Kategorie: DIE LINKE

Reparaturen am Kapitalismus reichen nicht aus

Als im Sommer linke Gewerkschafter im "Würz- burger Appell" einen grundlegenden Politikwechsel und eine Koalition aus SPD, Grünen und LINKEN anregten, war ihnen klar, dass sie einen langen Atem benötigen und dieses Ziel keinesfalls mit der Bundestagswahl 2009 erreichen würden. "Wir wenden uns an alle Bürgerinnen und Bürger, die mit uns der Meinung sind, dass alleine Reparaturen am vorherrschenden kapitalistischen System, Staatsbürgschaften, Kredite und zeitlich befristete Beteiligungen des Staates nicht genügen.



Eine neue Ordnung und Organisation der Finanz- und Realwirtschaft sind nötig", heißt es im "Würzburger Appell". Zu den Initiatoren gehören haupt- und ehrenamtliche Gewerkschafter vor allem aus ver.di, IG Metall und NGG, Mitglieder der LINKEN und der SPD und Aktivisten aus Attac und Kirchen.

Dass das Interesse weiter besteht, zeigte sich am vergangenen Mittwoch bei einer Diskussion mit Vertretern von Gewerkschaften, SPD und Linkspartei vor über 110 Zuhörern im voll besetzten Saal des Würzburger Hofbräukellers. Bezug zum Alltag war durch zahlreiche Betriebsräte aus Unternehmen im Raum Würzburg hergestellt, aber auch durch Studierende, die derzeit das Audimax der Würzburger Universität mit besetzen. Ihre in einem Grußwort vorgetragene Forderung "Die Wirtschaft aus der Uni raushalten" wurde mit Beifall quittiert.

"Der Kapitalismus geht nicht von alleine kaputt", erklärte Ex-IG Metall-Vorstand Horst Schmitthenner und forderte Wirtschaftsdemokratie und Staatsanteile als Gegenleistung für Geldspritzen an Banken. Ein Politikwechsel werde nur durch den Druck sozialer Bewegungen zustande kommen: „Die Parteien alleine werden es nicht packen.“

Diese Aussage wurde durch den Würzburger SPD-Stadtrat Heinrich Jüstel eindrucksvoll bestätigt. "Wir haben die Ängste der Bevölkerung vor dem sozialen Abstieg nicht ernst genommen", bilanzierte der Jüstel die Niederlage seiner Partei in der Bundestagswahl: "Die Rente mit 67 war eine Zumutung." Der Sozialdemokrat verwies auf den „Globalisierungsdruck“. Heuschrecken ließen sich "nur international bekämpfen". Unter Umständen müsse die Politik auch als "Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“ wirken.

"Unser Ziel bleibt die Überwindung des Kapitalismus", betonte hingegen Hessens Ex-DGB-Landeschef Dieter Hooge, Mitglied im LINKE-Landesvorstand. Die Gewerkschaften dürften auch den politischen Streik nicht ausschließen. "Die Krise gehört zum Kapitalismus wie der Bischof zu Würzburg", erklärte DGB-Regionschef Frank Firsching und forderte eine staatliche Regulierung der Daseinsvorsorge und Banken. Er erinnerte daran, dass die frühere SPD-Grüne-Regierung eine Deregulierung der Finanzmärkte zugelassen habe: "Da hilft es nicht, nach internationalen Mitteln zu rufen".

Dem schloss sich der frühere IG Medien-Vorsitzende Detlef Hensche an: "Das ist unser Bier, da funkt uns keiner aus Brüssel oder Shanghai herein." Hensche bemängelte, dass der DGB die Finanzkrise nicht genutzt habe, um wenigstens eine dreijährige Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I und eine Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes um 150 Euro zu verlangen. Die drei "tendenziell linken Parteien" seien "auf Gedeih und Verderb zur Kooperation verpflichtet oder sie werden ihren historischen Anforderungen nicht gerecht". Im Umgang mit der SPD warb Hensche für Geduld: "Die SPD braucht mehr als einen Parteitag, um zu den Bedürfnissen der Menschen zurückzufinden." Die Ziele des Würzburger Appells hätten allerdings "das Zeug, zum Volksthema zu werden."

Warum herrscht trotz der tiefsten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren noch eine relative Ruhe im Land? Für Horst Schmitthenner sind die Herrschenden bisher "nicht so ungeschickt" mit der Krise umgegangen. Er verwies auf Kurzarbeiterregelungen und die Garantie sicherer Spareinlagen. Komme es jedoch 2010 zu Massenentlassungen und Verschlechterungen bei Krankenversicherung und Pflege, dann sei Gegenwehr und Bündnisarbeit nötig und möglich. Kämpfende Belegschaften seien auf die Rückendeckung durch andere soziale Kräfte angewiesen.

DGB-Mann Firsching teilte diese Perspektive: "Nach der NRW-Wahl geht es uns ans Leder." Hensche regte an, eine Mehrbelastung von Arbeitnehmern bei der Krankenversicherung in eine Tarifforderung an die Arbeitgeber umzumünzen und damit streikfähig zu werden: "Das ist stinknormales Tarifgeschäft und mobilisierungsfähig. Dann diskutieren die Kollegen auch darüber, welche Gesellschaft wir wollen".

Die beiden Audimax-Besetzer lauschten der Debatte gespannt. "Wir gehen raus mit Denkanstößen, Mut, Solidaritätserklärungen und über 300 Euro Solidaritätsspende", bedankte sich einer von ihnen beim Publikum: "Dem Klassenkampf von oben müssen wir den Klassenkampf von unten entgegensetzen. Das kriegen wir auch noch hin."

Erstveröffentlichung leicht gekürzt in der Tageszeitung "Neues Deutschland" vom 27. November 2009

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