Dazu kleben sich ihre Aktivisten mit Sekundenkleber oder Bauschaum auf viel befahrenen Straßen fest, um den Verkehr zum Erliegen zu bringen – das solle laut der „Letzten Generation“ zum Erfolg beitragen. Aus unserer Sicht ist es zum Scheitern verurteilt. Sämtliche Kamerateams und Journalisten begleiteten die jungen Aktivisten auf ihren Blockaden und dokumentierten die Reaktionen. Darunter auch „STRG_F“, ein öffentlich-rechtlicher Videokanal, der sie an einem morgendlichen Berufsverkehr auf der Autobahn A100 in Berlin filmte. Für manche war es die erste Blockade, für manche schon die 15te. Für die Auto- und LKW-Fahrenden im Berufsverkehr aber war es eine belastende Nervenprobe. Auf ihren schwarz-orangenen Schildern stand „Essen retten – Leben retten“ unter dem Banner „Aufstand der letzten Generation“. Manche, die durch die Aktion im Stau standen, stiegen aus und versuchten, die Autobahnausfahrt erfolglos freizumachen. Sie waren unter Zeitdruck und sehr aufgewühlt.
Ein Kurier der Berliner Charité, der wichtige Medikamente liefern muss, stand auch im Stau. Er stieg aus seinem 3,5-Tonner, ging wütend auf die Aktivisten zu und konfrontierte sie. „Ihr macht, dass das alles schlimmer wird. Wenn’s auf der Station beschissener wird, ihr seid daran schuld. Das ist dir bewusst, ja, was für ein Wichser du bist? Dass hier Leute leiden wegen dir gerade – dass das ganze Pflegepersonal länger braucht, dass sich alles verzögert – das ist deine Schuld!“, betonte der Kurier verärgert. Pflegenotstand und Autobahnblockaden vertragen sich nicht miteinander, sondern verschlimmern den Gesundheitszustand von Patienten und sabotieren die harte Arbeit der Pflegekräfte und Ärzte. Kurze Zeit später stieß eine Einsatzgruppe von Polizisten dazu, um die Aktivisten vom Kleber zu entfernen und sie in Gewahrsam zu nehmen.
Nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg wurden viel befahrene Straßen blockiert: Die vierspurige Köhlbrandbrücke, die als wichtige Zufahrt zum Hamburger Hafen gilt, war der nächste Schauplatz für den „zivilen Ungehorsam“. Bei regnerischem Wetter wurde auf die eine Fahrseite Pflanzenöl gegossen, auf die andere Seite klebten sich die Aktivisten mit Bauschaum und Sekundenkleber fest. Der Berufsverkehr kam auch dort zum Erliegen. Wütend versuchte ein LKW-Fahrer die Blockade aufzulösen. Ein anderer ging gelassen auf die Blockade zu und sprach den im Stau stehenden arbeitenden Menschen aus der Seele: „Der einzige Weg ist, die Bevölkerung zu überzeugen. Ihr überzeugt hier niemanden, hier hassen euch alle – alle 3000 Leute da, und die 5000 da unten – die hassen euch! Die kommen nicht zur Arbeit, nicht zu ihrer Familie, die haben Stress mit ihrem Chef und Verdienstausfall.“ Dem entgegnete eine Aktivistin: „Können Sie das Ziel verstehen?“, „Natürlich verstehe ich das Ziel, absolut! Die Intention ist richtig, aber der Weg ist falsch!“ Die Meinung des LKW-Fahrers offenbart den spaltenden Effekt der Taktik des „zivilen Ungehorsams“ durch eine winzige isolierte Gruppe. Die Berufstätigen, die im Stau stehen, werden durch diese Blockaden keinesfalls gewonnen – eher führt dies zu gegenseitigen Konfrontationen.
Wirkungslose Praxis und Repression
„Indem wir diese Störung hier erzeugen, erzeugen wir den Druck auf die Politik“, so eine Aktivistin gegenüber „STRG_F“. Das Gegenteil ist aber der Fall. Mit der Aktion wird nicht Druck auf die Politik, sondern Druck auf müde LKW-Fahrer und alle anderen unter enormem Zeitdruck stehenden arbeitenden Menschen ausgeübt. Auch den Menschen, die unter Hunger leiden und durch die Klimakatastrophe fliehen müssen, wird damit nicht geholfen. Dafür liefern solche Aktionen dem bürgerlichen Staat ein gefundenes Fressen, um die Aktivisten mit Repressionen zu überhäufen und wichtige Kämpfe, wie jenen gegen den Klimawandel, zu diskreditieren.
„Ihr blockiert so lange, bis die Polizei euch in Gewahrsam nimmt! Wir suchen Menschen, die bereit sind, sich festnehmen zu lassen“, hieß es auf einer Veranstaltung der Initiative „Letzte Generation“ im oberbayerischen Rosenheim. „Ich konnte mir nicht mehr anhören, dass die Zerstörung der Welt weitergeht“, sagte der zugereiste Referent vor interessierten Jugendlichen und Studierenden. „Ich bin entschlossen, dass wir mehr Widerstand aus der Zivilbevölkerung brauchen – friedlichen Widerstand“, betonte er in seinem 45-minütigen Vortrag. Auf den ausgeteilten Kontaktbögen wurde jedem Zuschauer die Option per Multiple-Choice offengelassen, sich für die Teilnahme an Aktionen zu „einmaliger Festnahme bereit“ zu erklären, gar „ins Gefängnis zu gehen“. Für manche Gäste war es vielleicht eine der ersten politischen Veranstaltungen, die sie besuchten und dort wurden sie gleich mit der Aufforderung konfrontiert, vielleicht als Märtyrer einige Tage in einer Gefängniszelle zu verbringen. Kaum ein anwesender Gast konnte dafür gewonnen werden.
Ein „Fehler im System“
Neben der Aussicht auf nutzlose Auseinandersetzungen mit der Polizei, wurden im Vortrag wissenschaftliche Studien aufgegriffen, die klar betonen, dass die Klimakatastrophe die Existenz der Menschheit gefährde und das weltweite CO2-Budget längst aufgebraucht sei. Die Flutkatastrophe im Ahrtal letzten Jahres, das Jahrhundert-Hochwasser in Australien, die stark ansteigenden Meeresspiegel und deutlich häufigere Dürren sind heutzutage weltweit auf der Tagesordnung. Ebenso wurden Politiker zitiert, welche die dramatische Lage verdeutlichen. Laut dem UN-Generalsekretär António Guterres „haben wir es mit einem Fehler im System zu tun“. Mit welchem „Fehler“ in welchem „System“ wir damit zu tun haben, wurde leider nicht genauer ausgeführt.
Es ist jedoch so, dass nicht ein „Fehler im System“ die Klimakatastrophe herbeiführt, sondern das „System“ der „Fehler“ ist! Dieses System heißt Kapitalismus. 100 Unternehmen weltweit sind für 71 Prozent der industriellen Treibhausgase verantwortlich, die Anarchie des freien Marktes führt zu einer unökologischen Überproduktion. Dem Kapital sind fossile Energien deutlich genehmer und profitabler als erneuerbare und klimafreundliche Energieformen. Wenn wir die Klimakatastrophe überwinden möchten, muss das System Kapitalismus gestürzt werden und durch eine demokratische Planwirtschaft ersetzt werden.
Letzten Endes beschränken sich die Forderungen der „Letzten Generation“ nur auf wenige Punkte: Den Stopp der staatlichen Finanzierung und des Ausbaus von fossilen Energieträgern; die Einführung einer „Notfallwirtschaft“ mittels Bürgerräten (wie diese Wirtschaftsform genau aussehen könnte, wird nicht erläutert, jedoch soll der kostenlose ÖPNV und die Wärmedämmung von Häusern durchgesetzt werden); sowie ein „Lebensmittel-Retten-Gesetz“. Das Wort „Kapitalismus“ taucht nirgendwo auf. Es bleibt unklar, inwiefern die kapitalistische Produktionsweise unter der „Notfallwirtschaft“ angetastet bleibt und ob Klassengegensätze damit auch abgeschafft werden. Frei nach António Guterres haben wir es damit offenbar mit einem „Fehler“ in den Forderungen zu tun.
Produkt von Reformismus und Perspektivlosigkeit
Die Initiative „Letzte Generation“ ist nicht vom Himmel gefallen, sondern verdeutlicht die Krise und Perspektivlosigkeit des Reformismus. Seit Jahrzehnten halten SPD und LINKE am bürgerlichen Parlamentarismus fest. Ihre Parteifunktionäre so wie auch die Gewerkschaftsfunktionäre des DGB haben sich stark von der Arbeiterklasse entfremdet. Gleichzeitig sorgt die Krise des Kapitalismus für eine Polarisierung der Gesellschaft. Besonders die Jugend hat ein tiefes Gefühl für die Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Und sie verspüren den Drang, etwas gegen die bestehenden Verhältnisse zu unternehmen und so stürzen sich viele in politischen Aktivismus. Die großen reformistischen Arbeiterparteien und Gewerkschaften können mit dem radikalisierten Bewusstsein der Jugend nicht mehr mithalten und haben ihnen nichts anzubieten – keine Ideen, Perspektiven und kein Programm – womit sie für eine andere Gesellschaft kämpfen können. Viele organisieren sich anderweitig, vor allem dort wo die Ideen und Aktionen radikal erscheinen.
Die „Letzte Generation“ ist ein Beispiel von vielen. Doch die Initiative versucht vergeblich, einen „Fehler im System“ zu finden. „Wohin haben uns jahrelanges Demonstrieren gebracht? Alles andere wurde schon versucht!“, nun sei es an der Zeit, sich anderen Aktionsformen wie den Straßenblockaden zu bedienen, „so lange, bis die Regierung unsere Forderungen erfüllt“, hieß es auf der Veranstaltung in Rosenheim. Man zeigte sich froh, dass „nach zwei Wochen Blockaden das Berliner Abgeordnetenhaus und ihre Regierungsmitglieder mit uns diskutierten“, aber umgesetzt wurde dennoch nichts. Das ist nicht verwunderlich, denn die Regierungen sind der falsche Adressat, selbst für die reformistischen Forderungen von „Letzte Generation“. Es ist eine Illusion, dass bürgerliche Parlamentarier die Forderungen der Initiative ernst nehmen würden und durch isolierte Aktionen einer kleinen Gruppe von Aktivisten dazu bewegt werden könnten, tatsächlich im Interesse der Allgemeinheit zu handeln. Die bisherige Klimapolitik und insbesondere die Corona-Pandemie sind ein augenscheinliches Beispiel dafür, dass der bürgerliche Staat und das Parlament in erster Linie die Interessenvertretung der Kapitalistenklasse sind – egal welche Parteien die Regierung stellen.
Was stattdessen tun?
Die einzige politische Kraft, die tatsächlich etwas gegen die Klimakatastrophe im Interesse der Allgemeinheit unternehmen kann, ist die Arbeiterklasse. Deshalb ist es wichtig, dass die Klimabewegung die soziale und ökologische Frage programmatisch zusammenbringt und in ihren Aktionen auf möglichst große Solidarität und gemeinsamen Klassenkampf mit der Arbeiterklasse gegen die Kapitalisten setzt.
Die gemeinsame Aktion von Klima- und Arbeiterbewegung Anfang September letzten Jahres in München war ein Schritt in diese Richtung. Ein Bündnis aus Teilen der Klimabewegung, darunter auch Fridays For Future, sowie dem Betriebsrat und den Beschäftigten eines Bosch-Werkes in Berg am Laim mobilisierte zu einer antikapitalistischen Demonstration. In dem Betrieb sollten laut der Geschäftsleitung Stellen gestrichen werden, weil die Produktion für die E-Mobilität weniger personalaufwendig sei. Von dieser Drohung und Lüge ließen sich die von der Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten nicht beirren. Sie betonten, dass sie an ihrem Standort auch Komponenten für andere Industrieprodukte produzieren können. Und sie stellten klar, dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrung in den Kampf gegen die Klimakatastrophe stellen können und wollen. So könnten sie Teile für Windkrafträder, Bahnen und Busse für den ÖPNV oder Solaranlagen produzieren. Aber die Aktionäre und Bosse weigern sich.
In einem Punkt geben wir der „Letzten Generation“ Recht: Die Zeit rennt gegen uns, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Aber blinder Aktionismus ist zum Scheitern verurteilt. Die Klimakrise kann nur eine revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse und Jugend aufhalten. Damit das gesamte Wissen und die Fertigkeiten der ganzen Arbeiterklasse im Interesse der Allgemeinheit eingesetzt werden kann, muss der Kapitalismus – die Produktion für den Profit der Ausbeuterklasse – überwunden werden. Das geht nur in einer weltweiten demokratischen Planwirtschaft, ohne Privateigentum an Unternehmen und ohne die Konkurrenz zwischen Nationalstaaten. Wir Marxisten sagen, der Kampf gegen die Klimakatastrophe ist Klassenkampf für die sozialistische Revolution. Deshalb schließ dich der International Marxist Tendency an und bau mit uns eine starke marxistische Strömung in den Bewegungen der Arbeiterklasse und Jugend auf. Wir wollen nicht nur die letzte Generation im Kapitalismus, sondern auch die erste Generation im Sozialismus sein!
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