wissen ist, dass zeitweilige Versöhnungen zwischen Klassen nicht dauerhaft sein können, genauso wie wir uns darüber sicher sein können, dass der Graf so früh wie es ihm nur möglich ist erneut den weiblichen Dienerinnen hinterher jagen wird.
Jeder Krieg wird mal durch zeitlich befristete Waffenstillstände unterbrochen, in jedem Kampf gibt es Momente, in denen zeitweilig Ruhe einkehrt. Beim Beginn der Französischen Revolution – sowie bei jeder anderen Revolution – herrschte ein großartiges Gefühl der Euphorie, der Verbrüderung aller Klassen. Die Illusion der universellen Bruderschaft schien für kurze Zeit alle Klassenunterschiede aufzuheben und nahm das Bewusstsein der gesamten Gesellschaft in Besitz. Wie alle Träume löste sich jedoch auch dieser im kalten Licht des Tages auf. Die Französische Revolution begann dort, wo „Figaro“ endete, allerdings blieb sie dort nicht stehen. Der weitere Verlauf der dramatischen Ereignisse von 1789-93 ließ alle Illusionen hinter sich. Die alte Welt brach zusammen, der angesammelte Dreck von Jahrhunderten wurde im Mülleimer der Geschichte entsorgt.
Der Weg zur Revolution wurde durch Reformversuche vorbereitet. Dieses Phänomen hat sich in der Geschichte der Revolutionen oft wiederholt und wird in Alexis de Toquevilles berühmtem Werk „L'ancien régime et la révolution“ dokumentiert. Mozarts Schirmherr Josef II. versuchte solche Reformen von oben vorbeugend gegen eine Revolution von unten durchzusetzen. Wie alle derartigen Versuche war auch dieser zum Fehlschlag verdammt. Auf Josefs Grabstein findet sich eine von ihm selbst gedichtete pathetische Aufschrift: “Hier ruht der Prinz, dessen Absichten gut waren. Doch er hatte das Unglück, all seine Pläne in sich zusammenbrechen zu sehen.“ Mozart starb 1791 offenbar an einer Epidemie. Gemäß einem von Josefs zahlreichen Edikten wurde er außerhalb der Stadtmauern in einem nicht gekennzeichneten Grab beigesetzt, das niemand mehr identifizieren konnte. Doch der Name Mozarts wird heute von Millionen verehrt, während jene der aristokratischen Oberherren längst vergessen sind.
Alan Woods
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