"Vieles ist ungeheuer, nichts/ ungeheuerer als der Mensch./ Der durchfährt auch die fahle Flut/ in des reißenden Südsturms Not;/ das gleitet zwischen den Wogen,/ die rings sich türmen! Erde selbst/ die allerhehrste Gottheit,/ ewig und nimmer ermüdend, er schwächt sie noch,/ wenn seine Pflüge von Jahre zu Jahre, wenn/ seine Rosse sie zerwühlen./...“ im Jahre 442 vor unserer Zeitrechnung lässt Sophokles den Chor zu seiner Antigone dieses Bild vortragen.
In der Antike und bei Naturvölkern gab es noch die heilige Scheu, die Erde Gäa oder Allmutter Pachamama zu verletzen, und die den Göttern geweihten Bäume und Quellen waren als Garanten des Daseins unbedingt zu erhalten. Alte Buchen und Eichen spenden reichlich Mastfutter fürs Wild und fürs Vieh, deshalb wurden sie heilig gehalten. Wenn also der wohlgenährte und hünenhaft großgewachsene Adelsspross Bonifatius seine Axt an Wotans Eiche legt, so verbirgt sich hinter diesem Angriff auf den Glauben der Bevölkerung einer auf deren Lebensgrundlagen mit dem Ziel der Machtgewinnung. Die Beschneidung bäuerlicher Rechte auf die Nutzung des Waldes war mit zunehmender Bevölkerung aber in der Folge oft nicht reine Willkür oder blinder Eigennutz der Feudalherren, sondern vielmehr die Antwort auf den steigenden Bedarf an Brennholz und an Bauholz. Auf die heutige Zeit übertragen entsprächen dem Erdöl, Gas, atomare Brennstoffe sowie Eisen, Bauxit usw.
Folgerichtigerweise gilt es heute als Inbegriff von Modernität, gar keine Tabus mehr gelten zu lassen, wie es Josef Fischer von der Grünen Partei entsprechend seinem Nietzsche-Zitat von der „Umwertung aller Werte“ beispielhaft vorgeführt hat. Denn war auch die Umweltbewegung wie schon ihre Vorläufer angetreten, die Schöpfung zu bewahren, so wurde schnell deutlich, dass da ein Tabu bestehen blieb. Die Logik der kapitalistischen Wertschöpfung war und blieb oberstes Gebot.
So werden gerade unter grünen Koalitionen zahllose Schneisen in die Wälder geschlagen, um immer noch mehr Windräder aufzustellen, während der Braunkohletagebau unvermindert fortgeführt wird. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden – vor allem in Deutschland und Frankreich – großflächig Teile gewachsener Kulturlandschaft regelrecht ausgeräumt, um großflächiger industrieller Landnutzung den Weg zu ebnen. Die Voraussetzungen dafür liegen aber schon in der ideologischen Gleichschaltung, die in Westeuropa mittels faschistischer und national-sozialistischer Regierungen gewaltsam durchgesetzt worden ist. Und bei alledem nehmen sich selbst die stattgefundenen Atombombenversuche über und unter der Erde noch winzig aus im Vergleich zu dem geplanten Erzabbau in den Anden, bei dem im Lauf von nur 20 Jahren erhebliche Teile des majestätischen Gebirgszuges regelrecht geschreddert werden sollen, um dann die Edelmetalle zu Lasten der Gewässer mit hochgiftigen Chemikalien (Cyanid) aus dem Gestein lösen. Internationale Bergbauunternehmen schürfen bereits auf beiden Seiten der argentinisch-chilenischen Grenze in den Kordilleren.
Hierzulande regt sich Widerstand um die Genehmigung von Probebohrungen nach Erdgas, bei denen in einem in den 1940ern entwickelten Verfahren tief im Boden Schichten mit Druck gesprengt werden. Seit diese Methode des Hydraulic Fracking in den USA stark vorangetrieben wurde, hat sich herumgesprochen, welch verheerende Auswirkungen diese Art der Förderung von Erdgas und Erdöl auf das Grundwasser und damit auf die allgemeinen Daseinsgrundlagen haben kann. Bislang ist die veröffentliche Meinung fast einhellig auf der Seite der Umweltschützer, während zugleich die Lobbyarbeit fortdauert. Jeder wie auch immer zustandegekommene Engpass kann den Ausschlag liefern, damit alle ökologischen Bedenken gegen eine solche Auspressung der Erdkruste beiseitegefegt werden.
Ecuadors Präsident Correa hatte den um die Erderwärmung besorgten Industrienationen angeboten, auf das geplante Projekt zur Erdölförderung im Yasuni-Nationalpark zu verzichten, wenn die Weltgemeinschaft dem Land die klimawirksame Erhaltung des Regenwaldes durch Zahlungen für die vermiedenen Emissionen vergüten würde. Da die anstehende Summe nur zu einem lächerlichen Bruchteil aufgebracht wurde, entschied das Parlament des Landes, die Bohrungen zuzulassen.
Die Zeiträume, in denen sich Gebirge auffalten, Erzlagerstätten zugänglich werden und fossile Energieträger entstehen, übersteigen bei weitem das, was der Mensch in seinem Leben, oder über ein paar Generationen hinweg überschauen kann. In der von Friedrich Rückert nachgedichteten Mythe des ewigen Wanderers Chidher wird die beschränkte Sicht der Menschen angesprochen, der das ihm Vertraute im Grunde als ewig seiend ansieht. Denn für den Bestand der menschlichen Gattung und für seine kulturelle Entfaltung ist eine gewisse Beständigkeit und Verlässlichkeit von Kreisläufen wie Klima, Wasser, Nahrungsquellen wesentlich, auch wenn die rasante Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik uns heute etwas anderes vorgaukelt.
In Deutschland wurde im Jahr 1999 ein Bodenschutzgesetz erlassen, das die Erhaltung der sogenannten Bodenfunktionen sicherstellen soll - darunter ausdrücklich auch die Funktion als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte. Von den Bodenkundlern betrachtete Größen sind unter anderem die Dichte, die Schichtung, die mineralische und organische Zusammensetzung. Für vom Menschen verursachte Veränderungen wie Verdichtung, Versiegelung, Kontamination sollen die Verursacher zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Bedrohung durch langfristige Verschlechterung der Böden durch menschliche Fehlnutzung hat schon Platon in seiner Atlantis-Geschichte zur Sprache gebracht. Diese schleichenden Erosionsvorgänge werden in unserer Zeit durch intensive Nutzung in Form von Monokulturen und verstärktem Einsatz an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln noch beschleunigt. Sprach Plato von (neun) Jahrtausenden als Größenordnung für den Bodenverlust, so wird die Dauer bis zur Neubildung von 20 Jahren Abtrag in Modellrechnungen auf etwa 4000 Jahre veranschlagt. Um die Folgen jahrzehntelanger Misswirtschaft auszugleichen sind nicht nur einzelne Spekulanten sondern ganze Staaten dabei, sich angeblich brach liegende Flächen zu sichern. In großem Stil wird besonders in Afrika fruchtbares Land erworben. Gerade Unkenntnis und vorfeudale Eigentumsverhältnisse ermöglichen es in den typischen Fällen, dass die ansässige Bevölkerung nicht nur überrumpelt und übervorteilt wird; mithilfe bestechlicher Stammesfürsten und Staatsoberhäupter werden die Menschen um ihre Lebensgrundlagen und Entfaltungsmöglichkeiten gebracht. Einige finden vielleicht Beschäftigung in Diensten der neuen Eigentümer, andere stranden am Rand der Großstädte, ertrinken im Mittelmeer. Der gegenwärtige Verlauf der Ebola-Seuche zeigt, wie gleichgültig das Leben und das Wohlergehen der Menschen für jene stets ist, die mit wie ohne unmittelbare Kolonialherrschaft an den Früchten und Schätzen der Böden und an der Arbeit der Menschen ihr Geld zu vermehren suchen. Eingegriffen wird erst ab dem Augenblick, da die eigene Gewinnschöpfung als bedroht erkannt wird.
Auf der Suche nach Rendite hungert das System, die Verwertungslogik regelrecht nach Zuständen, wo Klimaschutz, Artenschutz und Menschenrechte im Gegensatz zu allen Bemühungen um Demokratie kaum eingefordert werden können, wo mit Hebeln wie TTIP eine geradezu neofeudale Vertragsfreiheit geschaffen werden soll, nach der letzten Endes die einfache Bevölkerung für ihre Lebensansprüche die Unternehmen noch zu entschädigen hat.
Pflegliche Bewirtschaftung des Bodens erscheint in diesem Licht wie nur ausnahmsweise – wenigen Begünstigten - zugefallener Luxus. Dabei liegt auf der Hand, dass es für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Boden vernünftigerweise keinen Aufschub geben kann.
Der Wert des längst Verlorenen, Geopferten, der Landschaften, der gewachsenen Böden, der Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten wird von vielen überhöht und verklärt, verbliebene Nischen mit Spürsinn ausfindig gemacht um dann vom Jet-Set überrannt zu werden. Städter wandeln auf den Spuren der kubanischen Revolution und legen nach dem Vorbild der Agroponicos auf überlassenen Flächen Mulchgärten an, die natürlich geräumt werden müssen, sobald ein Investor dort Interesse anmeldet.
Es ist offensichtlich, dass die bedrohlichen Bodenverluste sich durch solche vereinzelten Versuche ökologischen Wirtschaftens nur unzureichend aufhalten lassen werden, solange das auf Ausbeutung um der Rendite willen beruhende System die Oberhand hat. Im Gegenteil ist im Laufe der gegenwärtigen Krise die Begrenztheit verfügbarer Finanztitel entscheidend dafür, dass die Suche nach Möglichkeiten weiterer Geldvermehrung vor allem zerstörerische Formen annimmt. Wo Krankheit, Krieg, Not und Angst sich ausbreiten, wie soll da das Land überhaupt bestellt werden?
Marx hat herausgearbeitet, dass die Springquellen allen Reichtums die Natur und die menschliche Arbeit sind. Nach seiner Analyse des herrschenden Kapitalverhältnisses schlägt er vor: "Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre Arbeitskraft verausgaben.“
Derart frei unsere Verhältnisse zu regeln würde voraussetzen, dass wir mit den bestehenden Ausbeutungsverhältnissen tatsächlich brechen. So würden wir frei dazu, im Bewusstsein unserer Verantwortung für das Leben - das gegenwärtige und das künftige – zu entscheiden, was und wieviel an Gütern wir benötigen, unter was für Bedingungen wir sie erzeugen wollen. Auf der Grundlage einer solchen Freiheit kämen wir in den Stand, uns zur Beendigung des Raubbaus an unseresgleichen und an der Natur zu entschließen, und dies auch zu verwirklichen. Diese Freiheit wird uns nicht geschenkt, sie kann nur im Kampf errungen werden. Dafür lasst uns eintreten!
Nachtrag:
Besonders anschaulich wird das Dargestellte am Beispiel des Aralsees, dessen Austrocknung seit den 1960er Jahren als die bislang größte vom Menschen verursachte Umweltkatastrophe bezeichnet wird: Seinen hauptsächlichen Zuflüssen werden seit der Stalinzeit große Mengen Wasser entnommen – um mittels künstlicher Bewässerung auf riesigen Flächen Baumwolle für den Weltmarkt anzubauen. Zu erwähnen ist, dass hier wie weltweit der größte Teil der Baumwolle seit geraumer Zeit mittels transgener Pflanzen erzeugt wird. Jahrzehntelang wurden bedenkenlos Pestizide ausgebracht – zur Ernteerleichterung unter anderem Entlaubungsmittel mit dem Seveso-Gift Dioxin. Diese haben sich in den Böden angereichert und werden mit dem Staub des verlandeten Sees weithin verweht. Allein dies soll mit 5% der weltweiten Umweltverschmutzung ins Gewicht fallen. Früher leistete die Fischerei einen wichtigen Beitrag zum Lebensunterhalt der ansässigen Bevölkerung. Stattdessen wurde an den Bedürfnissen dieser Menschen vorbei eine fragwürdig Rohstoff-Produktion durchgesetzt, durch die in knechtischen Verhältnissen festgehaltenen Menschen nun seit Jahrzehnten mit hoher Kindersterblichkeit, Missbildungen und längst besiegt geglaubten Krankheiten wie Pest und Cholera gegeißelt sind. Einst blühende Bade- und Kurorte liegen verlassen in der Wüste. Seit einigen Jahren gibt es allerdings Bemühungen von kasachischer Seite, wenigstens den nördlichen Teil des Sees zu retten - so wurde ein Damm errichtet. Seither hat sich dieser Abschnitt so weit erholt, dass die Fischerei wieder Erträge abwirft. Das riesige östliche Becken hingegen ist im zurückliegenden Sommer zum ersten Mal seit dem Mittelalter völlig ausgetrocknet.
Zwang zur Überproduktion unter Missbrauch von Mensch und Natur hat Marx der kapitalistischen Gesellschaftsordnung eindrücklich nachgewiesen. Im Zuge der gemeinsamen Agrarpolitik in der Europäischen Union werden in großem Umfang Transferleistungen aus Steuergeldern aufgewendet, um gerade die in jeder Hinsicht umweltschädliche agrarindustrielle Überproduktion in großem Maßstab aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig wird mittels Freihandelsabkommen für Absatz gesorgt – und zwar bewusst in die sogenannten Entwicklungsländer. Seit die WTO die Abschaffung aller Handelsbeschränkungen vorantreibt wird der Lebensmittelbedarf in den Ländern Westafrikas zunehmen, inzwischen überwiegend mit Billigimporten aus Europa gedeckt. Die örtliche kleinbäuerliche Erzeugung ist dadurch fast völlig zum Erliegen gekommen. Die junge Welt schreibt: „Bemerkenswert ist, dass erst am 10. Juli 2014, während die (Ebola-)Epidemie bereits jeder Kontrolle entglitt, ein »Economic Partnership Agreement« (EPA) zwischen der ECOWAS (Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft) und der EU abgeschlossen wurde, ohne dass dies in Europa die geringste Aufmerksamkeit erfuhr.“ Um die offenkundige Übervorteilung durch Verträge wie EPA gegen Widerstände durchzusetzen, wurde nicht selten mit erpresserischen Mitteln, Destabilisierung bis hin zu gewaltsamer Einmischung nachgeholfen (z.B. 2010 Sturz des ivorischen Präsidenten Gbagbo mithilfe des Eingreifens französischer Truppen). Anhaltende Armut und Rückständigkeit sowie begründetes Misstrauen der breiten Bevölkerung gegen die eigenen Politiker wie gegen alles von außen kommende stehen dem Aufbau selbst einer bescheidenen doch funktionierenden Gesundheitsversorgung entgegen. Die wirksamste Maßnahme gegen Seuchen wie Ebola wäre die Abkehr von der kapitalistischen Globalisierung - hin zu überschaubaren Lebenszusammenhängen, wo die beteiligten Menschen die Erzeugung von Gütern nach ihren allseitigen Fähigkeiten und Bedürfnissen im lebendigen Austausch mit der Natur bestimmen. Solidarität mit den unterdrückten Völkern weltweit – weg mit den Unrechtsabkommen TTIP, TISA, CETA, EPA usw.!
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