Kategorie: Kultur |
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Buchrezension: „Untenrum Frei“ von Margarete Stokowski |
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„Untenrum Frei“ war das Buch, das ich gelesen habe, als ich mich radikalisiert hatte und mir dachte: Was ist dieser sexistische Scheiß hier um mich rum? Und es ist bei weitem kein schlechtes Buch, es spricht klar und deutlich aus, was Frauen im Kapitalismus ertragen müssen – von schlechten Witzen, über schlechtere Arbeitsbedingungen bis hin zu täglicher Gewalt. Margarete Stokowski nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht aus, was falsch in dieser Gesellschaft läuft. Und damit stößt sie auf ein großes Publikum von hauptsächlich jungen Frauen, die sich über diese Ungerechtigkeit politisieren und Antworten suchen. Dennoch hat das Buch eine bedeutende Schwäche: Es lässt entscheidende Fragen unbeantwortet. |
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Marx unterscheidet zwischen Basis und Überbau der Gesellschaft. Wenn man das in Stokowskis Sprache übersetzt, nennt sie es „die kleinen schmutzigen Dinge“ und die „großen Machtfragen“. Während in dem Buch deutlich wird, wie Sexismus in der Gesellschaft im Alltag etabliert ist, bleibt die Frage der Macht unbeantwortet. Dabei ist nach marxistischer Theorie gerade diese relevant, denn das Sein bestimmt das Bewusstsein. Das bedeutet, dass in unserer Klassengesellschaft, in der Frauenunterdrückung tief in der kapitalistischen Struktur verankert ist, sich das natürlich ebenfalls in Form des Sexismus – der alltäglichen Diskriminierung gegen Frauen – zeigen wird. Stokowskis Buch fokussiert sich stark auf Sexismus, auf die alltägliche Diskriminierung. Jedoch ist die Summe des Sexismus nicht gleich das gesamte Gesicht der Unterdrückung, sondern nur ein Teil davon. Frauen werden im kapitalistischen System systematisch durch die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Kleinfamilie, der Prostitution sowie durch das Gesetz zum Beispiel mit Artikeln über die Selbstbestimmung des eigenen Körpers unterdrückt. Frauenunterdrückung ist also nicht nur ein Problem sexistischer Individuen, die Frauen schlecht behandeln, sondern geht über zwischenmenschliche Erfahrungen hinaus.Wie bei allen Dingen in der Gesellschaft ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung entscheidend. Und in Untenrum Frei mangelt es nicht an der Analyse der Wirkung, bis in welches Detail sich Diskriminierung in unseren Alltag zieht. Aber es mangelt an der Analyse der Ursache. Stokowski leugnet nicht, dass Sexismus mit anderen Unterdrückungsformen Hand in Hand geht, sie greift jedoch die Frage als intersektionale Unterdrückung auf, anstatt die verschiedenen Formen an Diskriminierung als Ausdrücke derselben Ursache – Kapitalismus – zu erkennen. Klassenunterdrückung ist nicht wie Sexismus eine weitere Diskriminierungsform, sondern die Unterteilung der Gesellschaft in Klassen ist die Ursache, die Grundlage, auf der Unterdrückung und Diskriminierung ihre verschiedenen Formen annehmen können. Während des Lesens wird man darin bestätigt: Die Welt ist ungerecht und Frauen sind benachteiligt, aber es gibt keine Analyse dahinter. Sie sagt selbst klar und deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Großen und dem Kleinen, also zwischen gesellschaftlicher Struktur („Machtstruktur“) und Denken bzw. Alltagssexismus gibt. Jedoch bleibt eine Kapitalismuskritik aus und dadurch die Frage offen: Was ist das Große? Was ist diese Macht, von der Stokowski redet, die ja anscheinend mitbeeinflusst, was wir denken, wie wir handeln etc. Und das Problem dabei: Wenn man Dinge nur abstrakt benennt, wird man sie nicht bekämpfen können. Der Wunsch „Macht“ abzuschaffen ist per se nicht falsch, aber man muss sich doch fragen: Wer hat die Macht? Als Kommunisten ist unsere Antwort: die Kapitalistenklasse, geschützt durch bürgerlichen Staat und den gesamten Bürokratieapparat, und nicht „der Mann“. Wir dürfen Macht nicht als etwas Abstraktes verstehen. In Stokowskis Suche auf die Antwort der Macht/dem Großen stößt sie in dem Buch auf den Anarchismus: „Die Idee des Anarchismus kann uns helfen, besser zu verstehen, wo es hingehen sollte mit der Freiheit, für die Feminist*innen kämpfen.“ Sie übernimmt die idealistische Vorstellung aus dem Anarchismus, dass Freiheit die Abwesenheit von Macht sei, welche laut Stokowski die Ursache der Diskriminierung wäre. An dieser Vorstellung wird klar, dass ein allgemeines Verständnis darüber fehlt, was genau die Frauenunterdrückung ist und wie sie bekämpft werden kann. Stokowskis Buch und der Anarchismus haben gemeinsam, dass sie beide keine effektive Anleitung zum Handeln geben können. Im letzten Satz des Buches wird klar, dass es ihr am Ende darum geht, das Schweigen zu brechen: „Ich habe ans Aufstehen und ans Liegenbleiben geglaubt, an die Ruhe und den Sturm, und ich weiß nicht, was noch kommt und woran ich in meinem Leben noch glauben werde, aber ganz sicher niemals ans Schweigen.“ Das ist per se nichts Falsches, aber auch nicht genug, denn am Ende können keine Gedanken und Ideen die gesamte Unterdrückung der Frau, auch nicht „das Kleine“, beenden. Gegen die Unterdrückung zu kämpfen, heißt Klassenkampf. Es gibt keine Frauenbefreiung im Kapitalismus und wenn man Sexismus nicht an der Ursache bekämpft, wird man auch die Gehirne der Menschen nicht vom Sexismus befreien können, denn nichts hat sich je mit reinem Umdenken verändert, noch nie war Unterdrückung reine Kopfsache. Sexismus hat eine materielle Verankerung im System, der Kapitalismus braucht Sexismus und das wird auch so bleiben, solange er existiert. Obwohl Stokowski einen relevanten Denkanstoß liefert, bleibt die Frage bestehen: Was jetzt? Wie wird man den gesamten sexistischen Scheiß los? In Stokowskis Worten: „Es müsste doch alles nicht so sein. Der ganze alte Scheiß ist längst am Einstürzen.“ Diese Fragen haben mich damals von Stokowski zum Kommunistischen Manifest getrieben, denn Marxismus ist nicht nur eine Gesellschaftskritik, es geht nicht bloß darum, das Schweigen zu brechen, sondern es ist eine Anleitung zum Handeln. Und gegen die Unterdrückung der Frau zu handeln, ist keine Aufgabe des Umdenkens einzelner, sondern ein kollektiver Klassenkampf hin zur sozialistischen Revolution.
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