In vielen Großstädten ist die Atemluft inzwischen so „dick“ und gesundheitsschädlich, dass nach gesetzlichen EU-Normen im Interesse der Gesundheit der Anwohner schon längst Fahrverbote für Autos und Lkw mit Verbrennungsmotoren verhängt werden müssten – angefangen mit Dieselfahrzeugen, die besonders viel Stickoxyd ausstoßen.
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Es ist längst bekannt, dass die Luftverschmutzung durch Autoabgase Jahr für Jahr mehr Todesopfer fordert als Verkehrsunfälle. Solche Einschränkungen und Verbote sind anderswo wenigstens teilweise und zaghaft schon in Kraft. So etwa in Oslo, den Niederlanden, Kopenhagen oder Paris. Doch in Merkels Deutschland, dem Land der Autolobby, ticken die Uhren anders. Während hier manche Städte wegen anhaltender hoher Stickoxyd-Messwerte Fahrverbote für Dieselfahrzeuge anstreben, setzen Industrie, Bundes- und Landesregierungen auf eine Beruhigung der Gemüter und Alibiveranstaltungen. Diesem Zweck diente am 2. August ein „Diesel-Gipfel“ mit Eliten aus Konzernen und Politik.
Das Ergebnis war der Gipfel der Unverfrorenheit und Unverbindlichkeit und viel heiße Luft. Statt Einbau neuer Hardware in die Dieselautos wie Filter oder Zusatztanks auf Kosten der Konzerne bleibt es bei Software-Updates, die im Endeffekt kaum spürbar sein dürften. Das entspricht einer vollständigen Amnestie für die Spitzenmanager der Automobilindustrie. Sie hatten Messwerte gezielt manipulieren lassen und damit kriminelle Energie an den Tag gelegt. Dabei sind die deutschen Autokonzerne nach wie vor höchst profitabel. Von 2010 bis 2016 erzielten allein Daimler, VW und BMW Überschüsse von insgesamt 152 Milliarden Euro.
Weil diese „heiligen“ Profite schwerer wiegen als eine bessere Atemluft, wurden viele notwendige Maßnahmen vom „Gipfel“ nicht beschlossen. So bleibt es bei der Steuerbegünstigung von Dieseltreibstoff gegenüber anderen Benzinsorten. Dieser Vorteil entspricht rund einer Milliarde Euro pro Jahr. Es gibt keinen Druck zur Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte pro Fahrzeug und keine Verpflichtung der Industrie, auf ihre Kosten die lange schon vorhandenen wirksamen Abgasreinigungsverfahren in Diesel-Pkw einzubauen. Betrogene Autobesitzer, die unter falschen Versprechungen ein Dieselfahrzeug gekauft hatten, erhalten keine Entschädigung. Gleich nach dem „Gipfel“ gab die Deutsche Umwelthilfe ein Testergebnis bekannt, wonach weiterhin praktisch alle Diesel-Neuwagen die Emissions-Grenzwerte nicht einhielten.
Für die von der Autolobby gelenkte Bundesregierung hat der Schutz von Gesundheit, Umwelt und Verbrauchern kein Gewicht. Der Betrug geht weiter. Ein voller Sieg der Autokonzerne wird auch in der Sprachregelung zum „Gipfel“ deutlich. „Wir setzen vor allem auf die freiwillige Bereitschaft der Automobilindustrie, die Schäden zu beheben“, erklärte Matthias Machnig (SPD), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Die Bundesregierung erwarte allerdings von den Vertretern der deutschen Automobilindustrie „mehr Demut“, so Machnig. Warten auf den St. Nimmerleinstag!
Überproduktionskrise
Die deutsche Autoindustrie hat ihre Position zu Lasten der Konkurrenz in anderen europäischen Ländern gestärkt. Auf sie entfallen zwei Drittel der europäischen Autoproduktion. Doch die PKW-Produktion stagniert seit der schweren Krise von 2008/2009 weltweit. Eine Überproduktionskrise ist längst im Anmarsch. Der Autoabsatz in der EU befindet sich derzeit gerade wieder auf dem Niveau vor dem Kriseneinbruch 2008 und hat etwa in Japan, Deutschland, Brasilien oder Frankreich das Niveau von 2007 nicht wieder erreicht. VW verzeichnete im ersten Halbjahr 2017 im Inland 3,8 Prozent weniger Neuzulassungen. Der Markt zeigt eine gewisse Sättigung und die Kaufkraft sinkt. So haben 40 Prozent der deutschen Haushalte heute real weniger Einkommen als vor 20 Jahren. Der Konkurrenzkampf zwischen den Konzernen nimmt zu. Die Vernichtung von Betrieben und Standorten wie Opel in Bochum oder Ford und Opel in Belgien wie auch die Übernahme von Opel durch die französische PSA-Gruppe sind erst der Anfang eines Verdrängungswettbewerbs und einer brutalen „Marktbereinigung“, die noch viele Arbeitsplätze kosten und den Druck auf die Beschäftigten massiv steigern wird. Im Kapitalismus ist keine fortschrittliche Lösung dieser Krise in Sicht.
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