Kategorie: Kultur

Aufstand mit Verstand

Nachruf auf den wegweisenden Trotzkisten Ted Grant.

 


"Das Erbe ist niemals ein Gegebenes, es ist eine Aufgabe. Es bleibt vor uns (..)." (Jacques Derrida)

Ted Grant verstarb Ende Juli diesen Jahres im Alter von 93 Jahren in einem Altersheim nahe London. Geboren 1913 als Isaac Blank in einem Vorort des südafrikanischen Johannesburg, hatte Ted seinen Lebensmittelpunkt Mitte der 1930er Jahre in die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs verlegt. Er, ein Weißer aus der unteren Mittelschicht, war jedoch spätestens seit 1929 Aktivist der trotzkistischen Bewegung und hatte sich maßgeblich an der Organisation betrieblicher Kämpfe in den Reihen der schwarzen Arbeiterschaft beteiligt.

Auswanderung nach Europa

Zusammen mit einem Genossen ging Grant 1934 auf Europareise, zunächst nur in der Absicht seinen "Horizont zu erweitern". Ted sollte nie mehr in seine alte Heimat zurückkehren. Er blieb in Europa, da er hier bessere Möglichkeiten für die Entfaltung seiner politischen Arbeit sah. Die Genossen durchquerten Frankreich und trafen in Paris Leo Sedow, einen der Söhne Trotzkis und hauptamtlicher Organisator der Internationalen Linken Opposition (ILO). Bei der Überfahrt über den Ärmelkanal nahm Isaac Blank den, von einem Matrosen an Bord entlehnten, Kampfnamen Ted Grant an. Dieses tat er nicht aus Geheimniskrämerei, sondern aus Rücksicht auf seine Verwandten in Südafrika, denen der "verlorene Sohn" keine Schwierigkeiten aufgrund seiner revolutionären Aktivitäten in der Ferne bereiten wollte.

Neue Heimat - gleicher Kampf

Anfang der 1930er Jahre befand sich die britische Arbeiterbewegung inmitten einer Phase der Radikalisierung. Links von der Labour Party wuchs die Independent Labour Party (ILP) zu einer Organisation mit Masseneinfluss heran. Da die GenossInnen hier die bewusstesten und kämpferischsten Aktivisten vermuteten, orientierte die zahlenmäßig unbedeutende Gruppe der trotzkistischen Workers International Leage (WIL) ihre politische Arbeit zunächst auf die ILP. Die Tätigkeit in der ILP erwies sich jedoch als wenig ergiebig und Ted, der bereits zum engeren Führungskreis der WIL zählte, gehörte zu jenen Genossen, die - zusammen mit Trotzki - um das Jahr 1935 anfingen dafür einzutreten, den Schwerpunkt der politischen Arbeit in die Labour Party zu verlagern. Die in Labour aktiven Trotzkisten gaben die Zeitung "Militant" heraus.

"RCP Times"

Im Jahr 1943 fanden sich die zwei wichtigsten Richtungen des britischen Trotzkismus, unter ihnen die WIL, noch einmal zu einem neuen, gemeinsamen Projekt zusammen. Man gründete die Revolutionary Communist Party (RCP). Ted Grant gehörte von Beginn an zur Führungsebene der neuen Gruppierung. Auch weil Ted aufgrund einer schweren chronischen Krankheit nicht zum Kriegsdienst eingezogen wurde, kam ihm in der politisch-praktischen und theoretisch-programmatischen Arbeit der Gruppe von Anfang an eine besonders wichtige Rolle zu. Grant war sein ganzes Leben lang sehr stolz auf die RCP-Zeit, welche ihn politisch entscheidend geprägt hat. Deswegen gehen wir hier näher auf diese Ereignisse ein, ohne Teds Bedeutung in den Geschehnissen im Einzelnen erläutern zu können.

Die theoretische Basis für die offene Parteigründung bildete die damals in der trotzkistischen Bewegung über alle taktischen und organisatorischen Differenzen hinweg gültige Annahme, dass der neue Weltkrieg schließlich zu einer neuen revolutionären Welle gerade auch in Europa führen werde und dass die Arbeitermassen sich dann - aufgrund der passiven und sogar offen konterrevolutionären Rolle der Führungen der sozialdemokratischen und stalinistischen Massenorganisationen - gleichsam notwendig nach einer neuen revolutionären Führung umschauen würden.

Die RCP entfaltete energische Arbeit an allen nur denkbaren politischen Fronten, um dem selbstgesteckten Anspruch - Aufbau einer im Bewusstsein der Arbeiter fest verankerten, alternativen Führung der unmittelbar bevorstehenden Revolution - gerecht zu werden. Die Genossen nahmen mit der Waffe in der Hand am Krieg gegen Hitlers Armeen teil und warben dabei unter den einfachen Soldaten der Königlichen Truppe für eine sozialistische, wahrhaft antifaschistische Kriegsführung. Niederringung der faschistischen Armeen nicht so sehr durch deren physische Vernichtung und schon gar nicht durch Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung, als vielmehr durch die Gewinnung der gewöhnlichen deutschen Arbeiter-Soldaten auf der Grundlage sozialistischer Gegen-Propaganda und vorbildlicher sozialistischer Maßnahmen auf der britischen Insel - das war das Programm, mit dem die RCP unter anderem auch in der Armee Fuss fasste.

Während die moskauhörige Communist Party of Britan (CP) zu dieser Zeit alle Streikmaßnahmen im Vereinigten Königreich ablehnte, da diese angeblich die Kriegsmaschinerie behindern würden, ermunterten die GenossInnen der R(!)CP kämpfende Belegschaften. Sie waren die einzigen linken Kräfte, die das in organisierter und systematischer Weise taten. Eine sozialistische Kriegsführung, wie sie die RCP anstrebte, konnte nur klappen, wenn die Masse der Arbeiterklasse in allen Fronten für Ihre Interessen und eine neue Gesellschaftsordnung kämpften. Nur mit solchermaßen hoch motivierten roten Soldaten konnte es auch gelingen, die einfachen Arbeitersoldaten des gegnerischen Militärs als Brüder im Kampf um die letztlich gemeinsame Sache zu betrachten, zu behandeln und politisch zu gewinnen.

Bei Unterhaus-Nachwahlen stellte die RCP in Labour- und in kommunistischen Hochburgen hier und dort gezielt eigene Kandidaten auf. Dabei hatten die GenossInnen nie das Ziel, eine Wahl tatsächlich zu gewinnen, sondern den organisierten, revolutionären Marxismus als alternative politische Option durch Diskussionen und geduldiges Erklären im Bewusstsein der Arbeiter lebendig zu halten und fester zu verankern. RCP-Kandidaten luden offensiv die konkurrierenden CP- und Labour-Kandidaten ihres jeweiligen Wahlkreises zu gemeinsamen Debatten ein, warben zuvor an Fabriktoren für die Veranstaltungen - und die Arbeiter kamen in Scharen! Dabei kam es zu bemerkenswerten Ereignissen. Einmal weigerte sich ein CP-Kandidat an Diskussionen mit "faschistischen Agenten" (stalinistische Bezeichnung für Trotzkisten) teilzunehmen. Doch der Druck der eigenen Parteibasis zwang ihn dazu, dieses schließlich doch tun zu müssen.

Mit dieser geduldigen Überzeugungsarbeit auf der Grundlage konsequent leninistischer revolutionärer Kriegspolitik (s.o.) gelang es der kleinen aber gut aufgestellten RCP tatsächlich, sich einen hervorragenden Ruf in der Arbeiterbewegung aufzubauen. Polizeirazzien gegen die RCP machten deutlich, dass man den steigenden Einfluss der Gruppe auch auf Seiten des Klassengegners registrierte. Inzwischen freigegebene Geheimdienstakten belegen, dass die Staatssicherheit ernsthaft besorgt war.

Kriegsende - Die europäische Revolution findet nicht statt

Bereits im Jahr 1944 kamen Ted erste Zweifel, ob der Krieg nicht doch ein anderes Ende nehmen könnte, als es die IV. Internationale insgesamt für wahrscheinlich hielt. Aus dem März 1945 datiert ein längerer Artikel Teds, in dem er klar und deutlich feststellt, dass Stalinismus und Kapitalismus in Europa keinesfalls geschwächt, sondern sogar gestärkt aus dem weltweiten Gemetzel hervorgehen würden (siehe: www.tedgrant.org/archive/grant/1945/03/changed.htm). Auf diese veränderte politische Konstellation, so Grant, müsse sich die "IV." und mit ihr die RCP einstellen. Alle revolutionären und vorrevolutionären Regungen der Arbeiter, die es bei Kriegsende sehr wohl gab, wurden von den alliierten Kriegsgewinnern im Keim erstickt. Ob in Griechenland durch den britischen Imperialismus, in den deutschen Westsektoren durch die "Westmächte" oder in der SBZ (spätere DDR) von der sowjetischen Bürokratie. Einzig die Partisanenarmee Titos setzte in Jugoslawien ein "sozialistisches Gesellschaftsmodell" neuen Typs in Gang. Dafür brachen nun in anderen Weltgegenden (China, Korea, Vietnam...) die Dämme des Imperialismus. Der Preis für seine Stabilisierung in Europa und Nordamerika war der zeitweise Verlust eines festen Zugriffs auf seine Kolonien. Der Schwerpunkt der Weltrevolution verlagerte sich für einige Jahrzehnte von Europa in den fernen und näheren Osten, sowie nach Afrika und später wenig später auch nach Lateinamerika. Ganz falsch war die politische Generalperspektive des Trotzkismus in den 1940er Jahren also nicht gewesen, jedoch blieb die Revolution in den Zentren von Kapitalismus und Stalinismus vorerst aus. Die Unberechenbarkeit der dialektischen Ent- und Verwicklungen des Prozesses der permanenten Revolution erteilte der IV. Internationale eine harsche Lektion.

Doch manche Menschen wollen lieber schwadronieren als lernen. Die Mehrheit der "IV." und mit ihr große Teile der RCP ignorierte die Fakten. Teds gut begründete Positionen waren für diese Dogmatiker nichts weiter als so etwas wie ein ungehöriger Verrat an den "Prophezeiungen Trotzkis". Es ist keine Schande Fehler zu begehen - ganz gleich wer sich irrt - doch es wird immer in einem politischen Fiasko enden, wenn man jene nicht ernsthaft korrigiert und entsprechende Kursänderungen vornimmt. Das ist dann im übrigen immer auch ein grundsätzlicher Verrat an der gänzlich unideologischen und dafür wissenschaftlichen Lehre des Marxismus. Ein wütender Fraktionskampf über verschiedene Luftnummern dieses Typs brach nun in der RCP aus, an dessen Ende schließlich 1950 die Selbstzerstörung der einst so effektiven Gruppe, sowie der Ausschluss Teds und seiner Unterstützer aus der IV. Internationale standen.

Reduced to Nothing

Die 1950er Jahre waren eine extrem schwierige Zeit in Teds Leben. Seine Unterstützer reduzierten sich auf eine handvoll GenossInnen in Wales und London, sowie auf versprengte Kontakte im ganzen Vereinigten Königreich. Da Ted nie einen "normalen Beruf" gelernt und die kleine Gruppe keine Möglichkeit hatte, ihm ein Auskommen als Berufsrevolutionär zu zahlen, sah sich Grant gezwungen, als Verkäufer von Gebrauchsgegenständen von Tür zu Tür durch Londons Straßen zu ziehen und in Hausfluren zu übernachten. Dennoch verlor er weder seinen herzlich-souveränen Humor noch seinen legendären Optimismus. Ted wurde nie durch persönliche Unbill aus der Bahn geworfen. Das Bewusstsein, zum bewusstesten Teil der Arbeiterbewegung zu gehören und das Wissen um die große eigene Verantwortung, die eben hierin liegt, waren für Ted zeitlebens die Quelle aus der ihm Energie selbst noch in den scheinbar auswegslosesten Zeiten zuströmte (Als er und andere Unterstützer 1992 aus der Leitung des "Militant" (siehe unten) gemobbt worden waren, trafen sich die Ausgeschlossenen gleich nach der denkwürdigen Sitzung in einer Privatwohnung. Die Stimmung war sehr resignativ. Ein Genosse meinte, die Mehrheit des Militant hoffe wohl dass Ted bald sterben würde und diese sich dann dessen theoretisch-programmatisches Erbe im Vorübergehen anheften könnten. Ted begann daraufhin laut zu lachen und meinte nur: "Ich? Sterben? Nein, nie!" - und die anfängliche Resignation ging wieder über in nüchterne politische Arbeit.). Ted schrieb in dieser persönlich bitteren Zeit viele wegweisende Aufsätze und beteiligte sich - gerade auch nach seinem Ausschluss - leidenschaftlich an den programmatischen Diskussionen der IV. Internationale. Diese hatte sich allerdings - aus heutiger Perspektive betrachtet - längst selbst aufgegeben und war, absolut folgerichtig, dazu übergegangen, sich in zutiefst bürgerlichen Konkurrenz- und Mobbingspielchen selbst zu demontieren. Ted hatte mit seiner frühzeitigen Analyse Recht behalten: Sowjetbürokratie und Kapitalismus hatten sich in ihren Zentren nachhaltig stabilisiert. Dieses hatte zur Folge, dass sich insbesondere der Reformismus innerhalb der Arbeiterschaft als insgesamt fortschrittlich und politisch effektiv verkaufen konnte. Wer den Fakten nicht ins Auge sehen mag, wird am Ende von ihnen erschlagen.

Innere Stärke

Die von Grant dargelegten Thesen waren grundsätzlich anderer Natur als jene, die die so genannten Führer der sich verbürgerlichenden "4. Internationale" von sich gaben. Persönliche Souveränität, Herzlichkeit, Toleranz, Ernsthaftigkeit, Kritikfähigkeit und Optimismus zeugten, damals wie noch in seinen letzen Lebensjahren, von Teds redlicher innerer Haltung, während die "Führer" der meisten anderen "trotzkistischen" Gruppen immer autoritärer, intriganter, dogmatischer, zynischer und in ihrer Gedankenwelt nicht selten recht abstrakt wurden. Gerade in Zeiten tiefer Frustrationen erweist sich die wahre innere Haltung einer Person, die an dem was sich in der eigenen Persönlichkeit dann offenbart, entweder wächst oder aber in der ein oder anderen Weise zusammenbricht. Ted wuchs ungewollt über sich hinaus und dadurch, ebenso ungewollt, in die Rolle eines wirklichen Erneuerers der revolutionär-marxistischen Bewegung hinein.

Wieder neu beginnen

Es wird noch bis Mitte der 1960er Jahre dauern, dass Grant und "seine Leute" die Summe aller Erfahrungen mit den Herrschaften der "4." ziehen und dieser inzwischen völlig verkommenen Organisation für immer den Rücken kehren. Ted war eben kein Freund von Spaltungen und schnellen Wendungen. Es musste schon viel Ernüchterndes und abstoßendes vorfallen sein, bevor Grant einer gewachsenen Organisation den Rücken kehrte. Erst als ihm, durch lange und leidvolle Erfahrung klug geworden, klar wurde, dass mit der alten "4." tatsächlich nichts Gutes mehr anzufangen war, zog er sich - im übrigen ohne großes Getöse und fiese Spielchen - aus jenem Laden, der zwar vergessen hatte Konkurs anzumelden es faktisch aber war zurück. Mitte der 1950er Jahre beginnt die kleine Gruppe einen alten Faden wieder aufzunehmen: Erneut tritt man der Labour Party bei. Gleichzeitig versucht man stalinkritische Strömungen in der KP zu beeinflussen, jedoch nur mit sehr geringem Erfolg. In der Labourparty und insbesondere in deren Jugendorganisation, den Young Socialists, gelingt es der Gruppe neue MitstreiterInnen zu gewinnen. In walisischen Bergarbeitersiedlungen läuft die Arbeit besonders gut. 1960 gelingt es der Grant-Tendenz den walisischen Juso Alan Woods zu für sich zu gewinnen, mit dem Ted seit jener Zeit eine enge politische Zusammenarbeit und Freundschaft verband. Innerhalb weniger Jahre gewinnt die politische Arbeit an Fahrt, so dass man sich 1964 dazu entschließt, die Gruppe um Zeitung Militant herum neu aufzustellen. Zwischen 1964 und ca. 1989 gelingt es Ted und seinen GenossInnen in Großbritannien die größte und einfussreichste trotzkistische Organisation, bekannt geworden als "Militant-Tendency", aufzubauen, die die westliche Welt seit den Tagen der sowjetischen Linken Opposition Mitte der 1920er Jahre bisher gesehen hat. Auch international wächst die Bedeutung von Teds Ideen merklich, wenn auch auf bescheidenem Niveau.

Die lehrreichen Erfahrungen dieser Zeit im Einzelnen zu erläutern ist an dieser Stelle leider nicht möglich. Dass führende englische Presseorgane anlässlich Teds Tod lange und detaillierte Beiträge über sein Leben und politisches Wirken publizierten, lässt erahnen welch bleibenden Eindruck Grants "Militant-Tendency" in der britischen Politik hinterlassen hat.

Teds 1. Erbschaft: Dialektik von "Theorie" und "Praxis"

Ted hat dem marxistischen Denken wegweisende und inspirierende Texte hinterlassen. Der Schwerpunkt seines Wirkens lag jedoch immer auf der praktischen politischen Arbeit. Und nichts anderes als diese praktische Arbeit war der Quell seiner theoretisch-programmatischen Textproduktionen. Ted war weder ein hochnäsig-intellektualistisch und besonders "kritisch" daherkommender, todlangweiliger Ableitungs"marxist", noch ein linksradikaler, schrill tönender Hysteriker, sondern revolutionärer Marxist bis in die Fußspitzen. Künstliche Trennungen zwischen "Theorie" und "Praxis", "Reden bzw. Schreiben" und "Handeln" gab es bei ihm nicht. Während die meisten anderen trotzkistischen Tendenzen ihre zunehmende Verbürgerlichung auch dadurch zum Ausdruck brachten, dass sie die zutiefst bourgeoise Trennung von Hand- und Kopfarbeit zelebrierten, repräsentierte Grant als Person deren organische bzw. dialektische Einheit. Ted legte immer großen Wert darauf, dass "Theorie" nichts anderes ist, als Verallgemeinerung und Reflexion konkreter "Praxis" und, aus dieser Reflexion folgend, Anleitung zum Handeln. Eben deshalb ergeht es einem beim Lesen von Tedtexten so, wie beim Lesen von Lenin-, Trotzki- oder den meisten Marxtexten. Ihnen haftet eine unglaubliche Lebendigkeit an. Man hat als heutiger (!) Leser nach wenigen Seiten das Gefühl ganz unmittelbar z.B. an den Diskussionen der RCP beteiligt zu werden. Und aus lebendiger Erinnerung lassen sich wichtige Schlüsse für unsere gegenwärtige Praxis ziehen. Es lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass dieser Aspekt von Teds Wirken den wichtigsten Teil seines weiterwirkenden Erbes darstellt.

Teds 2. Erbschaft: politisch-persönliche Integrität

Die Verbürgerlichung des Großteils der trotzkistischen Bewegung drückt sich bis heute wie in einem Brennglas darin aus, dass sich die Grüppchen und Personen verhalten wie gewöhnliche Unternehmer in irgendeinem Markt. Man konkurriert gegeneinander, legt seine Ressourcen gelegentlich durch Fusionen zusammen und wie die Discounter füttert man Kundschaft (bzw. "Kontakte") an, indem man seine Zeitung ab und zu für Umme verschenkt. Es wird gemobbt, geprotzt und schrille Eigenwerbung betrieben. Ted hat sich für solche Sachen nie interessiert. Teds Abwendung von der "IV." Mitte der 1960er Jahre war nichts weiter als eine Form der Abwendung von schlechter, zutiefst bürgerlicher Gesellschaft. Im selben Sinne ist es zu verstehen, wenn Grant nach seinem Ausschluss aus der Militant-Gruppe 1992 sagte, dieses sei die beste Spaltung gewesen, die er je erlebt habe. Das Ansehen und die Qualität unserer Arbeit sind seitdem in der Tat nur gewachsen. Die Zusammenarbeit von GenossInnen in einer bolschewistischen Organisation hat von Loyalität, Verlässlichkeit, Toleranz und Kritikfähigkeit geprägt zu sein. Andere Leute sollen eine Firma aufmachen, in einer bürgerlichen Partei oder sonst wo Karriere treiben, uns aber bitte in Ruhe lassen. Es war nicht zuletzt seine persönlich integere Haltung, die auch über Teds Tod hinaus in unserer Organisation wirken und uns auch weiterhin vom großen Rest eines gewissen linkstuenden Milieus unterscheiden wird.

Teds 3. Erbschaft: Orientierung auf Massenorganisationen

Womit die Grant-Strömung jedoch in der Regel identifiziert wird, ist unser konsequentes Festhalten an der Orientierung auf die Massenorganisationen der Arbeiterklasse: die traditionellen Arbeiterparteien in den verschiedenen Ländern, die großen Gewerkschaften und, sofern noch vorhanden, die gewachsenen Kulturvereinigungen der Arbeiterbewegung. Ted pflegte zeitlebens zu sagen, dass außerhalb der Arbeiterbewegung im engeren Sinn für Marxisten "nichts zu holen" ist. Das ist vielleicht etwas übertrieben gesagt, trifft aber den letztlich entscheidenden, fundamentalen Punkt: Nur in der Auseinandersetzung mit den reformistischen und offen bürgerlich-konservativen Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung - so wie sie wirklich geworden ist und nicht so wie man von ihr träumen möchte - kann sich der Marxismus praktisch unter Beweis stellen und sich damit als politische Option im Denken der "einfachen" Mitglieder und Wähler jener Organisationen verankern.

Dabei kann die Losung "Orientierung auf die Arbeitermassenorganisationen" durchaus verschiedenes bedeuten. Vergleicht man etwa die Arbeit der spanischen Grant-Strömung "El Militante" mit der Arbeit der britischen "Militant Tendency", so haben sich schon in den 1970er und 1980er unterschiedliche Arbeitsfelder unter ein und derselben Maxime begreifen lassen. Angesichts des Fehlens einer historisch gewachsenen Arbeiterpartei stellt die Arbeit die Grant-Tendenz in den USA vor besondere Aufgaben. In Venezuela erleben wir zzt. einen Prozess der anhaltenden Erschütterung der traditionellen Massenorganisationen des Proletariats und die Masse der bewussten ArbeiterInnen ist hauptsächlich in sehr konkreten, revolutionären Projekten der "bolivarischen Bewegung" aktiv. Im vereinigten Deutschland hat sich inzwischen eine zweite Arbeiter-Massenpartei (Linkspartei mit oder ohne WASG) etabliert. Die praktisch-taktischen Antworten auf die generelle Maxime unterscheiden sich also deutlich von Land zu Land. Das politische Feld, das Marxisten beackern müssen, unterliegt trotz aller nicht künstlich aufhebbaren Kontinuitäten einem permanenten Wandel. Ohne irgendwelche speziellen Organisationen (Labour Party, SPD, Linkspartei, Rifundazione Communista, PSOE etc.) verherrlicht zu haben, sah Ted - und sehen wir mit ihm - die geduldige Überzeugungsarbeit an der Basis bzw. in der Wählerschaft dieser Organisationen als den entscheidenden Schlüssel dazu an, solide GenossInnen zu finden und mit ihnen die revolutionäre Organisation aufzubauen. Wir meinen, dass die Einsicht in die Notwendigkeit solchen Handelns jedem, der sich auch nur ein wenig darum bemüht sich den Schlaf aus den Augen zu wischen, offen vor Augen liegt und werden sie an dieser Stelle deshalb nicht weiter begründen (Wer sich aus erster Hand einen Eindruck davon verschaffen möchte, welche Möglichkeiten gerade auch heute die hier dargelegte Vorgehensweise eröffnet, der lese bitte auf der Homepage unserer britischen Schwesterzeitung "Socialist Appeal" das Interview mit dem Labour-Abgeordneten (MP) John McDonnell nach. Genosse McDonnell tritt, gegen Blairs Wunschnachfolger Gordan Brown, als entschiedener Socialist im Rennen um die aktuelle Neubesetzung der Labour-Parteiführung an. Genosse McDonnell war in seiner Jugend Militant-Unterstützer, gehört zzt. nicht unserer Tendenz an, engagiert sich aber sehr in der Kampagne "Hände Weg von Venezuela!" www.socialist.net/content/view/2439/31/).

Ted wirkt weiter

Mit dem Tode Ted Grants hat die revolutionäre Arbeiterbewegung einen ihrer größten Lotsen überhaupt verloren. Doch der Kurs auf dem "sein" Tanker immer stürmischeren Gewässern entgegendampft, ist gut ausgerichtet worden, um das große Ziel erreichen zu können. Es liegt an uns Nachgeborenen, aus diesem nützlichen Erbe auch tatsächlich etwas Gutes zu machen. Packen wir's an!

Karl Friedrichsen

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