„Diese Kühe wollte ich euch noch zeigen. Auf sie bin ich besonders stolz.“ Landwirt Sebastian Sonner führt uns durch seinen Bauernhof, der auf eine lange Geschichte zurückschauen kann: „Den Hof gibt es seit 500 Jahren. Den Betrieb habe ich in den 1980er-Jahren übernommen.“ Wir schlendern auf eine nahegelegene Kuppe. Der Blick auf die Alpen entzückt: Das Hochgebirge und die imposanten Hügel des Voralpenlandes färben sich in der sinkenden Sonne orange. Das Wetter ist frisch und frühlinghaft. Nebel beginnt sich zu bilden. Das sind Bilder einer idyllischen Bilderbuch-Landschaft, die man nur aus Bayern kennt.
Die Idylle hört jedoch mit der knallharten Realität des Kapitalismus auf: „Ich verstehe nicht, wieso wir Fleisch aus Südamerika importieren“, sind wir uns einig. Es wird vermehrt Rindfleisch aus Argentinien importiert, während einige Kilometer weiter der größte Rinderschlachthof Europas in Waldkraiburg Steaks für den asiatischen Markt herstellt. Die langen Transportwege sind alles andere als klimafreundlich oder sozial, „da wird sogar auf den Schiffen geschlachtet: Fracht und Kühlung mit umweltschädlichem Schweröl, Schlachtabfälle ins Meer, Arbeit und Kühlung mit den billigsten Arbeitskräften ohne Sozialstandards. Und die Politik verschärfte diese Situation durch Freihandelsverträge. Die Ernährungssouvernität auf der ganzen Welt muss her!“
Mit Mitte 60 ist Sebastian Sonner eigentlich schon im Ruhestand oder Unruhestand: „Ich arbeite seit dem 14. Lebensjahr“, entgegnet uns Sonner auf der Führung durch seinen Hof. „Bei mir fallen bis zu 40 Stunden in der Woche an, im letzten Jahr waren es sogar manchmal bis zu 70.“ Im Betrieb arbeitet die ganze Familie und ist auf Unterstützung aus dem Verwandtschafts- und Freundeskreis angewiesen. Auch der Tatsache, dass das Klima und somit die Böden und Rinder immer mehr unter Hitze und Trockenheit leiden, macht Sonner große Sorgen. So merkt Sonner seit Jahren die Tendenz, dass die Felder mehr denn je bewässert werden müssen. Die Dürreperioden der letzten Jahre machten vielen zu Schaffen.
Engagement gegen die Klimakatastrophe
Somit ist klar: Die Klimakatastrophe trifft den Landwirt persönlich. Folgerichtig packte er selbst mit an beim letzten Fridays-For-Future-Klimastreik in der Kreisstadt Mühldorf. Neben den Reden von FfF, dem Funken sowie des DGB sprach Sebastian Sonner, wie die Online-Ausgabe vom Mühldorfer Anzeiger am 19. März berichtet:
„ ‚Ohne intakte Umwelt, ist die Landwirtschaft weg‘, warnte Landwirt Sebastian Sonner aus Reichertsheim, vor der weiteren Zerstörung der Lebensgrundlagen. Schon jetzt müsse man als Landwirt Dürrejahre hinnehmen, für ihn ein klares Zeichen dafür, dass der Klimawandel schon längst begonnen hat. Der Reichertsheimer kritisierte die Agrarpolitik, die Großbauern fördere, kleine landwirtschaftliche Betriebe blieben auf der Strecke. Er beglückwünschte die Organisatoren für ihren Einsatz zugunsten der Umwelt, bedauerte es aber, dass während der Kundgebung viele junge Menschen uninteressiert vorbeigelaufen seien.“
„Jugendliche müssen sich mehr bilden“, meint Sonner, „dazu gehört es auch, zusammen mit Fridays-For-Future zu diskutieren. Es geht nicht gegeneinander, es geht nur gemeinsam. Als Klein- und Mittelbauern helfen wir uns gegenseitig, und so sollte es auch zwischen den Bauern und der Klimabewegung sein. Das wichtigste ist die Umwelt!“ So betreibt er eine beachtliche Photovoltaikanlage und hält Milchkühe, die nur noch genfreie Milch herstellen. „Darauf haben wir 15 Jahre hingearbeitet“. Die Milchpreisentwicklung jedoch scheint allgemein sehr bedenklich zu sein. „Historisch gesehen schwanken die Milchpreise immer wieder“, die Milchquote der EU jedoch, die 2014 abgeschafft worden ist, „kommt den Konzernen zugute – nicht den Bauern.“
Die herrschende neoliberale Politik lässt die Situation nicht nur am Milch- und Rindermarkt, sondern auch am Ackerland verschärfen: Die Preise für die umliegenden Grünland- und Ackergrundstücke sind in den letzten Jahren enorm angestiegen. „Eigentum am Ackerland zu haben ist schon ein Privileg geworden. Deswegen gilt es, dass unsere nachkommenden Bauern ihr Eigentum behalten und nicht an Großkapitalisten weitergeben. Diese möchten durch überhöhte EU-Hektarprämien nur Geld machen und wegen Flächenfraß auf Wertsteigerung spekulieren. Wegen der hohen Bodenpreise können Bauern wie wir, keine guten landwirtschaftlichen Nutzflächen mehr kaufen oder pachten.“
Die Klein- und Mittelbauern arbeiten aber nicht gegen-, sondern miteinander. Es ist schon längst erkannt worden, dass Solidarität unerlässlich ist, um sich gegen Großbauern und Lebensmittelmonopole zu behaupten. „Selbstverständlich sind wir genossenschaftlich organisiert. Wir leihen uns die Maschinen untereinander aus bzw. vermieten sie an andere“, heißt es, bevor wir ihm mit dem Auto folgen. Er führt uns mit seinem grauen Kombi zu einem nahgelegenen Feld, das er bewirtschaftet. Dort strahlt die Sonne besonders, das Grün der Wiese sowie der lange Schatten zwingen uns, mehr Fotos als sonst von der hügeligen Landschaft zu schießen.
Sterben die Kleinbauern aus?
Er zeigt auf einen Bauernhof, der leer steht: „Dort waren früher Bauern, hier hinten auch. Man sieht, dass die Betriebe im Landkreis Mühldorf schon immer größer waren. Aber es gibt leider immer weniger kleinere Bauern. Seit den 90er-Jahren sind zwei Drittel weg.“ Da fragen wir uns: Sterben die Kleinbauern ganz aus? Sonner verneint: „Die großen Bauern haben zwar den Vorteil, dass sie durch die EU-Subventionen besonders gefördert werden und somit einen Prämienvorteil haben, während kleine Bauern schlecht ausgehen. Der Kleinbauer stirbt aber nicht ganz aus, denn es gibt auch Bauern, die das Ganze als Hobby weiterbetreiben und nebenbei Lohnunternehmer sind. Die meisten verdienen außerhalb der Landwirtschaft dazu, um die Höfe zu erhalten.“
Sebastian Sonner betreibt nicht nur Ackerbau- und Viehzucht. Wir fahren ihm nach der Besichtigung auf dem Feld nicht auf der Landstraße hinterher, sondern über einer ebenen Wiese. Kurz bevor die Bundesstraße B12 beginnt, begutachten wir sein Nadelwald. Es ist mittlerweile dunkel geworden, die nahegelegene Schnellstraße ist deutlich zu hören. Es bleibt aber noch Zeit für einige Anmerkungen: „Als Bauern sind wir überlastet. Es gehört heute dazu, sich nicht nur auf einen bestimmten Bereich zu fokussieren, sondern in vielen anderen Bereichen zu arbeiten. Deswegen der Wald: Er ist gut für das Klima, bringt aber nur Arbeit“, lacht Sonner.
Dennoch, der Preisverfall bei den Holzpreisen ist dramatisch wie bei vielen anderen Agrarprodukten. Durch die niedrigen Preisen sei Mehrproduktion erforderlich, um die Verluste zu kompensieren und die Einnahmen zu sichern. „Mehrproduktion führt jedoch zu mehr Konkurrenz und Leistungsdruck, weil dann jeder anfängt, mehr zu produzieren. Davon profitieren nur die Konzerne, da sie durch die Übermenge billige Ware haben. Die Bauern leiden auf der ganzen Welt durch die kapitalistische Überproduktion, das ist ein Teufelskreis. Die Konkurrenz zwingt zum Wachsen oder Weichen.“
Zeit für Planwirtschaft
„Also braucht es eine demokratisch geplante Produktion?“ – Sonner nickt zustimmend: „Die Ausbeutung durch Lebensmittelkonzerne ist immer vorhanden, sie haben viel Marktmacht. Und das traurige ist, dass die Politik den Bauern quasi verboten hat, die Preise untereinander festzulegen – während Großkonzerne nicht kontrolliert werden. Es braucht andere Ansätze in der Wirtschafts- und Agrarpolitik“ ist das Fazit unseres Gesprächs.
Wir verabschieden uns von Sonner und biegen in die B12 ein. Gianna überprüft die Qualität der Fotos, wir machen uns Gedanken für andere Ansätze in der Wirtschafts- und Agrarpolitik. Es macht wütend zu sehen, in welch rasantem Tempo das Leben der Landwirte erschwert wird. Nur eine demokratisch geplante Produktion in der Landwirtschaft unter der Kontrolle der Beschäftigten und Konsumenten, kann einen bedeutenden Beitrag leisten, die Klimakatastrophe aufzuhalten. Dafür müssen wir den Kapitalismus überwinden.
Im Übergangsprogramm von Trotzki, das er 1938 verfasste, finden sich einige wichtige Ideen und Ansätze für eine revolutionäre Umwälzung der Landwirtschaft:
„Solange der Bauer ein ‚unabhängiger‘ Kleinproduzent bleibt, braucht er billige Kredite, erschwingliche Preise für Landmaschinen und Dünger, günstige Transportbedingungen, eine reelle Organisation für den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Doch die Banken, die Trusts und die Kaufleute plündern den Bauern von allen Seiten. Nur die Bauern selbst können mit Hilfe der Arbeiter diesem Raub Einhalt gebieten. Es ist notwendig, dass Ausschüsse der Kleinbauern gebildet werden, die gemeinsam mit den Arbeiterkomitees und den Ausschüssen der Bankangestellten die Kontrolle der Transport-, Kredit und Handelsoperationen in die Hand nehmen, die die Landwirtschaft betreffen.
Der Bauer, der Handwerker, der kleine Händler können im Unterschied zum Arbeiter, zum Angestellten, zum kleinen Beamten keine Lohnerhöhungen parallel zum Ansteigen der Preise fordern. Der offizielle bürokratische Kampf gegen die Teuerung dient nur dazu, die Masse zu betrügen. Die Bauern, die Handwerker, die Kaufleute müssen sich jedoch in ihrer Eigenschaft als Verbraucher Hand in Hand mit den Arbeitern aktiv in die Preispolitik einschalten. Auf das Gejammer der Kapitalisten über die Produktions-, Transport- und Handelskosten antworten die Verbraucher: ‚Zeigt uns eure Buchführung; wir verlangen die Kontrolle über die Preispolitik‘. Die Organe dieser Kontrolle müssen die Preisüberwachungsausschüsse sein, gebildet aus Delegierten der Fabriken, der Gewerkschaften, der Genossenschaften, der Bauernorganisationen, der ‚kleinen Leute‘ der Städte, der Hausfrauen usw. Auf diesem Wege werden die Arbeiter den Bauern zeigen können, dass die wahre Ursache für die überhöhten Preise nicht in den hohen Löhnen liegt, sondern in maßlosen Profiten der Kapitalisten und in den toten Kosten der kapitalistischen Anarchie.
Die praktische Teilnahme der ausgebeuteten Bauern an der Kontrolle der verschiedenen Wirtschaftsbereiche wird es den Bauern erlauben, selbst zu entscheiden, ob sie es für günstiger halten oder nicht, zur kollektiven Bearbeitung des Bodens überzugehen – in welchen Fristen und in welchem Umfang. Die Industriearbeiter verpflichten sich, den Bauern auf diesem Wege ihre volle Unterstützung zu geben: über die Gewerkschaften, die Fabrikkomitees und vor allem die Arbeiter- und Bauernregierung.“
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