Wahlen sind immer nur Momentaufnahmen und Schnappschüsse von momentan vorherrschenden Stimmungen und vordergründig ging es in den hessischen Städten, Gemeinden und Landkreisen um die Neuwahl von Gremien, die die kommunalen Verwaltungsapparate kontrollieren und ihnen die generelle Linie vorgeben sollen. Angesichts der tiefen innenpolitischen Krise der letzten Monate spielten Bürgersteige, Zebrastreifen, Kindertagesstätten, Hundekot, Wassergebühren und andere wichtige Probleme vor der Haustür nur eine untergeordnete Rolle. So gehen jetzt von Hessen ganz andere Signale an den Rest der Republik. Vorherrschendes Thema vor und erst recht nach der Wahl: das starke Abschneiden der Rechtspartei AfD und die Angst vor einem Rechtsruck, der sich noch stärker in den bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt manifestieren könnte.
Aufgrund des komplizierten Wahlrechts liegen landesweit noch nicht alle vorläufigen amtlichen Endergebnisse vor. Der Trend ist aber eindeutig. Die Wahlbeteiligung ist gegenüber 2011 leicht gestiegen, hat mit landesweit 48 Prozent aber immer noch nicht die 50-Prozent-Marke erreicht. Das sollten alle berücksichtigen, die von einem breiten und allgemeinen Rechtsruck in der Gesellschaft reden.
Verlierer sind die „großen“ Parteien CDU, Grüne und SPD, die im Land (CDU und Grüne) bzw. im Bund (CDU/CSU/SPD) die Regierung stellen und bisher auch in unterschiedlichen Zweierbündnissen miteinander Städte und Landkreise beherrschen- Vielfach können sie nun in der bisherigen Konstellation nicht mehr weiter regieren. Schwarz-Grün in der Bankenmetropole Frankfurt am Main, für Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ein Referenzprojekt für Land und Bund, wurde abgestraft und ist nach zehn Jahren Geschichte. Im Wiesbadener Rathaus herrschte am Wahlabend lange Schockstarre und Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) standen Tränen in den Augen, als am Wahlabend die von ihm geführte bisherige „Große Koalition“ nach schmerzhaften Einbrüchen von CDU und SPD zusammenschrumpfte. Hier, in der zweitgrößten Stadt des Landes, errangen die bisherigen Koalitionspartner mit 23,5 (CDU) bzw. 24,2 (SPD) Prozent zusammen nicht einmal mehr die absolute Mehrheit der Wählerstimmen. Das sind krachende Ohrfeigen. In früheren Jahrzehnten hatten die angeblichen „Volksparteien“ zusammen stets Werte um die 80 Prozent. In Darmstadt errang die CDU 18,2 und die SPD 17,2 Prozent.
DIE LINKE und linke Wählergruppen legten zu und kamen landesweit auf über fünf Prozent. Zu den Gewinnern gegenüber 2011 gehört auch die FDP, während die Piratenpartei nach ihrem lange zurückliegenden Hype mehr als die Hälfte ihrer Stimmen wieder verlor.
Schockstarre und Betroffenheit löste das relativ stabile Abschneiden der Rechtspartei AfD in Stadt und Land aus, die im Durchschnitt nach Stand der Auszählungen landesweit bei 13 Prozent liegt. Sie war im Sechs-Millionen-Land zwischen Weser, Werra, Rhein und Neckar in den Großstädten und nahezu allen Landkreisen angetreten. „Alte Hasen“ in der Lokalpolitik fühlten sich in das Jahr 1993 zurückversetzt, als ähnlich wie heute die politische Rechte mit dem Zuzug von Asylbewerbern Ängste schürte. Damals errangen die rechten Republikaner (REP) mit über 13 Prozent in Wiesbaden und 16 Prozent in Offenbach spektakuläre Erfolge und zogen triumphierend in Rathäuser und Kreistage ein. Danach setzte ein Niedergang im Zeitlupentempo ein. Am Sonntag waren die Republikaner in Wiesbaden gar nicht mehr angetreten.
Die neofaschistische NPD trat bei diesen Kommunalwahlen kaum noch an. Wo sie jedoch ihre Kräfte konzentrierte und die AfD als örtliche kommunale Kraft (noch) nicht präsent war, schnitt sie unerwartet stark ab. So errang sie etwa 14,2 Prozent in der Stadt Büdingen (Wetteraukreis), im nahen Altenstadt 12,3 Prozentpunkte und in der alten Industriestadt Wetzlar 9,6%.
Während die hessische CDU-Spitze um Ministerpräsident Volker Bouffier eine Kooperation mit der AfD ausschloss, sprachen sich Vertreter des rechten CDU-Flügels wie die Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch und Erika Steinbach für eine Zusammenarbeit mit der Rechtspartei aus. Schließlich kennt man sich. Denn zu den Gründern der AfD und ihren namhaften Protagonisten gehören neben Nazis im Nadelstreifen, Nobodys und karrieresüchtigen Abenteurern auch erfahrene abtrünnige ehemalige CDU-Funktionäre wie der ehemalige Chef der Hessischen Staatskanzlei, Alexander Gauland, der ehemalige Frankfurter Stadtkämmerer Albrecht Glaser und der ehemalige Bundestagsabgeordnete und BKA-Beamte Martin Hohmann, der wegen antisemitischer Äußerungen 2004 aus der CDU ausgeschlossen wurde und jetzt für die AfD in den Kreistag von Fulda gewählt wurde.
Das flächendeckende Emporkommen der AfD hat Betroffenheit und ersten Aktionismus ausgelöst. So gingen einen Tag nach der Wahl spontan 500 Menschen in Frankfurt gegen die AfD auf die Straße. Wahlveranstaltungen der AfD waren vielerorts von Protestkundgebungen begleitet. Das ist auch gut so. Ebenso wichtig ist aber Aufklärungsarbeit. Denn abgesehen von platten rassistischen Parolen, die Flüchtlinge für alle Miseren verantwortlich machen und eine Spaltung der arbeitenden Klasse vorantreiben sollen, ist das Programm der AfD ein Sammelsurium aus neoliberalen, reaktionären, arbeiter-, gewerkschafts- und frauenfeindlichen Versatzstücken. Dem müssen wir ein linkes, antikapitalistisches und sozialistisches Programm entgegensetzen.
GenossInnen der Funke-Redaktion waren in diesem Kommunalwahlkampf nicht nur aufmerksame Beobachter, sondern auch Akteure. In Wiesbaden und insbesondere im Westend, dem am dichtesten besiedelten Stadtteil Deutschlands mit seinen knapp 18.000 Einwohnern, beteiligten wir uns intensiv an der Programmdebatte und am Wahlkampf. Auch im Stadtteilprogramm, das in einer hohen Auflage an alle Haushalte verteilt wurde, blickten wir über den engen Tellerrand einer rein kommunalen Kirchturmsperspektive hinaus. Mit vielen konkreten und nachvollziehbaren Forderungen zum Stadtteil, klarem Klassenstandpunkt, Antirassismus, Kapitalismuskritik und sozialistischer Orientierung im Programm fanden wir ein starkes Echo. Wir waren auf der Straße gut sichtbar und gingen auf die Menschen zu.
Das Ergebnis: Bei der der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung sind wir im Westend mit 15 Prozent mehr als doppelt so stark wie die Rechtspartei AfD (6,9%) und liegen drei Prozentpunkte vor der CDU (12%). AfD und CDU hatten in diesem Stadtteil mit Abstand ihr schlechtestes Ergebnis. Bei der Wahl zum Ortsbeirat Westend, einem eigentlich einflusslosen kommunalen Beratungsgremium für den Stadtteil, erreichte DIE LINKE 17, 3 Prozent. Dies entspricht einem Plus von 8,1 Prozentpunkten und mehr als einer Verdopplung der absoluten Stimmen gegenüber 2011. Spitzenkandidat war unser Redaktionsmitglied Christoph Mürdter, der neben zwei anderen GenossInnen auch gewählt wurde.
Natürlich werden wir, um Lenin zu zitieren, nicht dem „parlamentarischen Kretinismus“ verfallen, sondern – wie im Programm angekündigt – den Druck von unten aufbauen. Wir teilen die Ansicht von Rosa Luxemburg, dass es „keine einzige Angelegenheit der Stadt- oder Gemeindewirtschaft (gibt), in welcher die Interessen der Arbeiterklasse nicht verschieden von denen der bürgerlichen Klasse oder ihnen nicht geradezu entgegengesetzt wären.“ Wir wissen mit Rosa: „Diese formale Gleichheit der Demokratie ist Lug und Trug, solange die ökonomische Macht des Kapitals besteht.“ Wir haben in diesen Wochen auch gelernt, dass konsequentes Auftreten und eine über den Kapitalismus hinaus gehende Perspektive wesentlich dazu beitragen können, die politische Rechte auszubremsen und letztlich zu besiegen. Wir bleiben dran.
Und statt Rechtsruck sollten wir lieber von einer Polarisierung sprechen. Wo DIE LINKE und/oder andere linke Wählergruppen auftraten und einigermaßen konsequente Alternativen anboten, konnten sie hinzugewinnen und den Zuwachs der AfD bremsen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zeiten härter und ungemütlicher werden. Wir brauchen radikale sozialistische Lösungen für die brennenden Probleme.
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