Kategorie: DIE LINKE

Die AfD, die LINKE und die Krise in Europa

Dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl hält die Debatte über die Anfang 2013 gegründete Partei Alternative für Deutschland (AfD) an. Die Partei registriert nach eigenen Angaben einen stetigen Zustrom und bundesweit 13.000 Mitglieder. Nach einer Umfrage des Instituts YouGov könnten sich 27 Prozent der Befragten vorstellen, AfD zu wählen, darunter rund ein Drittel derer, die 2009 für FDP oder LINKE gestimmt hätten. Insbesondere jedoch werden diejenigen Enttäuschten aus dem CDU/CSU-Umfeld von der AfD angesprochen, die eine „sozialdemokratisierte“ CDU ablehnen und eine rechtskonservative Wahlalternative jenseits der Merkel-CDU herbeisehnen.


„Die AfD ist sehr ernst zu nehmen“, heißt es in einem SPD-internen Konkurrenzbeobachtungspapier. Die Partei bestehe aus „frustrierten Wutbürgern, die ihren Besitzstand gefährdet sehen“ und könne das vorhandene Potenzial für eine „populistische“ Partei in Deutschland ausfüllen, warnt das Papier. Dass dieses Potenzial bislang brach gelegen habe, liege am „Nazi- bzw. Rechtsradikalismus-Tabu der politischen Kultur“, der den Aufstieg rechtspopulistischer Initiativen bislang gebremst habe. Früheren Parteigründungsversuchen hätten zudem „charismatische und kompetente Führungspersonen“ und eine „nachhaltige oder ausreichende“ Themenbreite gefehlt. Damit spielt das SPD-Papier auf Parteien im bürgerlichen, konservativen Lager an, die wieder in der Bedeutungslosigkeit versanken – so etwa die 1983 von abtrünnigen CSU-Abgeordneten gegründeten Republikaner, die Statt-Partei in den 1990er Jahren und die als Schill-Partei bezeichnete, 2007 aufgelöste Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO). Die Republikaner schafften es bis 2001 zweimal in den Stuttgarter Landtag, Statt-Partei und PRO koalierten in Hamburg zeitweilig mit SPD bzw. CDU.

Die AfD lässt sich als eine rechtskonservative Strömung im bundesdeutschen Parteienspektrum einordnen, die sich bewusst nach außen um eine Abgrenzung nach Rechts bemüht und sich mit einer professoralen Intellektualität umgibt. Woher kommen aber ihre Sprecher?

Im Bundesvorstands der AfD sind neben Dr. Frauke Petry Dr. Konrad Adam und Prof. Dr. Bernd Lucke. Der Volkswirtschaftler Lucke war 1990 wissenschaftlicher Referent beim „Sachverständigenrat zur Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in der DDR“. Er berät die Weltbank und leitete Forschungen zur Marktliberalisierung und Wachstumsintegration in Südeuropa und im Nahen Osten. Lucke war außerdem Mitinitiator des kurz vor der Bundestagswahl verfassten Hamburger Appells, in dem Reallohnsenkungen, Niedriglöhne und Steuersenkungen für Unternehmen gefordert werden. Auch Prof. Dr. Ulrich Blum und Prof. Dr. Joachim Starbatty gehörten damals zu den Unterzeichnern des Appels und heute zum Unterstützerkreis der AfD. Konrad Adam sympathisiert mit der Idee, Erwerbslosen das Wahlrecht abzuerkennen, wie er in einer Kolumne in der „Welt“ 2006 geschrieben hat.

Einer der stellvertretenden Sprecher des Bundesvorstands der AfD, Alexander Gauland, hat in einem Artikel im „Tagesspiegel“ „den Deutschen“ ein „gestörtes Verhältnis zur militärischen Gewalt“ attestiert. Sie betrachten sie nicht als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln im Sinne von Clausewitz, sondern als das schlechthin Böse und Falsche, als ein Mittel, aus dem nie und unter keinen Umständen Brauchbares entstehen könne. Das ist kein Wunder, haben doch ihre politischen wie militärischen Führer in zwei Weltkriegen den Beleg für diese Einschätzung geliefert.“

Für Gauland ist militärische Gewalt nicht an sich schlecht: „Das aber setzt voraus, dass die Deutschen wieder eine Tatsache der Weltgeschichte akzeptieren lernen, die Bismarck in seiner ersten Regierungserklärung als preußischer Ministerpräsident 1862 in die berühmten Worte fasste: ‚Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.’“

 

Eine reaktionäre Partei

 

Auch wenn die deutschen Medien immer wieder die angeblichen Schnittmengen insbesondere in der Euro-Frage zwischen der LINKEN und der AfD betonen, so sind die Unterschiede beider Parteiprogramme eindeutig. Das Programm der AfD widerspiegelt die Klassenstruktur ihrer Gründer: Ganz in ihrem Sinne fordert es „eine drastische Vereinfachung des Steuerrechts in Anlehnung an das progressiv wirkende Kirchhofsche Steuermodell.“ Bei diesem Modell sollte am Ende ein einheitlicher Satz von 25 Prozent auf alle Einkommen, Arbeits- wie Kapitaleinkünfte, stehen. Auch in der Familienpolitik lassen sich klassische christdemokratische Traditionen erkennen: „Wir stehen für den Schutz der Familie als Keimzelle der Gesellschaft.“ Damit sollen die konservativen Schichten von der CDU/CSU angesprochen werden, die sich von der „modernisierten“ Merkel-Union abgestoßen fühlen. Im Kapitel „Integrationspolitik“ wird eine an ökonomischen Kriterien orientierte Neuordnung verlangt: „Deutschland braucht qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung. [...] Eine ungeordnete Zuwanderung in unsere Sozialsysteme muss unbedingt unterbunden werden.“

 

Perspektiven für die AfD

 

Die wachsende Angst in Teilen des Bürgertums vor den Folgen der kapitalistischen Wirtschaftskrise könnte der Partei unter Umständen zu größerem Zulauf verhelfen. So dürfte die jüngste Zypern-Krise auch bei besser situierten deutschen Lohnabhängigen das Gefühl geweckt haben, dass unbescholtene Kleinsparer für Bankenverluste zur Kasse gebeten werden und ihre Sparguthaben durch Bankenpleiten, Eingriffe und Inflation gefährdet sein könnten. Während frühere Parteigründer auf Rassismus und Law-and-Order-Sprüche setzten, die auf Dauer verblassten, könnten Wirtschaftskrise, Zuspruch aus der „Mitte der Gesellschaft“ und Spenden von „mittelständischen“ Unternehmern, die einen stabilen Euro nicht mehr für existenziell halten, der AfD durchaus Substanz und Auftrieb bringen. Dass die wirtschaftlichen Eliten längst nicht mehr uneingeschränkt Angela Merkels Euro-Kurs tragen und sich eine tiefe Spaltung im bürgerlichen Lager anbahnt, zeigen auch Äußerungen von Ex-BDI-Chef und AfD-Sympathisant Hans-Olaf Henkel. Spannend ist auch, ob und wie die politische Linke den verunsicherten Mittelschichten eine über das Kurieren an der Währungsoberfläche hinaus weisende gesellschaftliche Alternative anbietet.

 

Verwirrung in der LINKEN

 

In der LINKEN herrscht in der Euro-Frage große Verwirrung. Oskar Lafontaine löste nach einem Diskussionsbeitrag Ende April heftige Kontroversen in der Partei aus. Lafontaine hatte vorgeschlagen, den Euro schrittweise durch die Wiedereinführung nationaler Währungen und eines Europäischen Währungsmechanismus (wie er vor der Einführung der Gemeinschaftswährung existierte) zu ersetzen. Auch Sahra Wagenknecht argumentiert in diese Richtung: „In Zypern hat sich die linke ehemalige Regierungspartei AKEL bereits für einen Ausstieg aus dem Euro ausgesprochen. Die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo in Italien plädiert dafür, über Verbleib oder Ausstieg die Bevölkerung entscheiden zu lassen. Angesichts dieser Entwicklungen kann sich DIE LINKE der Frage nicht verweigern, was passiert, wenn sie ihre Krisenlösungskonzepte weiterhin nicht umsetzen kann. (…) Bei nüchterner Betrachtung könnte sich herausstellen, dass der Slogan „Ja zum Euro um jeden Preis“ weiter rechts im politischen Koordinatensystem zu verorten ist als der Slogan „Euro - so nicht“. Über ein bedingungsloses Bekenntnis zum Euro freuen sich vor allem diejenigen, die von der Währungsunion bisher am meisten profitiert haben - die Eigentümer der Banken und Exportkonzerne.“

Die AfD plädiert wiederum für die Abschaffung des Euro und dessen Ersetzung durch entweder nationale Währungen wie die D-Mark oder aber die Schaffung kleinerer Währungsverbünde. „Wir fordern“, heißt es im AfD-„Programm“, „dass die Kosten der sogenannten Rettungspolitik nicht vom Steuerzahler getragen werden. Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger sind die Nutznießer dieser Politik. Sie müssen zuerst dafür geradestehen.“

Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung los, weil eine vermeintliche Nähe der LINKEN zur AfD konstatiert wurde. Die Medien zerrissen sich über die vermeintliche Liaison zwischen Links und Rechts. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ sah „Lafontaine auf rechten Euro-Abwegen“. Aber auch in der LINKEN selbst teilte der gemäßigt-reformistische Flügel aus. Benjamin-Immanuel Hoff, Bundessprecher des Forums demokratischer Sozialismus (fds), wähnte Lafontaine „auf der Welle des rechten Populismus“. LINKE-Chef Bernd Riexinger stellte klar: „Die AfD sagt Nein zum Euro und Ja zur Austerität, wir sagen Nein zur Austerität und Ja zum Euro. Die AfD ist rechts, wir links.“ Und Stefan Liebich stellte fest: „Wer bei uns das Ende das Euro will, sattelt das falsche Pferd und reitet allein in den Horizont. Links ist europäisch und solidarisch.“

Auch die Bundesvorsitzende der LINKEN Katja Kipping hat sich für den Euro ausgesprochen. Kipping spricht von der Notwendigkeit einer koordinierten europäischen Sozial- und Wirtschaftspolitik, einer gemeinsamen Finanzpolitik und der Umverteilung von Reichtum von Oben nach Unten.

Oskar Lafontaine begründete seinen Euro-kritischen Positionswechsel mit dem veränderten Kräfteverhältnis: „Die einheitliche Währung hätte von Bestand sein können, wenn die beteiligten Staaten eine aufeinander abgestimmte produktivitätsorientierte Lohnpolitik verfolgt hätten. Weil ich diese Lohnkoordination für möglich hielt, habe ich den 90er Jahren die Einführung des Euro befürwortet. Aber die Institutionen zur Koordinierung, wie vor allem der makroökonomische Dialog, sind von den Regierenden unterlaufen worden. Die Hoffnung, dass durch die Einführung des Euro auf allen Seiten ökonomische Vernunft erzwungen würde, hat getrogen.“ Und Sahra Wagenknecht appelliert an höhere Mächte: „Wenn Deutschland die jahrelangen Lohnsenkungen und Sozialkürzungen durch überproportionale Reallohnsteigerungen, höhere Renten und bessere Sozialleistungen wieder ausgleicht“, dann müsse niemand über ein mögliches Auseinanderbrechen der Währungsunion und Alternativszenarien nachdenken.

Die Zitate werfen die Frage auf: Haben Euro-KritkerInnen wie Lafontaine und Wagenknecht und auch Euro-BefürworterInnen wie Riexinger und Kipping in der LINKEN vielleicht eine falsche Vorstellung von einer kapitalistischen Wirtschaft, die auf Konkurrenz und Profitorientierung ausgerichtet ist?

 

Euro ja oder nein? Eine falsch gestellte Frage

 

Der Euro und die EU sind Projekte der herrschenden Klassen in Europa vor allem in Frankreich und Deutschland zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen gegen die Konkurrenz in den USA und Fernost. Ein gemeinsamer europäischer Markt sollte die Wettbewerbssituation für die europäischen Kapitalisten angesichts des sich verschärfenden internationalen Konkurrenzkampfes verbessern.

Ende der 1990er Jahre, also zu einer Zeit, da jeder den Euro anpries und voller Zuversicht einen unaufhaltbaren Trend hin zur europäischen Einigung prognostizierte, schrieben wir – die Internationale Marxistische Strömung IMT – ein Dokument mit dem Titel „A Socialist Alternative to the European Union", in dem wir eine dazu andere Perspektive aufstellten: „Das Problem von Maastricht ist, dass die europäischen Kapitalisten versuchen, die Integration voranzutreiben, obwohl die ökonomischen Bedingungen dafür nicht mehr gegeben sind. Bei Wachstumsraten von 5-6 Prozent, wie wir sie während der Phase des langen Wirtschaftsaufschwungs hatten, könnten sie die Währungsunion ohne große Schwierigkeiten über die Bühne bringen. Mit Wachstumsraten von nicht einmal 2-3 Prozent ist dies aber unmöglich.“ „Zwischen Theorie und Praxis eröffnet sich ein tiefer Abgrund. In der Theorie sieht alles ganz nett und logisch aus. Das Problem ist nur, dass das kapitalistische System alles andere als logisch ist. In der Abstraktion ist die Idee einer gemeinsamen europäischen Währung gut. Sie würde viele Kosten reduzieren, den Handel zwischen den Nationalstaaten billiger machen, die langfristige Wirtschaftsplanung und die Investitionsentscheidungen erleichtern und eine Vielzahl unnötiger Vorgänge überflüssig machen. In der kapitalistischen Praxis aber führt sie direkt ins Desaster. In der Theorie bedeutet es, dass alle nationalen Währungen in ein rigides System gezwängt werden. Keine nationale Regierung könnte die Wechselkurse ändern, d.h. keinem Land wäre es mehr gestattet, durch Abwertung einen Weg aus der Krise zu suchen.“ „Der Weg der Abwertung ist versperrt, deshalb müsste jedes Land intern eine Lösung suchen – was eine grausame Politik der Deflation und Arbeitslosigkeit bedeutet, besonders für die schwächeren Ökonomien. Es würden sich auch die Spannungen zwischen den verschiedenen Staaten und die Klassengegensätze innerhalb dieser Staaten enorm zuspitzen. Solch ein unflexibles monetäres System wäre nicht lebensfähig. In der Praxis würde von Anfang an jeder Nationalstaat versuchen, einen Vorteil gegenüber den anderen zu erringen. Dies wird alle nur denkbaren Konflikte hervorrufen, was letztendlich zu einem Zusammenbruch führen würde. Auch der Versuch, ein System der andauernden Sparpolitik einzuführen, würde nicht funktionieren.“ „(...) Die gesamte Last einer Rezession müssen die Nationalstaaten selber tragen. Die Absicht ist dabei, dass jede Regierung gezwungen ist, mit den guten alten Methoden wie Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen und Privatisierungen ‚gesunde Finanzen‘ aufrecht zu erhalten.“

Wie hier deutlich wird, gab es keine „Konstruktionsfehler“ beim Euro, sondern er ist Ausdruck von unüberbrückbaren Widersprüchen innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsweise.

Das zentrale Problem liegt nicht in technischen Umsetzungsfragen, noch in gegenseitigen Schuldzuweisungen der unterschiedlichen Regierungen. Stattdessen müssen wir verstehen, dass das Phänomen der Krise des Euros nicht in der Währung selbst begründet liegt, sondern ein spezifischer Ausdruck einer globalen kapitalistischen Krise ist. Die Schuldenkrise und die die zunehmend unkontrollierbaren Widersprüche der Einheitswährung sind nicht die Ursache, sondern die Form, in der sich die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Widersprüche ausdrücken.

Auf sich allein gestellt sind die europäischen Staaten zu klein, als dass sie in einer kapitalistischen Ökonomie, in der Produktion und Finanzzirkulation längst die Grenzen des Nationalstaates gesprengt haben, auf dem Weltmarkt konkurrieren könnten. Seit 60 Jahren nun versuchen die europäischen Bourgeoisien diesen grundlegenden Widerspruch durch den europäischen Integrationsprozess zu lösen. Die Krise dieses Projekts beweist die Richtigkeit der marxistischen Analyse, dass das Privateigentum der Produktionsmittel und die Enge der Grenzen des Nationalstaates die größten Hindernisse für eine harmonische Entwicklung der Produktivkräfte und der menschlichen Gesellschaft sind.

Der Euro ist nicht die Ursache der Krise. Auch Länder wie Island und Großbritannien, die noch ihre eigenen Währungen besitzen, sind von der Krise betroffen. Der Euro ist bei vielen Menschen der „Blitzableiter“, an dem die Menschen die sich verschlechternde soziale Lage dingfest machen können. Daher ist es auch kein Wunder, dass insbesondere in den von der Krise stark erfassten Ländern die Diskussion über einen Euroaustritt sehr stark zunimmt.

Mit oder ohne EU- und Euro-Mitgliedschaft wird die kapitalistische Klasse den ArbeiterInnen Opfer abverlangen. Die ArbeiterInnen in den Ländern, die den Euro verlassen, müssen sich jedoch auf weitere Lohnkürzungen und Sozialabbau sowie eine unmittelbare (Hyper)Inflationswelle gefasst machen. Die erhoffte Abwertung der eigenen Währung führt zwar zu einer Verbilligung der Exporte, aber andererseits auch zu einer Verteuerung der Importe. Das bekommt vor allem auch die Arbeiterklasse über höhere Preise ab. Und eine Abwertung kann auch Kettenreaktion und einen internationalen Abwertungswettlauf und Vergeltungsaktionen wie in den frühen 1930er Jahren bis hin zu Handelskriegen auslösen. Dies droht auch die Konkurrenz zwischen den abhängig Beschäftigten in den verschiedenen Ländern zu verschärfen und dem Zusammenhalt der Arbeiterbewegung zu schaden. Es gibt keine „nationale Unabhängigkeit“, die dem Druck der globalen Krise standhalten kann. Andererseits werden aber auch die ArbeiterInnen in den Euro-Ländern verstärkt mit Lohnkürzungen und Sozialabbau zu kämpfen haben.

Genauso fahrlässig ist auch die Idee, dass man die Strukturen eines kapitalistischen Europas reformieren könne, dass man also Teil der gemeinsamen Währung sein und gleichzeitig eine alternative Wirtschaftspolitik umsetzen könnte, mit der man die Vernichtung des Sozialstaats und der Arbeiterrechte zu verhindern versucht. Die Idee eines „sozialen und friedlichen Europas“, die seit Jahren von reformistischen Kräften heruntergebetet wird, hat sich schon in der Periode des wirtschaftlichen Wachstums nicht bewahrheitet und kann unter den Bedingungen der Krise noch viel weniger Realität werden.

 

Die Systemfrage stellen

 

Claudia Bellotti von unserer italienischen Schwesterorganisation Falce Martello beschreibt die Perspektive in einer hochaktuellen Broschüre wie folgt:

  • Die Frage der gemeinsamen Währung kann nicht unabhängig vom Prozess der Krise und des Klassenkampfes behandelt werden.
  • Jeder ernsthafte Widerstand gegen die Sparpolitik in Europa schwächt automatisch die europäischen Institutionen und die gemeinsame Währung.
  • Diese Institutionen gehören zu den zentralen Hebeln der herrschenden Klasse zur Durchsetzung des „Sparzwangs“.
  • Eine ernsthafte Krise der EU würde die wichtigsten politischen Kräfte schwer treffen.

 

Das bedeutet natürlich nicht, dass sich die Arbeiterbewegung auf den jeweiligen Nationalstaat beschränken soll, ganz im Gegenteil. Ein Europa der ArbeiterInnen kann erst dann errichtet werden, wenn wir vorher mit dem Europa des Kapitals brechen. Stellen wir uns vor, dass morgen in irgendeinem Land der EU eine linke Regierung an die Macht kommt, die fest entschlossen ist eine Politik zugunsten der Lohnabhängigen zu machen. Diese Regierung müsste alle Stabilitätspläne und große Teile der EU-Richtlinien, die die Mitgliedsstaaten zu Privatisierungen, zur Liberalisierung der Wirtschaft, zur Ökonomisierung des Bildungssystems, zu einer restriktiven Migrations- und Asylpolitik usw. anhalten, neu verhandeln. Diese Regierung müsste, sollte sie ihr Programm ernst nehmen und nicht einknicken, die Staatsschulden nicht anerkennen und die Banken und Großkonzerne verstaatlichen und unter demokratische Kontrolle stellen. Ist es vorstellbar, dass eine fortschrittliche Politik umgesetzt werden kann, ohne mit dem Projekt der EU als Ganzes zu brechen?

Aber diese linke Regierung würde sofort an die Arbeiterklasse in den anderen europäischen Ländern appellieren, solidarisch zu sein und ihren Weg in Richtung Sturz des Kapitalismus mit einschlagen. In ganz Europa haben wir es heutzutage mit ähnlichen sozialen Problemen zu tun, so dass in kürzester Zeit ähnliche Prozesse in anderen Ländern stattfinden würden. Die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa sind der einzige Ausweg aus der kapitalistischen Krise und dem drohenden Erstarken des Nationalismus.

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