Kategorie: DIE LINKE

Wagenknechts „Die Selbstgerechten“ – Eine marxistische Kritik

Das Buch von Sahra Wagenknecht „Die Selbstgerechten: Mein Gegenprogramm – Für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ hat in der medialen Öffentlichkeit nachhaltiges Echo, Zustimmung und Kritik erfahren. Vorneweg auf den Punkt gebracht: Das Buch ist leserlich, wendet sich mit richtigen Einzelpunkten an die breite Masse, aber ansonsten ist das Werk eine völlig verzerrte Wahrnehmung dessen, was ist oder wie es werden kann.

Bild: der funke


Die programmatischen Ansätze im Buch sind eine Mischung aus Sozialdemokratismus und Konservatismus. Im Wesentlichen ist das Buch eine altsozialdemokratische Propagandaschrift. Zu sozialdemokratischer Politik gehört spätestens seit Gustav Noske, eine gewisse Portion von bürgerlichem Rassismus. Es gibt aber auch Richtiges im Falschen im Buch von Sahra Wagenknecht nachzulesen.

Kritik an akademischer Wortklauberei

Unter den „Selbstgerechten“ versteht sie eine Schicht von gutverdienenden Akademikern. Richtig argumentiert sie gegen den Unsinn, welcher von bestimmten Menschen aus der akademischen Mittelschicht, die in „wohliger Beschaulichkeit leben“, verbreitet wird. So weist sie postmoderne Meinungen wie die von Jacques Derrida zurück, der die Idee vertrat, dass Wörter die Realität verändern.

Als Beispiel nennt sie die veränderte Wortwahl bezüglich der Putzfrau. Bekanntlich hat eine Frau, die diese Tätigkeit ausführt, den Namen „Reinigungsfachfrau“ erhalten. Dennoch hat sich die Situation der Frauen in diesem Bereich in den letzten Jahren und Jahrzehnten entscheidend verschlechtert. Die Masse der öffentlichen Unternehmen beschäftigen private Unternehmen mit dem Putzen ihrer Gebäude. Mit diesen und ähnlichen Beispielen hat Sahra Wagenknecht natürlich recht. Sie kritisiert zutreffend, dass sich die Lage der in diesem Bereich Beschäftigten entscheidend verschlechtert hat. Tarifverträge und Kündigungsschutz sind dort weitgehend unbekannt.

Der Wortdiskurs der Postmoderne verschleiert diesen Umstand nur. Weiter ist Sahra Wagenknecht zuzustimmen, dass es in bestimmten linken Kreisen eine gewisse Arroganz gegenüber Menschen gibt, die sich für Fußball interessieren, nicht immer „Bio“ essen und ihren Urlaub vielleicht auf Mallorca verbringen. Es ist richtig von Frau Wagenknecht diese in bestimmten linken Kreisen verbreitete Selbstgerechtigkeit gegenüber der breiten Masse der Arbeiter und Arbeiterinnen abzulehnen.

Eine grundsätzliche Kritik an der Identitätspolitik ist allerdings im Buch von Frau Wagenknecht nicht zu finden. Eher eine abwertende Haltung gegenüber Menschen mit intellektueller Basis. Natürlich ist es richtig bestimmte akademische Diskurse, welche sich in Wortakrobatik ergehen, zu kritisieren und gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass dieser akademische Diskurs eine Klassenbasis hat. Es geht der Bourgeoisie darum, linke Politik zu diskreditieren. Gegenüber diesen bürgerlichen Strömungen gilt es auf der Basis des Marxismus entschieden Stellung zu beziehen. Letzteres leistet das Buch von Wagenknecht nicht – im Gegenteil.

Die Crux bei Sahra Wagenknecht

Frau Wagenknecht kritisiert in Wahrheit gar nicht wirklich, die identitätspolitischen Strömungen, sondern sie zieht sich zurück auf die klassischen Positionen der deutschen Sozialdemokratie, zum Teil sogar auf die Haltung von bürgerlich konservativen Reaktionären. Deutlich wird das in den Kapiteln, wo sie sich mit der so genannten „Ausländerproblematik“ auseinandersetzt. Sahra Wagenknecht ist gegen „offene Grenzen, weil dadurch Löhne und Gehälter im Niedriglohnbereich weiter gesenkt werden können“.

Eine Kritik an der Haltung der deutschen Gewerkschaftsbürokratie, welche durch ihre Passivität das Lohndumping in verschiedenen Bereichen erst ermöglicht, bleibt sie uns schuldig. In der Tat, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu verlangen und dafür Kämpfe zu organisieren, steht bei den Gewerkschaftsbürokratien nicht auf der Agenda. Statt eine Politik zu betreiben, welche Migranten und Migrantinnen in den Gewerkschaften organisiert, schaut die Gewerkschaftsführung dem Treiben des Kapitals einfach zu. Dazu gibt es kein Wort der Kritik von Sahra Wagenknecht. Das ist auch nicht verwunderlich: Ihr fehlt jegliche klassenpolitische Analyse. Wer in dem Buch von Sahra Wagenknecht etwas von dem unversöhnlichen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit sucht wird nicht fündig werden.

Stattdessen wird man in dem Kapitel „Zuwanderung – Wer gewinnt, wer verliert?“ einen wirklich rassistischen Diskurs vorfinden. Nach Sahra Wagenknecht hat der Deutsche ein grundsätzliches Problem mit Menschen, die nicht „aus seinem Kulturkreis“ stammen. Dazu führt sie auf Seite 220 folgendes aus: „Für Menschen, die sich an Gemeinschaften orientieren, ist ihre Familie nicht irgendeine Familie, ihre Heimatregion nicht irgendein Landstrich und ihr Land etwas anderes als andere Länder. Deshalb fühlen sie sich Staatsbürgern des eigenen Landes enger verbunden als Menschen, die woanders leben, und sie wollen nicht, dass die Politik von außen gesteuert wird.“

Die Autorin ist sich nicht zu blöde Ausflüge weit zurück in die Geschichte zu unternehmen, um die angebliche Ablehnung des Fremden zu unterlegen. Viele Beispiele sind aus der Luft gegriffen, sie entsprechen nicht einmal den Erfahrungen von vielen Menschen auf den Kinderspielplätzen. Dort kann sehr genau beobachtet werden, dass Kinder nicht nach der Nationalität des anderen Kindes fragen. Sie fragen sich nur: „Mit wem kann ich spielen?“ Bei jeder Fußballmannschaft spielt für die Aktiven die Nationalität des Mittelstürmers in aller Regel keinerlei Rolle. Der Rassismus und die rassistische Propaganda sind altbekannte Herrschaftsmittel des Bürgertums. All das kommt bei Sahra Wagenknecht nicht vor, ihr geht es im Wesentlichen um die Legitimierung des bürgerlichen Rassismus.

Sahra Wagenknecht tritt für scharfe Grenzkontrollen ein und verhöhnt in Passagen des Buches sogar Immigranten und Immigrantinnen. Auf Seite 142 schreibt sie: „Wer vor Folter und Tod flieht, hat keine andere Wahl. Wer ein besseres Leben sucht handelt aus nachvollziehbaren Motiven, aber er müsste das nicht tun.“ Unter dem Kapitel „Risikobereite junge Männer“ auf Seite 150 schreibt sie bezogen auf Flüchtlinge, die über das Mittelmeer geflohen sind: „Besonders risikobereit, nämlich junge Männer und sie waren vergleichsweise wohlhabend.“ Durch das ganze Buch ziehen sich Ausführungen über einen vermeintlich „notwendigen Kampf gegen ungesteuerte Zuwanderung“. Diese Formulierung taucht mehrmals auf.

Der Unterschied zur Haltung von bestimmten Leuten aus CDU/CSU ist kaum mehr auszumachen. Damit ist sie selbst in der identitätspolitischen Ecke von der anderen Seite her gelandet. Der Emigrant ist im Kontext bei Wagenknecht nicht populär und von daher abzulehnen. Sie bezieht sich dabei allerdings positiv auf die Haltung der klassischen Sozialdemokratie. Im Jahr 1921 schloss die bürgerliche deutsche Reichsregierung mit der damaligen Genwerkschafsdachorganisation ADGB ein Abkommen, welches Zuzugsbegrenzung beinhaltete. Der Satz „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ im Kommunistischen Manifest von 1848 spielt im Denken von Sahra Wagenknecht keinerlei Rolle mehr. Der internationale Klassenkampf wird nicht einmal ansatzweise erwähnt, vom Sturz des Kapitalismus hält die Autorin nichts.

Von Walter Ulbricht zu Ludwig Erhard

Sahra Wagenknecht hat einen langen Weg voller politischer Purzelbäume hinter sich. Im Jahr 1993 schrieb der Autor dieser Zeilen einen langen Artikel gegen die Buchautorin. Damals hatte Wagenknecht in bestimmten Publikationen der „Kommunistischen Plattform“ innerhalb der PDS, die Wirtschaftspolitik von Walter Ulbricht, in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der DDR gegenüber der „verfehlten Wirtschaftspolitik“ von Erich Honecker in den siebziger Jahren favorisiert. Heute ist sie bei der so genannten Freiburger Schule von Walter Eucken und Ludwig Erhard gelandet. Ihr Programm „Für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ strebt ein Bündnis der so genannten Mittelschichten (worunter sie die Arbeiterklasse versteht), mit dem „fleißigen und ehrlichen Unternehmer“ an. Ihre Kritik am Kapitalismus bezieht sich nur auf bestimmte „Heuschrecken“ und Teile des Monopolkapitals. Faktisch will sie zum vor-monopolistischen Kapitalismus zurück.

Um nicht gleich im 19. Jahrhundert zu landen, bezieht sie sich auf den angeblichen Sozialstaat in der BRD in den sechziger und siebziger Jahren. Dabei vergisst sie den Zweiten Weltkrieg was wesentlich ab den 50er Jahren zu einer sogenannten langen Welle des kapitalistischen Aufschwungs führte. Auch die Wirkung der Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und den damals existierenden degenerierten Arbeiterstaaten wird völlig ausgeblendet. Frau Wagenknecht landet beim „ehrlichen, anständigen und tüchtigen Unternehmer“, dem sie ein Bündnis gegen die Heuschrecken und gegen andere Teile des Kapitals vorschlägt.

Diesen Ideen liegen zwei grundsätzliche Fehler zugrunde. Erstens unter der Peitsche der Konkurrenz verschwinden zunehmend kleinere mittelständische Unternehmen, die Monopolbildung ist in der freien Konkurrenz angelegt. Zweitens ist auch der mit den schönen Attributen von Frau Wagenknecht bedachte „Unternehmer“ gezwungen, die Ware Arbeitskraft so weit als möglich auszubeuten, denn sonst ist er die längste Zeit Kapitalist gewesen.

Politische Sackgasse

Letztendlich ist das Buch ein klassisch sozialdemokratisches Werk mit rassistischen Einschlägen. Der Arbeiterklasse hat dieses Buch keinerlei Perspektive zu bieten. Statt auf die internationale Solidarität der Arbeiter und Arbeiterinnen zu setzen, stimmt Wagenknecht einen Lobgesang auf den bürgerlichen Nationalstaat an, den sie als „Zukunftsmodell“ feiert.

Allerdings ist die Autorin mit ihrer Haltung nicht so ganz zu unterscheiden von anderen Strömungen in der Partei DIE LINKE. Auch Frau Wagenknecht ist auf den Parlamentarismus fixiert. Ihr geht es nur darum, populär zu sein und damit auch einen größeren Spielraum im bürgerlichen Parlament zu erhalten. Letzteres verbindet sie mit anderen Strömungen innerhalb der Partei DIE LINKE, welche sie anfangs im Buch scheinbar in einigen Aspekten richtig kritisiert.


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