Kategorie: Kultur |
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Vor 400 Jahren starb William Shakespeare: Ein revolutionärer Literat (Teil 3) |
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Das Zeitalter Shakespeares war auch das von Machiavelli. Dieser brillante italienische Philosoph war der Erste, der erklärte, dass die Eroberung und Erhaltung politischer Macht nichts mit Moral zu tun hat. |
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Der Staat selbst ist organisierte Gewalt und die staatliche Machtergreifung kann nur mit Mitteln der Gewalt erfolgen. Die Moralisten haben dem italienischen Philosophen das Leben schwer gemacht, aber die Geschichte hat gezeigt, dass seine Analyse grundsätzlich solide war. In Shakespeares Theaterstücken, besonders in den Historien, finden wir eine wortgewandte Beschreibung in der Literatur, von dem, was Machiavelli in der politischen Philosophie demonstrierte. Die Historien handeln von Machtkämpfen, die in die so genannten Rosenkriege mündeten. Der Kampf um die Macht (in diesem Fall die monarchische Macht) wird durch Intrigen, Verleumdungen, Verrat und Mord errungen. Es war eine Welt, in der Gewalt und Verrat als normale Handwerkszeuge in der monarchischen Politik betrachtet wurden. Das Feudalsystem befand sich im Zusammenbruch und der Kapitalismus fing an Wurzeln zu schlagen. Die alte Aristokratie wurde geschwächt und durch einen langen, blutigen Konflikt physisch ausgelöscht. Dieser sinnlose Konflikt zwischen rivalisierenden Dynastien wurde durch extreme Gewalt und rücksichtsloses Vorgehen beim Kampf um die Macht charakterisiert. Zwei Raubritterbanden trugen den Kampf aus, während der Königsmacher Warwick zwischen ihnen zu vermitteln suchte. 32 Jahre schlachteten die englischen Adeligen sich gegenseitig gnadenlos ab. Dieser bittere Kampf um den englischen Thron spielte eine wichtige Rolle bei der Untergrabung der Feudalordnung in England. Am Ende waren beide Häuser – York und Lancaster – schachmatt. Nach Edward IV. (1461 – 1483), aus dem Hause York, folgte sein Bruder Richard auf dem englischen Thron, der durch Shakespeare in seinem Theaterstück Richard III. berüchtigt wurde. In seinem Stück beschreibt Shakespeare, wie der Herzog von Clarence auf Befehl seines Bruders Richard, Herzog von Gloucester und später Richard III., zuerst erstochen und danach in einem Fass Wein ertränkt wurde. Heinrich VI. wurde wahrscheinlich von Richard selbst im Gefängnis ermordet. Das waren typische Beispiele für die reizenden Methoden, die vom englischen Adel im Zeitalter der Ritterlichkeit angewandt wurden. Es war eine Kostprobe für “die brutale Kraftäußerung, die die Reaktion am Mittelalter bewundert”, auf die sich Marx im Manifest der Kommunistischen Partei bezog. Diese brutalen Bürgerkriege endeten schließlich mit dem Tod von Richard III, dem letzten König aus dem Haus York, 1485 in Bosworth. Danach folgte der Aufstieg einer neuen Dynastie, die vom walisischen Abenteurer Henry Tudor begründet wurde. Die Tudors förderten den Handel, die Industrie und die aufkommende Bourgeoisie. Aber die neue Dynastie war instabil, ihre rechtliche Grundlage stand auf wackeligen Beinen. Sowohl Heinrich VI. als auch Heinrich VIII. waren mit Komplotten und Revolten konfrontiert, die England in einen erneuten Bürgerkrieg zu drängen drohten. Aus diesem Grund verhielt sich die Mehrheit der Ober- und Mittelklasse loyal gegenüber Elisabeth, die zwischen ihnen und einer Rückkehr zum Chaos, das sie fürchteten, stand. Es war ein Zeitalter großer Unsicherheit, in dem Verschwörungen, politische Intrigen und Rebellionen jederzeit ausbrechen konnten. Shakespeares großer Zeitgenosse Christopher Marlowe, der mit Theaterstücken wie Der Jude von Malta und Tamburlaine bekannt und erfolgreich geworden war, wurde bei einer Wirtshausschlägerei getötet, weil man ihn der Spionage verdächtigte. Elisabeth selbst lebte in einem permanenten Angstzustand und fürchtete sich vor einem Anschlag von unzufriedenen Katholiken oder spanischen Agenten. Sie wurde von einem riesigen Netzwerk von Spionen und Informanten unter der Obhut des stets wachsamen Walsingham, ihrem loyalsten Minister, beschützt. Es gibt ein Porträt von Elisabeth im hohen Alter. Ihr Gesicht ist stark geschminkt. Um die hässliche Realität darunter zu kaschieren, ist es in weißer Farbe gemalt. Sie trägt prächtige Kleidung aus Seide und Samt und ist mit wertvollen Juwelen behangen. Aber beim näheren Hinsehen wird ein merkwürdiges und ziemlich makabres Detail sichtbar. Ihr Kleid ist mit menschlichen Augen und Ohren verziert. Die Bedeutung dafür ist ziemlich klar: „Meine Augen und Ohren sind überall. Ich sehe, was ihr tut. Ich höre, was ihr flüstert. Ich kann eure geheimsten Gedanken lesen und in die Geheimnisse eures Herzens und eurer Seele eindringen.“ Mit einem Wort: Big Sister is watching you. (Die große Schwester sieht dich) Nirgendwo wird diese Welt der Intrigen, der Komplotte und Meuchelmorde besser beschrieben als in Julius Cäsar. Hier wird die Psychologie, die ehrgeizige Politiker antreibt, mit der Genauigkeit eines geschickten Chirurgen seziert. Julius Cäsar ist ein weiteres Beispiel für machiavellische Intrigen und Verleumdungen, welches das Wesen des politischen Lebens genau vermittelt, und das nicht nur für die römische Republik in ihrer Endphase, sondern für jede historische Epoche, vor allem unsere eigene. Als sich Cäsar umschaut und in die Gesichter seiner zukünftigen Mörder sieht, kommentiert er dies mit einem trockenen Humor: „Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, Antonius versucht ihn zu beruhigen: „O fürchtet den nicht; er ist nicht gefährlich, Aber Cäsar lässt sich nicht täuschen und antwortet: „Wär er nur fetter! Zwar ich fürcht ihn nicht.“ (Julius Caesar, I. Akt, II. Szene) In Heinrich VI. sagt der Herzog von Gloucester (der spätere Richard III.): „Kann ich doch lächeln, und im Lächeln morden, Und rufen: schön! zu dem, was tief mich kränkt, Die Wangen netzen mit erzwungnen Tränen Und mein Gesicht zu jedem Anlaß passen.“ (Heinrich VI., Teil 3, III. Akt, I. Szene) Hier haben wir in wenigen Zeilen die destillierte Essenz von dem, was wir Machiavellismus nennen. Es ist ein ernüchterndes Echo der Sätze, die in Macbeth Donalbain in den Mund gelegt werden: „Wo wir sind, drohn Dolche in jedes Lächeln.“ In demselben Stück gibt Duncan, der sich über den Tod des Earl of Cawdor amüsiert, folgende Sätze von sich: „Kein Wissen gibts, (Macbeth, I. Akt , IV. Szene) Das alles ist ein echtes Spiegelbild der Stimmung der damaligen Zeit. Trotz der glänzenden äußeren Erscheinung war der Mythos vom „Merry England“, vom fröhlichen England, in der elisabethanischen Zeit nichts anderes als ein Mythos. Es war ein Zeitalter der extremen Unsicherheit, in der Komplotte auf der Tagesordnung standen, Spione an jeder Straßenecke und in jeder Kneipe lauschten und die Luft mit Angst und Verdächtigungen gefüllt war. Elisabeth selbst war in den Gewohnheiten eines gedanklichen Wesenszugs des Machiavellismus versunken. Die meiste Zeit ihres Lebens wurde sie von Verdächtigungen aufgezehrt und lebte in Angst vor einem Meuchelmord. Gegenüber wirklichen und vermutlichen Feinden zeigte sie sich äußerst gnadenlos. Ein Mann konnte in einem Augenblick ihr Günstling sein und sich schon im nächsten als Gefangener im Tower wiederfinden, um auf seine Exekution zu warten. Sie war eine Opportunistin, für die nur wenige Prinzipien, außer ihr persönliches Überleben, galten; ihre religiösen Überzeugungen waren dagegen nur zweitrangig. Selbst bei ihren Verfolgungen fehlte ihr die Überzeugung ihres verstorbenen Bruders Edward, der ein fanatischer Protestant war, und die ihrer Schwester Mary, einer ebenso fanatischen Katholikin. Mary ließ hunderte von Menschen, die sie als Ketzer ansah, verbrennen, um deren Seelen zu retten. Elisabeth ließ Menschen nicht hängen oder köpfen, um deren Seelen zu retten, sondern um sich selbst, ihren Interessen und ihrem Thron zu dienen. Shakespeares Einstellung zur Revolution Shakespeares Stücke können uns eine Menge über das Leben am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts sagen. Es war eine Zeit von enormen politischen und sozialen Turbulenzen. Vor allem ein Theaterstück spielte eine bedeutende Rolle für die politischen Ereignisse. Hier hätte Shakespeares politisches Engagement, obwohl es nur ein indirektes war, böse für ihn ausgehen können. Das geschah in der Endphase der Regentschaft Elisabeths, als sie schon eine alte Frau war und die Spekulationen über ihre Nachfolge akut wurden. In der Regel war die Botschaft in Shakespeares Historien promonarchistisch und in diesem Fall konformistisch. Aus offensichtlichen Gründen wollte er die Gunst der herrschenden Monarchen – sowohl von Elisabeth als auch von James I. – erwerben. Dies geschah nicht nur aus finanziellen Gründen. Shakespeare und seine Generation hatten jeden Grund, eine politische Instabilität zu fürchten. Ihre Psychologie begründete sich in der Erfahrung früherer Ereignisse. Die Erinnerung an die Rosenkriege war immer in den Köpfen der Menschen lebendig. In einigen seiner Theaterstücke lässt Shakespeare subversiven und revolutionären Gedanken freien Lauf. Er war in der Lage, die Welt aus jedem denkbaren Blickwinkel zu betrachten. Obwohl er aus privilegierten Verhältnissen kam, konnte er das Elend und die Leiden anderer Menschen verstehen. Er lebte in einer Zeit, in welcher der Kolonialismus in seinen frühesten Anfängen war. Weiße Europäer kamen mit Menschen anderer Hautfarbe, Religion und anderem Brauchtum in Kontakt. Die Folge war ein gewaltsamer Zusammenstoß der Kulturen, der gewöhnlich kein gutes Ende nahm. In Der Sturm, Shakespeares letztem Theaterstück, finden wir eine verblüffende Anprangerung der kolonialen Sklaverei. Caliban ist ein monströses Wesen, das vom Zauberer Prospero, der Hauptfigur in diesem Stück, als Sklave gehalten wird. Der Letztere wird als Zauberer und kenntnisreiche Person porträtiert. Nach Ansicht verschiedener Kritiker ist Prospero die Abbildung von Shakespeare selbst als mächtigem Mann der Renaissance. Aber Shakespeare legt Caliban eine Rede in den Mund, in welcher die Revolte des Sklaven gegen seinen Herrn geäußert wird: „Ihr lehrtet mich reden, und der ganze Vortheil den ich davon habe, ist daß ich fluchen kan; daß ihr die Pest dafür hättet, daß ihr mich reden gelehrt habt! “ (Der Sturm, I. Akt, IV. Szene) London selbst war zur damaligen Zeit ein Ort der Gewalt. Es kam häufig zu Aufständen, vor allem durch arme Lehrlinge, die ihren Unmut mit Angriffen auf herrschaftlichen Diener, Ausländer und Prostituierte äußerten. Solche Tumulte wurden von den städtischen Behörden als Teil des normalen Lebens betrachtet. Viel ernster waren die Rebellionen in ländlichen Gegenden. Diese wurden durch die Einfriedung von Gemeindeland, Brachflächen und Wälder von gierigen Landbesitzern und Agenten der Krone provoziert. Solche populären Aktionen gegen die Einfriedung geschahen zu Shakespeares Zeiten häufig, besonders im Zeitraum von 1590 bis 1610. Sie bestanden allgemein im Herausreißen von Hecken und im Füllen von Gräben. Auch Frauen und Kinder beteiligten sich an diesen Handlungen. Kleine Aufstände in Dörfern, die sehr oft vorkamen, wurden als Vergehen betrachtet. Im größeren Umfang wurden sie aber als Verrat bestraft. Der größte diese Aufstände war Kett’s Rebellion, an dem 16.000 Bauern teilnahmen. Der Führer Kett starb im Gefängnis. Er hatte Glück, dass ihn ein nicht noch schlimmeres Schicksal ereilte. In Hamlet, Julius Cäsar und Richard II. wird die Obrigkeit herausgefordert. Trotzdem war Shakespeare kein Sozialrevolutionär. Die Botschaft der großen Historien ist genau diese: eine Warnung vor dem Chaos eines Bürgerkriegs und der Revolution. Die einzige ausdrückliche Darstellung der sozialen Revolution bei Shakespeare findet man in Heinrich VI, Teil 2. Die Fakten in diesem Fall sind die folgenden: Während der chaotischen Regentschaft von Heinrich revoltierte die Bauernschaft, die durch die steigenden Steuerlasten und andere repressive Maßnahmen in den Wahnsinn getrieben wurde. Im Juni 1450 marschierte eine Armee von 20.000 Rebellen aus Kent unter der Führung von John Cade nach London. Cade, angeblich ein Ire, besiegte die königlichen Truppen, die gegen die Rebellen eingesetzt wurden, und tötete ihren Kommandanten, Sir Humphrey Stafford. In Heinrich VI. beschreibt Lord Say Kent als: „Der ganzen Insel freundlichstes Gebiet: Das Land ist reich, mit Gütern wohl begabt, Das Volk willfährig, tapfer, tätig, reich …“ In demselben Stück werden die Menschen aus Kent auf negative Weise als unvernünftige, aufständische und widerspenstige Rebellen beschrieben. Aber dies Urteil scheint sowohl einseitig als auch ungerecht zu sein. Wie gewöhnlich bei solchen Aufständen behaupteten die Rebellen, dass sie nicht gegen den König kämpften, sondern gegen seine Minister, besonders gegen den königlichen Schatzmeister Lord Say. Diese Forderungen wurden sowohl von den Menschen in London als auch von den Soldaten in der Armee des Königs wohlwollend aufgenommen. Der König war über die Niederlage so verzweifelt, dass er in die relative Sicherheit von Kenilworth floh. Heinrichs Ängste waren begründet. Als die Rebellen sich der Hauptstadt näherten, löste sichdie Armee auf, die Soldaten weigerten sich gegen die Rebellen zu kämpfen, die ein hohes Maß an Disziplin aufrechterhielten. Die Rebellen drangen in London ein, ohne auf Widerstand zu stoßen, und nahmen Lord Say und Lord Cromer gefangen und köpften sie. Danach schien die Bewegung ihren Orientierungssinn zu verlieren und degenerierte zu einem bloßen Aufruhr. Cade hatte Befehle herausgegeben, die Plünderungen und Diebstähle unterbinden sollten. Aber einige Rebellen fingen an, die Häuser der Reichen zu plündern und provozierten einen Gegenschlag gegen sie. Die Rebellen mussten London verlassen und Jack Cade floh nach Kent und wurde dort von einem Sheriff getötet, angeblich als er sich in einem Garten versteckte. Der Eindruck über den Aufstand, den man beim Lesen von Shakespeares Theaterstück Heinrich VI. erhält, ist ein ehr abfälliger. Er widerspiegelt die Ängste der elisabethanischen Oberklassen vor den Massen der geknechteten und unterdrückten Menschen, die eine konstante Bedrohung ihrer privilegierten Lage darstellten. Der elisabethanische Adel muss das Gefühl gehabt haben, am Rande eines mächtigen und gefährlichen Vulkans zu sitzen, der jeder Zeit mit einer elementaren Gewalt ausbrechen könnte. Diese Ängste erhalten in der Darstellung von Jack Cade und seiner Rebellenarmee durch Shakespeare einen deutlichen Anstrich. Cade sagt: „Kein Lord, kein Edelmann soll übrig bleiben; Schont nur, die in gelappten Schuhen gehn, Denn das sind wackre, wirtschaftliche Leute, Die, wenn sie dürften, zu uns überträten." „Sie sind schon in Ordnung und marschieren auf uns zu“, soll Cade gesagt haben. „Ich danke euch, lieben Leute! – so soll es kein Geld mehr geben, alle sollen auf meine Rechnung essen und trinken…“ „Sieben Sechser-Brote sollen künftig in England für einen Groschen verkauft werden…“ „Das ganze Reich sollen alle in gemein haben.“ „ …so soll es kein Geld mehr geben, alle sollen auf meine Rechnung essen und trinken, ich will sie alle in eine Livrei kleiden, damit sie sich als Brüder vertragen und mich als ihren Herrn ehren.“ An dieser Stelle ruft Dick the Butcher (Märten) den berühmten Satz: „ Das erste, was wir tun müssen, ist, daß wir alle Rechtsgelahrte umbringen.“ In diesem Moment kommt ein Schreiber herein. Jemand beschuldigt ihn, dass er lesen und schreiben kann. Cade befiehlt: „Fort mit ihm, sage ich: hängt ihn mit seiner Feder und Tintenfaß um den Hals!“ (Heinrich VI., 2. Teil, IV. Akt, II. Szene) Am Ende wurde Cades abgetrennter Kopf bei einer Parade durch London mitgeführt und sein Körper wurde „den Krähen als Futter vorgeworfen“. Die elisabethanischen Mittelklassen konnten danach wieder ruhig schlafen. Wir werden nie erfahren, was Jack wirklich gesagt hat, aber die obigen Zeilen klingen verdächtig nach dem, was die Verteidiger des Kapitalismus heute wiederholen: dass die Idee vom Sozialismus utopisch ist, dass wir den Menschen etwas versprechen, was wir nicht halten können und dass wir die „ignoranten Massen“ mit dem Versprechen auf ein Paradies für Narren irreführen Eins ist klar: William Shakespeare war kein Revolutionär. Er unterstützte die bestehende Ordnung des elisabethanischen Englands, auf dem sein Erfolg basierte. Er unterstützte die Monarchie und hielt alle Bewegungen der unterdrückten Klassen zumindest für fehlgeleitet, schlimmstenfalls für ein Rezept, das zu Chaos und Anarchie führt. Trotz dieser Tatsache gibt es in Shakespeares Theaterstücken viele Elemente, die ein Verständnis für die Leiden der Geknechteten zeigen, genauso wie etwas, das man als das Volkstümliche bezeichnen könnte. Es ist kein Zufall, dass seine Stücke nicht nur bei der wohlhabenden Mittelklasse, aus der er selbst kam, Anklang fanden, sondern auch bei den ärmeren sozialen Schichten. Die ursprüngliche Akkumulation bedeutete nicht nur die Ausplünderung und Enteignung der englischen Bauern, sondern auch eine noch brutalere Landenteignung der Menschen in Irland. Das Tudor-Zeitalter und besonders das elisabethanische wurden durch die schlimmste Unterdrückung der Iren geprägt. Hier wurde die Klassenunterdrückung durch nationale, religiöse und sprachliche Unterschiede um das Tausendfache gesteigert. Irland war die erste englische Kolonie und das wahre brutale Gesicht der herrschenden Klasse Englands zeigte sich bei der Behandlung der Menschen in Irland. Die Iren wurden als Sklaven, Kriminelle und Fremde in ihrem eigenen Land behandelt. Englische Soldaten metzelten Frauen und Kinder nieder und löschten ganze Dörfer aus. Für die englischen Oberherren waren die Iren keine Menschen, kaum besser als Tiere, ohne Rechte, auch nicht das Recht auf Leben. Als Ergebnis kam es zu einer Reihe von blutigen Aufständen und Rebellionen, die von der englischen Krone gnadenlos niedergeschlagen wurden. Der gravierendste war die Rebellion eines Iren aus Ulster, Hugh O’Neill (Aodh Mor O Neill), Graf von Tyrone, der die englischen Streitkräfte wiederholt besiegte und die Spanier umwarb, die er zu einer militärischen Intervention einlud, um gemeinsam für die katholische Sache zu kämpfen. Die englische Krone gab eine Menge Geld aus und verlor in diesem blutigen Konflikt zunehmend mehr Soldaten. Englands dunkelste Stunde kam am 14. August 1598, als die englischen Streitkräfte bei der Schlacht am Yellow Ford in der Provinz Armagh zerstückelt wurde. 2000 Engländer, darunter ihr Kommandeur Sir Henry Bagenal, wurden getötet. Nachdem sie bereits das Kommando über Ulster und Connacht übernommen hatten, rückte O’Neills Armee schnell nach Leinster und Munster vor. In dieser verzweifelten Lage schickte Elisabeth einen ihrer “Günstlinge”, Robert Devereux, den zweiten Graf von Essex, mit einer großen Streitmacht, die aus 17.000 Infanteristen und 1500 berittenen Soldaten bestand, von denen 2000 Veteranen aus den Niederlanden nach Irland gebracht wurden und dem Versprechen, 2000 weitere folgen zu lassen. Zwei Jahre zuvor war Essex zum Nationalhelden geworden, als er eine Expedition, in der Cadiz von den Spaniern erobert wurde, kommandierte. Mit einer so großen Armee konnte der “Held von Cadiz” bei der Niederschlagung der irischen Rebellen kaum scheitern. Devereux schien ein verzogener aristokratischer Spross mit stark narzisstischen Tendenzen gewesen zu sein. Er war übermäßig verliebt in seine persönliche Erscheinung, seine liebevolle Selbstachtung wurde aber nicht durch Mut und Weitsicht auf dem Schlachtfeld repliziert. Seine militärischen Aktionen scheiterten erbärmlich. Er benahm sich wie ein Feigling, dessen einzige Erfolge in der Verübung von Massakern an irischen Männern, Frauen und Kindern bestand. Am Ende ging er in eine Falle, die O’Neill ihm mit Bedacht gestellt hatte. Letzterer bot ihm einen Waffenstillstand an, den er schnell annahm. Danach begab er sich zu einem Privatgespräch über dessen Bedingungen zum irischen Rebellen. Das war ein schlimmer Fehler. Als Elisabeth das erfuhr, wurde sie äußerst wütend und vermutete einen Verrat. Zu allem Überfluss eilte Devereux nach London, um es seiner ehemaligen Geliebten zu erklären, stürzte in seinen Reitstiefeln und den beschmutzten Mantel, um den Effekt zu verstärken, in ihr Schlafzimmer. Dieser dramatische Eintritt in das Schlafgemach hatte zweifellos einen Effekt. Elisabeth, die mittlerweile jeden Morgen einige Stunden brauchte, bis ihre Dienerinnen ihr Gesicht weiß geschminkt und ihr die prächtigsten Gewänder angezogen hatten, um alles Mögliche zu unternehmen, um die Spuren des Alters zu verdecken, war nicht an Männer gewöhnt – auch nicht an ehemalige Liebhaber – die unangekündigt an ihrem Bett in entkleidetem Zustand auftauchten. Devereux hatte den schlimmsten Fehltritt begangen und sollte dafür teuer bezahlen. Eine der liebenswerteren Aspekte des Earl of Essex waren seine großzügige Hingabe und Unterstützung der schönen Künste. Er war mit Shakespeare befreundet und besuchte dessen Theaterstücke, von denen die Tragödie Richard II. augenscheinlich seine bevorzugte war. Das Stück erzählt die Geschichte der letzten beiden Regentschaftsjahre Richard II und wie er von Bolingbroke, dem späteren Heinrich IV., entthront, ins Gefängnis geworfen und ermordet wurde. Am Samstag, den 07. Februar 1601, gerade einmal zwei Jahre vor dem Tod der bejahrten Königin, wurde Shakespeares Schauspieltruppe gebeten, Richard II. im Globe Theatre aufzuführen. Es sollte eine fatale Rolle im Komplott, den der Earl of Essex geplant hatte, nachdem er in Ungnade gefallen und vom Hof verbannt worden war, spielen Shakespeare schrieb und veröffentlichte Richard II. ca. 1595. Die Parallelen zwischen der alternden Königin und Richard II. waren zu unbequem. Es ist klar, dass Elisabeth sich der politischen Parallelen zwischen ihr selbst und Richard II. und der potenziellen Auswirkungen bewusst war. Die jungfräuliche Königin, wie sie gern tituliert wurde, hatte keine Kinder. Die Nächste in der Thronfolge war Mary; Königin von Schottland, die sie exekutieren lassen und dafür andere Menschen verantwortlich gemacht hatte. Der wahrscheinlichste Kandidat danach war Marys Sohn James VI. von Schottland. Obwohl er selbst zum Katholizismus tendierte, war James pragmatischer als seine Mutter, deren Verblendung durch den Katholizismus sie direkt auf den Richtblock führte. Da James bekannt gegeben hatte, dass er bereit sei für eine Abmachung mit der protestantischen Partei, falls er den Thron besteige, sah eine Fraktion des Adels James als einen möglichen Kandidaten und trat mit ihm in Kontakt. Unter diesen Adeligen befand sich mit ziemlicher Sicherheit auch Robert Devereux. Das war der turbulente politische und soziale Hintergrund für Shakespeares Theaterstücke in der Zeit von 1590 bis 1613. Das Stück zeigt den Sturz von Richard II. durch eine Gruppe rebellierender Adeliger. Der Tod des Königs wird in der folgenden Szene dargestellt: „Northumberland. König Richard. (Richard II, III. Akt, IV. Szene) In diesem Zusammenhang war das Stück provokativ, politisch subversiv und sogar verräterisch. Anhänger von Robert Devereux zahlten Shakespeares Truppe 40 Schillinge, weit mehr als die normale Gage, als Bestechungsgeld, um das Stück zum vereinbarten Termin aufzuführen. Es war als Propaganda gedacht, um die Öffentlichkeit von der Rechtschaffenheit des Anliegens der Rebellen zu überzeugen. Am folgenden Tag, dem 08. Februar, marschierte Devereux an der Spitze von 300 bewaffneten Männern in London ein, in der Hoffnung, sich der Krone zu bemächtigen. Aber ihre Hoffnungen zerschlugen sich schnell. Das Volk erhob sich nicht und die Rebellion endete als Farce. Essex wurde am 25. Februar 1601 gefangen genommen und als Verräter geköpft. Es wird berichtet, dass Elisabeth über das Schicksal ihres früheren Liebhabers bitterlich geweint haben soll. Aber es wird auch gesagt, dass sie über das Schicksal von Mary, Königin von Schottland, und ihren anderen Opfern geweint haben soll. Niemand weiß, wie echt diese Tränen waren, aber keine davon hat verhindern können, dass die Axt ihr Ziel erreicht hat. Waren Shakespeare und seine Truppe sich der Bedeutung des Stücks, das sie aufführen sollten, bewusst? Oder wurden sie durch die hohe Gage verleitet? Wie auch immer, sie kamen glimpflich davon. Einige Zuschauer wurden festgenommen und wegen Hochverrats hingerichtet, gegen Shakespeare und die Schauspieler wurde aber keine Klage erhoben. Hat Elisabeth die Bedeutung des Stücks erkannt? William Lambarde berichtete, dass er im August 1601 ein Gespräch mit der Königin geführt habe, in dem sie sagte: „Ich bin Richard II, wissen Sie das denn nicht?“ Die Echtheit dieser Aussage wird bezweifelt – wie viele andere Dinge. Aber ich neige dazu zu glauben, dass sie echt war. In einem höchsten Akt der historischen Ironie wurde Shakespeare Truppe befohlen, Richard II. in Whitehall in der Anwesenheit der Königin am Fastnachtsdienstag 1601 aufzuführen, am Tag bevor Essex der Kopf vom Körper abgetrennt wurde. Vielleicht wollte die alte Königin sich daraus einen Scherz auf seine Kosten machen. Wenn der Earl of Essex etwas geduldiger gewesen wäre, hätte er sein Ziel erreicht und seinen Kopf behalten. 1603 wurde James VI. von Schottland König James I. von England. England, Schottland und Wales wurden nun unter einer Krone vereinigt. James, der über eine starke Intelligenz und einen noch stärkeren Selbsterhaltungstrieb verfügte, war Experte in der schwarzen Kunst des Taktierens und des Ränke Schmiedens. Über Jahre hatte er geplant, den englischen Thron (auf den er aufgrund seiner Herkunft einen Anspruch hatte, wenn dieser auch nicht besonders stark war) zu besteigen, wenn Elisabeth sich erst einmal in eine bessere Welt begeben hätte. Es bestehen wenig Zweifel, dass er am Essex-Komplott beteiligt war. James entließ sofort alle überlebenden Mitglieder der Essex-Fraktion aus dem Gefängnis. Als König von Schottland, einem relativ armen Land, war James nicht in der Lage sich den Extravaganzen hinzugeben, die er erstrebte. Jetzt, da die englische Staatskasse randvoll mit spanischem Gold war, über das er frei verfügen konnte, konnte er es sich leisten großzügig mit dem Geld umzugehen. Sein Hof war bekannt für seine Prunksucht und Extravaganzen, aber er war auch ein Ort für Intrigen und für das Gerangel um Posten. James hatte seine Lieblinge unter den Höflingen – meist gut aussehende junge Männer – die exquisite Geschenke erhielten. Seine Liebesbeziehungen könnten natürlich auch nur ein Ausdruck seiner „leidenschaftlichen körperlichen und spirituellen Liebe“ gewesen sein. Das aber hielt die Menschen nicht davon ab, zu spekulieren, ob diese Beziehungen wohl von einer anderen als der rein platonischen Art waren. Unter König James florierten die Theater wie nie zuvor. Shakespeare war der direkte Nutznießer seiner verschwenderischen Großzügigkeit. Seine Truppe erhielt ein königliches Privileg. Auf Einladung des Königs wurde Shakespeares Schauspieltruppe, the Lord Chamberlain’s Men, als the King’s Men bekannt und sie produzierte unter seiner Schirmherrschaft neue Werke. Unter der Regentschaft von James I. schrieb Shakespeare vieler seiner gefeierten Stücke, die sich mit dem Kampf um die politische Macht beschäftigten. Dazu gehören King Lear, Antonius und Cleopatra und natürlich Macbeth. Nachdem er mit seiner Beziehung zur verstorbenen Königin Elisabeth fast in eine Katastrophe gerannt wäre, war Shakespeare bemüht, sich von Anfang an die Gunst des neuen Königs zu sichern. Zu diesem Zweck schrieb er eines seiner größten Stücke. Macbeth, das er zu Beginn der Regentschaft von James erstellte, es wurde verfasst, um den neuen König zu beeindrucken. Das Stück zollt der schottischen Herkunft des Königs Tribut und präsentiert James‘ Vorfahre Banquo auf schmeichelhafte Weise, während die Anwesenheit der drei Hexen konzipiert war, einen Mann zu erfreuen, der von dem Thema Hexen und Hexerei besessen war. Schon als er in Schottland auf dem Thron saß, betrachtete James sich selbst als heilig. Er hatte auch das Gefühl, er besitze eine besondere Einsicht in die Agenten des Satans. Er hatte eine krankhafte Angst vor einem gewaltsamen Tod und sah die Hexerei als ein Übel an, die seine göttliche Herrschaft bedrohte. Bevor er den Thron bestieg, war die Hexenverfolgung in Britannien selten. Während auf dem europäischen Kontinent tausende vermeintliche Hexen verbrannt wurden, erlitten nur relativ wenige dieses Schicksal unter der Regentschaft von Elisabeth. Aber James änderte das. 1590 überwachte er die Hexenprozesse in North Berwick persönlich. Über siebzig Menschen waren angeklagt, den Sturm, der James‘ Schiff fast versenkt hätte, als er von Norwegen mit seiner Braut Anne von Dänemark nach Hause segelte, entfacht zu haben. Die genaue Zahl der Menschen, die infolge seiner Prozesse auf dem Scheiterhaufen verbrannten, ist nicht bekannt. Aber tausende schottischer Frauen und einige Männer wurden der Hexerei beschuldigt, gefoltert und ermordet, besonders nachdem James ein Buch über die Dämonenlehre veröffentlicht hatte. Als er König von England wurde, brachte James seine Ansichten über die Hexerei mit über Grenze, wo die Gesetze dagegen weniger streng waren als in Schottland. Nur ein Jahr nach seiner Thronbesteigung erließ James ein neues Gesetz gegen die Hexerei, welches das „Beschwören von Geistern“ zu einem Verbrechen erklärte, das mit einer Hinrichtung zu bestrafen war. James veranstaltete gerne verschwenderische Feierlichkeiten und Maskenbälle für den Hofadel. Die Dienste eines solch versierten Schriftstellers wie Shakespeare kamen ihm sehr gelegen. Und er war dazu bereit, dafür finanziell aufzukommen. Macbeth war das erste englische Drama, in dem Hexen dargestellt wurden, die sich heimlich versammelten, um ihre teuflischen Riten auszuführen. Das Stück, das für den Hof von James I. 1606 aufgeführt wurde, erhielt vermutlich einen begeisterten Applaus. Man darf allerdings bezweifeln, ob dieser Applaus auch von den armen Wesen geteilt wurde, die für die krankhaften Phantasien Seiner Majestät mit ihrem Leben bezahlen mussten. Der verschwenderische Lebensstil von James I. führte unweigerlich zu enormen Schulden. Die Rechnung wurde natürlich den Untertanen präsentiert. Parlamentarische Debatten über die Schulden des Königs nahmen einigen Glanz von den Freuden des Hoflebens. Aber trotzdem änderte das nicht viel an dem vergnügten Leben am Hofe. Die Schulden, die er seinem Sohn und Nachfolger Charles I. letztendlich hinterließ, führten zu einem Konflikt zwischen König und Parlament, der direkt in den Bürgerkrieg und zur Revolution führte. Aber das ist eine andere Geschichte. |