Nach ihrer Vereinigung macht sich die hessische Linke Hoffnung auf einen Einzug in den Wiesbadener Landtag nach der Landtagswahl vom 27. Januar 2008. Jüngsten Meinungsumfragen zufolge besteht dabei die Möglichkeit, den seit 1999 regierenden reaktionären Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) abzuwählen, falls CDU und FDP keine Landtagsmehrheit mehr stellen könnten und SPD, Grüne und Linke zusammen eine rechnerische Mehrheit hätten. Dies hätte bundesweit Signalwirkung. Während die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti in einem Interview angedeutet hat, sie wolle nach der Wahl auf keinen Fall mit der Linken zusammenarbeiten, wird in der Linken über die Frage diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen in Frage käme. Während viele Mitglieder der Linken Angst vor „Berliner Verhältnissen“ haben, erwarten etliche potenzielle WählerInnen der Linken, dass sie auf jeden Fall dazu beitragen wird, dass Koch weg kommt. Nachfolgend zur Diskussion und als Annäherung an diese Frage zehn Thesen von Hans-Gerd Öfinger.
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- Nach aktuellen Umfragen kann es von der Stärke der Linken und ihrem Einzug in den Landtag abhängen, ob CDU und FDP eine Mehrheit bekommen oder nicht. Bleibt die Linke unter 5 Prozent und damit draußen, dann könnten CDU und FDP stärker sein als SPD und Grüne. Daher stimmt die Aussage: Mit einer starken Linken im Landtag erhöht sich die Chance, Koch abzuwählen. Schon das ist Grund genug um zu sagen: Mit voller Kraft für die Linke Wahlkampf machen.
- Ypsilanti und die SPD werden sagen: Die Linken wollen nicht regieren und stützen daher Koch. Dem sollte die Linke entgegenhalten: Koch muss weg. An uns soll und wird es nicht scheitern. Es geht uns aber nicht um die Besetzung von Ministerposten und die Illusion von Macht. Der Wahlkampf muss die Inhalte in den Mittelpunkt stellen. Dass viele Angst davor haben, die Partei durch „Berliner Verhältnisse“ in eine tiefe Krise zu bringen, wenn sie als Juniorpartner in einer SPD-geführten Regierung viele unangenehme Dinge mittragen muss, ist nachvollziehbar.
- Andrea Ypsilanti und die SPD behaupten, die Linke wäre ewige Opposition und politikunfähig. Die Linke muss über die Ankündigung einer starken Opposition und die starre und sterile Alternative „Regierungen, Tolerieren oder Opponieren“ hinaus noch viel konkreter werden. Orientieren wir uns an der Taktik von Lenin und seiner Partei, die Anfang 1917 eine kleine Minderheit war und Ende 1917 die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter sich hatte. Versuchen wir von den dabei angewandten Methoden zu lernen.
- Als nach Ausbruch der Februarrevolution die russischen Revolutionäre noch eine kleine Minderheit waren und in ihren Reihen Stalin und andere führende Parteimitglieder im Frühjahr 1917 für ein Zusammengehen mit den gemäßigten Sozialdemokraten (Menschewiki) und eine Unterstützung der bürgerlichen Provisorischen Regierung eintraten, stieß dies insbesondere bei Lenin auf starke Ablehnung. Nach seiner Rückkehr im April 1917 kämpfte er in der eigenen Partei für eine radikale Kursänderung und setzte diese in wenigen Wochen mit Hilfe der Arbeiterbasis der Partei durch.
- Ein Blick in Lenins Schrift „Der linke Radikalismus“ ist aufschlussreich. Als kleine Minderheit, die die Mehrheit der Arbeiterklasse gewinnen wollte, beließen es seine Anhänger nicht beim Opponieren und Denunzieren der rechten Sozialdemokraten, sondern erklärten geduldig ihre Ideen und machten konkrete und öffentlich wirksame Angebote an die sozialdemokratischen Führer, etwa nach dem Motto: Wenn Ihr es mit Eurem Programm ernst meint, dann übernehmt doch die ganze Macht und setzt es um. Wir unterstützen Euch dabei! Im Sommer 1917 kämpften die von der Provisorischen Regierung verfolgten Revolutionäre aktiv mit rechten Sozialdemokraten und mit der von ihnen scharf kritisierten Regierung gegen den faschistischen Militärputsch des General Kornilow. Dahinter steckt die Idee: Solange wir eine kleine Minderheit in der Bewegung sind und die Mehrheit erobern wollen, müssen wir den rechten Sozialdemokraten und Reformisten die Chance geben, in der Praxis die Unzulänglichkeit bzw. den Bankrott ihrer Politik zu offenbaren. Dazu müssen wir ihnen unter Umständen auch die Gelegenheit verschaffen, in die Regierung zu kommen. Um ihre Basis zu erreichen und bei ihr Gehör zu finden, müssen wir zuerst das Gemeinsame und nicht das Trennende erklären.
- Den damals noch sehr schwachen britischen Kommunisten empfahl Lenin 1920: Stellt nur in ganz sicheren Labour-Wahlkreisen eigene Kandidaten auf, ruft ansonsten zur Wahl der Labour-Kandidaten auf und fordert die Labour-Führung unter Arthur Henderson und Philip Snowden auf, die ganze Macht ohne die Bourgeoisie zu übernehmen. Lenin im O-Ton hierzu: „Ich werde auch erklären können, daß ich Henderson durch meine Stimmabgabe ebenso stützen möchte, wie der Strick den Gehängten stützt; dass in dem Maße, wie sich die Henderson einer eigenen Regierung nähern, ebenso die Richtigkeit meines Standpunkts bewiesen wird, ebenso die Massen auf meine Seite gebracht werden und ebenso der politische Tod der Henderson und Snowden beschleunigt wird...“ (Der linke Radikalismus).
- Übertragen auf Hessen 2008 könnte diese Methode bedeuten: Wir kämpfen für eine starke linke Fraktion im nächsten Hessischen Landtag und für einen wirklichen Politik- und Regierungswechsel. Falls es eine Mehrheit links von CDU und FDP gibt, soll uns niemand vorwerfen können, wir würden die Abwahl Kochs verhindern. Konkret heißt das: Wir würden, wenn wir im Landtag vertreten sind und Koch plus FDP keine Mehrheit haben, sofort öffentlich und glaubhaft anbieten, Ypsilanti mit den Stimmen der Linken zur neuen Ministerpräsidentin zu wählen. Wir würden sie sogar dazu auffordern, als Ministerpräsidentin im Landtag zu kandidieren und einen wirklich linken Politikwechsel in Hessen und im Bund im Sinne unseres Programms einzuleiten. Wir würden sie im Landtag mitwählen, damit sie in der Praxis zeigen kann, was ihre Politik taugt, und damit sie nicht hinterher sagen kann, wir hätten Koch gestützt. Wir würden alle fortschrittlichen (und auch noch so zaghaften) Maßnahmen von ganzem Herzen unterstützen. Das fände bei der Mitglieder- und Wählerbasis der SPD ein starkes Echo. Insofern macht auch das Angebot von Oskar Lafontaine an Kurt Beck, er könne sofort mit den Stimmen der Linken im Bundestag zum Bundeskanzler gewählt werden, durchaus Sinn – wenn es in eine breitere Kampagne in Richtung SPD-Anhängerschaft eingebettet ist.
- All dies bedeutet aber nicht, dass die Linke mit SPD und Grünen einen Koalitionsvertrag oder einen Tolerierungsvertrag abschließen müsste, in dem sich die Vertragspartner u.a. auch grundsätzlich zu gleichem Stimmverhalten im Landtag und enger Absprache verpflichten müssten. Wir würden alles Fortschrittliche in der Politik einer solchen Regierung unterstützen und gleichzeitig alles Reaktionäre ablehnen und öffentlich bekämpfen. Wir würden uns die Freiheit herausnehmen, SPD und Grüne mit ihrer eigenen (früheren) Programmatik zu konfrontieren und entsprechende Anträge einbringen. Das wäre nachvollziehbar und würde uns Sympathie und Unterstützung bei denen einbringen, die an Andrea Ypsilanti und der SPD hängen und an sie große Erwartungen richten.
- Bildungspolitik ist ein sehr wichtiger Bereich in Hessen und wird im Wahlkampf auch eine zentrale Rolle spielen. Da wird es durchaus Gemeinsamkeiten mit SPD und Grünen geben. Aber es geht nicht nur um Bildungspolitik, sondern neben anderen wichtigen Bereichen auch um die Bundespolitik und die Frage des Stimmverhaltens des Landes Hessen im Bundesrat. Das müssen wir auch im Wahlkampf deutlich machen. Die hessische SPD stellt zwei Ministerinnen in der Bundesregierung (Heidi Wieczorek-Zeul und Brigitte Zypries) und ist bislang nicht bereit, durch Druck auf diese beiden Damen oder gar Druck im Bundesrat die aktuelle Berliner Regierungspolitik in Frage zu stellen. Als wir Ende Juli bei einer Mahnwache vor der SPD-Landeszentrale Andrea Ypsilanti dazu aufforderten, die beiden Bundesministerinnen entsprechend unter Druck zu setzen und zur Ablehnung der Bahnprivatisierung zu drängen, da reagierte sie auf diese Forderung ziemlich allergisch und bezeichnete diese Forderung als „populistisch“. Schon allein aus solchen Gründen würde die Linke schon beim Versuch einer rot-rot-grünen Koalition in Hessen als kleineres Anhängsel dastehen, politisch den Kürzeren ziehen und ihre eigenen zentralen Kritikpunkte an den Sozialabbauparteien SPD und Grüne tendenziell verraten – solange es keine offene Rebellion in der Hessen-SPD gegen die Bundespolitik gibt.
- Wir wollen das Land grundlegend verändern und brauchen dafür eine Mehrheit insbesondere auch der heutigen und der ehemaligen SPD-Wähler und Anhänger. Dazu brauchen wir keine formalen Regierungsbündnisse und auch nicht das Image einer nur „meckernden“ und „entlarvenden“ Opposition, sondern eine moderne Art der „Arbeitereinheitsfront“, wie sie in den vorangestellten Thesen ansatzweise beschrieben wird.
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