Kategorie: DIE LINKE |
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Viele Jugendliche sind parteiverdrossen, aber nicht politikverdrossen |
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Interview mit Jan Schalauske, Bundessprecher von ['solid], Jugendverband der Linkspartei.PDS |
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Wie positioniert sich ['solid] im laufenden Bundestagswahlkampf?
Wir rufen zur Wahl der Linkspartei auf, weil es wieder eine starke linke Fraktion im Bundestag braucht, die Alternativen zur herrschenden Politik aufzeigt. Gleichzeitig leisten wir aber einen eigenen Wahlkampfbeitrag mit weitergehenden Forderungen. U.a. haben wir, anders als die Linkspartei.PDS, ein kritischeres Verhältnis zur Lohnarbeit. In unserem Wahlkampfmaterialien heißt es „Wir brauchen eine andere Gesellschaft, frei von Ausbeutung, Unterdrückung und Armut, eine Gesellschaft in der die Menschen selbstbestimmt und demokratisch über ihre Wirtschaft, Politik und Gesellschaft entscheiden können. Eine sozialistische Gesellschaft.“ Daher stellen wir auch das Logo „socialist“ in den Vordergrund. Und welche Erfahrungen hat ['solid] bisher im Wahlkampf gemacht? Wir kleben nicht einfach nur Plakate. Wahlkampf ist für uns mehr als das Verteilen von Gummibärchen. Unsere Materialien sind aktionsorientiert. Es gilt junge Menschen auch über den Wahltag hinaus für sozialistische Politik zu gewinnen. Viele Anfragen und Eintritte bestätigen, dass wir damit die kritische Stimmung bei Jugendlichen treffen. In welchen Fragen legt ['solid] besonderen Wert auf eigenes Profil gegenüber der „Mutterpartei“? Wir haben auf dem Bundesparteitag im Juli, der die Umbenennung des Parteinamens in Linkspartei vollzog, ein unübersehbares Transparent eingebracht mit der Aufschrift „Links ist, wo keiner fremd ist“. Das bezog sich auf die „Fremdarbeiter“-Debatte, aber auch auf den Umbenennungsprozess. Wir stellen konkrete Anforderungen an das Etikett „links“ und erwarten auch in Zukunft etwa fortschrittliche migrationspolitische Aussagen der Partei. Die Grenzen verlaufen zwischen Arm und Reich und nicht zwischen Nationalitäten oder gar Hautfarben. Lafontaine hat mittlerweile in dieser Frage zurückgerudert, was ich begrüße. In anderen Fragen bleiben weiterhin große Differenzen. Vor einem Jahr ließ der NPD-Erfolg in Sachsen mit über 9 Prozent aufhorchen. Doch bei der Bundestagswahl werden die Neonazis voraussichtlich schwach abschneiden. Ist die Linkspartei in der Lage ehemalige Rechtswähler zu gewinnen? Die Erfolgsserie der Neofaschisten von Sachsen und Brandenburg wurde schon bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW gebrochen. Um ehemalige Wähler der Neofaschisten zu gewinnen, darf die Linkspartei.PDS aber auf keinen Fall Phrasen und Formulierungen der Rechten benutzen oder gar bestimmte Ressentiments bedienen. Wenn die Linkspartei.PDS diese Wähler gewinnen will, dann nur mit linken Positionen. Es muss klar gemacht werden, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Konzerne die Schuldigen sind, weil sie die Menschen gegeneinander ausspielen und zwingen, unter schlimmsten Bedingungen zu arbeiten, um durch niedrigere Löhne ihre Profite zu erhöhen. Gleichzeitig muss der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft und in den Köpfen der Menschen bekämpft werden. Eine starke Linksfraktion im Bundestag allein wird allerdings bestimmte konkrete Probleme vor Ort – etwa mit den sogenannten „national befreiten Zonen“ – noch nicht aus der Welt schaffen. Was erwartest Du von der neuen Bundestagsfraktion in puncto Antifaschismus? Etwa rege parlamentarische Aktivitäten und Anfragen an die Exekutive zu rechtsextremistischen Straftaten und Hintergründe. Eine starke Parlamentsfraktion kann Infrastruktur und Gelder bereitstellen, Räume schaffen sowie eine stärkere Vernetzung für antifaschistische Aktivitäten fördern. Gleichzeitig muss sie sich für antirassistische Inhalte stark machen: Ein legales Bleiberecht für alle, Auflösung von Abschiebelagern, Abschaffung der Residenzpflicht und der Kampf gegen jegliche Diskriminierung. Der viel diskutierte Mindestlohn muss für alle Menschen gelten, die in der BRD arbeiten. Wie habt Ihr Euch in die Programmdiskussion eingebracht? Wir haben auf dem Sonderparteitag im August inhaltliche Anträge zum Wahlprogramm gestellt. Uns gehen u.a. die beschlossenen Forderungen zur Friedenspolitik nicht weit genug. Generell fordert ['solid] die Auflösung von NATO und Bundeswehr und lehnt die Militarisierung der EU, sowie jegliche Bundeswehreinsätze grundsätzlich ab, nicht nur Kriegseinsätze. Es dürfen in dieser Frage keine Hintertüren offen gehalten oder Präzedenzfälle geschaffen werden, um spätere Interventionen zu ermöglichen. Deutsche Soldaten müssen sofort aus allen Einsatzgebieten abgezogen werden. In diese Richtung haben wir, orientiert an dem von dem parteilosen Abgeordneten des EU-Parlaments Tobias Pflüger initierten friedenspolitischen Manifest, mit ihm gemeinsam Änderungsanträge eingebracht, von denen einzelne Punkte noch den Eingang ins Wahlprogramm gefunden haben, wie beispielsweise die Forderung nach der Auflösung europäischer Interventionsstreitkräfte, der EU-Battlegroups, sowie der schnellen Eingreiftruppe der NATO. Möglicherweise werden auch ['solid]-Mitglieder der neuen Bundestagsfraktion angehören. Welche Akzente werden sie setzen? In Hessen und Bayern konnten mit Ann-Christin Schomburg und Markus Bansemir zwei ['solid]-Mitglieder für vordere Listenplätzen nominiert werden, so dass sie bei einem guten Ergebnis in den Bundestag einziehen könnten. Sollten die beiden GenossInnen gewählt werden, planen sie offene Jugendbüros zu schaffen, in denen sich junge Menschen zusammensetzen, vernetzen und Bündnisaktionen planen können. Wie sich die Zwei in der Fraktion einbringen, wird sich zeigen. Beide stehen zu unseren sozialistischen Positionen und werden sich dafür auch im Parlament einsetzen. Angesichts der bevorstehenden Vereinigung Linkspartei und WASG gibt es auf beiden Seiten Ängste vor einer „Vereinnahmung“. Wie positioniert sich ['solid] hierzu? Wir haben grundsätzlich begrüßt, dass die Linkspartei ihre Listen für Mitglieder der WASG und der außerparlamentarischen Bewegung geöffnet hat, um eine starke linke Kraft bundesweit zu verankern. Im Fusionsprozess werden wir uns dafür einsetzen, dass diese mögliche, neue Partei ein sozialistisches Programm hat. Eine moderne linke Partei muss die Perspektive einer nichtkapitalistischen Gesellschaft in ihrem Programm haben und nicht nur „einen neue soziale Idee“ und die schwammige Vision von einer „besseren“ Welt. Jan Schalauske (24, Marburg, Student der Politikwissenschaft) Das Interview führte Hans-Gerd Öfinger. Eine gekürzte Fassung dieses Interview erschien in der Tageszeitung junge Welt vom 12. September 2005 |